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KLIMA/742: Im Vorfeld der Kämpfe - verborgenes Streben ... (SB)



"Der derzeitige Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit ist im Begriff, auf der ganzen Welt gefährliche neue Muster von Katastrophen zu entfalten, und die für das Ende des 21. Jahrhunderts projizierten Temperaturen werden über denen liegen, die die menschliche Zivilisation je erlebt hat. Schwere Hitze und Dürre, stärkere und zerstörerischere Stürme, eine rückläufige Landwirtschaft und sich schnell ausbreitende Gesundheitsrisiken sowie ein Anstieg des globalen Meeresspiegels um mehrere Meter werden die internationale Sicherheit erheblich gefährden, sollten die globalen Treibhausgasemissionen ungebremst weiter zunehmen. In High-End-Szenarien werden ganze Regionen der Welt aufgrund gefährlicher Temperaturen unbewohnbar bleiben, und die Ernte- und Wasserressourcen werden zunehmend angespannt, mit schwerwiegenden Folgen für die Nahrungsmittelverfügbarkeit, die Preise und die Lebensgrundlagen. Diese Bedingungen könnten ganze Gesellschaften aufbrechen, was zu Migrationswellen, staatlicher Fragilität und neuen Brennpunkten politischer Instabilität, Gewalt und Konflikten führt."

Das Zitat entstammt weder einer Presseerklärung der Klimaschutzbewegung Fridays for Future nach der Organisation Extinction Rebellion. Selbst die von der US-Bundespolizei FBI als "Ökoterroristen" eingestufte Earth Liberation Front (ELF) stand hier nicht Pate. Vielmehr hat eine Gruppe hochrangiger US-Militärs, ehemaliger Geheimdienstler und Fachleute für Fragen der Nationalen Sicherheit für das überparteiliche Center of Climate and Security einen neuen Bericht zu Sicherheitsfragen in Zeiten des Klimawandels vorgelegt. [1] Das obige Zitat stammt aus dessen Einführung. Darin wird beschrieben, daß es nicht nur zu regionalen, sondern globalen Risiken kommt, wenn sich die Erde weiter wie bisher erwärmt.

In dem umfassenden Bericht A SECURITY THREAT ASSESSMENT OF GLOBAL CLIMATE CHANGE - HOW LIKELY WARMING SCENARIOS INDICATE A CATASTROPHIC SECURITY FUTURE des National Security, Military, and Intelligence Panel on Climate Change (NSMIP) wird allerdings nicht darauf eingegangen, daß sich die Militärapparate längst auf die beschriebene Situation eingestellt haben und bereits heute Vorfeldkämpfe stattfinden, mit dem Ziel, andere Staaten auszugrenzen und sich selbst in eine aussichtsreiche Position im weltumspannenden Kampf um die Fleischtöpfe zu bringen; und, last but not least, in den angekündigten Zeiten des klimawandelbedingten Mangels die Verfügungsgewalt gegenüber der "eigenen" Bevölkerung unter allen Umständen durchsetzen zu können.

Statt dessen wird in dem Bericht zwar eindrücklich, wie das obige Zitat beispielhaft zeigt, aber zum wiederholten Male vor dem Hintergrund eines sowieso in den einschlägigen Kreisen ständig geführten Sicherheitsdiskurses vor den Gefahren des Klimawandels für das Militär und die nationale Sicherheit gewarnt. Weil es ihre eigene Infrastruktur unmittelbar betrifft, bereiten sich die US-Streitkräfte auch direkt auf Klimawandelfolgen wie zum Beispiel den steigenden Meeresspiegel vor. [2]

Der Bericht unterscheidet im wesentlichen zwei Szenarien der globalen Erwärmung. In einem wird angenommen, daß die Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts weltweit um 1 - 2 Grad C steigt, im anderen wird von 2 - 4 Grad C ausgegangen. Ersteres Szenario orientiert sich an den Zielen des Klimaschutzübereinkommens von Paris, letzteres am gegenwärtigen Anstieg der Treibhausgasemissionen. Neu im Verhältnis gegenüber früheren Berichten zum Thema Klimawandel und Sicherheit aus dem klandestin-militärischen Dunstkreis Washingtoner Denkfabriken ist die Häufigkeit, mit der inzwischen Begriffe wie "Katastrophe" und "katastrophal" verwendet werden. Im Falle einer stärkeren Erwärmung werden im Laufe dieses Jahrhunderts "katastrophale, wahrscheinlich unumkehrbare globale Sicherheitsrisiken" aufkommen, so der Bericht des NSMIP.

Selbst in Berechnungen, in denen von einer moderaten Erwärmung ausgegangen wird, "wird innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte jede Region der Welt mit schwerwiegenden Risiken der nationalen und globalen Sicherheit konfrontiert", setzt der Bericht eine zeitliche Wegmarke, die schon sehr viel näher liegt als die ansonsten in Klimawandelberichten übliche Zeitspanne "bis Ende des Jahrhunderts".

In knapp drei Jahrzehnten, von denen im übrigen bereits die erste Dekade entscheidend für die weitere Entwicklung des globalen Klimas sein kann, weil möglicherweise Tipping Points überschritten und unaufhaltsame Entwicklungen in den Natursystemen eingeleitet werden, will die Bundesrepublik Deutschland gerade mal ihre letzten Kohlekraftwerke abschalten, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Das ist bei weitem nicht schnell genug.

Selbstverständlich werden sich die Militärapparate nicht nur der USA ihrem Auftrag gemäß darauf vorzubereiten versuchen, die nationale Sicherheit aufrechterhalten zu können. Auch wenn zur Zeit im Weißen Haus ein Präsident residiert, der seinen Vorteil darin sieht, wenn er sich mit Klimadogmatikern und der fossilen Energiewirtschaft zusammentut, folgt das Militär der USA anderen Anforderungen. Regierungen kommen und gehen, doch die militärischen Strukturen bleiben weitgehend erhalten, auch wenn der eine oder andere Funktionsträger ausgewechselt wird.

Die unter dem breit interpretierbaren Label "Sicherheit" getroffenen Vorbereitungen auf den Klimawandel fallen möglicherweise gar nicht auf, weil mit ihnen andere oder vorgeblich andere Ziele verfolgt werden. So erweist sich der Hightech-Grenzzaun, den die US-Regierung zur Zeit gegenüber Mexiko errichten läßt, auch als Bollwerk gegen Klimaflüchtlinge aus Honduras, Guatemala und anderen sowohl verarmten als auch von Dürren heimgesuchten Ländern Lateinamerikas. Und wenn Donald Trump sein Interesse an Grönland bekundet, das er kaufen will, so richtet sich seine Aufmerksamkeit auf ein Territorium, das in Zukunft vom Klimawandel profitieren dürfte. Der mehrere Kilometer dicke Eispanzer der Insel birgt ein enormes Süßwasserreservoir, und durch den Rückzug der Gletscher werden einerseits Rohstofflagerstätten zugänglicher, andererseits entstehen Flächen, auf denen Landwirtschaft betrieben werden kann.

Beide Beispiele werden zwar üblicherweise nicht ausdrücklich in den Kontext des Klimawandels gestellt, aber es ist klar, daß hier Strukturen geschaffen und Interessen formuliert werden, die bestens zu einer Welt des Klimawandels passen, in der der Nationalismus aufblüht und in eben dieser politischen Ideologie die Antwort auf die Katastrophe gesehen wird. Dazu paßt auch die Lagerhaft für Flüchtlinge und das Auseinanderreißen von Flüchtlingsfamilien durch die Trump-Administration, werden doch in dem NSMIP-Report "zunehmend deutlichere Hinweise" darauf konstatiert, daß Umweltstressoren die Wahrscheinlichkeit von Konflikten erhöhen, "indem sie größere Wellen von Migranten auslösen, die aufgrund von Gewalt und ähnlichen Erscheinungen vertrieben wurden".

Zu den Empfehlungen des Reports gehört, so schnell wie möglich die Treibhausgasemissionen auf netto Null zu senken, Anpassungsmaßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels zu ergreifen und sämtliche politischen Entscheidungen hinsichtlich der Notwendigkeit des Klimaschutzes zu überprüfen.

Angesichts der drastischen Aussagen des Eingangszitats und der Dringlichkeit, mit der auch im Laufe des Reports immer wieder rasche Entscheidungen für mehr Klimaschutz angemahnt werden, könnte der Eindruck entstehen, daß die militärisch-geheimdienstliche Kooperation des NSMIP das gleiche Anliegen verfolgt wie beispielsweise die Demonstrierenden, die weltweit freitags auf die Straße gehen und ihre Forderungen lautstark kundtun. Doch viel interessanter als das, was in dem Report vorgeschlagen wird, ist das, was unbeachtet bleibt. Beispielsweise daß das Militär und seine Aktivitäten einen erheblichen Einfluß auf die globale Erwärmung ausüben. Allein die US-Streitkräfte sind für die gleiche Menge an Treibhausgasemissionen verantwortlich wie ganz Schweden.

Sollten nicht die USA alle Anstrengungen unternehmen, um eine weltweite Abrüstung in die Wege zu leiten? Darauf geht der Report nicht ein, sondern er möchte, daß die USA die "Führerschaft" im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen. Mit diesem Anliegen stellt er sich auf die gleiche Linie, wie sie Donald Trump mit seinem Motto "Make America Great Again!" verkörpert.


Fußnoten:

[1] https://climateandsecurity.org/a-security-threat-assessment-of-global-climate-change/

[2] Im Laufe der Jahre hat der Schattenblick den Diskurs zu Klimawandel und Sicherheit mit einer Reihe von Beiträgen begleitet. Unter anderem hier:
KLIMA/313: Herrschaftssicherung in Zeiten des Klimawandels - 1 (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-313.html
KLIMA/314: Herrschaftssicherung in Zeiten des Klimawandels - 2 (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-314.html
KLIMA/384: US-Senat sieht Klimawandel als schwere Bedrohung an (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-384.html
KLIMA/419: Pentagon sieht Klimawandel offiziell als Risikofaktor an (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-419.html

26. Februar 2020


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