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RESSOURCEN/190: Insektizide - eine Gefahr für die Welternährung (SB)


Greenpeace-Studie rät dringend zum Verbot von Neonicotinoiden


Die Umweltorganisation Greenpeace hat eine Studie erstellen lassen, in der die wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse aus den letzten drei Jahren zur Wirkung von Neonicotinoiden auf Insekten ausgewertet wurden. [1] Das Ergebnis lautet zusammengefaßt: Die Europäische Union sollte diese Gruppe von Insektenvernichtungsmitteln weiter verbieten, da durch sie nicht nur Schädlinge, sondern auch Bienen, Hummeln und Schmetterlinge vernichtet werden. Die Auswertung von mehreren hundert Einzelstudien durch Forscher der Universität von Sussex im Auftrag der internationalen Umweltorganisation hat ergeben, daß die Gefährdung der Arten durch Neonicotinoide sogar noch größer ist, als die EU im Jahr 2013 bei der Verhängung eines partiellen Anwendungsverbots angenommen hat.

Neonicotinoide galten einmal als weniger problematische Alternative zu sehr viel schädlicheren Insektiziden, die noch in den 1990 Jahren den Pflanzenschutzmarkt dominiert haben, und werden auch als Beizmittel für Saatgut verwendet. Hier nun soll anläßlich der aktuellen Studie die Frage aufgeworfen werden, ob das Sterben der für die globale Landwirtschaft so extrem wichtigen Bestäuber im Insektenreich als Folge ausgerechnet der Spitzentechnologie der modernen, industriellen Agrarproduktion nicht stellvertretend für das Scheitern der Landwirtschaft an sich steht, unter den gegebenen sozioökonomischen Bedingungen alle Menschen auf einem für Gesundheit und Wohlbefinden adäquaten Niveau ernähren zu können.

Seit der Mensch angefangen hat, Landwirtschaft zu betreiben, erlebt er immer wieder teils schwerwiegende Rückschläge. Schon die Vernichtung ganzer Ernten durch Heuschrecken zählt in der Bibel zu den zehn Plagen, von denen das damalige Ägypten heimgesucht wurde. Heuschrecken gehören heute noch zu den Konkurrenten des Menschen, wenn es um den Verzehr von Pflanzen geht, und haben schon manche Hungersnot ausgelöst. Wobei auch jenseits der Hungersnöte im engeren Sinn vermutlich zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte jemals alle Menschen genügend zu essen hatten. Trotzdem werden Hungersnöte immer nur als regionale, häufig sogar zeitlich befristete Phänomene dargestellt. So vielfältig die Faktoren auch sein mögen, die Hunger auslösen, konsequenterweise müßte man von einer globalen Hungersnot sprechen. Denn weltweit haben rund 800 Millionen Menschen nicht genügend zu essen; weitere zwei Milliarden gelten als mangelernährt. Die vorherrschenden Landwirtschaftsmodelle haben offensichtlich versagt.

Nachdem sich nun chemische Bekämpfungsmittel gegen Pilzbefall und Schadinsekten als kontraproduktiv erwiesen haben, stellt sich die Frage, was als nächstes kommt. Schließlich hat auch die grüne Gentechnik nicht die mit ihr verknüpften Versprechungen einer weniger schädlichen landwirtschaftlichen Produktionsweise erfüllt. Erstens bilden sich bereits bei sogenannten Unkräutern wie Palmer Amaranth (Amaranthus palmeri) Resistenzen gegen das in Kombination mit den Gentech-Pflanzen versprühte Herbizid Roundup. Zweitens stehen dessen Hauptwirkstoff Glyphosat und dessen verbreiteter Begleitstoff Tallowamin in Verdacht, krebserregend zu sein. In Tierversuchen wurden zudem Immunschwäche, neurologische Effekte und andere Störungen bzw. Auffälligkeiten beobachtet.

Auf den ersten Blick haben das Ausbringen von Insektiziden wie den Neonicotinoiden mit der wahrscheinlichen Folge, am massenweisen Bienensterben beteiligt zu sein, und somit drohender landwirtschaftlicher Einbußen, und andere Hungerfaktoren wie Dürren oder Überschwemmungen, bewaffnete Konflikte und Landraub, Hurrikane und Heuschrecken sowie die ungleiche Verteilung der Nahrungsmittel nichts miteinander zu tun. Vom Ergebnis her rückwärts betrachtet zeigt sich jedoch: die Menschheit leidet offenbar permanent unter Nahrungsmangel.

Geht man an den Beginn der Landwirtschaft zurück, so wäre zu fragen, was die Menschen, die zuvor Jäger und Sammler waren, bewogen hat, sich einige Grassamen, die sie bis dahin immer vermutlich sofort gegessen hatten, vom Mund abzusparen und auszusäen. Wäre es nicht logisch anzunehmen, daß unsere Vorfahren Mangel gelitten und gehofft hatten, ihn auf diese Weise beheben zu können?

Es scheint, daß es den Menschen bis heute nicht gelungen ist, die knurrenden Mägen dauerhaft zu besänftigen. Die gegenwärtig vorherrschenden sozioökonomischen Bedingungen samt den landwirtschaftlichen Produktionsmodellen, die sie hervorgebracht haben, beizubehalten, liefe darauf hinaus, den Hunger zu verstetigen - und sei es über den Umweg, daß durch Mittel wie die Insektizide, die eigentlich die Agrarproduktion steigern sollen, eine zentrale Säule der Landwirtschaft, die Insektenbestäubung, vernichtet wird.

Vor dem Zeitalter der industriellen Landwirtschaft wurde das betrieben, was man heute kleinbäuerliche, biologische Landwirtschaft nennt. Die wurde nicht nur aus Profitgründen zurückgelassen, sondern auch weil durch sie nicht genügend produziert wurde. Was also bisher nicht gelungen ist, dürfte folglich auch durch eine einfache Rückkehr zu einem Stand, als Monokulturanbau, großflächiger Einsatz von Dünger und Pestiziden und eben auch Neonicotinoiden noch nicht verbreitet waren, nicht gelingen. Eine Lösung für dieses Dilemma ist nirgends zu erkennen. Wenn aber ein Weiter-so-wie-bisher ebenso wenig das Hungerproblem zu lösen in der Lage ist wie ein Zurückdrehen des Rades, dann wäre es vielleicht am naheliegendsten, sehr viel mehr Forschungen auf diesen doch existentiell höchst bedeutsamen Bereich der Nahrungserzeugung zu richten, um möglichst vor-, mindestens aber frühzeitig Fehlentwicklungen zu erkennen und auszuschließen. Sieht man sich die von der Bundesregierung und anderen Industriestaaten verbreiteten "Lösungen" des Nahrungsproblems an, sieht es so aus, als solle die Zukunft der Welternährung mehr denn je in die Hände von Akteuren gelegt werden, deren primäres Streben dem Profit gilt und nicht etwa der Nahrungsversorgung aller Menschen.


Fußnote:

[1] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/neonicotinoid_pesticides_de.pdf

13. Januar 2017


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