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GENTECHNIK/268: Hochsicherheits-Technik gegen "Feldbefreier" (SB)


Gentech-Pflanzenforscher fordern Hightech-Schutz für ihre Versuche oder die Erlaubnis zu klandestinem Vorgehen


Die rapide Verteuerung von Getreide und Lebensmitteln in der jüngsten Zeit könnte eine menschheitsgeschichtlich neue Phase eingeläutet haben. Die Direktorin des Welternährungsprogramms (WFP), Josette Sheeran, sprach vor einigen Monaten von einer neuen Ära des Hungers. In diesem Jahr kam es zu einer drastischen Verarmung eines großen Teils der Menschheit. Lautete bislang die Einschätzung, daß weltweit 854 Mio. Menschen Hunger litten - von denen jährlich rund 35 Mio. mangels ausreichender Nahrung starben -, so gehen Experten inzwischen davon aus, daß die Milliardengrenze überschritten wurde. Tendenz steigend. Tag für Tag wächst die Weltbevölkerung um mehr als 200.000 Menschen. Die Versorgung mit Nahrung war schon immer ein Grundproblem der Menschheit, das Ausmaß des Mangels wächst jedoch, gleichzeitig schrumpfen die Getreidereserven weltweit. Es werden Forderungen nach einer zweiten Grünen Revolution laut.

Nur wir können diese Aufgabe erfüllen, rufen die Biotechkonzerne, die Hybridsaaten herstellen, aber mit ihren Produkten oftmals auf hartnäckigen Widerstand treffen. Vor allem in Großbritannien werden die sogenannten Gentechnikgegner handgreiflich und zerstören bereits die ersten Versuchsfelder, auf denen Wissenschaftler ihre Zuchtprodukte erforschen wollen. In Deutschland sprechen Aktivisten von "Feldbefreiung", wenn sie Gentech-Pflanzen ausreißen, noch bevor diese zur Blüte gelangen und ihren Pollen über die Grenzen der Felder hinaus in die Umwelt tragen können.

Jene Pollen enthalten in der Regel artfremde Eigenschaften. Forschern war es mit Hilfe mikrobiologischer Verfahren nicht nur gelungen, Bestandteile von sehr unterschiedlichen Pflanzenarten zusammenzubringen und zu vermehren, sondern auch tierische Anteile in diese Pflanzen einzuzüchten. Diese Form der Hybridforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Ihr kommerzieller Vormarsch begann erst Anfang bis Mitte der neunziger Jahre in den USA. Eineinhalb Jahrzehnte später kann niemand sagen, welche langfristigen gesundheitlichen und ökologischen Konsequenzen der Anbau und Verzehr von Gentech-Erzeugnissen hat. Fütterungsversuche beispielsweise mit Ratten und Monarchfalterraupen erbrachten haarsträubende Ergebnisse. Die Tiere reagierten hochempfindlich auf Gentech-Saat, erkrankten schwer oder starben, während die Vertreter aus Vergleichsgruppen solche Phänomene nicht zeigten.

Eigentlich hätten diese bereits vor Jahren durchgeführten Resultate zu einem weltweiten Alarmruf und einem sofortigen Stopp der Hybridexperimente führen müssen. War doch damit (und weiteren, hier nicht eigens erwähnten Studien) bewiesen worden, daß der Mensch Dinge in die Welt und Prozesse in Gang setzt, deren Konsequenzen unerforscht sind. An warnenden Stimmen hat es nicht gefehlt und fehlt es auch heute nicht. Allein, sie stoßen vielerorts auf taube Ohren.

In Großbritannien forderten jetzt Wissenschaftler, daß künftig Versuchsfelder mit gentechnisch veränderten Pflanzen entweder nur noch in Hochsicherheitseinrichtungen angelegt oder aber daß die Standorte geheimgehalten werden, damit sie nicht von Gentechgegnern zerstört werden können. Seit 2000 wurden fast alle 54 dementsprechenden Felder in Großbritannien in irgendeiner Form attackiert. In diesem Jahr blieb lediglich ein Feldversuch mit gentechnisch veränderten Kartoffeln des Unternehmens BASF, der am National Institute of Agricultural Botany (Niab) in Cambridge durchgeführt wird, unversehrt. Das Feld ist vollständig umzäunt und wird rund um die Uhr bewacht. Die Sicherungsmaßnahmen haben mehr als 100.000 brit. Pfund (über 126.000 Euro) gekostet. Im vergangenen Jahr sei ein Gentechfeld an der gleichen Stelle zu nächtlicher Stunde zerstört worden, schrieb die britische Zeitung "The Guardian" (29. Juli 2008).

Im vergangenen Monat wurde auch ein Feld mit Gentech-Kartoffeln, das von Forschern der Universität Leeds angelegt worden war, zerstört. Dabei habe es nur 400 Pflanzen enthalten, davon sei keine Bedrohung für die Umwelt ausgegangen, klagte Forschungsleiter Howard Atkinson. Die Kosten für Sicherheitsmaßnahmen "zum Schutz gegen Zeloten" könne eine Universität kaum rechtfertigen. Deshalb solle die britische Regierung es ähnlich wie in Kanada handhaben, wo kleinere Feldversuche geheim bleiben dürften; nur die größeren kommerziellen Versuche müßten öffentlich gemacht werden.

Nach bestehendem EU-Recht dürfen nur dann Feldversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchgeführt werden, wenn die Pflanze umfangreich beschrieben und auch der geplante Ort des Versuchs bekanntgegeben wird. Atkinson forderte jetzt die Gewährleistung der akademischen Freiheit zur Erlangung von Wissen und behauptete, daß eine Gesellschaft, die den Wissenschaftlern das nicht erlaube, ein Problem habe.

Wer wie Atkinson einen so hohen Anspruch auf freie Forschung erhebt, würde anscheinend auch Forschungen an bakteriologischen oder chemischen Waffen gutheißen, wenn sie denn der Wissenserweiterung dienten. Und das täten sie zweifelsohne, auch wenn sie wahrscheinlich von der großen Mehrheit der Bevölkerung ablehnt würde.

Der Anspruch des Wissenschaftlers auf Forschungsfreiheit steht im Widerspruch zum Anspruch der Menschen auf Unversehrtheit. Deren Anspruch wird jedoch nicht erst an der Stelle zunichte gemacht, an der gentechnisch veränderte Pflanzen das ganze Land bedecken und jede andere Bewirtschaftungsform (bioorganisch, konventionell, etc.) kontaminieren, so daß eine Umkehr von dieser Entwicklung nicht mehr möglich ist. Sondern mit dem Anspruch auf Unversehrtheit wird bereits in den Anfängen, eben bei solchen kleinen Freilandversuchen gebrochen, weil der öffentliche Raum betroffen ist.

In den Ohren der Wissenschaftler klingt dies maßlos überzogen, sie fühlen sich mißverstanden. Sie wollen doch nur dazu beitragen, daß Wissen zu Fortschritt und Fortschritt zur Lösung von Problemen - in diesem Fall des Hungers in der Welt - führt. Bei diesem Standpunkt wird jedoch übersehen, daß ihre Forschung eine tragende Funktion in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Nahrung der Zukunft spielt. Diese Front wurde nicht von den Gentechgegnern eröffnet, sondern von den Biotechunternehmen. Die haben es sich erspart, die Sicherheit ihrer Produkte zu erforschen, und quasi einen Feldversuch mit der Bevölkerung als Versuchskaninchen begonnen. Ermöglicht wurde das nicht zuletzt durch den regen personellen Austausch zwischen den Genehmigungsbehörden in den USA, wo die Grüne Gentechnik ihren Anfang nahm, und den Konzernen.

An dieser Stelle sei noch einmal an ein geheimes Strategiepapier des Biotechkonzerns Monsanto erinnert, das vor acht Jahren der britischen Umweltschutzgruppe Friends of the Earth zugespielt wurde. Der US-Konzern wollte die britische Regierung als Türöffner für seine Gentech-Saaten in den lukrativen Absatzmarkt der Europäischen Union einsetzen. Die Regierung von Premierminister Tony Blair war eng mit der Biotechbranche verbändelt und willens, diesen Job zu übernehmen. Das Ganze sollte jedoch an der Öffentlichkeit vorbei geschehen.

Außerdem schrieb der "Guardian" am 28. Februar 2000, daß er Dokumente erhalten habe, aus denen hervorgeht, daß US-Präsident Bill Clinton bei zwei Treffen 1998 in der Downing Street sowie einem in Dunbar Court, dem Außenministerium Großbritanniens, den britischen Premierminister erheblich unter Druck gesetzt hatte. Und nicht einmal einen Tag nach dem Treffen im Amtssitz Blairs hat Großbritannien, das damals den EU-Ratsvorsitz innehatte, Vorschläge hinsichtlich gentechnisch veränderter Lebensmittel modifiziert, um den Markt in Großbritannien und der übrigen EU für die US-Konzerne weit zu öffnen.

Ob wirklich Druck erforderlich war, um Blair auf Kurs zu trimmen, sei dahingestellt. Tatsache bleibt, daß sich Monsanto als der - damals mehr noch als heute - weltweite wichtigste Hersteller von Gentechsaat quasi geheimdienstlicher Methoden bedient hat, um still und leise Produkte nach Europa einzuschleusen, die gesundheitlich nicht unbedenklich waren und erwartungsgemäß auf Widerstand in der Bevölkerung gestoßen sind.

Der ließ nicht lange auf sich warten. Die Konfrontation ging aber nicht von den Gentechgegnern aus, wie das Strategiepapier beweist, sondern von den profitorientierten Unternehmen. Es ist wahrlich keine Neuigkeit, daß der Profit des einen selten zum Nutzen aller anderen gereicht. Die Bekanntgabe der Monsanto-Strategie übte einen erheblichen Einfluß auf die Widerstandsbewegung gegen die Grüne Gentechnik in Großbritannien aus. Seitdem hat das Engagement der Aktivisten weiter zugenommen. Sie haben mit ihren Aktionen das bereits auf Start gestellte Getriebe empfindlich gestört.

Die jetzt geforderte Verheimlichung der Freilandversuche käme einem Rückschritt bis zu jener Zeit gleich, an der die klandestinen Machenschaften von Monsanto und Co. aufgedeckt wurden. Deshalb wäre künftig mit einer weiteren Verschärfung der Auseinandersetzung zu rechnen. Als Antwort auf die befürchtete Verseuchung der Umwelt und der Nahrung mit Gentechsaat würden von den Aktivisten womöglich noch härtere Bandagen aufgezogen. Es käme zu einer weiteren Kriminalisierung einer Umwelt- und Verbraucherschutzbewegung, die ursprünglich einmal lediglich darauf bestanden hat, daß die produzierte Nahrung nachweislich zu keinen gesundheitlichen und ökologischen Schäden führen darf.

Die Hybridsaaten der Agrounternehmen, die mittels eines strikten Lizenzsystems dauerhaft weltweite Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion anstreben, haben zwar nicht bewiesen, daß sie gesundheitlich unbedenklich sind, dafür aber, daß sie das Hungerproblem nicht lösen können: Die Ernteerträge bei Mais, Soja, Weizen und anderen Gentech-Pflanzen liegen teils über, teils unter denen konventioneller Saaten, wie selbst das US-Landwirtschaftsministerium, das der Grünen Gentechnik gegenüber sehr aufgeschlossen ist, in eigenen Untersuchungen festgestellt hat.

30. Juli 2008