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BERICHT/145: Meeressterben - ungeahnte Wechselwirkungen ... (SB)


Beim Vortrag auf der Bühne stehend - Foto: © 2018 by Schattenblick

Prof. Dr. Andreas Oschlies
Foto: © 2018 by Schattenblick

"Diese kleinen Gebiete, die nur ein paar Prozent der globalen Fläche einnehmen, kontrollieren am Ende, wieviel Nährstoff der gesamte Ozean hat. (...) Das war in der ganzen Erdgeschichte so, und im Moment denken wir, daß sich im Ozean Sachen ganz stark verschieben, die für die biologische Produktion und letztlich auch die Kohlenstoffaufnahme maßgeblich sind. Das könnte am Ende Auswirkungen nicht nur auf unsere Fischerträge, sondern auch auf das Klima haben."
(Prof. Andreas Oschlies, 5. September 2018, Kiel)

In den letzten 50 Jahren haben die Ozeane rund zwei Prozent an Sauerstoff verloren. Bislang wird die Debatte über diesen Effekt noch im Schatten der großen Veränderungen der Weltmeere wie Überfischung, Plastikmüll, Erwärmung und Versauerung abgehandelt. Doch gibt es gute Gründe anzunehmen, daß man in Zukunft sehr viel häufiger von dem Thema hören wird. Das Problem ist komplex, denn der Sauerstoffschwund ist gleichzeitig Folge globaler Veränderungen wie auch deren Auslöser, und er ist zugleich natürlicher wie menschlicher Ursache. Das im einzelnen auseinanderzudividieren hat sich der SFB 754 vorgenommen.

Die Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) - ebenso wie die der Antragsteller der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel - einen Sonderforschungsbereich (SFB) zu dem Thema Sauerstoffschwund in den Ozeanen einzurichten, könnte sich als überaus vorausschauend erweisen. Zumal die Menschheit sowieso schon multiplen ökosystemischen Krisen, von denen keine ignoriert werden sollte, ausgesetzt ist, von der globalen Erwärmung über Artensterben bis zu Entwaldung und Desertifikation. Rund ein Jahr vor Abschluß des auf zwölf Jahre anberaumten SFB 754 "Climate-Biogeochemistry Interactions in the Tropical Ocean", z. Dt. "Klima-Biogeochemische Wechselwirkungen im Tropischen Ozean" haben die Organisatoren zu einem fünftägigen internationalen Kongreß nach Kiel und im Rahmen dessen zu einer öffentlichen Veranstaltung unter der Frage "Geht dem Ozean die Luft aus?" geladen. Der Schattenblick berichtete darüber (s.u.).

Hier nun wollen wir uns einer einzigen Frage aus der Publikumsrunde und der Antwort darauf durch einen der Podiumsteilnehmer widmen, nämlich ob sich die chemischen Prozesse im Meer insgesamt ändern, wenn der Sauerstoff fehlt, und welche Wirkungen das hat. Allein mit der Antwort auf diese Frage hätte sicherlich die gesamte Fragerunde bestritten werden können, was aber den Veranstaltungsrahmen gesprengt hätte. So also begrenzte SFB 754-Sprecher Prof. Dr. Andreas Oschlies vom GEOMAR seine Antwort auf einige grundlegende Zusammenhänge, was wir im folgenden Bericht ergänzen werden.

Wenn der Sauerstoff aus dem Meer verschwindet, verschwinden auch jene Bakterien, die Sauerstoff atmen, wohingegen andere Bakterien sich so spezialisiert haben, daß sie Nitrat atmen können. Das besteht aus einem Stickstoff (N) und drei Sauerstoffmolekülen (O₃). Die Bakterien entziehen dem Meerwasser Nitrate, einen wichtigen Nährstoff für Algen bzw. allgemein für das sogenannte Phytoplankton. Der Stickstoff wird dann entweder als N₂ oder als N₂O bzw. Distickstoffmonoxid freigesetzt, das auch unter der Bezeichnung Lachgas bekannt ist. In der Folge verändert sich nicht nur die Chemie des Meeres, sondern auch die der Erdatmosphäre, und zwar in einem vermutlich klimarelevanten Ausmaß, wie wir weiter unten ausführen werden.


Nahaufnahme einer spiraligen Alge - Foto:NOAA MESA Project

Phytoplankton - Teil unserer Lebensversicherung
Foto: NOAA MESA Project

Wenn in jenen sauerstofffreien Zonen Nährstoffe vernichtet werden und sich die marine Biologie ändert, stellt sich die Frage, "wieviel CO₂ der Ozean dann noch aufnehmen kann", so Oschlies. Denn die Algen binden einen Teil der anthropogenen CO₂-Emissionen, indem sie den Kohlenstoff in ihre Pflanzenzellen einbauen. Wenn die Algen sterben, sinkt der Kohlenstoff mit dem abgestorbenen pflanzlichen Material zum Meeresboden, wo er voraussichtlich für lange Zeit verbleibt.

Das ist ein so prägnanter Klimaeffekt, daß die Wissenschaft überprüft hat, ob man nicht das Algenwachstum künstlich anregen könnte, um das Klima zu schützen. Das heißt, um zu verhindern, daß immer mehr Treibhausgasemissionen Luft, Boden und Wasser aufheizen, dadurch der Meeresspiegel steigt, Gletscher und Eismassen schmelzen, vermehrt Wetterextreme auftreten und was der Schadensfolgen mehr sind.

Die Ergebnisse waren insofern ernüchternd, als Algen zwar künstlich gefüttert werden können - sie stehen total auf Eisen - und sich daraufhin stark vermehren, aber alles in allem der Klimaeffekt gering bliebe und die Nebenwirkungen groß wären. Unter anderem käme es zu einer Sauerstoffabnahme des Meerwassers. Man würde also versuchen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, und ob der sich Zügel anlegen läßt, ist fraglich.

Durch den Sauerstoffschwund und die Nitratveratmung durch Bakterien "entsteht eine komplett andere Chemie in diesem System", erklärte Oschlies. Das habe auch Auswirkungen auf Schwermetalle, die gelöst werden, und auch auf das Phosphat. "Der gesamte Nährstoffkreislauf wird komplett anders. Das ist ein Problem, das uns ganz stark umtreibt." Obschon die sogenannten toten Zonen, in denen kein freier Sauerstoff mehr vorliegt, nur einen sehr kleinen Teil der gesamten Ozeanfläche einnehmen, kontrollieren sie Oschlies zufolge am Ende, wieviel Nährstoff "der gesamte Ozean" hat.

Würde eine außerirdische Spezies der Erde einen Besuch abstatten und sich fragen, wer die dominante Spezies ist, so sollten wir Menschen uns besser nicht so viel darauf einbilden, daß wir Satelliten ins Weltall schießen, Elektronenwolken durch den Ringbeschleuniger jagen und den gesamten Globus nuklear verwüsten können, und aus solchen "Errungenschaften" technologischen Fortschritts schon gar nicht irgendein Anrecht ableiten, als bedeutendste Spezies des Planeten anerkannt zu werden. Die Sichtweise der Außerirdischen, sofern sie eine haben, könnte für uns enttäuschend sein. Menschen gibt es erst seit einigen Millionen, Bakterien dagegen schon schon seit Milliarden Jahren. Sie haben den Planeten im Laufe der Zeit massiv verändert und waren schon an der Entstehung der Sauerstoffatmosphäre und damit unserer eigenen Lebensvoraussetzung beteiligt. (Darüber hinaus tummeln sich bis zu zwei Kilogramm Bakterien in unserem Darm, und allein auf einem Quadratzentimeter beispielsweise der Kopfhaut existiert eine Million dieser winzigen Lebensformen.)

Ohne Bakterien könnten wir Menschen nicht existieren, umgekehrt kämen Bakterien problemlos ohne uns aus. Wenn sich die Wissenschaft Sorgen macht, daß Bakterien in einem winzigen Teil des Ozeans angefangen haben, dessen Chemie zu verändern, und sie befürchtet, daß dies Auswirkungen auf die Ozeane weltweit haben könnte, ist das nicht so hergeholt, wie es dem ersten Eindruck nach klingen mag. Bakterien dominieren den Planeten und die Menschen täten gut daran, das zu berücksichtigen und mehr darüber zu erfahren.

Außerdem geht es längst nicht allein ums Meer. Auch die Erdatmosphäre wandelt sich. Wenn die Meere weniger CO₂ absorbieren und dieses in der Atmosphäre bleibt, heizt sich die Erde weiter auf, da der Kohlenstoff die von der Erdoberfläche reflektierte, langwellige Sonneneinstrahlung aufhält. Jenes eingangs erwähnte Lachgas wiederum verhält sich ähnlich wie CO₂, nur daß es auf einen Zeitraum von 100 Jahren gerechnet etwa 298mal wirksamer die Wärmerückstrahlung aufhält. In der Atmosphärenphysik sagt man dazu, daß Lachgas über ein spezifisches Absorbtionsspektrum verfügt, durch das ein ansonsten zum Weltall hin offenes Strahlungsfenster geschlossen wird.

Die Menge an Lachgas in der Atmosphäre nimmt zu. Abgesehen von landgebundenen Quellen aus Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung entweicht auch den Ozeanen mehr Lachgas, da sich die sogenannten Sauerstoffminimumzonen ausdehnen. Eine genaue Abschätzung dieses Effekts steht noch aus. Man hat es mit einem von mehreren Rückkopplungsmechanismen des Klimawandels zu tun: Die globale Erwärmung verstärkt den Sauerstoffschwund in den Ozeanen; der Sauerstoffschwund in den Ozeanen begünstigt die Emission des Treibhausgases Lachgas und verstärkt die globale Erwärmung.

Außerdem hat Lachgas die seit dem Montrealer Protokoll von 1987 zurückgefahrene Produktion der FCKWs als wichtigsten "Ozonkiller" abgelöst. Aber die Sache ist vertrackt. So betonte Prof. Dr. Markus Rex vom AWI Potsdam (Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung) im vergangenen Jahr auf einer Physikertagung im Interview mit dem Schattenblick [1], wie wichtig es ist, das Verhalten von Ozon in der unteren Stratosphäre in den Klimamodellen zu berücksichtigen. Das helfe, zuverlässigere Aussagen über die Entwicklung des Klimawandels zu erhalten. Das Ozonloch über der Antarktis, das sich allem Anschein nach allmählich schließt, hatte dort eine Abkühlung bewirkt. Eine geschlossene Ozonschicht wirkt jedoch wie eine Heizdecke, die Antarktis könnte also in den nächsten Jahrzehnten schneller abschmelzen, als wenn das - aus anderen Gründen keinesfalls wünschenswerte - Ozonloch noch existierte.


Ausgedehnte Ansammlung blumenkohlartiger, teils zusammengewachsener Steine im flachen Wasser einer Bucht - Foto: Paul Harrison, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Bakterien als Landschaftsgestalter: Hier wachsen die Stromatoliten im Meeresschutzgebiet Hamelin Pool, Shark Bay in Western Australia, noch weiter
Foto: Paul Harrison, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Zurück zum Sauerstoffschwund in den Weltmeeren, der sich möglicherweise nicht regional begrenzen läßt. "Wir fürchten, dass diese menschengemachten, regionalen Todeszonen durch Überdüngung zusammenwachsen mit den natürlichen Sauerstoffminimumzonen, die sich durch den Klimawandel ausdehnen. Dafür gibt es bereits Anzeichen. So könnte ein Punkt erreicht werden, bei dem es für einige Fischereien zu ernsten Konsequenzen kommt." Davor warnte der Wissenschaftler Robert Diaz vom Virginia Institute of Marine Science laut einem Bericht des Deutschlandfunks [2].

Die Kieler Veranstaltung hat gezeigt, daß die Frage, ob dem Ozean die Luft ausgeht, auf Wirkzusammenhänge verweist, die von menschheitsgeschichtlicher Bedeutung sein können. Der SFB 754 hat viele neue Erkenntnisse gebracht, aber zugleich wissen Forscher wie Prof. Oschlies, daß man vieles noch gar nicht verstanden hat. Beispielsweise kann man den Sauerstoffschwund in den Ozeanen nicht vollständig erklären, es fehlt sozusagen noch mindestens ein Faktor.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht besonders intelligent, um es vorsichtig zu formulieren, noch eine weitere Ozeanbelastung potentiell globalen Ausmaßes in die Wege zu leiten, indem Bergbau am Tiefseeboden betrieben wird. Solche Pläne gibt es, entsprechende Vorbereitungen dazu sind angelaufen, eine konkrete Umsetzung könnte im kommenden Jahr in der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Papua-Neuguinea beginnen [3].


Schaubild 'Wohin geht die Erderwärmung?' mit sieben unterschiedlich großen Kreisen nebeneinander angeordnet. Ozean 93,4 %, Atmosphäre 2,3 %, Kontinente 2,1 %, Gletscher und Eiskappen 0,9 %, Arktisches Meeres-Eis 0,8 %, Grönland-Eis 0,2 %, und Antarktische Eisdecke 0,2 % - Grafik: Furfur, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en]

Die Ozeane nehmen bislang den weitaus größten Teil der globalen Erwärmung auf. Wenn sich daran etwas ändert, könnte das drastische Folgen zeitigen.
Grafik: Furfur, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en]


Fußnoten:


[1] http://schattenblick.de/infopool/natur/report/nrin0022.html

[2] https://www.deutschlandfunk.de/die-weltmeere-ringen-um-luft-todeszonen-in-den-ozeanen.740.de.html?dram:article_id=230799

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0132.html


Bisher im Schattenblick zu der Veranstaltung "Geht dem Ozean die Luft aus?" am 5. September 2018 in Kiel unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/144: Meeressterben - Mangelzonen wachsen an ... (SB)
INTERVIEW/281: Meeressterben - Die Größe eines Kontinents ...    Prof. Dr. Andreas Oschlies im Gespräch (SB)
INTERVIEW/282: Meeressterben - wir wissen genug ...    Dr. Christiane Schelten und Dr. Paul Kähler im Gespräch (SB)
INTERVIEW/283: Meeressterben - Zuwachs ökosystemischer Wandlungen ...    Dr. Helena Hauss im Gespräch (SB)


17. September 2018


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