Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/632: Sprunghafter Anstieg der CO2-Emissionen (SB)



Steckt das Überschreiten eines Kipp-Punkts hinter der rapiden CO2-Zunahme in der Atmosphäre?

Die angeblichen Bemühungen der Staatengemeinschaft, die anthropogenen CO2-Emissionen zu verringern, tragen bislang offenbar keine Früchte. Im Gegenteil, die Konzentration dieses Treibhausgases in der Atmosphäre steigt nicht nur linear, sondern beschleunigt an, wie die U.N. World Meteorological Organization (WMO) berichtete. [1] Demnach wurde im vergangenen Jahr ein Rekordanstieg bei der CO2-Konzentration verzeichnet. Man muß schon viele Millionen Jahre in der Erdgeschichte zurückgehen, um auf eine vergleichbar hohe Beschleunigung zu kommen. Das hat die Wissenschaft aus Klimaarchiven wie Eis- und Sedimentbohrkernen, Baumringen, etc. rekonstruiert.

Ergänzend zu dieser aktuellen Meldung läßt eine US-Studie vom September dieses Jahres aufhorchen, die sich um eben solch eine Rekonstruktion sogenannter Proxydaten aus den Klimaarchiven bemüht hat. In dieser Untersuchung werden Indizien dafür präsentiert, daß die bisher in der Wissenschaft vorherrschende Annahme von der Höhe der atmosphärischen CO2-Konzentration während des geologischen Zeitalters des Eozäns (56 Millionen bis 33,9 Millionen Jahre vor unserer Zeit) korrekturbedürftig ist.

Laut den Erkenntnissen von Ying Cui vom Department of Earth Sciences des Dartmouth College in Hanover und Brian A. Schubert, School of Geosciences, University of Louisiana in Lafayette, könnte der CO2-Gehalt damals bei weitem nicht so hoch gewesen sein wie vermutet. War die Wissenschaft bislang davon ausgegangen, daß er bei rund 2000 ppm (parts per million, z. Dt.: Teile pro Million) lag, gehen sie nun von einem halb so hohen Wert aus. Nur während sehr kurzer Phasen, der sogenannten hydrothermalen Ereignisse, sei der CO2-Gehalt in der Atmosphäre auf über 1000 ppm gestiegen, schreibt die Forschergruppe. [2]

Warum könnte diese Studie, falls sie von anderer Seite bestätigt wird, relevant sein? Erstens weil 1000 ppm längst nicht so fern vom heutigen Wert (405 ppm) wie 2000 ppm liegt und zweitens abgeleitet werden kann, daß bereits der geringere CO2-Gehalt zu jenen Klimaveränderungen und -folgen geführt hat, die für das Eozän angenommen werden. Die heutige globale Durchschnittstemperatur liegt bei 14 - 15 Grad, im Eozän lag sie bei rund 24 Grad. Damals waren die Pole eisfrei, und der Meeresspiegel war Dutzende Meter höher.

Es sähe demnach gar nicht gut aus für einen großen Teil der Menschheit und ihrer Mitwelt, sollten Klimaverhältnisse einkehren, wie sie zur Zeit des Eozäns geherrscht haben. So stellt sich die Frage, ob unter solchen klimatischen Bedingungen die heutige Produktivität der Landwirtschaft aufrechterhalten werden kann oder ob sich nicht über die schon heute 815 Millionen chronisch hungernden und zwei Milliarden unterversorgten Menschen hinaus der Hunger ausweitet. Zudem würde sich die Verfügbarkeit von Trinkwasser noch mehr verschlechtern. Die Folge einer solchen Klimaentwicklung wäre, daß zig Millionen Menschen rund um den Globus ihre Heimat verlassen müßten, da sich das Meer alle flachen Inselstaaten und niedrig gelegenen Küstenstreifen holen würde. Betroffen wäre auch eine ganze Reihe von Megacities.

Die menschengemachten CO2-Emissionen stammen aus der Verbrennung von Kohle und Erdöl, der Produktion von Zement und der Entwaldung. Im vergangenen Jahr kam noch das El-Nino-Phänomen hinzu, jene globale Klimaumkehr, die alle drei bis fünf Jahre auftritt und mit einer warmen West-Ost-Meeresströmung im äquatorialen Pazifik "beginnt" - sofern man einen willkürlichen Anfang in dem hochdynamischen Wirkgefüge von Meer, Luft und Landmassen setzen will. In typischen El-Nino-Jahren wird global weniger CO2 in Pflanzen gebunden.

Die heutige CO2-Konzentration in der Atmosphäre übertrifft die der natürlichen Variabilität zurückliegender Hunderttausender von Jahren. Und der CO2-Anstieg vom vergangenen Jahr sitzt einer sowieso schon dramatischen, neueren Entwicklung auf, denn in den letzten Jahrzehnten stieg die atmosphärische CO2-Konzentration rund einhundert Mal schneller als nach der letzten Eiszeit, als sich das Eis zurückzog und die Permafrostregionen aufzutauen begannen. Einen Wert von 400 ppm CO2 in der Atmosphäre gab es zuletzt vor drei bis fünf Millionen Jahren im mittleren Pliozän. Damals war es im globalen Durchschnitt zwei bis drei Grad wärmer, und der Meeresspiegel lag zehn bis bis 20 Meter höher. WMO-Generalsekretär Petteri Taalas warnt:

"Ohne rasche Einschnitte bei CO2- und anderen Treibhausgasemissionen steuern wir bis Ende des Jahrhunderts auf gefährliche Temperaturanstiege zu, die weit über den Zielen des Klimaabkommens von Paris liegen. Künftige Generationen werden einen deutlich ungastlicheren Planeten erben."

Rechnerisch waren die CO2-Emissionen der Menschheit in den letzten drei Jahren nahezu gleich hoch geblieben. Das hatte die Hoffnung der Lobbyisten der grünen Ökonomie genährt, daß eine Entkopplung zwischen Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen gelungen sei. Indes könnte der im Jahr 2016 registrierte hohe CO2-Wert bedeuten, daß ein sogenannter Kipp-Punkt überschritten und eine nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung angestoßen wurde, bei der sich die Natursysteme solange verändern, bis sie ein anderes Niveau erreicht haben. Als auslösende Kandidaten für den CO2-Anstieg käme beispielsweise ein Auflösen der Methanhydrate an den Kontinentalhängen der Ozeane oder auch ein verstärktes Auftauen der Permafrostböden in Frage. In beiden Fällen würde nicht CO2, sondern Methan freigesetzt, doch das Gas hat eine Halbwertszeit von 12 - 14 Jahren. Danach zerfällt es zu dem sehr viel langlebigeren CO2.

Wenn es der Menschheit nicht gelingt - und danach sieht es zur Zeit aus -, entschieden gegen die Kräfte und Interessen, die die globale Erwärmung antreiben, vorzugehen, dürften die sozialen Folgen alles an Gewaltkonflikten in den Schatten stellen, was die Menschheit je erlebt und erlitten hat.


Fußnoten:

[1] https://public.wmo.int/en/media/press-release/greenhouse-gas-concentrations-surge-new-record

[2] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0012821X17304855?via%3Dihub

31. Oktober 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang