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FOKUS/004: US-Behörde überprüft Atrazin-Zulassung (SB)


Atrazin - in der EU verboten, in den USA zugelassen

Neue Verdachtsmomente gegen weit verbreitetes Herbizid


Das Unkrautvernichtungsmittel Atrazin ist in Deutschland seit 1991 verboten, in den USA ist es zugelassen. Der chemischen Substanz wurde nicht nur vom Hersteller Syngenta, sondern auch der Umweltbehörde EPA Unbedenklichkeit bescheinigt. Atrazin, das unter zahlreichen Markennamen vertrieben wird, erfreut sich bei US-Farmern großer Beliebtheit, es wird von ihnen in keineswegs sparsam zu nennenden Mengen ausgebracht.

Am Mittwoch teilte die US-Umweltbehörde mit, daß Atrazin einer erneuten Prüfung unterzogen werde. Die Substanz werde im ersten Schritt rund ein Jahr lang hinsichtlich ihrer Wirkung auf Menschen und im Anschluß daran mit Blick auf Amphibien und aquatische Ökosysteme getestet. [1] Geprüft wird, ob Atrazin Ursache von Geburtsfehlern, niedrigem Geburtsgewicht und Frühgeburten ist, ob es die Entstehung von Krebs begünstigt oder andere Krankheiten auslöst.

Vor rund sechs Wochen hatte die Umweltorganisation Natural Resources Defense Council (NRDC) eine Studie veröffentlicht, derzufolge Atrazin in Trinkwasser und Oberflächenwasser der gesamten USA weit verbreitet ist. [2] Das Mittel wurde erstmals im Dezember 1958 zugelassen. Es wird vor und nach dem Säen von breitblättrigen Pflanzen und Gräsern - vorzugsweise beim Anbau von Mais, Getreidehirse und Zuckerrohr -, und auch in kommunalen Grünanlagen verwendet. Jedes Jahr werden in den USA schätzungsweise 31.500 Tonnen des aktiven Inhaltsstoffs, der sehr langlebig ist, ausgebracht.

Im Jahr 2006 erneuerte die Bush-Administration die Zulassung. Damals behauptete die EPA, daß die Chemikalie keinen Schaden verursacht, weder "bei der US-Bevölkerung allgemein noch bei Kleinkindern, Kindern oder anderen größeren, erkennbaren Untergruppen von Verbrauchern". [1]

Dr. Tyrone Hayes von der Universität von Kalifornien hat jedoch in einer Studie an Fröschen aufgezeigt, daß Atrazin als endokriner Unterbrecher wirkt und Einfluß auf die männliche Geschlechtsentwicklung ausübt. Die Frösche verweiblichten bereits bei Atrazinkonzentrationen von nur einem Dreißigstel des Wertes, den die EPA zugelassen hat. In Tierversuchen mit Nagern stellte Dr. Hayes fest, daß Atrazin Brust- und Prostatakrebs auslöst, die Brustentwicklung behindert und zu Frühgeburten führt. Anscheinend lassen Untersuchungen an menschlichem Zellgewebe und Bevölkerungsstudien darauf schließen, daß auch Menschen durch Atrazin geschädigt werden. Die US-Bundesbehörde für toxische Substanzen hegt sogar den Verdacht, daß Atrazin die Giftigkeit anderer Chemikalien in der Umwelt vervielfältigen kann.

Die Organisation NRDC kritisiert in ihrem Report, daß die Umweltbehörde Regelungen erlassen und Grenzwerte festgelegt hat, die ermöglichen, daß kurzfristig sehr hohe Atrazinkonzentrationen so berechnet werden, daß der Durchschnittswert einer längeren Meßreihe unter dem Grenzwert zu liegen kommt.

Der Schweizer Atrazin-Hersteller Syngenta hält das
Pflanzenschutzmittel für harmlos. Er schreibt:

"In den fast 50 Jahren, in denen Atrazin auf dem Markt ist, haben Wissenschaftler keinen Zusammenhang zwischen Atrazin und der Abnahme von Froschpopulationen gefunden. Weitere Labor- und Feldversuche von Universitätswissenschaftlern zeigen, dass Atrazin keine Auswirkungen auf das Überleben, das Wachstum oder auf Missbildungen bei Fröschen hat." [3]

Die Studien wurden jedoch von dem Unternehmen selbst zielführend durchgeführt, hält das Center for Biological Diversity dagegen. Das Nonprofit-Zentrum erklärt, daß die EPA zwar per Gerichtsbeschluß aufgefordert wurde, die Wirkung von Atrazin zu beobachten, aber daß die Behörde dem Hersteller Syngenta in einer privaten Abmachung zugesagt hat, daß das Unternehmen seine Untersuchungen nur in drei Prozent jener Gewässer, die potentiell mit Atrazin belastet sind, durchführen mußte. [1]

In Illinois ist eine Sammelklage anhängig, bei welcher der Kläger, der Holiday Shores Sanitary District (HSSD) von Madison County, neuere Studien vorgelegt hat, denen zufolge Atrazin auch bei kleinsten Mengen im Trinkwasser unsicher ist, also auch unterhalb der von der EPA zugelassenen Konzentration.

In den Vereinigten Staaten erkranken jährlich viele tausend Einwohner an Brust- oder Prostatakrebs, ohne daß irgend jemand sagen könnte, wodurch die Krankheit ausgelöst wurde. Sollte die EPA bestätigen, was Dr. Hayes vermutet und in der Europäischen Union zum Standardwissen gehört, nämlich daß auch geringe Mengen Atrazin gesundheitsgefährdend sind, müssen sich die "Experten" der Behörde fragen lassen, ob sie eine größere Verantwortung gegenüber Unternehmensprofiten oder gegenüber dem leiblichen Wohl der Bevölkerung tragen.


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Anmerkungen:

[1] "U.S. EPA Probes Herbicide Atrazine for Human Health Threats", Environment News Service, 8. Oktober 2009
http://www.ens-newswire.com/ens/oct2009/2009-10-08-01.asp

[2] http://www.nrdc.org/health/atrazine/files/atrazine.pdf

[3] http://www.syngenta.com/de/corporate_responsibility/syngentathinks_full.html

9. Oktober 2009