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KLIMA/635: Neubesinnung - gute Vorsätze verwerfen ... (SB)



Bei den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD zur Bildung einer Großen Koalition heißt es insbesondere seitens der ihre Profillosigkeit beklagenden Sozialdemokraten, daß man auf keinen Fall so weitermachen wolle wie bisher. Und doch ist das erste, auf das man sich geeinigt hat, die eigenen Klimaschutzziele nicht einzuhalten. Damit behält die Bundesrepublik einen Lebens- und Konsumstil bei, der zu Lasten derjenigen Regionen insbesondere des globalen Südens geht, die schon heute von Klimawandelfolgen wie Meeresspiegelanstieg, vermehrten Dürren, Überschwemmungen und starken Stürmen heimgesucht werden.

Eigentlich wollte Deutschland bis 2020 mindestens 40 Prozent seiner Treibhausgasemissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 reduzieren. Das Ziel sei praktisch nicht mehr zu erreichen, berichtete die taz unter Berufung auf das Redaktionsnetzwerk Deutschland. [1]

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte stets versichert, daß sie am 40-Prozent-Ziel festhält. Nun verschiebt man das Ziel auf einige Jahre später, hält aber an der Absicht, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent zu verringern, weiter fest. Zwölf Jahre bis dahin sind eine lange Zeit. Im Zweifelsfall wird es vermutlich nicht mehr Merkel sein, die dann abermals ihren wiederholten Beteuerungen untreu würde und eingestehen müßte, auch jenes Ziel verfehlt zu haben.

Bislang wurde nur eine Reduktion von 28 Prozent erreicht. Einen beträchtlichen Anteil daran hat die DDR. Denn nach der Wiedervereinigung 1990 wurden die emissionsreichen Industrien Ostdeutschlands abgeschaltet, und schwuppdiwupp stand die Bundesrepublik Deutschland klimatechnisch glänzend dar. Von diesem Erbe zehrt sie bis heute.

Die Regierung hat sich allerdings viel zu lange schon im Abglanz des "Erfolges" bewundert und ist sehenden Auges auf das jetzt eingestandene desaströse Ergebnis ihrer Klimaschutzpolitik zugesteuert. Seit Jahren zeichnete sich immer deutlicher ab, daß nur mit einer Politik, die sich traut, einflußreichen gesellschaftlichen Gruppen - im Falle Deutschlands unter anderem der Kohle- und Autolobby - auf die Füße zu treten, wirksamer Klimaschutz betrieben werden kann. Das wurde bisher vermieden und eben da liegt das Problem. 200 Jahre industrielle Entwicklung, die von der Verbrennung fossiler Energieträger angetrieben wurde, hat das globale Klima so stark verändert, daß in den Natursystemen bereits ein oder zwei sogenannte Kippunkte überschritten wurden.

Der Westantarktische Eisschild wird wahrscheinlich abschmelzen, ohne daß dies verhindert werden kann. Die Folge: Weltweiter Meeresspiegelanstieg um 1,5 Meter. Auch der Eispanzer Grönlands liefert Hinweise darauf, daß das Überschreiten eines Kippunkts kurz bevorstehen könnte oder bereits stattgefunden hat. Jedenfalls sind die Massenverluste und strukturellen Veränderungen des Eispanzers gravierend. Sollte Grönland sein Eis verlieren - die Wissenschaft rechnet hier mit einem Zeitraum von Jahrhunderten -, steigt der Meeresspiegel um weitere sieben Meter. Schon viel früher heißt es jedoch Abschied nehmen von Bangladesch, Marschall-Inseln, Kiribati, Tuvalu, Malediven ...

Der Untergang ganzer Staaten hat auch mit der deutschen Klimapolitik und dem Beharren darauf, die heimische Braunkohle auf viele Jahre hinaus als Brückentechnologie weiter zu verheizen, zu tun. Denn Braunkohle ist einer der emissionsreichsten Energieträger überhaupt. Die beiden obigen Beispiele für mögliche Kippunkte zeigen, daß es unter Umständen nicht auf Jahrzehnte, sondern Jahre ankommt, denn niemand weiß genau zu bestimmen, wann ein solcher Schwellenwert, bei dem ein Natursystem eine unaufhaltsame Dynamik mit globalen Folgen entfaltet, überschritten wird. Die Einstellung, nicht alles zu tun, um sein Klimaschutzziel einzuhalten, sondern dieses um einige Jahre nach hinten zu verlagern, ist verantwortungslos gegenüber Menschen, die heute schon in Not geraten sind.

Die Bundesregierung hat entweder nicht begriffen oder handelt mit Kalkül, wenn sie diesen Zusammenhang unverdrossen ignoriert. Im ersten Fall erwiese sie sich als ziemlich lernresistent, im zweiten Fall als kaltschnäuzig. In beiden Fällen kommen Zweifel an ihrer Tauglichkeit als Regierung eines Landes auf, das historisch und aktuell mitverantwortlich für den Klimawandel ist.

"Wir befinden uns in einer neuen Zeit. Und diese neue Zeit braucht eine neue Politik", wird SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil von der Welt zitiert. Alle drei Parteien seien sich einig, daß es so nicht weitergehen könne. Auch der Stil der Politik solle sich ändern. [2]

Was von solchen kreideweichen Worten zu halten ist, zeigt sich zur gleichen Zeit im Rheinland mit dem GroKo-Sondierer Laschet (CDU) als Landesfürst. In Immerath wird zu dieser Stunde der Dom abgerissen, weil sich tief unter ihm im Boden eine Braunkohleschicht erstreckt, die der Energiekonzern RWE von der Landesregierung geschenkt bekommen hat und abbaggern darf.

Die Braunkohle wird als Energieträger gar nicht mehr gebraucht, denn Deutschland hat noch nie soviel elektrischen Strom ins Ausland transferiert wie im vergangenen Jahr. Man könnte die Bagger im Tagebau Hambach und Garzweiler (nicht zu vergessen, auch in der Lausitz und in Mitteldeutschland) abschalten und nirgendwo ginge das Licht aus. Wohl aber würden die Profite der Konzerne ein paar Stellen hinter dem Komma geschmälert - da sei die neu-alte GroKo vor.


Fußnoten:

[1] http://www.taz.de/Sondierungen-zwischen-Union-und-SPD/!5476205/

[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article172254018/Sondierungsgespraeche-Wir-befinden-uns-in-einer-neuen-Zeit.html

9. Januar 2018


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