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RESSOURCEN/167: Zeitalter des Anthropozäns - Ölteppich am Grund des Golfs von Mexiko (SB)


Erblast der havarierten Bohrplattform Deepwater Horizon

Riesiger Erdölteppich am Meeresgrund des Golfs von Mexiko "aufgetaucht"



Zur Zeit diskutiert eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe [1] über das neue Erdzeitalter Anthropozän. Es geht dabei um die Frage, seit wann die Menschen den Planeten so stark beeinflussen, daß sie deutliche geologische Spuren hinterlassen. Spuren, wie beispielsweise die Myriaden von umwelttoxischen Kontaminationen seit Beginn des industriellen Erdölzeitalters vor rund 150 Jahren.

Fast könnte man meinen, daß sich die Menschen inzwischen ihre eigenen Lagerstätten für begehrte Rohstoffe für die Zukunft angelegt haben. So werden bereits alte Müllkippen und Abraumhalden nach wertvollen Rohstoffen durchkämmt, und die Konzentration von radioaktiven Partikeln des Meeresbodens der Irischen See soll durch die jahrzehntelangen Einleitungen von Radionukliden vor allem aus dem britischen Nuklearkomplex Sellafield bereits höher sein als manche natürliche Uranlagerstätte, die erschlossen wird. Ob diese Behauptung zutrifft oder nicht, soll hier nicht näher erörtert werden, entscheidend ist, daß der Mensch Spuren hinterläßt, die auch spätere Generationen noch ausfindig machen könnten.

Das gilt zum Beispiel für die Havarie der Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko vor der US-amerikanischen Südküste. Zwischen dem 22. April und 5. August 2010 sind schätzungsweise 800 Millionen Liter Rohöl ins Meer geflossen. Ein Teil wurde an der Oberfläche verbrannt, ein anderer von Bakterien zersetzt, ein weiterer Anteil wurde an die Küste geschwemmt, wo er teilweise mechanisch abgetragen wurde. Und schließlich wurde das ausgetretene Erdöl mit Hilfe riesiger Mengen an Dispergationsmitteln wie Corexit in kleinste Teile zerlegt und vermeintlich zum Verschwinden gebracht. [2]

Dennoch "fehlte" in der Bilanz stets etwas. Es blieb eine Diskrepanz zwischen der abgeschätzten Menge an ausgeflossenem Rohöl und dem Verbleib. Ein Teil des "verschwundenen" Öls ist nun aufgetaucht (wobei der Begriff nicht wörtlich zu verstehen ist), wie eine Forschergruppe im Journal "Environmental Science & Technology" berichtete. Sie entdeckte am Meeresboden des Golfs von Mexiko, rund 100 Kilometer südöstlich des Mississippi-Deltas, einen Ölteppich mit einem Volumen von 23 bis 38 Millionen Litern. [3]

Dort wird das Rohöl vermutlich im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte weiter von oben her zugedeckt. Dabei wird die Erdölschicht durch die darüberliegenden Sedimente nach und nach entwässert; sie verfestigt sich und wird irgendwann zu Stein - darin eingeschlossen ein Teil des "vermißten" Rohöls. Eine Minilagerstätte, die von einer zukünftigen Menschengeneration wieder aus dem Gestein "gefrackt" werden könnte, weil sie verzweifelt die letzten Reste an fossilen Energieträgern einsammelt ...

Von diesem Ölteppich wird der Golf noch ziemlich lang etwas haben, sagte Studienleiter Jeff Chanton, Professor für Ozeanographie an der Staatsuniversität von Florida, und Leitautor der Studie. [4]

So klein der Ölteppich am Meeresgrund im Vergleich zu natürlichen Lagerstätten auch ist, seine ökotoxischen Auswirkungen dürften beachtlich sein. Da das Rohöl innerhalb der Wassersäule verklumpt ist, sackte es zum Grund ab und damit in eine vergleichsweise sauerstoffarme Umgebung, wo es nicht so leicht von Bakterien zersetzt werden kann. Würmer, die das Öl aufnehmen, werden von Fischen gefressen, die ihrerseits auf dem Speiseteller der Menschen landen.

Für die Konsumentinnen und Konsumenten sowie die örtliche Fischerei ist die Ölkatastrophe noch lange nicht abgeschlossen. Auch das könnte den Beginn des Anthropozäns markieren: Dieses geologische Zeitalter ist an dem Zeitpunkt anzusetzen, an dem sich die Summe der Folgen menschlicher Produktivität im globalen Ausmaß unumkehrbar und negativ auf die Lebensvoraussetzungen eines großen Teils der Menschheit ausgewirkt hat.


Fußnoten:

[1] Die Anthropocene Working Group wurde von der International Commission on Stratigraphy ins Leben gerufen und hat die Aufgabe, einen Vorschlag für die offizielle Aufnahme des Anthropozäns in die Geologische Zeitskala zu erstellen. Vorsitzender der Gruppe ist Dr. Jan Zalasiewicz von der Universität Leicester.

[2] Eine dreiteilige Berichterstattung über den umstrittenen Einsatz von Dispergationsmitteln im Schattenblick vom August/September 2010:
www.schattenblick.de → Infopool → Naturwissenschaften → Chemie →
UMWELTLABOR/267: Ölpest im Golf (1) Unbeantwortete Fragen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula267.html
UMWELTLABOR/268: Ölpest im Golf (2) Wo ist es denn, das Öl - diskrepante Wissenschaftsanalysen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula268.html
UMWELTLABOR/269: Ölpest im Golf (3) Was das Öl zum Killer macht (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula269.html

[3] Jeffrey Chanton, Tingting Zhao, Brad E. Rosenheim, Samantha Joye, Samantha Bosman, Charlotte Brunner, Kevin M. Yeager, Arne R. Diercks, David Hollander: "Using Natural Abundance Radiocarbon To Trace the Flux of Petrocarbon to the Seafloor Following the Deepwater Horizon Oil Spill", in: Environmental Science & Technology, 2015; 49 (2): 847 DOI: 10.1021/es5046524

[4] http://www.sciencedaily.com/releases/2015/01/150129151549.htm

30. Januar 2015


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