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RESSOURCEN/151: Fracking unverzichtbar? Britischer Premierminister konstruiert Sachzwänge (SB)


"Wir können es uns nicht leisten, kein Schiefergas zu fördern"

David Cameron, britischer Premierminister, am 11. August 2013 im Daily Telegraph

Weltweit setzen Regierungen ihre Bevölkerungen mit vermeintlichen Sachzwängen unter Druck, damit sie Technologien oder Infrastrukturen akzeptieren, die sie mitunter mehrheitlich ablehnen. Mal betrifft es die Weiterleitung von Bitumen aus Teersanden quer durchs Land, mal die Einführung von umwelt- und gesundheitsbedenklichem Gentech-Mais, mal das Herausquetschen von Öl und Gas aus tiefen Gesteinsschichten mittels eines neuartigen chemisch-mechanischen Zerrüttungsverfahrens.

Letzteres hat jetzt bei unserem europäischen Verbündeten Großbritannien heftige Proteste ausgelöst. Bislang ohne durchschlagenden Erfolg, die Regierung schaltet auf stur. Premierminister David Cameron wirft sein ganzes politisches Gewicht ins Feld, um im ganzen Land das sogenannte Fracking zur Förderung von unkonventionellem Erdgas und Erdöl notfalls gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen. Seit einigen Wochen steht das Städtchen Balcombe in West-Sussex im Mittelpunkt des zugespitzten Konflikts. Wie der Schattenblick berichtete, will eine große Mehrheit der rund 2000 Einwohner verhindern, daß das Unternehmen Cuadrilla seine vor kurzem begonnenen Bohrarbeiten weiter fortsetzt. [1]

Luftaufnahme zahlreicher Ölbohrfelder und Zufahrtswege, 12. Mai 2006 - Foto: EcoFlight, CC-BY-NC-SA 2.0 Unported

"Ich würde niemals etwas zulassen, das unser Landschaftsbild ruinieren könnte." David Cameron, Daily Telegraph, 11. August 2013. Ölbohrfelder des Jonah Field, oberes Tal des Green River, US-Bundesstaat Wyoming.
Foto: EcoFlight, CC-BY-NC-SA 2.0 Unported

Am Sonntag bezog der Premierminister in der Zeitung Daily Telegraph grundsätzlich Stellung. [2] Er brachte eine Reihe von Gründen vor, weswegen er Fracking für unverzichtbar hält. Dabei brauchte er es nicht eigens zu erwähnen, doch sein Land steht wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Die Industrieproduktion ist massiv eingebrochen. Großbritannien hat in diesem Jahr bei zwei wichtigen Rating-Agenturen seine Spitzenbonität eingebüßt und verzeichnet eine hohe Neuverschuldung. Die Arbeitslosigkeit steigt, und mancher Politiker spielt mit dem Gedanken, Großbritannien aus der Europäischen Union herauszulösen, ungeachtet der zu erwartenden politischen Turbulenzen eines solchen Schritts.

In den letzten zehn Jahren haben zwei Millionen Menschen im Alter zwischen 25 und 44 Jahren Großbritannien verlassen. [3] Sie fliehen vor Verhältnissen, in denen die Reichen immer reicher und die Armen ärmer werden. Kritiker dieser Verhältnisse werden massiven Repressionen ausgesetzt. Viele Menschen mit geringem Einkommen sind so verzweifelt, daß sie sich umbringen, wie Christian Bunke für Telepolis berichtete. [4]

Die Einwohner von Balcombe und alle anderen, die Fracking ablehnen, dürften wissen, daß ihre Auseinandersetzung in dem übergreifenden Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise und eines sich abzeichnenden Mangels an Energieträgern geführt wird. Weil seine Öl- und Gasfelder in der Nordsee allmählich ausgeschöpft werden, wurde Großbritannien vor sieben Jahren vom Nettoölexporteur zum -importeur. Die Entschlossenheit der Regierung, hart durchzugreifen, um ihr Interesse am Fracking durchzusetzen, scheint auch aus der sich hieraus ergebenen Not entstanden zu sein.

Cameron schreibt, daß Fracking die Konkurrenzfähigkeit des Landes verbessere und man eine riesige Chance, Familien zu helfen, ihre Rechnungen zu bezahlen, verstreichen lasse, würde man darauf verzichten. Werde auch nur ein Zehntel des Erdgases aus unkonventionellen Quellen des Vereinigten Königreichs gefördert, könnten damit 51 Jahre lang die Gasversorgung des Landes gesichert und im gesamten Umfeld 74.000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Darüber hinaus erwähnte der britische Premierminister in seiner Stellungnahme die Abmachung mit den Gasförderunternehmen, wonach alle Kommunen, in deren Nachbarschaft eine Explorationsbohrung ausgebracht wird, 100.000 britische Pfund (116.000 Euro) erhalten sollen. Falls sich eine Explorationsbohrung als ergiebig erweist und es sich wirtschaftlich lohnt, das Gas zu fördern, sollen die Kommunen ein Prozent der Einnahmen aus dem Gasgeschäft erhalten. Das seien "vielleicht bis zu zehn Millionen Pfund", versucht Cameron die Begehrlichkeiten der Bevölkerung zu wecken und ihren Widerstand mit der Aussicht auf satte Einnahmen möglichst im Keim zu ersticken. Das Geld könne für verschiedenste Dinge verwendet werden, beispielsweise "für die Reduzierung der Kommunalsteuern bis hin zu Investitionen in Stadtteilschulen", schreibt er.

Was der konservative Politiker in diesem Zusammenhang verschweigt: Seine Regierung hat in den letzten Jahren die Gemeinden finanziell immer stärker belastet. So machen Kommunalsteuern, die die einzige Steuerart sind, die von den Kommunen erhoben werden, nur durchschnittlich 25 Prozent ihrer Einnahmen aus. Der große Rest stammt hauptsächlich von der Regierung, und Schatzkanzler George Osborne hat den Haushalt einem strikten Spardiktat unterzogen, um die Neuverschuldung zu reduzieren. Davon sind nicht zuletzt die kommunalen Einnahmen betroffen.

Man könnte also mit einiger Berechtigung sagen, daß die Kommunen, die Fracking zulassen, nur einen Teil dessen zurückerhalten würden, was ihnen an anderer Stelle längst genommen oder als zusätzliche finanzielle Belastung von oben aufgedrückt wurde.

Auch in anderer Hinsicht halten Camerons Darlegungen der Überprüfung an den realen Verhältnissen kaum Stand. Er geriert sich als jemand, der über Mythen im Zusammenhang mit Fracking aufklären will, und nennt als Beispiel die Behauptung, daß durch Fracking die Landschaft zerstört wird. "Dem stimme ich einfach nicht zu", schreibt er. Er würde niemals etwas zulassen, das "unser Landschaftsbild ruinieren könnte". Schiefergasfelder seien relativ klein, etwa so groß wie ein Cricket-Feld. Ähnliche Arten von Bohrungen fänden seit Jahrzehnten statt, ohne daß dagegen protestiert worden sei, führt Cameron aus. So sei der South Downs National Park einer der schönsten Landstriche Britanniens, und doch werden dort seit den achtziger Jahren nach konventionellem Öl und Gas gebohrt. "Die gewaltigen Vorteile des Schiefergases überwiegen die sehr kleinen Veränderungen in der Landschaft."

Ist das so? Wir haben einmal zwei Bilder zur Veranschaulichung zusammengestellt:

Ein Lkw und eine kleine Nickeselpumpe am Wegesrand zwischen Buschwerk - Foto: Steve F, geograph.org.uk, CC-BY-SA-2.0 Generisch, freigegeben via Wikimedia Commons Großes Gelände mit über ein Dutzend Lkws und Ausrüstung für unkonventionelle Gasförderung - Foto: US Geological Survey

Links: Ölförderung mit Nickesel im englischen Nottinghamshire nahe Farley's Wood, 16. Januar 2008
Foto: Steve F, geograph.org.uk, CC-BY-SA-2.0 Generisch, freigegeben via Wikimedia Commons
Rechts:Fracking im Marcellus Shale, dem größten Fördergebiet für Schiefergas in den USA, 16. April 2013
Foto: US Geological Survey

Der Unterschied spricht für sich, und doch ist dies nur die oberflächliche Sicht. Was geschieht im Untergrund? Auf diese Frage ist Cameron nicht näher eingegangen. Mit der "Nickesel" genannten Pumpe wird in einem vertikalen Bohrloch Erdöl aus einer zusammenhängenden Blase heraus mechanisch nach oben befördert. Dabei können Kontaminationen der beim Bohren durchstoßenen, grundwasserführenden Schichten und auch ein Entweichen von Gas in die Erdatmosphäre nicht ausgeschlossen werden.

Beim Fracking jedoch wird nicht nur vertikal, sondern horizontal weit in die erdgas- oder erdölführenden Gesteinsschichten hineingebohrt, da der Energieträger dort in kleinsten Einschlüssen des Gesteins vorliegt und über eine große Fläche eingesammelt werden muß, damit sich der Aufwand rentiert. Die Schicht wird zunächst mit Hilfe einer Perforationskanone durchlöchert und anschließend unter hohem Druck mittels eines Gemischs aus Wasser, Sand und diversen Chemikalien weiter aufgesprengt, damit das Gas oder Öl zusammenströmen und nach oben befördert werden können.

Zuvor muß ein Teil des Chemikalien-Cocktails mit dem sogenannten Produktionswasser hinausgepumpt werden. Das enthält unter Umständen aus dem Gestein herausgespülte radioaktive Partikel, die sich an verschiedenen Stellen, beispielsweise an den Rohrverbindungen, aufkonzentrieren können. Ein anderer Teil der Chemikalien bleibt im Untergrund. Was die verschiedenen Stoffe dort anrichten, weiß niemand. Die Vorstellung, daß nichts passieren wird, wenn man Gestein aufsprengt und, wie in den USA, ungeheuer viele Tonnen teils hochtoxischer Substanzen in den Untergrund drückt, ist im besten Fall blauäugig, eher schon kriminell.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Verbrechen an kommenden Generationen, die in einer Welt aufwachsen, in der akuter Wassermangel herrscht und in der voraussichtlich viele Menschen auf jeden Tropfen sauberen Grundwassers existentiell angewiesen sein werden. Vom Standpunkt eines Politikers, dessen Orientierung womöglich nicht über den nächsten Wahltermin hinausreicht, wäre das natürlich kein zwingendes Handlungsmotiv.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umre-150.html

[2] http://www.telegraph.co.uk/news/politics/10236664/We-cannot-afford-to-miss-out-on-shale-gas.html

[3] http://www.kaufkraftschutz.de/britisches-pfund-vor-massiver-abwertung/548

[4] http://www.heise.de/tp/artikel/38/38788/1.html

Der Autor beruft sich auf die Website http://calumslist.org/, die Selbstmorde im Zusammenhang mit der sogenannten Wohlfahrtsreform auflistet.


13. August 2013