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BERICHT/142: Meeresnutzung - scheingeschützter Tiefseeboden ... (SB)



Nebeneinander an drei kleinen Tischen sitzend, Damian hält ein Mikrophon in der Hand - Foto: © 2018 by Schattenblick

Tag der Ozeane 2018
Von links: Kai Kaschinski, Hans-Peter Damian, Björn Oripohl, Marie-Luise Abshagen, Christoph Spehr (Moderator)
Foto: © 2018 by Schattenblick

Es gibt sicherlich viele Arten, Umweltzerstörungen von globaler Tragweite anzurichten, eine wird zur Zeit mit großem technologischen Aufwand vorbereitet: Bergbau in der Tiefsee. Die Regierung Papua-Neuguineas hat dem kanadischen Unternehmen Nautilus Minerals eine Lizenz zum Abbau von Massivsulfiden in 1600 Meter Tiefe in der Bismarcksee ausgestellt; im nächsten Jahr soll es losgehen. Papua-Neuguinea darf dies, weil die potentielle Lagerstätte innerhalb seines Hoheitsgebiets liegt. So wurde es im Internationalen Seerechtsübereinkommen festgehalten.

Dort steht ebenfalls, daß die Meeresgebiete außerhalb der nationalen Souveränität das "gemeinsame Erbe der Menschheit" sind und die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA - International Seabed Authority) die Aufsicht darüber hat. Diese hat im Jahr 2000 erstmals Bestimmungen dafür erlassen, welche Kriterien eingehalten werden müssen, will ein Staat eine ihm zugewiesene Fläche am Meeresboden hinsichtlich ihres Lagerstättenpotentials, potentieller Abbaumethoden und möglicher Umweltauswirkungen erforschen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die mineralienreichen Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfide. Vor wenigen Wochen wurde der zweite Entwurf zum sogenannten Mining Code vorgestellt. Dieser regelt nicht mehr die Exploration, sondern die Exploitation, also den Abbau jener Meeresbodenschätze.

Wenn von Tiefseebergbau die Rede ist, hat man es demnach mit zwei grundsätzlich voneinander getrennten rechtlichen Rahmenbedingungen zu tun, denen für Aktivitäten innerhalb und für außerhalb nationaler Befugnisse. Um beide Arten ging es im zweiten Panel der von Brot für die Welt, Fair Oceans und Forum Umwelt & Entwicklung veranstalteten Konferenz "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung" am 8. Juni 2018 in der Landesvertretung Bremens in Berlin - passend zum "Tag der Ozeane", den die Vereinten Nationen erstmals vor zehn Jahren ausgerufen haben.


Seesterne, Fliegenfallenanemonen und andere Meeresbewohner besiedeln zusammen einen 'Baum des Lebens', so die NOAA - Foto: Bioluminescence 2009 Expedition, NOAA/OER, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Westseite der Little Bahamas Bank, Bahamas Islands, Juli 2009
Nur ein Bruchteil der Tiefsee ist erforscht. Aber sobald Menschen abtauchen, entdecken sie eine Welt fremdartig anmutender Lebewesen.
Foto: Bioluminescence 2009 Expedition, NOAA/OER, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Umweltschutzstandards haben in der Regel nicht die Funktion, wirtschaftliche Aktivitäten komplett zu unterbinden, vielmehr sollen sie diese ermöglichen. Beispielsweise Bergbau in der Tiefsee zu betreiben. So setzt sich zwar die Bundesregierung bei der ISA für strengere Umweltauflagen ein, zugleich geht es ihr aber wie anderen Staaten auch um die Sicherung von Rohstoffen für die eigene Wirtschaft - trotz vielfältiger Warnungen von Fachleuten, daß dabei enorme Zerstörungen an der größtenteils noch unerforschten Meeresumwelt unvermeidlich sein werden.

Einzelheiten zur Position der Bundesregierung zum Meeresbodenbergbau erfuhren die rund 80 Teilnehmenden des Kongresses aus erster Hand. Zunächst sprach der Biologe Hans-Peter Damian vom Umweltbundesamt unter anderem über die Verhandlungen zum Mining Code der ISA, bei denen Deutschland zwei klare Standpunkte einnehme: Gründlichkeit geht vor Geschwindigkeit, und nichts ist vereinbart, bevor nicht alles vereinbart ist. Zudem stellte Björn Oripohl vom Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur den deutschen Ansatz einer integrierten Meerespolitik vor.

Bei diesem Panel war die Zivilgesellschaft vertreten durch Kai Kaschinski [1] von Fair Oceans mit einem Bericht über "ungelöste umwelt- und entwicklungspolitische Probleme des Tiefseebergbaus in Papua-Neuguinea" und Marie-Luise Abshagen vom Forum Umwelt & Entwicklung, die "Positionen der deutschen Zivilgesellschaft zum Tiefseebergbau" erläuterte.

Wir haben ein gewisses Problem mit Entscheidungen der Internationalen Meeresbodenbehörde, brachte Hans-Peter Damian sein Unbehagen über die interne Kommunikation der in Kingston, Jamaika, ansässigen Institution zum Ausdruck. Die Observer (Beobachter) würden nur schlecht informiert, zudem sollten mehr Sitzungen öffentlich sein. Und den Fahrplan, die Regeln zum Tiefseebergbau bis 2020 zu verabschieden, hält Damian für "ziemlich ehrgeizig". Er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie das funktionieren solle. Es sei jedoch eine gewisse Tendenz zu spüren, die Bestimmungen zum Umweltschutz, so wie sie bislang erarbeitet worden sind, verabschieden zu wollen. Dabei seien manche Fragen noch völlig offen. Als Beispiele nannte er die Höhe der Sedimentabdeckung, wenn ein Kollektor in beispielsweise 4.000 Meter Meerestiefe Manganknollen eingesammelt hat und dabei eine Sedimentwolke entstanden ist. Zudem seien die meisten Arten der Meiofauna der Tiefsee gar nicht bekannt.

Letzteres bestätigte auch Björn Oripohl. Hinsichtlich des Meereslebens im Tiefseebereich bestünden "immense Wissenslücken". Wenn sich die Meere im Zuge des Klimawandels weiter erwärmten, stelle sich beispielsweise die Frage, wann Meeresströmungen aufhören zu fließen. Was bedeute so ein Vorgang für den Klimahaushalt und die globale Wärmeverteilung, fragt Oripohl, der in der Bundesregierung als Koordinator sämtlicher, auf verschiedene Ministerien verteilter meeresbezogener Aktivitäten tätig ist. Gleichlautend zu Damian erklärte er, daß Deutschland bei der ISA weitreichende Umweltregularien einbringen und diese international durchsetzen will.

Weder Kaschinski noch Abshagen gehen davon aus, daß es einen nachhaltigen Bergbau am Tiefseeboden geben kann. Beide fordern eine Nullösung. Insofern sind die beiden an diesem Tag vorgestellten Positionen, die der Bundesregierung und die der Zivilgesellschaft , unvereinbar. Indessen beweist der Kongreß, der nicht der erste seiner Art war, daß dieser Gegensatz nicht ausschließt, die eigenen Einschätzungen und Bewertungen miteinander auszutauschen.

Kaschinski berichtete von der Bismarck Ramu Group, die seit vielen Jahren versuche, in Kooperation mit anderen Organisationen in Papua-Neuguinea, den dortigen Kirchen und Verbänden sowie Netzwerken aus dem gesamten pazifischen Raum das Tiefseebergbauprojekt im Lizenzgebiet Solwara 1 von Nautilus Minerals zu verhindern. Die frühere Regierung habe dem Unternehmen eine Zusage zum Abbau von Massivsulfiden erteilt, "ohne daß es überhaupt ein Bergbaugesetz dazu gab". Auch in anderen Ländern des pazifischen Raums würden zur Zeit Gesetze zum Tiefseebergbau auf den Weg gebracht und Institutionen geschaffen, doch niemand vermag zu sagen, ob sich die Nationalstaaten dabei an die Regeln der ISA halten oder nicht. Kaschinski warnte vor der Gefahr der Inkohärenz der rechtlichen Regeln und sprach von einem "Wilden Westen des Tiefseebergbaus".


Dutzende Reiter, teils mit Pferdewagen, preschen los, Staubfahnen hinter sich zurücklassend - Foto: Wikimedia Commons / McClenny Family Picture Album

Oklahoma Land Run (zeitgenössische Fotografie, 1889)
Nach dem Startschuß in Oklahoma: Im Schutz wirtschaftlicher, rechtlicher und nicht zuletzt militärischer Gewaltmittel rauben die Invasoren das Land der ursprünglichen Bevölkerung. Auch nach dem Startschuß zum Tiefseebergbau werden sich absehbar diejenigen Invasoren ... ähm, Investoren durchsetzen und die begehrten Rohstoffe sichern, die entweder am schnellsten sind oder über die mächtigsten Gewaltmittel verfügen und anderen die Beute abjagen.
Foto: Wikimedia Commons / McClenny Family Picture Album

In Papua-Neuguinea könnte der Startschuß in den "Wilden Westen" der Tiefsee seinen Anfang nehmen. Solwara 1 umfaßt maximal 1,4 km² und gilt damit als klein verglichen mit Gebieten, in denen später einmal nicht Massivsulfide abgebaut, sondern Manganknollen vom Meeresgrund eingesammelt werden sollen. Pro Jahr und Abbaugebiet wären davon vermutlich 130 bis 200 km² betroffen. Allein solch ein Ausmaß führt die Vorstellung ad absurdum, nach der völligen Vernichtung allen Lebens auf dieser Fläche käme es nach kurzer Zeit von den Randgebieten her zu einer Neubesiedlung.

Ungeachtet seiner geringen Ausdehnung wären die Folgen des Tiefseebergbaus von Solwara 1 absehbar ebenfalls gravierend. Die Fläche liegt in einem Bereich, der als schützenswert ausgewiesen ist, und dieser wiederum in einem Ökosystem, auf dessen Unversehrtheit rund 130 Millionen Menschen angewiesen sind. In der Bismarcksee wird Kleinfischerei betrieben, und es besteht die Gefahr, daß die Menschen in Zukunft im Trüben fischen müssen. Die Behauptung, daß sich der Bergbau in einer Tiefe abspielt, in der gar nicht gefischt wird, kann insofern nicht gelten, als daß es immer auch Vertikalbewegungen in dem und durch das Wasser gibt. Beispielsweise sinkt Meeresplankton jeden Tag Hunderte von Metern, teils bis zu 1200 Meter tief ab und steigt anschließend wieder auf. Darüber hinaus entstehen an Seamounts - untermeerischen Bergrücken - teils sehr kräftige Aufwärtsströmungen, die einen Wasseraustausch aus sehr großen Tiefen bewirken können.

Die Massivsulfide entstehen aus den Ablagerungen mineralienreicher Fluide von sogenannten Schwarzen Rauchern. Diese sind Horte des Lebens, und wenngleich gesagt wird, daß beim Tiefseebergbau keine aktiven Schwarzen Raucher abgebaut werden sollen, so tummeln sich auch an den erschloschenen Schloten zahlreiche Arten.

Mit Kapital vor allem aus Rußland und Oman hat Nautilus Minerals das Projekt trotz zahlreicher Verzögerungen immer weiter vorangebracht. Die riesigen Brech- und Räumgeräte zum Abbau der Massivsulfide in der Tiefsee befinden sich bereits vor Ort, das Förderschiff wird zur Zeit auf einer chinesischen Werft gebaut. In China sollen auch die Rohstoffe angelandet und verarbeitet werden. Ihr Wert wird auf gut 600 Millionen Dollar geschätzt, was in Anbetracht der Investitionssumme nicht genug ist, um ausreichend Gewinn abzuwerfen, berichtete Kaschinski.

Ergänzend zu seiner Ebene des Einzelbeispiels von Papua-Neuguinea ging Marie-Luise Abshagen im Schlußvortrag dieses Panels zum Allgemeineren über, als sie das Positionspapier zivilgesellschaftlicher Akteure zum Tiefseebergbau vorstellte. Mit dem Titel "Nein zum Raubbau an der Tiefsee!" versehen wird darin näher ausgeführt, was von Hans-Peter Damian in der abschließenden Diskussionsrunde erklärt wurde, nämlich daß Tiefseebergbau externe Kosten verursacht. Die sollte man mit einrechnen, wenn es um die Bilanzierung des Für und Wider des Meeresbodenbergbaus geht, und daß das Projekt Solwara 1 ein seiner Meinung nach "hochzweifelhaftes Unterfangen" ist.

In dem von Abshagen präsentierten Positionspapier heißt es: "Der Abbau von Rohstoffen ist global mit großen sozialen und ökologischen Kosten verbunden, die sich nicht in den Rohstoff- und Produktpreisen wiederfinden und vor allem in den Ländern des Südens anfallen. Auch geht er häufig mit Menschenrechtsverletzungen einher."


Vier schwarze Raucher an der Spitze eines gelblichen, vermutlich sehr mineralienreichen Sockels. Das gesamte Gebilde ähnelt vier miteinander verbundenen Tropfkerzen - Foto: Pacific Ring of Fire 2004 Expedition. NOAA Office of Ocean Exploration; Dr. Bob Embley, NOAA PMEL, Chief Scientist, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Marianenbogen, Westpazifik, April 2004
Etwa neun Meter hohe, aktive "Raucher" lassen Eisen, Kupfer und Zinksulfide aus 230 Grad heißem Wasser "regnen", wodurch im Laufe der Zeit bizarre Türme entstehen. Gebilde von solcher Art sollen vor Papua-Neuguinea abgebrochen, zerkleinert und zu einem Transportschiff befördert werden.
Foto: Pacific Ring of Fire 2004 Expedition. NOAA Office of Ocean Exploration; Dr. Bob Embley, NOAA PMEL, Chief Scientist, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Zu den Forderungen des Bündnisses an die Bundesregierung gehören:

- Alle Vorhaben und politischen Initiativen zum Abbau mineralischer Ressourcen in der Tiefsee stoppen.
- Sich für eine absolute Reduktion des Rohstoffverbrauchs in Deutschland und der EU einsetzen.
- Die eigenen Explorationslizenzen ruhen lassen.
- Die Außenwirtschaftsförderung für Tiefseebergbau ausschließen.
- Sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, daß kein Tiefseebergbau in der Pazifikregion gefördert wird.
- Stärkeres Engagement bei der Ausweisung von Meeresschutzgebieten.
- Die wissenschaftliche Erforschung der Tiefsee unabhängig von wirtschaftlichen Nutzungsinteressen fördern und ausbauen.
- Verbindliche, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen gesetzlich verankern.

Sollte Deutschland diese Forderungen erfüllen, erhofft sich das Bündnis davon eine Signalwirkung an andere Staaten.

Welche dicken Bretter da noch zu bohren sind, und zwar nicht nur bei der Bundesregierung, sondern auch der Industrie, zeigte sich an einem Wortbeitrag eines Mitglieds der deutschen Deep Sea Mining Alliance (DSMA) im Publikum. Die Deep Sea Mining Alliance (DSMA) ist ein Zusammenschluß von 30 Firmen, die sich auf den Tiefseebergbau vorbereiten. Die Meeresnutzung, das sähe man doch, sei schon weit fortgeschritten. Weltweit würden 40 Prozent des Erdöls und Erdgases im Meer gefördert, es würden Fische gefangen, und auch Strom hole man aus den Meeren. Eigentlich spräche logisch kein Grund gegen Bergbau in der Tiefsee.

Wird nicht genau umgekehrt ein Schuh daraus? Müßte das Argument nicht umgedreht werden? Oder wollte jemand ernsthaft behaupten, man sollte beispielsweise all den Nuklearabfall in den Pazifik kippen, weil der Ozean seit den Atombombentests und dem Dreifach-GAU des Akw Fukushima Daiichi sowieso schon radioaktiv kontaminiert ist?

Eben weil die Meere genutzt und zahlreiche Bestände überfischt wurden, eben weil ein weltweites Korallensterben stattfindet, eben weil von einem Bergbau im Meer im Prinzip an Zerstörungen nichts anderes zu erwarten wäre als vom Bergbau an Land, eben weil nach zwei Jahrhunderten industrieller Entwicklung und der Verbrennung fossiler Energieträger die Meere in einer Geschwindigkeit versauern, daß den kalkbildenden Meeresbewohnern keine Zeit bleibt, sich anzupassen, eben weil der Meeresspiegel global immer schneller ansteigt, eben weil der Mensch als Spezies sich so ausgebreitet hat, daß ein weiteres Massenaussterben unter allen anderen Arten - inklusive den Meeresbewohnern - stattfindet, sprechen viele Gründe dafür, Bergbau in der Tiefsee unter gar keinen Umständen zuzulassen.

Die in jenem Wortbeitrag beanspruchte Logik folgt offensichtlich anderen Interessen als denen des Umweltschutzes, der Ressourcenschonung durch Nicht-Verbrauch, der Vermeidung oder Rücknahme von technologischen Entwicklungen, die wie die atomaren und fossilen Energiesysteme absehbar auf Selbstzerstörung hinauslaufen, nachdem zuvor bereits die Um- und Mitwelt ins Verhängnis gezogen wurden.


Fußnote:


[1] Ein Schattenblick-Interview mit Kai Kaschinski vom 20. Oktober 2017 zum Tiefseebergbau finden Sie hier:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0265.html


Bisher im Schattenblick zur Konferenz anläßlich des "Tags der Ozeane 2018" unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/140: Meeresnutzung - Schutzaufwände ungenügend ... (SB)
INTERVIEW/277: Meeresnutzung - Recycling und andere Auswege ...    Marie-Luise Abshagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/278: Meeresnutzung - Sofortmaßnahmen unverzichtbar ...    Friederike Sorg im Gespräch (SB)


2. Juli 2018


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