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GENTECHNIK/286: EU-Entwurf - Dammbruch der GMO-Verbreitung (SB)


Wenn die sachlichen Argumente ausgehen ...

EU-Kommissar attestiert Kritikern der Gentechnik pauschal, Angst zu haben


Nach zwölf Jahren mehr oder weniger erfolgreichen Widerstands gegen die Absicht der EU-Kommission, gentechnisch veränderte Organismen (GMOs) ohne allzu strenge Auflagen in der Europäischen Union zuzulassen, scheinen die unermüdlichen Unterminierungsversuche der Lobbyisten von Erfolg gekrönt. Mit diabolisch anmutendem Hintersinn hat die EU-Kommission beschlossen, daß künftig die EU-Mitgliedstaaten selber über Zulassung oder Verbot von GMOs entscheiden dürfen und sich dafür auch nicht zu rechtfertigen haben, sofern zunächst die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) grundsätzlich für die Zulassung entschieden hat. Der EFSA entscheidet sich meist für die Einführung von GMOs.

Wenn eine Hyperadministration wie die EU, die immer mehr Kompetenzen an sich zieht, bei einem derart umstrittenen Thema wie dem Anbau und Konsum gentechnisch veränderter Produkte plötzlich den Eindruck erweckt, sie wolle dem Subsidiaritätsprinzip das Wort reden, sollten sämtliche Alarmglocken schrillen. Tatsächlich würde mit dem Gesetz, das noch der Zustimmung durch Ministerrat und Parlament bedarf, den GMOs Tür und Tor geöffnet. Der EU-Raum dürfte sich deutlich ausgeprägter als bisher in einen Flickenteppich von unterschiedlichen Regelungen verwandeln, wobei es zwischen Verbot und Zulassung zahlreiche Varianten geben wird, zu welchen Bestimmungen das Inverkehrbringen von GMOs erlaubt sein wird. In all diesen Fällen dürften jene Gebiete, die sich zur gentechnikfreien Zone erklärt haben, nach und nach ins Hintertreffen geraten und kontaminiert werden. Gab es in den letzten Jahren klare Außenfronten der EU gegenüber der sogenannten Grünen Gentechnik, so kann man jetzt von einer Entuferung der Gentechindustrie im EU-Raum sprechen. Naturgemäß werden die einmal eingenommenen Gebiete kaum noch zu dekontaminieren sein, selbst wenn es innerhalb der Bevölkerung eines Pro-Gentechnik-Mitgliedlands einen Meinungsumschwung geben sollte und Zulassungen rückgängig gemacht werden sollen.

Der maltesische EU-Verbraucherkommissar John Dalli behauptete, daß eine Debatte, die auf Angst gegründet sei, keine rationale Debatte ist. Damit spricht Dalli der Angst pauschal jede Rationalität ab. Das wiederum ist irrational, denn Angst kann sehr wohl eine vernünftige und begründete Empfindung sein. Oder will der EU-Kommissar behaupten, daß die Angst der mißliebigen Personen zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland, verschleppt und getötet zu werden, irrational war? Oder die Angst der Hungernden vor ihrer Zukunft? Oder die Angst des Angeklagten vor einer Verurteilung mit anschließender Gefängnisstrafe?

Dallis rhetorischer Trick ist simpel. Indem er den Gentechnikgegner erstens Angst unterstellt und zweitens diese kategorisch als irrational verwirft, will er vermeiden, sich ernsthaft mit ihren sachlich begründeten Argumenten auseinanderzusetzen. Typischerweise schloß er an seine obige Aussage an, daß "wir" uns vor allem an Fakten orientieren sollten.

Dem können Kritiker der Gentechnik aus vollem Herzen zustimmen. Deshalb bitte keine weiteren Versuche, sachliche Einwände gegen den gentechnischen Anbau verunglimpfen und Kritiker als von irrationalen Ängsten gesteuert darstellen. Zurück zur Sachlichkeit! Das hieße beispielsweise, endlich die vielen Vergleichsstudien anzuerkennen, in denen nachgewiesen wurde, daß der Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen Insekten tötet und Schädigungen bei Ratten auslöst, wohingegen der Pollen der gleichen Pflanzenart, die nicht gentechnisch verändert wurde, dies nicht tut. Es ist bedauerlich genug, daß für solche Versuche Tiere getötet wurden, aber noch zynischer wird es, wenn die Resultate nicht einmal Anlaß dafür sind, sich vor gentechnisch veränderten Organismus in der Nahrung und in Futtermitteln zu hüten.

In dem Gesetzentwurf der EU-Kommission werden die skeptischen Staaten kaltgestellt. In einer derart bedeutenden agrarpolitischen Entwicklung sollen sie auf einmal nicht mehr über Ja oder Nein zur Gentechnik mitentscheiden dürfen. Zur Erinnerung: Die EU-Kommission hat sich stets für die Grüne Gentechnik ausgesprochen, wohingegen der EU-Ministerrat, in dem die Umweltminister der EU-Staaten zusammenkommen und ihre gemeinsame Politik beschließen, trotz des auf ihn ausgeübten Drucks dagegen war. Mehrheiten für die Freigabe von GMOs ließen sich nicht finden. Mit dem neuen Gesetzentwurf hingegen können sich auf Dauer sogar Minderheiten durchsetzen. Dallis Gesetzesvorschlag ist nicht ausgewogen, er begünstigt die Verbreitung der GMOs in der Europäischen Union.

14. Juli 2010