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KLIMA/272: Gletscher abgeschmolzen - neue Insel vor Grönland (SB)


Uunartoq Qeqertoq

Erderwärmung fördert grönländische Insel zutage


Sollte der teils kilometerdicke Eispanzer, der über achtzig Prozent Grönlands bedeckt, vollständig abschmilzen, stiege der Meeresspiegel weltweit um voraussichtlich mehr als sieben Meter. Wissenschaftler halten es nicht mehr für ausgeschlossen, daß es dazu in den nächsten Jahrhunderten kommt. Erste Anzeichen für diese Entwicklung sind unübersehbar. So berichtete die britische Zeitung "The Independent" (24.7.2007), daß die Karte Grönlands neu gezeichnet werden müsse, denn an seiner Küste sei eine neue Insel entstanden.

Bislang war die Insel aufgrund der Eisbedeckung mit dem Festland verbunden, nun haben sich die Gletscher an der Ostküste Grönlands zurückgezogen und an der Spitze einer in die Grönlandsee ragenden Halbinsel eine mehrere Kilometer lange Insel geschaffen. Diese wurde von dem US-amerikanischen Forschungsreisenden und Grönlandexperten Dennis Schmitt entdeckt. Er taufte das wie eine dreifingrige Hand geformte Eiland, das rund 600 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt, "Warming Island" beziehungsweise, in der Sprache der Inuit, die Schmitt fließend spricht: Uunartoq Qeqertoq.

Der Geologische Dienst der USA hat mit Hilfe von Satellitenaufnahmen die Existenz der Insel bestätigt. Auf früheren Fotos ist zu erkennen, daß sie im Jahr 1985 noch fester Bestandteil der ostgrönländischen Küste war. 2002 existierte nur noch eine schmale Verbindung, im Sommer 2005 war auch diese weggeschmolzen.

Warming Island ist ein mahnendes Symbol dafür, daß die Vorstellung davon, wie sich die Erderwärmung auf das grönländische Eis auswirken wird, lange Zeit zu moderat gewesen war und es vielleicht sogar heute noch ist. Es gibt zwar Forschungsberichte, wonach das Inlandeis der größten Insel der Erde wächst, aber das spricht deswegen nicht gegen den Klimawandel, sondern verdeutlicht vielmehr eine wesentliche Eigenschaft des klimatischen Wandels.

Unmißverständliche Hinweise auf die Erderwärmung und ihre folgenschweren Auswirkungen auf Grönland wurde in den letzten Jahren in mehreren Studien erbracht. Demnach hat sich die Fließgeschwindigkeit einiger Gletscher rasant erhöht. Die Forscher maßen Geschwindigkeiten, die sie zuvor für unmöglich gehalten haben und die sie inzwischen so interpretieren, daß sich der grönländische Eispanzer insgesamt regelrecht aufzulösen begonnen hat. Er ist offenbar bereits strukturell erschüttert. Darum gilt die frühere Einschätzung, nach der es mindestens 1000 Jahre dauern werde, bis sich Grönland vollständig in Grünland gewandelt habe, nicht mehr.

Wissenschaftlichen Berechnungen zufolge verloren die Gletscher Grönlands 1996 um die 50 Kubikkilometer Eis. 2005 hatte sich der Wert verdreifacht und wird nun auf mindestens 150 Kubikkilometer jährlich geschätzt. Die Fließgeschwindigkeit einiger großer Gletscher hat sich gegenüber Mitte der neunziger Jahre ebenfalls verdreifacht, wobei der Vorgang zunehmend schneller abläuft. Diese Entwicklung wundert nicht, denn auch die durchschnittliche Lufttemperatur ist auf der mit Dänemark assoziierten Insel in den letzten zwanzig Jahren um ganze drei Grad gestiegen.

Je schneller die Gletscher ins Meer fließen, desto mehr reißen sie andere, zuvor langsamere Eisströme mit, die sich an anderen Stellen ins Meer ergießen und ihrerseits den Weg für das Inlandeis frei machen, welches sich dieser Gleitbewegung anschließt. Darüber hinaus machte "The Independent" auf wissenschaftliche Untersuchungen aufmerksam, nach denen es immer häufiger zu sogenannten glazialen Erdbeben kommt. Diese Erschütterungen werden durch ruckartige Bewegungen großer Eisblöcke ausgelöst. Im Zeitraum von 1993 bis 2002 war es jährlich zu sechs bis 15 dieser Eisbeben gekommen. Im Jahr 2003 wurden bereits 20 Eisbeben registriert, 2004 schon 24, und in den ersten zehn Monaten des Jahres 2005 sage und schreibe 32. Die glazialen Beben traten vorzugsweise im Sommer auf, was eine Abhängigkeit von den hohen Temperaturen um diese Jahreszeit nahelegt.

Bei einem globalen Anstieg des Meeresspiegels um gut sieben Meter würden weite Landflächen vom Meer verschlungen. London, New York, Hamburg, Dakar, New Orleans und viele Metropolen mehr würden mindestens teilweise untergehen. Noch bevor es dazu kommt, müßte die Weltkarte neu gezeichnet werden, weil die Malediven und andere Pazifikinseln nur noch als Unterwassergebirge existierten. Es ist äußerst fraglich, ob es dann die Niederlande noch geben wird. Große Teile Schleswig-Holsteins und Niedersachsens und damit der Autor dieser Zeilen würden ebenfalls vom Meer überflutet.

Und was in den Prognosen zum Meeresspiegelanstieg häufig nicht deutlich genug gesagt wird: Wenn das Erdklima so warm ist, daß das Eis auf Grönland abschmilzt, werden zeitgleich auch andere Gletscher von der Wärme aufgelöst. Das bedeutet, daß ein Meeresspiegelanstieg von sieben Metern erreicht würde, noch bevor das Grönlandeis gänzlich verschwunden wäre.

26. April 2007