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INTERVIEW/038: Down to Earth - grün, urban und Landwirtschaft (SB)


Interview mit dem Diplom-Geographen Fabian Faller auf dem 32. Weltgeographenkongreß 2012 in Köln



Wie verändern sich Regionen, wenn in ihnen immer mehr erneuerbare Energien produziert oder verwendet werden, und wie wirkt sich das wiederum auf die Beteiligten aus? Wie verändert die Biospritnutzung eine bestimmte Grenzregion von Deutschland, Luxemburg und Frankreich? Zu welchen Identifikationsprozessen kommt es dabei? Das sind einige der Fragen, die der Diplom-Geograph Fabian Faller von der Universität von Luxemburg am zweiten Tag des 32. International Geographical Congress in Köln (26.-30.8.2012) in seinem Vortrag "Energetic regionalisations as processes for the transition to renewable energies" (Energetische Regionalisierungen als Prozesse für den Übergang zu erneuerbaren Energien) angesprochen hat. [1]

Im Anschluß an die seinen und drei weitere Vorträge überspannenden Session "Transition of energy systems and green industry development: Regional and country perspectives 3" (Wandel von Energiesystemen und Entwicklung grüner Industrie: Regionale und Landesperspektiven 3) ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, mit einigen Fragen zu dem Vortrag nachzufassen.

Beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Fabian Faller
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Faller, wir haben eben Ihren Vortrag zu einem Bioenergieprojekt gehört. Könnten Sie unseren Leserinnen und Lesern daran einmal ihren Forschungsansatz erklären?

Fabian Faller: Ja, meine grundlegende Beobachtung ist zunächst einmal, daß es gerade im Bereich der erneuerbaren Energien viele politische Initiativen gibt, bei denen Energieregionen ausgewiesen und politische Programme aufgesetzt werden, die alle einen bestimmten territorialen Bezug haben. Es geht also im wesentlichen um Verwaltungsgebiete - Gemeinden, Landkreise oder ähnliches. Auf der anderen Seite haben wir die reale Ökonomie, die sich eben nicht unbedingt daran orientiert. Übrigens genausowenig wie auch die Potentiale, die sich aus der Nutzung der erneuerbaren Energien ergeben: Der Wind interessiert sich nicht, wo die Landkreisgrenze ist, auch die Potentiale für die Bioenergienutzung, die orientieren sich nicht daran, wie politische Programme oder wie Strategien von Unternehmen festgelegt werden. Mich interessiert genau diese Situation, in der wir auf der einen Seite in einer bestimmten Art und Weise Regionalisierungen durch die Politik und auf der anderen die ökonomischen Alltagsrealitäten haben.

SB: Ist es vielleicht auch eine Eigenschaft oder eine besondere Ausrichtung der Universität von Luxemburg, grenzübergreifende Fragen aufzugreifen und zu behandeln?

FF: Selbstverständlich, das Grenzüberschreitende ist für uns ein ganz fundamentaler Forschungsgegenstand, wobei grenzübergreifend nicht zwangsläufig Landesgrenzen heißen muß. Das können zum Beispiel auch Grenzen zwischen Gesellschaften oder Gesellschaftsschichten sein, oder Grenzen zwischen "Ich" und "Andere", also Identitätsfragen. Das ist ein ganz wesentlicher Kern unserer sozialwissenschaftlichen Forschungstätigkeit in Luxemburg.

SB: Sie hatten in Ihrem Vortrag den Begriff "Weltbindung" benutzt. Könnten Sie einmal erklären, was damit gemeint ist?

FF: Weltbindung ist im Prinzip, wenn jemand etwas macht und dabei über die Rahmenbedingungen seines Tuns nachdenkt. Wenn zum Beispiel ein Unternehmer eine Entscheidung für einen Liefervertrag fällt und sich dann überlegt, wie ist denn eigentlich die Welt beschaffen, wie sieht sie aus und wie binde ich die in meine Handlung zurück. Das kann auch ein Landwirt sein, der eine Biogasanlage betreibt und, da er kritisch eingestellt ist, sich überlegt, welche Rohstoffe er dafür benutzt. Es gibt ja diese Diskussion um Tank oder Teller. Und dieser Landwirt überlegt sich, ob er Mais oder vielleicht den Grünschnitt aus den Nachbargemeinden für seine Biogasanlage nimmt.

SB: Haben Sie in Ihren Forschungen die Erfahrung gemacht, daß sich die Landwirte tatsächlich an ethischen Fragen orientieren und weniger an ökonomischen?

FF: Das ist zwar unterschiedlich, aber das gibt es auf jeden Fall, ja. Wir haben zum Beispiel in Luxemburg eine Gemeinde, die schon seit dreißig Jahren - der Zusammenhang ist da wohl offensichtlich - von einem grünen Bürgermeister regiert wird, der in seiner langjährigen Arbeit immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat, daß die Beschlüsse ökologisch und sozial nachhaltig getroffen werden. In speziell dieser Gemeinde konnte ich beobachten, daß der Aspekt wichtig war, weniger Mais zu verwenden, sondern zum Beispiel Mist aus der Hühnerhaltung oder auch der Rinderzucht. Man setzt bewußt nicht auf Biomasse, die flächenintensiv ist.

SB: Ich möchte noch einmal auf den Begriff Weltbindung zurückkommen. Sie haben einen deutschen Begriff in einem englischsprachigen Vortrag verwendet. Gibt es den Begriff im Englischen nicht oder wurde er dort aus dem Deutschen übernommen?

FF: Ersteres. Den Begriff gibt es im Englischen so nicht. Es gibt auch kein adäquates Äquivalent, und er wird ansonsten, glaube ich, bisher von noch nicht sehr vielen Leuten verwendet. Geprägt wurde er von dem schweizerischen Geographen Benno Werlen.

SB: Erhält das Projekt in Luxemburg, das Sie forschend begleiten, Unterstützung von der EU-Kommission, die über bestimmte Fonds solche grenzübergreifenden Projekte fördert?

FF: Das Projekt mit dem grünen Bürgermeister, das ich erwähnt hatte, hat darin seine Wurzeln. Aber natürlich greifen diese ganzen Regionalfonds der EU noch nicht seit 30 Jahren. Doch gab es zum Beispiel für die Biomasseanlage konkret Förderung seitens der EU. Die gibt es auch für andere Projekte, wobei es dabei vor allem um die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geht.

SB: "Tank oder Teller" ist eine strittige Frage, an der viele unsere Leserinnen und Leser sehr interessiert sind. Was ist Ihre persönliche Meinung dazu?

FF: Ich halte das für eine sehr zugespitzte Darstellung, wenn man sich zum Beispiel überlegt, wieviel Teller man für den Teller selber braucht. Das heißt, wieviele Nahrungsmittel in die Produktion von Fleisch zum Beispiel fließen. Da ist das ein etwas scheinheiliges Argument. Ich denke, es ist wichtig, sich zu überlegen, was für landwirtschaftliche Flächen man wie verwendet und ob man ertragreiche Böden dazu nutzt, um Mais anzubauen, den man dann verwendet, um Gas oder Benzin herzustellen. Das ist sicherlich kein guter Weg. Wenn man aber landwirtschaftlich weniger nutzbare Flächen für bestimmte Energiepflanzen verwendet, auf denen sowieso kein Getreide wächst und auch sonst keine intensive Landwirtschaft betrieben wird, dann sehe ich darin überhaupt keinen Widerspruch. Außerdem kommt über die Hälfte der Rohstoffe für Bioenergie nicht vom Acker, sondern zum Beispiel aus Restholz, Grünschnitt, Gülle oder Abfällen. Das gilt es stärker auszubauen. Ganz abgesehen davon muß man ehrlicherweise auch sagen, wenn die Leute einfach aufäßen und nicht jeden Tag alleine in der EU Hunderte von Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen würden - weltweit sind das noch viel mehr -, dann ist diese ganze Frage Tank oder Teller hinfällig. Wir müssen mit unseren Lebensmitteln intelligenter umgehen.

SB: Das ist ein gutes Schlußwort. Herzlichen Dank, Herr Faller.

FF: Ich danke auch.


Fußnoten:

[1] Der Bericht zu der Session mit Fallers Vortrag finden Sie unter UMWELT, REPORT:
BERICHT/030: Down to Earth - grüne Versprechen aus Technik und Industrie (SB)

28. September 2012