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BERICHT/094: Wohnstube Meer - Fischfangkompromisse (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Bericht zum Workshop "Ernährung und Fischereipolitik" und Dr. Rainer Froese darüber, warum der Fischer der Zukunft ein Cyber-Techniker werden muß



Früher waren die Fische groß ...
Eine Gruppe von Blauflossen, Thunfischen vor der Küste Siziliens, Italien (Meerestiefe 22 Meter) - Foto: 1989 von Danilo Cedrone (United Nations Food and Agriculture Organization) (http://www.photolib.noaa.gov/htmls/fish2001.htm) [Gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Früher waren Fische groß, zahlreich und oftmals stärker als gewöhnliche Fischnetze.
Foto: 1989 von Danilo Cedrone (United Nations Food and Agriculture Organization) (http://www.photolib.noaa.gov/htmls/fish2001.htm) [Gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Überfischung ist tatsächlich so etwas wie eine Zivilisationserkrankung des Meeres, wenn man den Ausführungen des Fischereibiologen und Experten für Populationsdynamik, aquatische Biodiversität, Biogeografie und Fischereimanagement des GEOMAR in Kiel, Dr. Rainer Froese [1], folgt. In seinem Vortrag zum Workshop "Ernährung und Fischereipolitik", einer der Veranstaltungen am letzten Tag der Bremer Tagung "Ein anderes Meer ist möglich" [2] warf er angesichts der laut FAO 80 Millionen Tonnen Fisch, die weltweit pro Jahr gefangen werden, die alarmierende Frage auf: "Essen wir die Meere leer?" Anhand von prägnanten Beispielen und Statistiken, einem kurzen Abriß der Fischereigeschichte und einem Blitzkurs in Fischereibiologe konnte die Antwort nur düster ausfallen: Nein, es ist viel schlimmer. Wir haben die Meere nicht nur schon längst leergegessen, wir verputzen nun auch noch das, was eigentlich tabu sein sollte, den aus existentiellen Gründen dringend zu erhaltenden letzten Rest und das mittels EU-Subventionen unter viel zu großem Fischereiaufwand ...

Anhand alter Fresken (siehe Bild) könne man sehen, daß die gleichen Fischarten, die man heute nur noch als "kleine Fische" kennt, viel größer gewesen sind. Fische wachsen ihr Leben lang und das Maximalgewicht von Coryphaena hippurus, der Goldmakrele, wird mit 40 kg angegeben, was einer Körperlänge von etwa zwei Metern entspricht. Das erreicht heute keine mehr.

Fresco eines jungen Fischers, der in beiden Händen einen beachtlichen Fang trägt - Foto: 2008 by Marcus Cyron [CC-PD, gemeinfrei da der Autor schon vor über 100 Jahren verstarb] via Wikimedia

Kleine Fische?
In Santorini wurde bereits vor 3600 Jahren intensiv gefischt. Das zeigt die Fanggröße der Fische, die bereits kleiner ist als die von ausgewachsenen Goldmakrelen.
Foto: 2008 by Marcus Cyron [CC-PD, gemeinfrei da der Autor schon vor über 100 Jahren verstarb] via Wikimedia

Ausgewachsener Coryphaena hippurus, der ausgestopft im Fischmuseum hängt und vermutlich mindestens 40 kg Lebendgewicht in besseren Zeiten auf die Waage brachte. - Foto: 2009 by Citron [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Dieser kapitale Bursche hängt im Museum und zeigt, wie groß Goldmakrelen werden können, wenn man sie läßt.
Foto: 2009 by Citron [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Heute findet derjenige, der auf alten Aufnahmen sucht, Legenden oder andere museale Fragmente zu deuten weiß und sie nicht für Märchen hält, noch Anhaltspunkte, daß die Fische insgesamt viel älter und größer werden konnten. Noch zu Zeiten der ersten "Dampf"-Photographie wurden Aufnahmen im Hamburger Hafen von kapitalen Riesenthunfischen gemacht, die laut Dr. Froese gar nicht so beliebt bei den Fischern waren, weil sie ihre Netze zerstörten. Heringsschwärme seien weithin sichtbar gewesen, weil sich das Wasser dunkel verfärbte und von der Abluft sprudelte, welche die Fische beim Aufschwimmen aus ihren Därmen entließen. Zu Paarungszeit waren die entsprechenden Meeresabschnitte weiß von Fischlaich. All das sieht man heute nicht mehr.

Mit zunehmender Nutzung aller technischen bzw. physikalisch-mechanischen Errungenschaften wie Seilwinden (Winsch), Windkraft oder Dampfkraft (1880), konnten die Fischereiboote immer größer werden, weiter hinausfahren und schwerere Netze einholen. Gleichzeitig wurden, angefangen mit den größten Fischen, die Meere entlang der Wachstums- und Nahrungskette mit immer ausgetüftelteren Stell- und Schleppnetzen allmählich leergefischt. Bereits um 1900 waren die Heringsschwärme in der Nordsee überfischt, erklärte Dr. Froese.

Als Antwort auf die Überfischung des Herings sei der Rat der Meeresforschung (International Council for the Exploration of the Sea (ICES)) am 22. Juli 1902 in Kopenhagen gegründet worden, der sich bis heute der wissenschaftlichen Überwachung des Fischbestands verpflichtet fühlt. Aktuell werden 110 Fischarten überwacht. Darüber hinaus dient er als interdisziplinäres Forum für alle Fragestellungen der Meeresforschung. Das hat allerdings der weiteren Entfaltung der kommerziellen Fischerei offenbar keine Steine in den Weg gelegt. Im Gegenteil: Die hierfür im Zuge moderner Meeresforschung entwickelten Beobachtungstechniken geben der Fischerei optische 3D Hightech-Verfahren an die Hand, mit denen sie jeden Stein am Boden erkennen und entsprechend ertragreicher fischen können. Große Industrietrawler könnten auf einer Fahrt so viel Fisch fangen wie 7000 afrikanische Pirogen in einem Jahr.

Handwerkliche Fischerei in Norwegen zwischen 1940-49 - Foto: by Anders Beer Wilse (1865 - 1949) [Gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Früher wurden auch hier gute Fänge mit geringem Aufwand gemacht ...
Foto: by Anders Beer Wilse (1865 - 1949) [Gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Experten ordnen die einzelnen Meereslebewesen verschiedenen Ernährungsstufen zu, sogenannten trophischen Ebenen. Ganz unten stehen Myriaden von Mikroorganismen, auch mikroskopisch kleine Algen, Diatomeen, Dinoflagellaten und Cyanobakterien. Sie bilden das Phytoplankton, das frei im Wasser schwebt und Photosynthese betreibt. Von diesen "Primärproduzenten" ernähren sich kleinere Krebse oder Fischlarven, das Zooplankton. Das Zooplankton nährt wiederum kleine planktonfressende Fische, von denen sich wieder fischfressende Fische einer übergeordneten trophischen Ebene ernähren, usw., bis zu den größten Predatoren (Raubfischen) des Meeres. Da dies nicht exakt linear stattfindet, spricht man nicht mehr von Nahrungsketten, sondern von Nahrungsnetzen. In umgekehrter Reihenfolge fischt der Mensch entlang dieser Netze die größten Fische zuerst ab, womit er bereits einen ersten erheblichen Eingriff in die Meeresökologie vornimmt. Jeder weitere "Fischraub" betrifft die unteren trophischen Ebenen, aber auch die noch nicht geschlechtsreifen und somit nicht ausgewachsenen Fische, die bis dahin keine Nachkommen produzieren konnten ... Wenn wir so weitermachen, meinte Dr. Froese, bleiben nur Quallen und kleine Würmer und Garnelen übrig. Selbst Shrimps können nicht überall überleben. Vor kurzem hat die Shrimpsfischerei in Mosambik einen starken Zusammenbruch erlitten.

Das Fang- und Verarbeitungsschiff Rudolf Leonhardt übernimmt den Fisch von kleineren Fangschiffen. Hochleistungsfischerei in der ehemaligen DDR. - Foto: 1989 by Jürgen Sindermann Bundesarchiv, Bild 183-1989-1013-029 [CC-BY-SA-3.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode] via Wikimedia Commons

Wenn wir so weitermachen, bleiben nur noch Quallen, Würmer und Garnelen.
Foto: 1989 by Jürgen Sindermann Bundesarchiv, Bild 183-1989-1013-029 [CC-BY-SA-3.0 http://creativecommons.org/licenses/by- sa/3.0/de/legalcode] via Wikimedia Commons

Diese Zusammenhänge und auch entsprechende Prognosen hätten bereits Ray Beverton und Sidney Holt 1957 in ihrem gemeinsamen Werk "On the Dynamics of Exploited Fish Populations" [3] zum Ausdruck gebracht. Dennoch wurde weitergefischt "as usual".

Erst 1995 entschied sich die Staatengemeinschaft mit der Fischbestandsvereinbarung der Vereinten Nationen (United Nations Straddling Fishstock, Agreement, UNFSA), künftig mit mehr Bedacht zu fischen. Im selben Jahr veröffentlichte die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) einen Verhaltenskodex für verantwortungsvolle Fischerei. Das vorrangige Ziel dieses sogenannten Vorsorgeansatzes (Precautionary Approach, PA) ist es, zu verhindern, daß ein Bestand so stark reduziert wird, daß er nicht mehr genug Nachkommen erzeugt. Die Fischereiwissenschaft hat für viele kommerziell genutzte Fischarten sogar kritische Grenzwerte entwickelt, mit deren Hilfe Fischer im Grunde nur entlang eines festgelegten Limits fischen müßten, um die Bestände und somit den Fisch im Meer zu erhalten. Für die Bestände in den Gewässern der EU bestimmt zum Beispiel der EU-Ministerat in jedem Jahr eine Höchstfangmenge (total allowable catch, TAC). Prinzipiell war dieser Vorsorgeansatz eine gute Idee, scheiterte aber an dem gleichen Mißverständnis, das auch noch auf den heute von der Fischereiwissenschaft empfohlenen MSY (Maximum sustainable yield) [4] übertragen wurde: Offenbar könnten manche - und einige Fischereiminister insbesondere - das Wort "Maximum" nicht verstehen, meinte Dr. Froese. Wie könne das sein, fragte er, wo doch 'maximal' definitiv einen Grenzwert beschreibt. Und Grenzwert heißt: Mehr geht nicht. Statt dessen wurden die festgesetzten Grenzwerte stets als Zielwerte mißverstanden. Das sei wie Pfeileschießen, erläuterte Dr. Froese: Statt sicherzustellen, daß die Grenzen nicht überschritten werden, hat die Fischereipolitik die Fangmengen dicht an diese Grenze gelegt, so daß sie oft verletzt wurde. Das heißt, es wurde immer etwas mehr gefangen, als der Bestand jeweils verkraften konnte. Auch aus politischen Gründen wird den Fischern oft mehr erlaubt, als Wissenschaftler empfehlen. Mit dem einmaligen Überschreiten des Grenzwerts sinke jedoch automatisch der MSY auf einen geringeren Wert, so daß das nächste Überschreiten des MSY die zwangsläufige Folge sei.

Das deutsche Fabrikschiff Kiel der Deutschen Fischfang Union ist 92 Meter lang und 15 Meter hoch. - 2008 By Ra Boe (selbst fotografiert DigiCam SP-550 UZ) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Steigender Fischereiaufwand rentiert sich auch nur bis zu einer bestimmten Grenze.
2008 By Ra Boe (selbst fotografiert DigiCam SP-550 UZ) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons


Mehr Fischereiaufwand kostet Gewinn!

Besonders eindrücklich läßt sich die immer noch praktizierte Mißwirtschaft anhand einer ökonomischen Parabel ablesen, welche die mathematische Funktion aus Fischereiaufwand und Fangmenge ergibt. Am Wendepunkt der Parabel liegt der MSY, die maximal nachhaltige Fangmenge. Jeder zusätzliche Fischereiaufwand lohnt sich ab dieser Grenze nicht mehr. Interessant würde die Kurve, wenn man sie mit den Kosten der Fischerei vergleicht und daraus die Gewinnspanne für die Fischer ableitet. Man könne sofort sehen, daß der größte Gewinn, die maximale Gewinnspanne für den Fischer und somit die ökonomisch sinnvolle Fangmenge, weit unter dem MSY-Grenzwert liegt. Weniger fischen bedeute also mehr Gewinn.

Die Fangflotte der EU treibt hingegen einen gewaltigen Fischereiaufwand unter hohen Kosten, der sich auf dem absteigenden Ast der Parabel befindet, kurz vor der Zusammenbruchsgrenze der Fischereibestände, was nur durch entsprechende Fischereisubventionen und einer Fischereipolitik möglich ist, die auf Vetternwirtschaft und Old-Boys-Netzwerken beruhe. Man habe dem Druck der Fischereilobby nicht standgehalten und das Fischen bis zu der äußersten Grenze erlaubt.

Eine Kurve in einem Koordinatensystem. An der X-Achse ist der Fischereiaufwand aufgetragen. Die Y-Achse stellt die Fangmenge da. Der Scheitelpunkt ist der MSY. Eine weitere lineare Funktion, die Fischereikosten, schneidet die Parabel auf dem absteigenden Ast. Die Fischbestände der EU liegen auf dem gleichen unteren Abschnitt der Kurve. - Grafik: 2014 by R. Froese mit freundlicher Genehmigung (aus dem Vortrag: Essen wir die Meere leer)

Weniger Fischen ist mehr Gewinn.
Grafik: 2014 by R. Froese mit freundlicher Genehmigung (aus dem Vortrag: Essen wir die Meere leer?)


Es gibt noch Hoffnung oder Die Fische haben das Wachsen nicht verlernt.

Dr. Froese, der immer ein Kritiker der EU-Subventionspolitik war, sieht die neuere Fischereipolitik der EU inzwischen auf einem besseren Kurs. Dazu hätten vor allem die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse beigetragen, die aber jetzt erst angemessen in die Politik eingehen und vor allem von drei Frauen ernst genommen werden, der EU-Kommissarin Maria Damanaki, Isabella Lövin (einer schwedischen Journalistin, die Antworten für das Verschwinden des Kabeljaus gesucht hat) und Ulrike Rodust im Fischereiausschuß des EU-Parlaments.


Fragen an den Fischereiwissenschaftler Dr. Rainer Froese

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, daß durchaus fraglich ist, ob der eingeschlagene Kurs auch in der nächsten Legislaturperiode unter Karmenu Vella in einem sicheren Hafen landet. Denn es gäbe noch die "Old Boys" der Fischereipolitik, die sich an die Vergangenheit klammerten und alles dafür tun würden, die alten Machtverhältnisse wieder einzusetzen.

Diese Interessenverstrickungen führen dazu, daß einige Untersuchungen, z.B. über die unteren trophischen Ebenen, fehlen und somit viele Faktoren in die Berechnungen der Fischereiwissenschaftler nicht eingehen können, weil nur die Forschung gefördert wird, die mit eßbarem Fisch zu tun hat. Im Anschluß an die Diskussionsrunde erklärte Dr. Froese dem Schattenblick, warum die Ergebnisse der Fischereiwissenschaftler immer ein wenig zu Gunsten der Fischer interpretiert werden ...

Foto: © 2014 by Schattenblick

'Die Fische haben das Wachsen noch nicht verlernt.'
Dr. Rainer Froese im Vortrag
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Als Fischereiwissenschaftler sehen Sie, wie es um die Fischbestände steht, und engagieren sich für einen resourcenschonenderen Fischfang. Würden Sie sich auch als Fischschützer bezeichnen?

Dr. Rainer Froese (RF): In gewisser Weise. Ich bin in meinem ersten Leben zur See gefahren, auf Tankern und Handelsschiffen und so weiter, bis ich eines Tages keine Lust mehr hatte, das Tankwasser über Bord zu pumpen und mich statt dessen der Ernährung aus dem Meer widmen wollte. Ich habe also die Seiten gewechselt, von der Verschmutzung des Meeres zur Ernährung aus dem Meer. Von daher, ja, bin ich Fischschützer. Ich sage ab und zu, die Fische schulden mir etwas, weil ich zum Beispiel immer wieder Tage oder Wochenenden im Einsatz dafür verbringe, daß wir die Fische vernünftig nutzen, daß wir nicht mehr umbringen als für einen bestimmten Fang notwendig, daß wir sie bei der richtigen Größe fangen, und daß wir die, die wir nicht haben wollen, gar nicht erst fangen.

SB: Wären das für Sie auch die wichtigsten Kriterien für eine nachhaltige Fischerei oder was würden Sie genau darunter verstehen?

RF: Nachhaltige Fischerei ist, wenn wir die Fische nur bei der Größe fangen, bei der sie schon mehrfach abgelaicht und ihr Wachstum quasi abgeschlossen haben, bei der sie also bereits ihren Beitrag für die nächste Generation geleistet haben. Dann können wir sie entnehmen. Wenn wir das tun, dann sollten wir das auch noch auf die kostengünstigste Weise tun. Also die optimale Lösung ist, den Fischen den geringsten Schaden zuzufügen, was weniger Kosten verursacht als die derzeitige Praxis. Es ist erstaunlicherweise in der Fischerei tatsächlich so, daß Ökonomie und Ökologie Hand in Hand gehen. Das ist kein Widerspruch. Wenn ich es ökonomisch optimiere, habe ich es auch ökologisch optimiert. Es ist eigentlich dumm, daß wir Menschen das nicht tun.

SB: Wie weit reichen die Überlegungen in der EU über das neue Konzept, selektiveres Fanggerät und beispielsweise Netze mit innovativen Maschenöffnungen zur Pflicht zu machen? [5]

RF: Das wird kommen. Der Fischereifond ist ziemlich groß. Die Subventionen, von denen ich sprach, sind bisher nicht verringert worden. Sie sind immer noch viel zu hoch. Aber der Fischereifond soll vermehrt dazu eingesetzt werden, neue Geräte zu beschaffen, um die Umstellung auf neue Fangtechniken zu finanzieren, also den Fischern zu helfen, sich auf neue, schonendere Methoden umzustellen. Wer jetzt schlau ist, sollte das nutzen und Vorreiter werden und an die Großhändler verkaufen, die so etwas haben wollen. Also wenn die Fischereilobbyisten etwas schlauer wären, ein bißchen antizipieren oder auf den Markt achten würden und letztlich zwei Jahre vorausdenken könnten, dann wären die alle dafür. Dann würden sie jetzt die Gelder für die Umstellung nutzen, um dann Produkte zu haben, die sich auch zu einem höheren Preis verkaufen lassen. Das wäre klug. Statt dessen halten sie an der Vergangenheit fest.

SB: Könnten Sie sich vorstellen, daß sich die Fischereitechnologie und die Fischfangmethoden vollständig verändern? Wie könnte oder sollte die Fischerei in fünfzig oder hundert Jahren aussehen?

RF: Dazu habe ich einmal eine Utopie geschrieben, die finden Sie auf meiner Webseite. [6] Die Idee dahinter ist, daß man feste Fallen verwendet, durch welche die Fische durchschwimmen können. Darin könnten Kameras installiert werden, über die der Verbraucher zum Beispiel im Internet die Falle beobachten kann. Wenn die Leute dann einen Fisch sehen, den sie essen wollen, lassen sie per Knopfdruck die Falle zuschnappen. Der Fisch wird entnommen und direkt gegessen beziehungsweise schonend getötet, frisch verarbeitet und dann an den Verbraucher geschickt. Das würde gehen. Alles, was dazu technisch nötig wäre, gibt es heute schon. Man müßte es nur wollen und machen.

Also die Fischerei der Zukunft würde aus festinstallierten Fanganlagen bestehen. Man könnte damit sicherstellen, daß exakt nur die Anzahl der Fische entnommen würde, die man haben will mit der richtigen Fanggröße und ohne jeden Beifang. So könnten sie auf direktestem Weg dem menschlichen Verzehr zugeführt werden.

SB: Sie sagten, es sei noch eine Utopie, aber die Technik schon vorhanden. Würden Sie diese Art zu fischen denn auch heute schon befürworten?

RF: Ja, die Gründe hatte ich bereits angedeutet. Wir wollen frischen Fisch und eine gute Qualität haben und sollten daher wirklich nur die Fische fangen, die wir auch direkt verzehren. Eigentlich haben wir die technischen Möglichkeiten, das zu tun. Wir können ja auch einen Rover auf dem Mars steuern, mein Gott, warum können wir dann nicht die Fische fangen, die wir haben wollen? Warum müssen wir denn den ganzen Boden umpflügen und 80 Prozent anderer Tiere umbringen für die 20 Prozent, die wir essen wollen. Das macht doch keinen Sinn. Wenn wir die Fische sechs Stunden über den Bodengrund schleppen, wo sie in dem Netz gequetscht werden, dann ist die Qualität ja auch nicht mehr berauschend. Oder wenn die Fische 24 Stunden tot in einem Kiemennetz hängen. Also, wir machen es im Augenblick so schlecht, wie man es nur machen kann, obwohl wir die technischen Möglichkeiten haben, es viel schonender zu machen und eine viel besserer Qualität zu erzielen.

Taucher beim Versuch, einen Tunfisch mit einem Netz einzufangen - by Danilo Cedrone (United Nations Food and Agriculture Organization) (http://www.photolib.noaa.gov/htmls/fish2003.htm) [Gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Selektiver Fischfang? Der Fischer als Jäger ...
Foto: by Danilo Cedrone (United Nations Food and Agriculture Organization) (http://www.photolib.noaa.gov/htmls/fish2003.htm) [Gemeinfrei], via Wikimedia Commons

SB: Wenn man nur die Ziele gute Qualität und den Erhalt des Fischbestands betrachtet, scheint das eine einleuchtende Methode zu sein. Wenn ich mir allerdings vorstelle, daß man es gewissermaßen hochtechnologisch per Fernsteuerung und mit Robotern oder ähnlich technischem Gerät machen müßte, kommt es dem Laien doch sehr aufwendig vor. Wurde denn schon mal auf den Energieverbrauch umgerechnet, was es kosten würde, auf diese Weise einen Fisch zu fangen und ob sich das Ganze in realistischen Maßstäben bewegt?

RF: Ich habe das nicht berechnet, aber klar ist doch, daß wir im Augenblick mit dieser aktiven Fischerei, wo wir Schleppnetze ziehen, Wasser filtern und so weiter, viel zu viel Energie verbrauchen. Und die Hauptkosten, also zwei Drittel der Fischereikosten, werden in Diesel, also Treibstoff investiert. Das kann so nicht weitergehen.

Es gibt jede Menge passiver Fanggeräte. Das sind Fallen oder Reusen, die man jeder Zeit rausnehmen kann, in denen die Fische leben. Die Fische, die ich nicht haben will, kann ich wieder zurücksetzen, die ich will, nehme ich. Das sind vernünftige Methoden, die kennen wir, die haben wir in der Vergangenheit angewandt. Wir müssen sie nur ein bißchen neu denken, modernisieren, noch mehr aktualisieren. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.

SB: Sie sagten vorhin daß inzwischen mehr auf Fischereiwissenschaftler gehört wird, daß aber die Folge davon sei, daß die Wissenschaft mehr fischereifreundliche Statistiken schafft. Wie läßt sich dieser Zusammenhang erklären? Ist die Fischereiwissenschaft in dem Sinne keine freie Forschung?

RF: Der Druck kommt von der Fischereilobby, die sehr gute Drähte in die Ministerien hat. Die meisten Fischereiwissenschaftler, etwa 95 Prozent, sind bei den Ministerien angestellt. Das muß nicht direkt sein, aber zumindest arbeiten sie bei einer Behörde oder bei einem Institut, die für das Landwirtschaftsministerium oder Fischereiministerium tätig sind. Das ist auch in Deutschland so. Das Thünen-Institut [7] wird hauptsächlich vom Landwirtschaftsministerium finanziert. Und die Lobby muß nur beim Minister anrufen, wenn ihnen irgendetwas nicht gefällt, was die machen, und dann bekommen sie Druck. Das wiederum haben die Wissenschaftler bereits so verinnerlicht, daß sie gar nicht mehr darüber nachdenken. Es ist ihnen schon gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen, so daß jeder zweite ihrer Sätze damit anfängt: "Oh, wir müssen aber sehen, daß unsere Fischer ...", und das ist oft extrem kurzsichtig. Man denkt immer nur an die Fänge im nächsten Jahr, aber nicht an die Fänge in drei Jahren. Wenn man das tun würde, könnte man eine ganz andere Fischerei vorschlagen und betreiben. Wenn man nur zwei, drei Jahre weiter in die Zukunft denken würde. Das wird bisher nicht gemacht, das muß sich ändern.

SB: Aber die Wissenschaftler hätten schon die Expertise, das Wissen darüber, oder müßte sich auch die Forschung insgesamt ändern?

RF: Die Forscher haben das Wissen darüber, sie kennen die Modelle. Aber im Zweifelsfall wird hier nicht für den Angeklagten - das wäre hier der Fisch - geurteilt, im Zweifelsfall wird hier immer für den Fischer geurteilt, und das ist falsch.

SB: Und wie ließe sich dieser Fehler korrigieren? Gibt es schon irgendwelche Überlegungen oder Ansätze dazu, hier ein Umdenken einzuleiten?

RF: Das ist schwierig. Im Grunde sind der Rat und die Arbeitsgruppen, der von den Fischereiwissenschaftlern geteilt wird, relativ offen. Daran müßten jetzt im Grunde die entsprechenden Experten der NGOs teilnehmen, die auch andere Ansichten vertreten. Das wäre möglich. Aber natürlich sagen die NGOs zu Recht: "Wir sind da überfordert, Leute, wir können auch nicht alles machen, so viel Geld haben wir schließlich auch nicht. Wir können nicht Experten einstellen und sie wochenlang zu Sitzungen schicken, um da unsere Stellungnahme abzugeben." - Aber solange das nicht passiert, fehlt eben der Gegendruck, der kommen müßte. Meiner Ansicht nach ist das jedoch nur eine Frage der Zeit, daß es passieren wird. Wir sind auf dem richtigen Weg. Nachdem wir jetzt mit der Fischerei-Reform einen kleinen Sieg errungen haben, wird es erstmal wieder ein bißchen in die andere Richtung gehen. Wir müssen zusehen, daß wir wieder die Kurve kriegen, und der Gesamttrend in die richtige Richtung geht.

SB: Vielen Dank, Herr Dr. Froese.

Taucher mit Maske, Neoprenanzug neben einer lebenden Goldmakrele, die er an den Seitenflossen festhält. Beide schauen in die Kamera - Foto: 2009 by King damus (http://www.flickr.com/photos/kingdamus/3794571112) [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Und das Messer sieht man nicht ...
Null Fischereiaufwand - technologiegestützte Jagd
Foto: 2009 by King damus
(http://www.flickr.com/photos/kingdamus/3794571112) [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons


Anmerkungen:


[1] Der 1952 geborene, weltweit anerkannte Fischereibiologe des GEOMAR in Kiel hat in vielen Veröffentlichungen und Vorträgen die Überfischung der Weltmeere dokumentiert und Lösungsansätze zum langfristigen Erhalt der Bestände erarbeitet. Zusammen mit Daniel Pauly entwickelte er die Datenbank FishBase (www.fishbase.org). Seit 1990 ist er deren Projektleiter und Koordinator. Fischbase ist die größte und am meisten frequentierte Internetplattform für Fischerei im Internet. Froese war außerdem Gründungsmitglied von "Species 2000" und des Ocean Biogeographic Information System (OBIS), das Teil des Projekts "Census of Marine Life" war. Derzeit koordiniert er verschiedene Projekte, deren Ziel die Erstellung eines ersten globalen Atlas des Lebens im Ozean ist (www.aquamaps.org). Dr. Rainer Froese war ein engagierter Kritiker der gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union und mit seiner wissenschaftlichen Expertise auch einer der Wegbereiter im Vorfeld der neuen EU-Fischereireform. Siehe auch sein Interview mit dem Schattenblick am 27. August 2012 im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung des NABU im Kieler Landtag "Stoppt die Überfischung! Europas Weg zu einer nachhaltigen Fischerei".
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0027.html

[2] Zur Konferenz "Ein anderes Meer ist möglich!" sind bisher in
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
folgende Berichte und Interviews unter dem kategorischen Titel "Wohnstube Meer" erschienen:

BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)
Ein Einführungsbericht zur Bremer Konferenz
BERICHT/085: Wohnstube Meer - die See, die Arbeit und der Lohn (SB)
Die Billigflaggenkampagne der ITF

INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ..., Kai Kaschinski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/105: Wohnstube Meer - Pflege, Sorge, Schutz und Leben ..., Thilo Maack im Gespräch (SB)
INTERVIEW/106: Wohnstube Meer - erst sterben die Fische ..., David Pfender (WDC) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/107: Wohnstube Meer - Mitgeschöpfe ..., Tharaka Sriram im Gespräch (SB)
INTERVIEW/108: Wohnstube Meer - Forschung tut not ..., Meeresbiologin Antje Boetius im Gespräch (SB)
INTERVIEW/109: Wohnstube Meer - Umsicht, Rücksicht, starke Regeln ..., Prof. Dr. Uwe Jenisch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/110: Wohnstube Meer - fragen, bitten und nicht nehmen ..., Rosa Koian aus Papua-Neuguinea im Gespräch (SB)
INTERVIEW/114: Wohnstube Meer - Plastik zum Dessert ..., Nadja Ziebarth (BUND) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/115: Wohnstube Meer - Ungebremst' Zerstörungswucht, Menschen bleibt da nur die Flucht ..., Maureen Penjueli aus Fidschi im Gespräch (SB)
INTERVIEW/127: Wohnstube Meer - Ausweg und Sackgasse ..., Helmut Dietrich im Gespräch (SB)
INTERVIEW/130: Wohnstube Meer - dem Meer, dem Land, dem Rest der Welt ..., der Seevölkerrechtler Erik van Doorn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/135: Wohnstube Meer - Rost und Gift den Armen ..., Patrizia Heidegger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/138: Wohnstube Meer - Weitsicht, Umsicht und bedachtes Fischen ..., Dr. Annika Mackensen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Wohnstube Meer - Seltene Erden, seltener Mensch ..., Lisa Rave im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Wohnstube Meer - Pionier- und Technikgeist, der dem Meere Wunden reißt ..., Dr. Kim Detloff im Gespräch (SB)

[3] Beverton, R. J. H., and Holt, S. J. 1957. On the Dynamics of Exploited Fish Populations. Fishery Investigations Series II. Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, London.

[4] Der Maximum Sustainable Yield (MSY) ist der verbesserte zentrale Grenzwert für gleichzeitig optimale und nachhaltige Fischerei und legt die größtmögliche Fangmenge, die langfristig entnommen werden kann, ohne die Produktivität des Bestands zu reduzieren, fest.

[5] http://ec.europa.eu/fisheries/documentation/magazine/mag34_de.pdf

[6] http://www.fishbase.de/rfroese/

Die Utopie finden Sie in dem folgenden Aufsatz:
http://www.fishbase.de/rfroese/cluster_essay_d_froese.pdf

"Das Fischereigerät der Zukunft besteht hauptsächlich aus intelligenten, ferngesteuerten Fallen, die nur die gewünschten Arten in der erforderlichen Größe und Qualität fangen. Händler können den Fisch in der Falle sehen und können ihn gezielt zum Kauf auswählen. Fische, die in kurzer Zeit keinen Käufer finden, können wieder freigelassen werden. Verkaufte Fische hingegen werden aus den Fallen entnommen, schnell und schmerzfrei getötet und binnen 24 Stunden zum Verbraucher befördert. Die Fallen und die Fischerboote für den Service werden mit regenerativer Energie betrieben, sind hochautomatisiert und überwiegend ferngesteuert. Die Fischer der Zukunft sind fast alle Techniker, die von Land aus ihre Anlagen betreiben und warten."

[7] Das Thünen-Institut, vollständiger Name: "Johann Heinrich von Thünen-Institut - Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei", ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit Hauptsitz in Braunschweig.

22. Oktober 2014