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KLIMA/590: Ozeane in Atemnot (SB)


Studie: Klimawandel verstärkt Sauerstoffmangel in den Weltmeeren


Schon heute läßt sich in einigen Weltregionen ein Rückgang an Sauerstoff in den Ozeanen als Folge des Klimawandels erkennen. In den nächsten 15, 20 oder 25 Jahren wird der Mangel so prägnant sein, daß er ganz sicher nicht mehr zu übersehen ist. Das ist das Ergebnis einer Studie, die im April im Journal "Global Biogeochemical Cycles" der American Geophysical Union erschienen ist.

Der im Meerwasser gelöste Sauerstoff stammt aus der Atmosphäre, entweder durch einen direkten Eintrag oder über Phytoplankton, das in der obersten Meeresschicht lebt und dort Photosynthese betreibt. An der Grenzschicht zwischen den Sphären Wasser und Luft findet ein ständiger Austausch von Sauerstoff statt, wobei die Meere zu rund 50 Prozent an der Freisetzung von Sauerstoff in die Atmosphäre beteiligt sind. Der Sauerstoffgehalt in der obersten Meeresschicht unterliegt aufgrund von wechselnden Temperaturverhältnissen, Meeresströmungen und Winden Schwankungen.

Deshalb ist es naturgemäß schwierig, den Anteil des Klimawandels am Sauerstoffgehalt bzw. seiner Verringerung in der obersten Meeresschicht zu bestimmen. Nach Berechnungen des Klimawissenschaftlers Matthew Long vom National Center for Atmospheric Research (NCAR) und seiner Kollegen wird die Unsicherheit hinsichtlich der Frage, was die natürliche Variabilität des Sauerstoffflusses und was eine Folge des Klimawandels ist, im Zeitraum 2030 bis 2040 behoben sein. Dann dürfte der Sauerstoffmangel große Bereiche des Meeres erfaßt haben, und damit sind nicht die natürlicherseits sauerstoffarmen, tieferen Meeresschichten gemeint.

Kaltes Meerwasser vermag mehr Sauerstoff aufzunehmen als warmes. Umgekehrt können in wärmerem Wasser regelrechte "Todeszonen" entstehen. In küstennahen Bereichen wiederum wird ein ähnlicher Effekt durch Einträge von Dünger aus der Landwirtschaft ausgelöst. In diesen überaus nährstoffreichen Meeresregionen gedeihen Algen besonders gut. Sie vermehren sich manchmal fast explosionsartig und entziehen ihrer Umgebung den lebenswichtigen Sauerstoff. Der fehlt dann Fischen und Krebstieren am meisten, aber auch andere Meeresbewohnern wie Muscheln und Schnecken geht auf Dauer die Luft aus, wenn sie längere Zeit einer sauerstoffarmen Umgebung ausgesetzt sind.

Heutige sauerstoffarme Regionen, die von der Forschergruppe um Long auf den Klimawandel zurückgeführt werden, befinden sich im südlichen Indischen Ozean sowie im östlichen tropischen Pazifik und Atlantik. In anderen Meeresgebieten dagegen, wie zum Beispiel vor den Ostküsten Afrikas, Australiens und südostasiatischer Staaten, werde ihren Simulationen zufolge der Klimawandeleinfluß auf den Sauerstoffgehalt selbst im Jahr 2100 nicht zu erkennen sein, heißt es in der Studie.

Diese Simulationen liefern nur einen winzigen Ausschnitt einer für die weitere Entwicklung des Menschen, vielleicht sogar des organischen Lebens generell wichtigen Fragestellung. Naheliegenderweise wäre zunächst einmal davon auszugehen, daß sich eine Zunahme an sauerstoffarmen Meeresgebieten nachteilig auf den Fischfang auswirken wird. Für viele Menschen ist Fisch ein Hauptnahrungsmittel. Im Hintergrund schwebt jedoch eine möglicherweise noch wichtigere Frage, nämlich ob und inwiefern sich der zu erwartende Effekt auf die Sauerstoffbilanz des Planeten auswirkt.

So heißt es im World Ocean Review 1 im Kapitel "Meere und Chemie", Unterkapitel "Sauerstoff - Renaissance einer hydrographischen Messgröße":

"Die Tatsache, dass Modellrechnungen der Auswirkungen des Klimawandels ebenfalls fast durchweg eine Sauerstoffabnahme im Ozean prognostizieren, die gut mit den bisher vorliegenden Beobachtungen abnehmender Sauerstoffkonzentration übereinstimmt, verleiht der Thematik zusätzliches Gewicht. Auch wenn hier sicherlich das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, deutet sich bereits jetzt an, dass der schleichende Sauerstoffverlust des Weltozeans ein Thema von hoher Relevanz ist, das möglicherweise auch sozioökonomische Konsequenzen hat und dem sich die Meeresforschung stellen muss."

Wenn, wie in diesem Zitat gesagt wird, die prognostizierte klimawandelbedingte Sauerstoffabnahme im Ozean (...) "gut mit den bisher vorliegenden Beobachtungen abnehmender Sauerstoffkonzentration übereinstimmt", dann liefert die oben genannte Studie zumindest einen Anfangsverdacht, daß die Entwicklung schneller voranschreiten könnte als angenommen.

Es gibt Quellen und Senken von Sauerstoff, genauer gesagt, dieser wird abgespalten und für die Atmung verfügbar gemacht oder er wird gebunden und der Verfügbarkeit entzogen. Beide Prozesse halten sich gegenwärtig ungefähr die Waage, wobei nur eine geringfügige Sauerstoffabnahme zu beobachten ist. Würde sie ihre Geschwindigkeit beibehalten, wäre erst in rund 50.000 Jahren ein Wert erreicht, an dem es für die Menschen gefährlich wird.

Es gibt jedoch keinerlei Gewißheit, daß dieser schleichende Trend dauerhaft beibehalten wird. Schaut man sich zum Beispiel den Kurvenverlauf der globalen Erwärmung an, so hat sich lange Zeit nicht viel getan, erst im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts zeichnete sich ein deutlicher Anstieg ab. Im Prinzip könnte die Sauerstoffkonzentration sogar wieder zunehmen, doch spricht einiges gegen diese Möglichkeit, da die Quellen ab- und die Senken zunehmen: Regenwälder werden abgeholzt, Phytoplankton befindet sich auf dem Rückzug, bei den zunehmenden Verbrennungsprozessen weltweit wird Sauerstoff an Kohlenstoff gebunden.

Die Menschen gehen davon aus, daß sie immer genügend Luft zum Atmen haben werden. Die extreme Luftverschmutzung in chinesischen und indischen Großstädten ist zwar atemberaubend, wird aber als räumlich begrenztes Phänomen wahrgenommen. Erst im vergangenen Jahrhundert hat man angefangen, einen globalen Blick auf die Natursysteme der Erde zu werfen. Dabei wurde zum Beispiel festgestellt, daß die FCKW-Emissionen aus Sprayflaschen, Kühlschränken und anderen industriellen Erzeugnissen die schützende Ozonschicht in der Stratosphäre zerstören und daß durch die Kohlenstoffdioxidemissionen aus dem Verbrennen fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) eine globale Erwärmung ausgelöst wurde. Es widerspräche dem Anspruch der Wissenschaft, nicht von unüberprüften Voraussetzungen auszugehen, würde sie unterstellen, daß der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre stets auf dem für Menschen angenehm hohen Niveau von derzeit knapp 21 Prozent bleiben wird.

23. Mai 2016


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