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KLIMA/723: Grüner Kapitalismus - auch Kapitalismus ... (SB)



Die massenhafte Verfügbarmachung der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas hat in den letzten rund 150 Jahren die Industrialisierung wesentlich vorangetrieben, ebenso wie umgekehrt die Industrialisierung mit ihren technologischen Innovationen die Möglichkeiten, weitere Lagerstätten mit fossilen Energien zu entdecken und auszubeuten, erweitert hat.

Da die hohen gesellschaftlichen Folgekosten der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas nicht in deren Preis enthalten sind, bleiben diese Energieträger bis heute extrem billig. Weil bei ihrem Verbrennen das Gas Kohlenstoffdioxid (CO₂) emittiert wird, das die physikalische Eigenschaft besitzt, die Wärmerückstrahlung von der Erde zu absorbieren, kommt es zur globalen Erwärmung.

Der menschliche Einfluß sitzt den natürlichen Schwankungen der globalen Temperatur auf. Im erdgeschichtlichen Vergleich betrachtet, katapultiert der Mensch mittels myriadenfacher einzelner Verbrennungsvorgänge die globale Durchschnittstemperatur nach oben und hat dadurch bereits soviel geologischen Einfluß ausgeübt, daß die natürlicherseits anstehende nächste Kaltzeit verschoben wird. Vermutlich schon in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wird sich entscheiden, ob die Erde sogar auf eine Heißzeit zusteuert, wie es sie seit Menschengedenken nicht gegeben hat. Sie würde absehbar zum Verschwinden eines großen Teils der Menschen und ihrer Mit- und Umwelt führen. Großräumige flache Küstengebiete und flache Inseln würden vom Meer überschwemmt, ganze Breitengrade vollkommen unbewohnbar.

An diesem Punkt wird von Teilen der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Hoffnung verbreitet, diesem Schicksal mit Hilfe "negativer Emissionen" entrinnen zu können. Es wird der Blick auf Technologien gelenkt, bei denen das CO₂ entweder der Atmosphäre entzogen oder ihr erst gar nicht hinzugefügt werden soll.

Der Professor für Bau- und Umwelttechnik, Mark Z. Jacobson von der Stanford University, ist im Journal "Energy and Environmental Science" [1] der Frage nachgegangen, welche Gesundheits- und Klimafolgen die Verfahren a) zur Kohlenstoffabscheidung aus einem Kohlekraftwerk und b) zur direkten Luftabscheidung haben. In beiden Anlagen wurde die vermeintliche Klimaschutztechnologie durch Erdgas betrieben. In die Rechnung flossen beispielsweise auch die Methanemissionen ein, zu denen es auf den Transportwegen bis zur Verbrennung kommt, also die sogenannten Upstream-Emissionen. Die Ergebnisse der Berechnungen waren ernüchternd. Auf einen Zeitraum von 20 Jahren bezogen haben beide Anlagetypen das Äquivalent von lediglich 10 - 11 Prozent der von ihnen selbst produzierten Emissionen eingefangen.

Dem noch nicht genug, waren auch die "sozialen" Kosten riesig. Darunter faßt Jacobson Luftverschmutzung, potentielle Gesundheitsprobleme, ökonomische Kosten und allgemeine Auswirkungen auf den Klimawandel. [2] Kohlekraftwerke beispielsweise emittieren nicht nur CO₂, sondern auch Stickoxide, Feinstaub sowie Schwermetalle wie Arsen, Quecksilber und NORM-Partikel (Uran). Die sozialen Kosten waren entweder ähnlich oder sogar höher, als wenn das Kohlekraftwerk ohne Kohlenstoffabscheidung betrieben worden wäre. Auch das direkte Abscheiden von Kohlenstoff aus der Luft in eigens dafür gebauten Anlagen erzeugt höhere soziale Kosten, als wenn der Kohlenstoff unangetastet in der Luft geblieben wäre.

Selbst wenn die beiden untersuchten Anlagen nicht mit Erdgas, sondern mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben würden, wäre es günstiger, die erneuerbaren Energien direkt zu verwenden und nicht über den Umweg eines Kohlekraftwerks zu gehen. Und es wäre ebenfalls günstiger, nichts zu tun, anstatt den Kohlenstoff mittels erneuerbarer Energien aufwendig aus der Luft herauszuholen.

Eigentlich sollte es bei der Bewertung von Umwelttechnologien selbstverständlich sein, so wie Jacobson die Upstream-Effekte von der Erdgasinfrastruktur zu berücksichtigen. Allerdings wird das häufig unterschlagen, und so genießt Erdgas als angeblich sauberster fossiler Energieträger auch bei der EU-Kommission einen guten Ruf. Die EU investiert Milliarden in den Aufbau und Betrieb von Erdgas, das in Zukunft immer weniger aus Rußland und statt dessen in flüssiger Form per Tankschiff aus Nordamerika hierhergebracht werden soll - von der Energiebilanz her ein Unfug sondergleichen, aber geopolitisch so gewollt. [3]

Der Umweltexperte Jacobson vertritt nicht den Standpunkt, daß man die Hände in den Schoß legen und einfach nichts tun soll, dann würde es schon mit der Umwelt klappen, sondern er empfiehlt, daß die erneuerbaren Energien von Wind und Sonne direkt genutzt werden. Selbst in einer Zeit, in der keine fossilen Energieträger mehr verbrannt werden, sollte man das CO₂ nicht mittels technischer Verfahren aus der Luft holen, sondern natürliche Maßnahmen ergreifen, beispielsweise Aufforstung betreiben und dadurch den Kohlenstoff binden.

Die Untersuchungsergebnisse bestätigen, daß sich der Kapitalismus nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen kann. Auch dann nicht, wenn er sich ein grünes Mäntelchen umhängt und über Kohlenstoffabscheidung als "saubere" Technologie fabuliert. Denn unter dem Mantel sieht der Kapitalismus, mit welcher Farbe er auch immer zu beeindrucken versucht, gleich aus: "Er" ist auf die Verwertung der Natur und menschlicher Arbeit, auf Wachstum und Profitmaximierung ausgerichtet. Der Schutz vor dem Klimawandel gehört nicht dazu. Es sei denn, damit ließe sich wie bei der Kohlenstoffabscheidung ein Geschäft machen. Wohingegen das kapitalistische System geradezu allergisch auf eine naheliegende Maßnahme reagiert: Viel, viel weniger, stets am Bedarf und nicht an den Bedürfnissen orientiert sowie in jeder Hinsicht haltbarere Dinge produzieren.


Fußnoten:

[1] https://pubs.rsc.org/en/Content/ArticleLanding/2019/EE/C9EE02709B#!divAbstract

[2] http://www.spacedaily.com/reports/Stanford_study_casts_doubt_on_carbon_capture_999.html

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-704.html

30. Oktober 2019


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