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KLIMA/371: Weltweit trocknen die großen Flüsse aus (SB)


Die Lebensadern eines Großteils der Weltbevölkerung versiegen

Mit vermehrten Konflikten ist zu rechnen


Milliarden Menschen sind unmittelbar von den großen Flüssen der Erde abhängig. Sie dienen sowohl als Trinkwasserquelle als auch als Energielieferant und zur Kühlung von Kernkraftwerken, aus ihnen wird Wasser für die Landwirtschaft entnommen, und in ihnen werden Fischzuchten angelegt. Darüber hinaus bilden sie wichtige Verbindungswege für Personen- und Güterverkehr.

Diese Woche berichtete eine Forschergruppe, die vom National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder, Colorado angeführt wird, daß die Wassermenge, die von den großen Flüssen ins Meer befördert wird, als Folge des Klimawandels abgenommen hat. [1] Studienleiter Aiguo Dai warnte, es sei von "großer Besorgnis", daß die Süßwassermenge schrumpft, zumal gleichzeitig die Weltbevölkerung wachse. Die weltweite Verteilung des Süßwassers sei ja schon ein wichtiges Thema, ergänzte der ebenfalls an der Forschung beteiligte Cliff Jacob von der Abteilung für Atmosphärenforschung der National Science Foundation (NSF), die das NCAR finanziert. Aber es werde in den nächsten Jahren im Mittelpunkt bei der Erarbeitung von Strategien zur Anpassung an ein sich veränderndes Klima stehen.

Die Beobachtung, daß die von den Flüssen beförderten Wassermengen tendenziell zurückgehen, kommt nicht wirklich überraschend. Der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce hat bereits vor zwei Jahren in seinem Buch "Wenn die Flüsse versiegen" [2] eine Bestandsaufnahme vorgelegt, die keinen Zweifel am Ausmaß und an der enormen Brisanz des Wassermangels läßt.

Die an der aktuellen Studie beteiligten Forscher haben monatliche Meßdaten über die Fließmengen der weltweit 925 größten, in Ozeane mündenden Flüsse, auf die rund 73 Prozent des Abflusses vom Land ins Meer abdecken, aus dem Zeitraum 1948 bis 2004 ausgewertet und festgestellt, daß bei rund einem Drittel der weltweit 200 größten dieser Flüsse bedeutende Veränderungen eingetreten sind. Dabei übertrafen diejenigen, die weniger Wasser führten, jene, die ein größeres Wasservolumen beförderten, im Verhältnis von beinahe 2,5 zu 1. Mehrere der wasserärmeren Flüsse dienen einer großen Bevölkerungszahl als Reservoir für Trinkwasser und die landwirtschaftliche Bewässerung. Dazu gehören der Gelbe Fluß in China, der indische Ganges, der Niger in Westafrika und der Colorado im Südwesten der Vereinigten Staaten, alle in tropischen oder subtropischen Regionen gelegen.

Typischerweise befinden sich die Flüsse, die mehr Wasser führen als früher, in den dünn besiedelten Gebieten rund um das Nordpolarmeer, woraus folgt, daß sie durch eine verstärkte Gletscherschmelze als Folge der Erderwärmung gespeist werden - eine höhere Niederschlagsmenge für diese Wasserzunahme schlossen die Forscher aus. Es gebe zwar viele Faktoren der Wasserverknappung, schrieben sie, aber ihren Untersuchungen zufolge sei in vielen Fällen der Klimawandel hauptverantwortlich.

Mit ihrer jüngsten Erhebung bestätigen die Forscher, daß der Klimawandel unmittelbare Auswirkungen auf wesentliche Überlebensvoraussetzungen der Menschheit - hier dargestellt am Beispiel der Flüsse - gehabt hat und aller Voraussicht nach in den nächsten Jahrzehnten haben wird. Mit einiger Berechtigung darf vermutet werden, daß die beschriebenen Trends in Zukunft verstärkt werden, was bedeutet, daß die Versorgungsengpässe zunehmen werden und aller Voraussicht nach den Druck auf die Gesellschaften erhöht wird.

Vom westlichen Militärpakt NATO ist bekannt, daß in seiner neuen Strategie, die zur Zeit erarbeitet wird, dem Klimawandel bzw. seine Folgen für die Sicherheit eine größere Bedeutung zugewiesen werden soll. Zu einer Interventionsmacht reformiert, will die NATO die Fähigkeit erlangen, Streitkräfte binnen kürzesten Fristen an jeden Punkt der Erde verlegen zu können. Das hat selbstverständlich auch mit dem Versiegen der Flüsse zu tun. Denn wenn die Lebensverhältnisse zum Beispiel in Westafrika aufgrund des Wassermangels des Nigers weiter abnehmen, könnte die Flüchtlingswelle von Afrika nach Europa anwachsen und es könnte zu Spannungen kommen, für deren Regulierung sich die NATO zuständig fühlen könnte.

Die obige Studie reiht sich in eine Vielzahl an jüngeren wissenschaftlichen Untersuchungen ein, auf deren Grundlage mit Sicherheit nicht nur die westlichen Militärapparate ihre künftigen Aufgaben abstimmen werden. Außerdem ist das Versiegen der Flüsse nicht zuletzt deshalb ein brisantes Thema, weil viele große Flüsse nationale Grenzen überschreiten und zwischenstaatliche Wassernutzungsverträge womöglich zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurden, als noch wesentlich mehr Wasser vorhanden und der Bedarf geringer war.


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Anmerkungen:

[1] "Changes in Continental Freshwater Discharge from 1948-2004", Aiguo Dai, Taotao Qian, Kevin E. Trenberth vom National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, und John D. Milliman, School of Marine Science, College of William and Mary, Gloucester Point, VA 23062, USA.
Journal of Climate, DOI 10.1175/2008JCLI2592.1

[2] Fred Pearce: "Wenn die Flüsse versiegen", Verlag Antje Kunstmann, München 2007.
Siehe auch eine Schattenblick-Rezension unter INFOPOOL, BUCH, SACHBUCH, REZENSION/392: Fred Pearce - Wenn die Flüsse versiegen (SB).

24. April 2009