Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/758: Permafrost - und die Folgen für das ganze Klima ... (SB)



Der Arktis stehen gewaltige landschaftliche und infrastrukturelle Umbrüche bevor und damit auch der gesamten Erde. Seit Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.500 Jahren taut der Permafrostboden auf. Doch mit Beginn der Industrialisierung und dem großmaßstäblichen Verbrennen fossiler Energieträger erwärmt sich die Erde rascher als zuvor. In Folge dessen nimmt auch die Geschwindigkeit zu, mit der sich der Permafrost zurückzieht. Eine außergewöhnliche Hitzewelle in diesem Frühjahr in Sibirien dürfte den Prozeß beschleunigt haben. Ob das der Hauptgrund dafür war, daß vor kurzem im sibirischen Kraftwerk Norilsk CHPP-3 ein Tank mit Dieselöl kollabiert ist, wie dessen Betreiber NorNickel behauptet, oder ob nicht vielmehr Vernachlässigung der Wartungsarbeiten die Hauptrolle gespielt hat, wie wiederum Umweltschützer kritisieren, läßt sich wohl erst nach eingehender Untersuchung des Vorfalls feststellen.

Demnach war der Tank, der nahe der Stadt Norilsk steht, am 29. Mai 2020 in sich zusammengestürzt, und es ergossen sich mehr als 20.000 Tonnen Dieselkraftstoff in die Umwelt. Ein Großteil der Flüssigkeit gelangte in den Ambarnaya-Fluß und seinen Nebenfluß Daldykan, südlich der arktischen Halbinsel Taimyr. Auf Satellitenbildern der Europäischen Weltraumagentur ESA ist der Unfall an der Rotfärbung der beiden Fließgewässern zu erkennen. Diese münden in den Pyasinosee, von wo das Wasser weiter ins arktische Randmeer, die Karasee, fließt. Durch Ölsperren wurde der Dieseltreibstoff daran gehindert, den Pyasinosee zu kontaminieren. Allerdings sind einige Bestandteile des Diesels wasserlöslich und werden sich von den mechanischen Sperren nicht aufhalten lassen. Nach Behördenangaben ist eine Fläche von 350 Quadratkilometern kontaminiert.

Rußlands Präsident Wladimir Putin hat den föderalen Notstand ausgerufen, um zentralstaatliche Mittel zur Bekämpfung der Ölverschmutzung freizusetzen, und war am 3. Juni persönlich in Norilsk erschienen, um mit den Verantwortlichen zu sprechen. Wobei er offenbar kein Blatt vor den Mund nahm und den Betreiber kritisierte, daß Moskau erst zwei Tage nach dem Vorfall davon erfahren hat. Der Manager des Kraftwerks, Vyacheslav Starostin, wurde inhaftiert.

Daß das Auftauen des Permafrosts verantwortlich für den Unfall war, also quasi höhere Fügung, ist zunächst einmal eine Schutzbehauptung des Unternehmens. Denn auch wenn der Boden in Sibirien mehr und mehr auftaut, laufen die Vorgänge so langsam ab, daß sie niemanden überraschen können. Der fragliche Tank war schon jahrzehntealt und wurde offenbar nicht ausreichend gewartet. Das Unternehmen hätte längst für Ersatz sorgen müssen.

Dennoch enthält die Ausrede mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Denn die Stadt Norilsk, einstmals mit einer Bevölkerungszahl von 300.000 (heute 180.000) Stolz der Sowjetunion, muß laufend mit vielen Millionen Rubel unterstützt werden. Das betrifft sowohl die Maßnahmen gegen den Frost, als auch Maßnahmen aufgrund der Auflösung des dauerhaften Frosts. Die Aufrechterhaltung der damals in Sibirien gebauten Städte verschlingt etwa sechs Prozent des russischen Bruttoinlandprodukts. [1]

Zu den Maßnahmen gehört auch die Sicherung von Gebäuden und Infrastrukturen gegen Verrutschungen. Denn sie wurden sprichwörtlich auf Eis gebaut. Und der Boden, der taut, sackt zusammen. Zu Wasser geschmolzenes Eis nimmt ein wesentlich geringeres Volumen ein; außerdem versickert das Wasser womöglich. Die sibirischen Städte sind sprichwörtlich von Zerfall bedroht. Die gleichen Probleme treten in anderen Regionen der Arktis auf, beispielsweise in Alaska. Auch unter Fairbanks, der zweitgrößten Stadt dieses US-Bundesstaats, befinden sich teils mächtige Eiskeile. Sollten sie tauen, sackt der Untergrund möglicherweise um mehr als ein Dutzend Meter ab. [2]

Bereits im April und Mai hat Sibirien eine außergewöhnliche Hitzewelle mit Temperaturen von über 30 Grad C erlebt. In diesem Jahr sind schon mehr als 35.000 Quadratkilometer Wald abgebrannt, das ist mehr als die doppelte Fläche Schleswig-Holsteins. Die hohen Temperaturen und zusätzlich die Brände beschleunigen das Auftauen des Permafrostbodens. Das Beispiel der Ölverseuchung bei Norilsk zeigt, daß das eine Gefahr ist, die bereits heute und nicht erst in ferner Zukunft besteht.

Dabei dürften die direkten Auswirkungen auf die Infrastruktur noch von den indirekten Folgen durch die Freisetzung des Treibhausgases Methan in den Schatten gestellt werden. Denn sobald der gefrorene Boden auftaut, werfen Mikroben ihren Stoffwechsel an und zersetzen tierisches und pflanzliches Material. Dabei wird unter anderem Methan freigesetzt, das auf einen Zeitraum von 20 Jahren bezogen das 87fache Treibhausgaspotential von Kohlenstoffdioxid hat.

Permafrost umfaßt rund ein Viertel der globalen Landfläche und bindet zwischen 1.300 und 1.600 Gigatonnen Kohlenstoff. Das ist rund doppelt soviel wie in der Erdatmosphäre (800 Gigatonnen). Die gesamte Arktis steht am Beginn eines sich selbst verstärkenden Umwandlungsprozesses, der eigentlich schon mit dem Ende der letzten Kaltzeit begonnen hat. Jedoch wurde der Vorgang durch das Verbrennen fossiler Energieträger wie Erdöl, Erdgas und Kohle sowie bestimmte landwirtschaftliche Praktiken, welche beispielsweise die Degradierung der Böden verstärken, beschleunigt.

Mit weiteren Kontaminationen der arktischen Umwelt durch die Förderung von Erdöl und Erdgas sowie deren Transport und Verbrauch wird in der Zukunft vermehrt zu rechnen sein. Die überdurchschnittlich starke Erwärmung im Verhältnis zu den übrigen Erdregionen begünstigt letztlich auch den Rohstoffabbau, weil Gebiete leichter zugänglich werden. Dabei setzt Rußland nicht mehr auf den Bau ganzer Frontier-Städte wie Norilsk, die unter großem Aufwand bewahrt werden müssen, sondern auf provisorische Unterkünfte (Container), denen weder Tiefsttemperaturen noch auftauender Permafrost etwas anhaben können, und Schichtbetrieb, wie er zum Beispiel von Ölförderplattformen her bekannt ist.

Der arktische Ozean rückt ebenfalls in die Aufmerksamkeit der Rohstoffkonzerne, so daß in Zukunft mit weiteren industriellen Umweltkatastrophen wie die bei Norilsk zu rechnen ist. Wobei sich dort die Schadensbekämpfung als ausgesprochen schwierig erweist. So führen überhaupt keine Straßen zu dem Gebiet der Ölverseuchung vom Ambarnaya-Fluß, und dieser ist so seicht, daß er auch nicht beschiffbar ist. Es konnten zwar einige hundert Tonnen Diesel geborgen werden, aber der Großteil bleibt wohl noch viele Jahre in der Landschaft oder wird am Ende doch weiter in die Karasee fließen.


Fußnoten:

[1] Darüber berichtete Dr. Nikolay Shiklomanov von der George Washington University auf der 11. Internationalen Permafrostkonferenz (ICOP), die das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam organisiert hat, im Interview mit dem Schattenblick.
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0244.html

[2] Davor warnte Dr. Torre Jorgenson, ehemaliger Vorsitzender der U.S. Permafrost Association und an der Universität von Alaska in Fairbanks tätig, auf der ICOP 2016 im Interview mit dem Schattenblick.
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0235.html

8. Juni 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang