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ATOM/451: Endlager - ein ungelöstes Rätsel ... (SB)



Die Atomlobby bezeichnet die Kernspaltung als fortschrittliche Technologie, doch rund 65 Jahre nach Beginn der zivilen Nutzung der Atomenergie gibt es weltweit noch immer kein einziges sicheres Endlager für hochradioaktiven Abfall. Unverdrossen produzieren mehrere hundert Kernreaktoren elektrischen Strom, ohne daß irgend jemand rechtzeitig geklärt hätte, wie man den Abfall sicher verbringen kann. Geradezu grotesk mutet die Vorstellung der Schweizer Atomkraftbetreiber an, man könne ein Endlager bauen, das zehn geologische Eiszeiten übersteht. In Deutschland sind die Ansprüche um keinen Deut geringer hochgeschraubt. Man hat 60 Jahre elektrischen Strom mittels Atomkraftwerken generiert und von heute an gerechnet noch Jahrzehnte eingeplant, um einen Endlagerstandort auch nur zu finden. Hat man ihn gefunden, muß man sich genauso wie in der Schweiz um die Verstrahlungsgefahr eine Million Jahre lang sorgen. [1]

Von heute an eine Million Jahre in der Erdgeschichte zurückgerechnet, war weder der Homo sapiens noch der Homo neanderthalensis geboren. Mit deren gemeinsamen Vorfahr, dem Homo erectus, fing das Verhängnis an, daß der Mensch glaubte, er könne das Feuer bändigen. Dieser zweifelhafte Glaube erlebt in der heutigen Zeit seinen bisherigen Höhepunkt im nuklearen Feuer, das rund alle 25 Jahre einen GAU, einen größten anzunehmenden Unfall, mit der Freisetzung größerer Mengen an Radionukliden produziert.

So wie einst die Atomlobby irrtümlich behauptet hat, daß solch ein GAU etwa alle eine Million Jahre eintritt, spricht einiges dafür, daß auch Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe nicht eine Million Jahre sicher sind, sondern eher 25 Jahre. Das könnte sogar noch beschönigend gerechnet sein. Beispielsweise hat sich der Endlagerstandort Gorleben noch vor seiner Inbetriebnahme als untauglich erwiesen. Gleiches gilt für das geplante Endlager Yucca Mountain im US-Bundesstaat Nevada. In beide Standorte haben die Industriestaaten USA und Deutschland Milliarden versenkt. Auch das 1999 in Betrieb genommene Endlager WIPP (Waste Isolation Pilot Plant) im US-Bundesstaat New Mexico, in das Atommüll militärischer Herkunft eingelagert wird, erlebte 15 Jahre nach der Eröffnung seinen ersten schwerwiegenden Unfall. Dabei wurden 21 Arbeiter verstrahlt, die Anlage mußte für drei Jahre geschlossen werden. Das war kein GAU, aber insofern ein ernstzunehmender Unfall, als daß eine Zeitlang die Zukunft der zwei Milliarden Dollar teuren Anlage auf der Kippe stand. Zu dem Unfall war es höchstwahrscheinlich deshalb gekommen, weil jemand mindestens eines der Atommüllfässer mit organischem anstelle des vorgeschriebenen anorganischen Katzenstreus aufgefüllt hatte. Es kam zu einer chemischen Reaktion, die schließlich das Faß platzen ließ.

Mit jedem Tag, an dem irgendwo auf der Erde das nukleare Feuer mit Brennmaterial beliefert wird, wächst der Berg an hochradioaktivem Abfall. Pro Jahr um rund 12.000 Tonnen. Einer neuen Studie [2] zum Problem des Atommülls zufolge, die von dem französischen Zweig der Umweltorganisation Greenpeace in Auftrag gegeben worden war, hat sich inzwischen rund eine Viertelmillion Tonnen hochradioaktiver Abfall, verteilt auf vierzehn Länder, angesammelt. Ein erheblicher Teil dieser Menge befindet sich in Abklingbecken, denen es an elementaren Sicherheitsmaßnahmen wie beispielsweise einem zweiten Containment oder einem stromnetzunabhängigen Kühlsystem mangelt.

Abgesehen von den hochangereicherten Kernbrennstäben, in denen sich in Folge der Spaltungsprozesse Transurane gebildet haben, müssen auch Kühlflüssigkeiten, Rohre, Beton und viele andere Installationen rund um die irgendwann zurückzubauenden Akws sicher verbracht werden. Hinzu kommen radioaktive Kontaminationen entlang der gesamten Produktionskette, angefangen vom Erzabbau über das Zermahlen des Gesteins, das chemische Herauslösen des Urans, die Bildung von Yellowcake, bis zur Anreicherung und Verarbeitung des radioaktiven Pulvers zu Pellets, mit denen die Brennstäbe befüllt werden. Auf jeder Verarbeitungsstufe fällt Strahlenmüll an.

Die Kosten der Endlagerung lassen sich kaum abschätzen. Laut der Greenpeace-Studie betragen sie für die Länder USA, Japan, Frankreich, Belgien, Schweden und United Kingdom zusammengerechnet 235 Milliarden Dollar. Wobei die Organisation feststellt, daß in diese Summe bei weitem nicht sämtliche Endlagerkosten eingeflossen sind.

Darüber hinaus sind in dieser Rechnung Länder wie zum Beispiel Deutschland, Rußland, China und Indien hinsichtlich der Kosten für ihre Atomenergienutzung noch gar nicht enthalten. Auch nicht die schätzungsweise 200 Mrd. Dollar für die Aufräumarbeiten der noch laufenden Nuklearkatastrophe im japanischen Akw Fukushima Daiichi - um nur ein Beispiel zu nennen, das zeigt, wie rasant die Kosten steigen können, wenn es zu einem Unfall kommt. All die Gelder werden direkt oder indirekt von den Menschen aufgebracht, die Steuern zahlen. Sie erwirtschaften einen Mehrwert, von dem die Unternehmenseigner profitieren, und es ist ihre hohe Produktivität, die sicherstellt, daß der Verwaltungsapparat, sprich: der Staat, mit durchgefüttert wird.

Zu den von Greenpeace genannten ungelösten Problemen gehört, daß der Zeitrahmen, um zu verhindern, daß sich der Atommüll in der Umwelt ausbreitet und radiologisch auf die zukünftige menschliche Gesellschaft auswirkt, in Hunderttausenden von Jahren gerechnet werden muß. Wenn Nationen vielleicht Jahrzehnte oder allenfalls Jahrhunderte Bestand haben, fragt Greenpeace, welche Nation gewährleisten könne, daß der Atommüll eine so lange Zeit sicher vor der Umwelt abgeschlossen bleibt.

Aber nicht nur politisch, auch geologisch ist eine so lange Frist nicht zuverlässig abzuschätzen. Wie geht man vor, wenn solch ein Endlager innerhalb dieses Zeitraums zusammenbricht? Die Kosten der Endlagerung enden nicht damit, daß irgendjemand irgendwann den Deckel über den Schacht schiebt und eine Fahne "Hier nicht buddeln!" aufstellt. Solch ein Endlager, auch wenn die Hohlräume mit Beton aufgefüllt sein sollten, muß dauerhaft gewartet werden. Zumal man heute keine seriöse Aussage über die Integrität der eingelagerten Behältnisse treffen kann. Es gibt zwar Konzepte und Planungen, die eine Nicht-Rückholbarkeit von Atomfässern vorsehen, aber das kann man nur machen, wenn man das Risiko eingehen will, daß irgendwann das Grundwasser radioaktiv kontaminiert wird. Wie beispielsweise in dem deutschen Endlager Asse.

Im 21. Jahrhundert sollte jede Technologie einer gründlichen Prüfung unterzogen werden, ob sie eventuell unkalkulierbare Folgen nach sich zieht, die späteren Generationen zur Last fallen. Sofern die Bundesregierung bei ihrem eingeschlagenen Kurs des partiellen Atomausstiegs bleibt - partiell deshalb, weil in Deutschland nach wie vor nukleare Brennstäbe hergestellt und wiederaufbereitet werden -, hätte sie hinsichtlich der Nuklearenergie einen Schritt vollzogen, den sie bei einer anderen Energiegewinnungstechnologie vermeidet: Der mögliche Ausstieg aus der Kohleverstromung im Jahr 2038 kommt zu einem so späten Zeitpunkt, daß bis dahin vermutlich ein oder mehrere planetare Kippunkte überschritten wurden.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0239.html

[2] http://m.greenpeace.org/belgium/Global/belgium/report/2019/REPORT_NUCLEAR_WASTE_CRISIS_ENG_BD.pdf

11. Februar 2019


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