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INTERVIEW/017: Thomas Fatheuer, freier Autor und Berater, zu Rio+20 und der Umweltentwicklung in Brasilien (SB)


Interview mit Thomas Fatheuer am 31.5.2012 in der
Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Thomas Fatheuer ist 1992 im Rahmen des Deutschen Entwicklungsdienstes nach Brasilien gekommen und hat die damalige Rio-Konferenz begleitet. Im selben Jahr hat der studierte Sozialwissenschaftler und Klassische Philologe seinen Wohnsitz in das südamerikanische Land verlegt. Bis 2010 lebte und arbeitete er in Brasilien, wo er einige Jahre lang in Rio de Janeiro das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung leitete. Diese führte am 31. Mai 2012 in Berlin eine Pressekonferenz unter dem Titel "Zahlen, Daten, Fakten zum Erdgipfel in Rio im Juni 2012: Grüne Ökonomie - Wunderwaffe oder Wolf im Schafspelz?" durch, auf der auch Thomas Fatheuer einen Vortrag hielt. Im Anschluß daran stellte sich der Referent dem Schattenblick für ein Interview zur Verfügung. [1]

Der Interviewte, am Tisch sitzend - Foto: © 2012 by Schattenblick

Thomas Fatheuer
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Welche Erwartungen haben Sie an die bevorstehende Rio-Konferenz?

Thomas Fatheuer: Ich habe die Erwartung, daß die Rio-Konferenz noch einmal ein Zeichen setzt, daß die Debatte um grundlegende Änderungen nach wie vor notwendig ist. Zwanzig Jahre nach der Rio-'92-Konferenz hat die Politik die wesentlichen Umweltprobleme dieser Welt - und das sind die wichtigsten Probleme - nicht gelöst. Das sollte sowohl in Deutschland als auch weltweit ins Bewußtsein gerückt werden. Der Klimawandel geht weiter, die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre steigt, und der Verlust der Biodiversität - um die beiden Schwerpunktthemen der Rio-Konferenz zu nennen - ist nicht gestoppt. Zudem haben wir weiterhin einen Verlust von Land, die Bodendegradation ist nicht gestoppt, die Meere werden überfischt. Ich habe jetzt nur die globalen Umweltprobleme aufgezählt. Wir sind an keiner Stelle auf einem wirklich positiven Pfad. Selbst die offiziellen Promotoren dieser Konferenz - UN-Institutionen, Weltbank, OECD - verbreiten in ihren Beiträgen zur Rio-Konferenz die unmißverständliche Botschaft: Business as usual ist keine Option. Wir müssen die Probleme fundamental angehen.

Wenn die Nachricht nochmals wieder verstärkt wird: 'Menschenskinder, paßt auf, wir sind auf einem Pfad, der so nicht fortführbar ist. Da hat sich nichts dran geändert. Es gibt keinen Grund zur Entwarnung.' Wenn das nochmal ins Bewußtsein der Bevölkerung sowohl im Norden wie im Süden gerückt würde, wäre das schon ein großer Erfolg für Rio+20.

SB: Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik, CEPAL, meldete jüngst, daß Lateinamerika im vergangenen Jahr 153,5 Milliarden US-Dollar ausländische Direktinvestitionen erhalten hat. Investiert wurde in Staudämme, Goldminen, Erdölfelder, Mobilfunkanlagen und Banken. Nährt diese ökonomische Realität nicht die Vermutung, daß auf der Rio+20 Konferenz wohl kaum mehr als Lippenbekenntnisse abgegeben werden?

TF: Die ökonomische Realität hat natürlich mit all den Dingen zu tun. Lateinamerika ist wegen der natürlichen Ressourcen stärker in die Aufmerksamkeit der Weltwirtschaft gerückt. Die Preise für Rohstoffe sind in letzter Zeit gestiegen. Ich nenne nur einige Stichworte: Venezuela - großer Erdölexporteur; Bolivien - Gas und Lithium. Plötzlich reden alle über Lithium und wissen, daß nicht nur Bolivien, sondern auch Argentinien große Lithiumvorkommen hat. Es gibt einen neuen Run auf die natürlichen Ressourcen. Da rückt Lateinamerika wieder in den Mittelpunkt.

SB: Und damit auch die Green Economy, wird doch das Lithium unter anderem für Energiespeicher in Verbindung mit sogenannten erneuerbaren Energien benötigt.

TF: Genau. Da zeigen sich keine neuen Lösungen, sondern neue Konfliktfelder. Nachhaltige, erneuerbare Energien wie unsere Sonnen- und Windenergie sind rohstoffabhängig. Wir kommen von der Rohstoffabhängigkeit nicht weg. Alle unsere bisherigen Anstrengungen haben nicht dazu geführt, den Hunger nach Rohstoffen zu stillen oder zu dämpfen. Im Gegenteil. Wir stehen vor einem neuen Rohstoffboom. Auf diesem Konfliktfeld ist Lateinamerika ein wichtiger Akteur. Außerdem rückt inzwischen immer mehr die Landfrage in den Mittelpunkt. In den letzten fünf Jahren sind die Bodenpreise weltweit massiv gestiegen. Die Wahrnehmung, daß Land knapp wird, angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und neuer Produktionsfelder für Landwirtschaft wie Agrotreibstoffe und zunehmender Fleischkonsum in der Welt - diese Gemengelage zeigt, daß wir in eine Landknappheit hineinlaufen. Deshalb sichern sich wichtige Akteure Landreserven. Gerade Brasilien, aber auch Argentinien und Chile gelten als Länder mit unglaublich großen Expansionsmöglichkeiten der Landwirtschaft.

SB: Expansionsmöglichkeiten immer mit Blick darauf, daß für die Landwirtschaft Wälder gerodet werden?

TF: Der Landhunger bezieht sich natürlich nicht nur auf Wälder. Es gibt eine wichtige Kategorie für potentielle Käufer oder Pächter von Land: Es muß pflügbar sein. Die Agroindustrie geht davon aus, daß sie dann mit allem anderen schon zurechtkommt. Wenn beispielsweise der Boden nährstoffarm ist, wird gedüngt; wenn da zu wenig Regen fällt, wird künstlich bewässert. Dazu gehören dann auch Waldflächen, insbesondere, wenn sie im Flachland liegen. So ist das ganze Amazonasgebiet ein Becken. Es handelt sich um ein riesiges, flaches Gebiet und ist damit unglaublich interessant für die Expansion der Landwirtschaft.

Man kennt diese Bilder aus dem brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso, wo riesige Flächen mit Sojaanbau entstanden sind. Das Land ist für die Agrowirtschaft höchst attraktiv. Da hat früher einmal Wald gestanden, die indigene Bevölkerung wurde größtenteils bereits vertrieben, man hat also eine freie Fläche und muß sich nicht mit Hunderttausenden Kleinbauern herumschlagen, um großflächig zu expandieren.

SB: Aber wie läßt sich das mit dem Gesetz, daß Landbesitzer in Brasilien nur 20 Prozent ihrer Waldflächen abholzen dürfen, vereinbaren?

TF: In Amazonien fand in der Vergangenheit der größte Anteil an der Abholzung illegal statt. Es gibt natürlich auch ein Potential an legaler Entwaldung, und bei Großgrundbesitzern sind 20 Prozent ja auch nicht wenig. Manchmal ist ein Teil der Fläche gar nicht landwirtschaftlich nutzbar, weil er in Flußnähe oder auf einem Hügel liegt. Oder es wird etwas Land dazugekauft, was sowieso nicht landwirtschaftlich nutzbar ist. Bei legalen Entwaldungen hat man einen Puffer, und dazu kommt eine unglaublich große Zahl von illegalen Entwaldungen. Deshalb dreht es sich bei der Debatte um das neue Waldgesetz auch sehr stark um die Frage der Amnestie. Fast alle Landbesitzer sind im Grunde genommen in der Illegalität. Was den meisten allerdings nicht viel ausmacht. Ein Landbesitzer, der illegal entwaldet, bekommt eine Strafe, er klagt dagegen, und der Fall zieht sich ewig in die Länge.

SB: Ist überhaupt schon mal irgend jemand wegen illegalen Abholzens verurteilt worden?

TF: Ja, einige Personen schon, aber die Verfahren haben sich ziemlich hingeschleppt. Brasilien hat jetzt ein neues Strafregister, darin sind die Strafen drastisch gesenkt worden, um sie eher eintreibbar zu machen. Vorher waren sie so weitreichend, daß sie zum Bankrott des Betriebes geführt hätten, wenn sie eingetrieben worden wären.

Aber die meisten interessiert es gar nicht, ob sie in der Illegalität waren. Nur wenn sie - und da zeigt sich der Zugriff des Staates - einen Kredit beantragen, dann sollen sie neuerdings nachweisen, daß die legalen Voraussetzungen erfüllt sind. Und im neuen Waldgesetz gibt es eine fünfjährige Übergangszeit, so daß sich die Waldbesitzer daran anpassen können. Aber in fünf Jahren sollen Landbesitzer nur noch einen Agrarkredit bekommen, wenn sie nachweisen, daß ihr Besitz legal ist und alle legalen Bestimmungen eingehalten werden.

SB: Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff hat vor wenigen Tagen ihr Veto gegen Teile des neuen Waldreformgesetzes eingelegt. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß das von ihr, die als Technokratin gilt, vor allem gemacht wurde, um sich für die Konferenz Rio+20 Luft zu verschaffen?

TF: Das ist ganz sicher so. Dilma Rousseff steht nicht in dem Ruf, eine große Umweltschützerin zu sein. Sie war die Mutter der brasilianischen Wachstumsbeschleunigungsprogramms; sie steht voll und ganz auf Wachstum. Sie ist, das muß man so sagen, eine absolute Wachstumsfanatikerin. In der zweiten Regierungsperiode Lulas, in der sie auch eine ganz wichtige Funktion übernommen hat, war die Beschleunigung des Wachstums das Hauptthema.

In diesem Kontext ist zu sehen, daß selbst ihr die im Waldreformgesetz vorgesehene Amnestie für Strafen wegen illegalen Abholzens zu weit ging. Sie wollte nicht, daß die Rechtsunsicherheit, die sozusagen den Rechtsbruch begünstigt, zu weit getrieben wird. Auf der anderen Seite ist sie sicherlich nicht jemand, der den Wald gegen die Interessen der Agroindustrie verteidigt.

SB: Anders als die frühere Umweltministerin Marina Silva, die zurückgetreten ist, weil sie ihre Vorstellungen von Waldschutz in der Lula-Regierung nicht durchsetzen konnte.

TF: Genau. Sie mußte sehr viele Kompromisse schließen, und irgendwann war ihr Reservoir an Kompromißbereitschaft ausgeschöpft. Außerdem hat Sie betont, daß es ihr nicht gelungen sei, die Umweltpolitik zu einer Querschnittsaufgabe zu machen. Sie ist in ihrem Zuständigkeitsbereich geblieben, konnte nur hier und da mal etwas verhindern, auch größere Projekte. Aber immer erst im zweiten Schritt. Zuerst kommt die Planung fürs Wachstum, und dann das Umweltministerium als Warner. Und nie wurde eine neue Entwicklungskonzeption entworfen, die bereits die Bewahrung der Umwelt oder überhaupt eine aktive Umweltpolitik in den Mittelpunkt gestellt hätte. Das hat sie ziemlich frustriert, zumal sie ursprünglich mit eben solchen Vorstellungen angetreten war und gebetsmühlenartig wiederholt hat: Umweltpolitik muß zu einer transversalen Politik werden, sie darf nicht in ihrem Sektor stecken bleiben. Das umzusetzen hat sie nicht geschafft.

SB: Hat das Ansehen der Lula-Regierung in der Bevölkerung unter dem Rücktritt der Umweltministerin gelitten?

TF: Wenn die Lula-Regierung überhaupt kritisiert wurde, dann wohl aus dem Lager der Ökologen, der Ecologistas, sowohl national als auch international. Die Lula-Regierung geht damit hausieren, aber sie kann teilweise auch stolz sein auf große Erfolge in der Armutsbekämpfung, auf eine aktive Sozialpolitik und eben auf eine für brasilianische Verhältnisse relativ kontinuierliche Wirtschaftsentwicklung, die nicht mehr nur den Eliten zugute gekommen ist, sondern auch den ärmsten der Armen. Man hat ein Wirtschaftswachstum, das auch soziale Effekte zeigt. Die Verhältnisse sind nicht wie früher in Lateinamerika, als nur die Eliten begünstigt wurden. Das ist neu für Brasilien.

Ebenfalls neu ist es, was die Präsidenten Evo Morales in Bolivien und Rafael Correa in Ecuador und Hugo Chavez in Venezuela machen. In all diesen Ländern sind erhebliche Erfolge in der Armutsbekämpfung zu verzeichnen. Aber eben auf Kosten einer im Grunde genommen skrupellosen Behandlung der natürlichen Ressourcen. Das ist der ökologische Preis dieses Entwicklungsmodells - nicht nur in Brasilien, aber dort eben auch.

SB: Wie beurteilen Sie den Mechanismus REDD, bei dem der Waldschutz ökonomisiert werden soll?

TF: Wenn man den Wortlaut von REDD nimmt - Reducing Emissions from Deforestation and Degradation -, dann kann man vernünftigerweise eigentlich nicht dagegen sein. Die Idee, Entwaldung zu reduzieren und damit auch die Emissionen aus der Entwaldung, halte ich zunächst einmal für ein vernünftiges Ansinnen. Die Hauptdebatten bei REDD drehen sich um die Frage der Finanzierung. Die eigentliche Attraktion von REDD bestand nach Ansicht vieler Beteiligter in der Aussicht, daß sich das Konzept über einen Marktmechanismus finanzieren könnte. Das heißt, im Rahmen internationaler Klimaabkommen würde ein neuer, globaler Emissionsmarkt nach dem Muster des europäischen Emissionsmarkts geschaffen. Und in diesen Emissionsmarkt könnten dann Waldzertifikate einbezogen werden.

Das heißt, ich betreibe eine Zementfabrik in Deutschland, könnte nur durch sehr teure Filter meine CO2-Emissionen weiter reduzieren und würde aber, anstelle der Finanzierung einer neuen Filtergeneration, Waldzertifikate kaufen und damit meine Emissionsziele erreichen. Aus der Sicht der Gründer von REDD wäre das eine geniale Lösung, weil damit Geld für den Waldschutz bereitgestellt wird, ohne daß man Entwicklungshilfegelder in Anspruch nehmen müßte. Und doch gibt es einen offensichtlichen Einwand gegen REDD von Leuten, die sich sehr stark um Klimaschutz bemühen. Denn es handelt sich hier klimapolitisch um ein Nullsummenspiel: Ich erlaube reale Emissionen und verrechne die gegen zu erwartende Emissionen. Die Reduktion von Emissionen bezieht sich also auf zukünftig zu erwartende Emissionen. Das ist klimapolitisch sehr bedenklich.

Die andere Kritik an REDD, die von vielen sozialen Bewegungen und indigenen Gruppen aus Lateinamerika vorgebracht wird, lautet, daß damit die indigenen Völker in einen Marktmechanismus mit unabsehbaren Folgen geworfen werden. Da entstehen dann neue Fragen oder Kategorien, vor denen einem gruseln kann: Was sind Carbon Rights? Wem gehört eigentlich das CO2? Offensichtlich gehört es den indigenen Völkern, so weit ist das klar, doch dürfen sie es verkaufen? Wer verkauft es?

Wenn man jetzt ins Internet geht, stößt man auf die ersten Skandalfälle. Da gibt es einen Stamm in Brasilien, die Mundurucu, dessen Häuptling hat Carbon Rights für 20 Jahre und gleich noch die Rechte des Stamms an der Biodiversität an die irische Firma Celestial Green Venture verkauft. Solche Deals tauchen jetzt auf. Es gibt ein neues Schlagwort: die Carbon Hunters. Das sind Leute, die bestimmte Völker suchen, die ...

SB: ... besonders leicht über den Tisch zu ziehen sind?

TF: Ja. Das ist eine Riesenfrage: Wer spricht für die indigenen Völker? Dürfen die individuell Kohlenstoffzertifikate verkaufen? Es kann geschehen, daß das eine indigene Volk schön viele Carbon Rights verkauft und reichlich Geld dafür erhält. Das andere Volk hat aber das Pech, daß bei ihm nicht so viele Carbon Right anfallen, bzw. die Gegend zu abgelegen für Investoren ist.

SB: Sind die Landrechte denn klar geregelt?

TF: In Brasilien insgesamt ja. Das Land nimmt dazu eine ganz gute Position ein. Aber speziell im Amazonasgebiet sieht es nicht ganz so günstig aus. Alle ganz großen indigenen Gebiete sind inzwischen legalisiert, das heißt, sie haben den legalen Prozeß der Demarkation durchlaufen. Die indigenen Völker besitzen 20 Prozent von Amazonien und haben dafür klar gesicherte Landrechte. Das ist mehr als die doppelte Größe von Frankreich.

Nun könnte man sich REDD durchaus als eine nationale Politikmaßnahme vorstellen. Die brasilianische Regierung hat einen Vorschlag unterbreitet: Wir reduzieren unsere Emissionen durch die Verlangsamung der Entwaldung um 80 auf 20 Prozent bis zum Jahr 2020. Jetzt kann man ausrechnen, wieviel CO2-Emissionen dadurch eingespart werden. Brasilien sagt, es wolle nur für 50 Prozent dieser Einsparungen einen finanziellen Ausgleich erhalten und dann jene Gelder einsetzen, um beispielsweise die indigenen Völker zu fördern, um die Demarkation zu unterstützen, um die Kontrolle des Waldschutzes zu stärken, um Gesundheitspolitik zu machen, und so weiter. Das wäre eventuell ein sinnvoller Ansatz. Aber ich glaube, REDD als Marktmechanismus könnte alptraumähnliche Züge annehmen.

SB: Ist das mit den Carbon Rights nicht eigentlich Unsinn? Denn wenn man sich überlegt, wird doch für etwas bezahlt, was eigentlich da ist, damit das nicht verändert wird, damit die anderen, die das bezahlen, genau das gleiche weitermachen können wie bisher? Es wird nichts verändert, außer daß da Geld bezahlt wird, daß alles so bleibt, wie es ist.

TF: Ursprünglich geht es bei REDD schon um die Reduzierung von Emissionen. Der Grundidee zufolge soll der Mechanismus einen Anreiz bieten für Personen, die Entwaldung betreiben, daß sie das nicht mehr machen, und das dann ökonomisch kompensieren und den Waldschutz damit rentabel machen. Daraufhin kam als eine der ersten, völlig berechtigten Kritiken: Ja, aber das ist doch dann eine Prämie für Entwalder. Wie wird denn mit denen umgegangen, die gar nicht entwalden?

Damit waren indigene Völker gemeint, die ihren Wald bislang bewahrt haben. Die wären leer ausgegangen. Es ist doch absurd, daß nur die Zerstörung von Wald ökonomisch rentabel sein sollte, nicht aber der Erhalt von Wald. Da kam das Konzept REDD+ auf, eine historische Chance, den Erhalt von Wald ökonomisch zu honorieren. REDD ist somit nicht nur Reducing Emissions, sondern auch Conservation, also Waldbewahrung. Darin steckt eine richtige Idee, die sehr viele Leute in Brasilien, einschließlich der indigenen Völker, überzeugt hat.

Wie gesagt, ich halte das Konzept als national geregelte Maßnahme sogar für möglich. Brasilien reduziert seine Emissionen und kann mit den eingesparten CO2-Emissionen die honorieren, die den Wald erhalten. Es müßte dafür aber ein klarer nationaler Rahmen geschaffen werden, es müssen die Rechte dieser Völker gesichert sein, und es dürfte nicht über einen Marktmechanismus individuell geregelt werden. Das wäre dann wirklich ein Alptraum. Wenn man die Argumente hört, die von REDD-Befürwortern vorgebracht werden, wird klar, warum das in Lateinamerika so eine Attraktivität hat. Gerade in Brasilien fühlen sich viele indigene Völker daran interessiert, weil ihnen gesagt wird, ihr bekommt Geld für das, was ihr sowieso macht.

Auf dem McPlanet.com dieses Jahres habe ich eine Veranstaltung moderiert, auf der ein brasilianisches NGO-Mitglied für REDD war, ein Indigenen-Führer aus Mexiko aber sehr stark dagegen. Die mexikanischen Indigenen sagen: REDD reduziert uns, die wir auch Feldwirtschaft und Mischwirtschaft betreiben und den Wald sehr wenig geschädigt haben, zu Waldschützern. Wir haben aber eigentlich eine ganz andere Lebensweise. Wir sind keine Leute, die sich einfach nur den Wald angucken und ihre Geister da verehren. Wir wollen Landwirtschaft betreiben, und das auf eine Weise, die den Wald in der Vergangenheit weitgehend erhalten hat. Die sehen REDD viel mehr als ein Instrument an, um sie zu gängeln und unter eine autoritäre Fuchtel zu stellen, die nicht ihrer traditionellen Lebensweise entspricht.

SB: Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Ein Bericht zur Pressekonferenz folgt in Kürze. Ein Interview mit Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, können Sie hier lesen:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0015.html

Interviewpartner sitzen übers Eck am Tisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Thomas Fatheuer im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

10. Juni 2012