Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

RESSOURCEN/105: Desertec - "Strom aus der Wüste" nur ein Verkaufsmärchen? (SB)


Fragen an das Projekt Desertec


Rund 20 deutsche Unternehmen wollen sich am 13. Juli in München unter Leitung des Versicherungskonzerns Münchener Rück treffen, um über das Projekt "Desertec" zu beraten und ein Konsortium zu gründen. Die Desertec Foundation setzt sich dafür ein, daß Europa bis zum Jahre 2050 etwa 15 bis 17 Prozent seines elektrischen Strombedarfs über Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ), wie sie der Siemens-Konzern entwickelt hat, aus Staaten des Mittleren Osten und Nordafrika (MENA - Middle East, North Africa) bezieht. Dort sollen an mehreren Standorten solarthermische Kraftwerke errichtet werden, bei denen das Sonnenlicht mittels Parabolspiegelflächen eingefangen und auf ein Zentrum fokussiert wird, wo daraus mittels einer Wärmekraftmaschine elektrischer Strom erzeugt wird.

Erfahrungen aus anderen Bereichen der Energieproduktion (Uranabbau, Erdölförderung, Staudammbau) haben gezeigt, daß neue, vielversprechende Konzepte, die aus der Großindustrie stammen, mit gesunder Skepsis aufgenommen werden müssen und daß es besser ist, rechtzeitig Fragen zu stellen und mögliche Entwicklungen zu antizipieren, anstatt den angerichteten Schaden regulieren zu müssen. Erinnert sei hier nur an die Begeisterung, mit der nicht zuletzt Umweltgruppen noch vor wenigen Jahren die Idee verbreiteten, Pflanzen könnten im großen Umfang als Ersatz für fossile Energieträger zu Biosprit verarbeitet werden. Selbst die Weltbank kam im vergangenen Jahr zu dem Schluß, daß der Biospritboom an erster Stelle zum Anstieg der Lebensmittelpreise in den Jahren 2007/2008 beigetragen hat. Nach UN-Angaben hat dies rund 100 Millionen Menschen zusätzlich in den Hunger getrieben.

Nun geht es hier nicht um Biosprit, der in Afrika hergestellt und nach Europa exportiert wird, sondern um Strom aus Sonnenenergie, der von Afrika nach Europa befördert werden soll. Doch auch dabei sollten kritische Fragen im Vorfeld nicht nur zulässig sein, sondern als unverzichtbar angesehen werden. Immerhin geht es um die langfristige Stromversorgung Europas, um Investitionen im Umfang von mehr als 400 Milliarden Euro über die nächsten vierzig Jahre, um die Nutzung des gesamten MENA-Raums durch die europäische Industrie, um neue Abhängigkeiten der MENA-Staaten von den früheren europäischen Kolonialmächten - diesmal dank der "grünen" Hochtechnologie. Und nicht zuletzt dürfte es um eine milliardenschwere Subventionierung der Wirtschaft durch die Bundesregierung und somit durch den deutschen Steuerzahler gehen.

Der Zeitpunkt, Fragen zu stellen, könnte nicht günstiger sein als jetzt, da sich die an Desertec beteiligten Firmen untereinander abstimmen müssen und vermutlich noch keine unumstößlichen oder nur schwer zurückzunehmenden Entscheidungen getroffen haben. Beispielsweise sollten die an Desertec Beteiligten schon deutlich sagen, welche Kraftwerksart in welcher Region aufgebaut werden soll. Da gibt es nämlich Ungereimtheiten, die nicht nebensächlich sind. In der Berichterstattung über das Desertec-Projekt, unter anderem der Lobby-Website kernenergien.de [1], aber auch in den Mainstream-Medien, werden Formulierungen verwendet wie "Solarstrom aus der Wüste" oder "Strom aus der Sahara". Jeder, der das liest, hat das Bild einer menschenleeren Sand- oder Geröllwüste vor sich, die nur auf ihre sinnvolle Nutzung durch die Europäer wartet.

Vielleicht ist es ja purer Zufall, daß in einer Grafik im "Red Paper", in dem die Desertec Foundation ihr Konzept vorstellt [2], fast keines der Symbole, die den möglichen Standort eines solarthermischen Kraftwerks anzeigen, in der Sahara eingezeichnet ist. Statt dessen befinden sich die meisten Symbole entlang der nordafrikanischen Küste, der Küste der arabischen Halbinsel sowie in der Höhe des Flusses Niger, des vom Austrocknen bedrohten Tschadsees sowie an Euphrat und Tigris im Zweistromland. Mit dieser Darstellung weicht das Red Paper nur geringfügig von einer Grafik in einer Expertise des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus dem Jahre 2006 ab, auf das sich das Desertec-Konzept nicht unwesentlich stützt. [3] Auch darin werden küstennahe Orte bevorzugt, während die Sahara nahezu ausgespart bleibt. Ist das Zufall?

Das mögen die Befürworter des Desertec-Projekts als nebensächlich abtun, ist es aber insofern nicht, als daß mit der fast menschenleeren Sahara-Wüste geworben wird, während demgegenüber die solarthermischen Kraftwerke anscheinend in Gebieten errichtet werden sollen, die innerhalb der jeweiligen Länder traditionell am intensivsten genutzt werden, nämlich entlang der Küste und in unmittelbarer Nähe von Flüssen und Seen.

Ökonomische Erwägungen im Zusammenhang mit solarthermischen Kraftwerken sprächen dafür, daß jene grafischen Darstellungen kein Zufallsprodukt sind und daß der Strom zwar aus den sonnenbegünstigten Ländern des Südens kommen soll, aber nicht aus der menschenleeren Wüste. Der Red-Paper-Grafik zufolge würden somit die vergleichsweise dicht besiedelten, landwirtschaftlich und auch touristisch intensiv genutzten Küstenstreifen mit weitläufigen Spiegelflächen besetzt werden. Die Rede ist von 2500 Quadratkilometern für die solarthermischen Anlagen und 3500 Quadratkilometern für den Stromtransport, wobei von letzterem die MENA-Staaten nur teilweise betroffen wären. [1]

Was spräche für einen küstennahen Standort bzw. einen Standort in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wasser? Es gibt verschiedene Arten von solarthermischen Kraftwerken, bei denen das Sonnenlicht auf einen Turm reflektiert wird: Wassergekühlte, luftgekühlte und Hybrid-Kraftwerke, bei denen beide Kühlungsformen zur Anwendung gelangen. Den größten Wirkungsgrad haben solarthermische Kraftwerke, die mit Wasser gekühlt werden, und zwar mit großen Mengen, die denen zur Kühlung in Kohle- oder Kernkraftwerken in nichts nachstehen. Entsprechend würde das abfließende Wasser erwärmt in seine natürliche Umgebung zurückgeführt oder aber verdunsten.

Luftgekühlte solarthermische Kraftwerke haben einen deutlich geringeren Wirkungsgrad. Sie müssen eigens mit Ventilatoren gekühlt werden, was wiederum Strom verbraucht. In einer Studie, die das US-Energieministerium aufgrund einer Bestimmung im Energy Independence and Security Act of 2007 für den US-Kongreß erstellt hat [4], werden die Vor- und Nachteile der drei Kraftwerksarten ausführlich diskutiert. Die Autoren empfehlen Hybridformen, bei denen Einbußen hinsichtlich des Wirkungsgrads gegenüber wassergekühlten solarthermischen Kraftwerken hingenommen werden müssen, aber die den Vorteil eines geringeren Wasserverbrauchs haben.

In der US-Studie wird der Wasserverbrauch von luftgekühlten solarthermischen Kraftwerken auf zehn Prozent der wassergekühlten Variante veranschlagt - was bei einem Wüstenstandort inmitten der Sahara keine zu vernachlässigende Menge wäre. Dort mangelt es extrem an Wasser. Aquifere mit fossilem Wasser tief unter der Sahara anzuzapfen würde Energie kosten und wäre sicherlich problematisch angesichts der Endlichkeit der Ressource und der sozialen Folgen, sollte gleichzeitig den Bewohnern der Wüste das Wasser vorenthalten werden.

Selbstredend wird in Zukunft vieles versucht, um den Wasserverbrauch zu reduzieren und den Wirkungsgrad der solarthermischen Kraftwerke zu erhöhen. An solchen Fragen forschen DLR-Mitarbeiter seit Jahren auf der "Plataforma Solar" in der Nähe von Almería in Spanien. Dennoch, das World Resources Institut (WRI) bezeichnete unlängst den Wasserverbrauch von solarthermischen Kraftwerken als wesentlichen Grund, warum bislang erst wenige dieser Anlagen in der Wüste errichtet wurden. [5]

Selbst wenn das Desertec-Konsortium beabsichtigte, ausschließlich die luftgekühlten solarthermischen Kraftwerke oder Hybridformen zu bauen, um den enormen Wasserbedarf zu reduzieren, würde es vermutlich auch dann nicht in die Sahara gehen, denn dazu müßte zunächst mit großem Aufwand eine Verkehrsanbindung gebaut werden. Außerdem müßten für den Transport sämtlicher Kraftwerksteile, die Beförderung der Bauarbeiter und später des Wartungspersonals jedesmal weite Strecken zurückgelegt werden, was zweifellos ein wichtiger Kostenfaktor wäre, den jedes nach Profitmaximierung strebende Unternehmen zu vermeiden trachten würde.

Man darf also mit einiger Berechtigung annehmen, daß Desertec küstennahe Standorte, wahrscheinlich in der Nähe bereits vorhandener industrieller Zentren, bevorzugt, nicht aber "die Sahara", wie allgemein kolportiert wird. Ob und in welcher Form es dann bei der tatsächlichen Standortwahl zur Verdrängung der angestammten Bevölkerung kommt, bleibt wie vieles andere zu prüfen.

Des weiteren wäre zu fragen, ob die von Desertec in Aussicht gestellte Option, daß mit dem Strom aus Erneuerbaren Energien Meerwasserentsalzungsanlagen im MENA-Raum betrieben werden könnten, nicht lediglich dem Umstand zuzuschreiben ist, sowieso Meerwasser entsalzen zu müssen, um die solarthermischen Kraftwerke kühlen zu können. So wäre dann die Trinkwassergewinnung möglicherweise nur ein Beiprodukt oder "Schmankerl", um die eigentlichen Aktivitäten attraktiver erscheinen zu lassen. In diesem Zusammenhang wäre zu fragen, in welchem Umfang der Bevölkerung in den MENA-Staaten Trinkwasser zur Verfügung gestellt werden soll, wer die Kosten der Anlage trägt und was die Endverbraucher für das Wasser bezahlen sollen.

Fragen über Fragen, die in der allgemein verbreiteten Begeisterung über diesen Green New Deal nicht ungestellt bleiben sollten.


*


Anmerkungen:

[1] Mythen zum Wüstenstrom: Fragen und Antworten zum Solarstromimport, 25.06.2009
http://www.kernenergien.de/wuestenstrom

[2] Red Paper. Das Desertec Konzept im Überblick
http://www.desertec.org/fileadmin/downloads/DESERTEC_RedPaper_2nd_de.pdf

[3] TRANS-CSP, Zusammenfassung, 2006
http://www.dlr.de/tt/desktopdefault.aspx/tabid-2885/4422_read-6583/

[4] Concentrating Solar Power Commercial Application Study: Reducing Water Consumption of Concentrating Solar Power Electricity Generation. Report to Congress, U. S. Department of Energy
http://www1.eere.energy.gov/solar/pdfs/csp_water_study.pdf

[5] Juice From Concentrate: Reducing Emissions with Concentrating Solar Thermal Power Share, Britt Childs Staley, Jenna Goodward, Clay Rigdon, Andrew MacBride. World Resources Institute, May 2009
http://www.wri.org/publication/juice-from-concentrate

29. Juni 2009