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INTERVIEW/059: Am Beispiel Glyphosat - Ackerfraß und Fruchtverluste, Prof. Hubert Weiger im Gespräch (SB)


"Wie belastet ist unser Essen wirklich? Führen uns Industrie und Behörden hinters Licht?"

Interview mit dem BUND-Vorsitzenden Prof. Dr. Hubert Weiger am 24. September 2013 in Pinneberg



Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Friends of the Earth haben in einer europaweiten Stichprobenstudie [1] festgestellt, daß der Urin von Städtern Glyphosat enthält. Wie aber gelangt dieser Wirkstoff, der in Unkrautvernichtungsmitteln wie Roundup des Agrokonzerns Monsanto enthalten ist, in den Körper? Eine naheliegende Vermutung lautet, daß Glyphosat über Nahrung (Getreide, Milch oder Fleisch) aufgenommen wird, die bereits in der Landwirtschaft kontaminiert wurde. Möglicherweise durch die Methode der Sikkation, bei der die Landwirte beispielsweise Kartoffeln, Hülsenfrüchte oder Getreide kurz vor der Ernte, wenn sie noch nicht als Lebensmittel gelten, besprühen, um die grünen Pflanzenanteile zum Austrocknen und das Agrarerzeugnis zur beschleunigten Reifung zu bringen. Als potentielle Glyphosatquelle kommen auch der private Herbizideinsatz von Stadtbewohnern oder die Unkrautbekämpfung an Bahngleisen und anderen Verkehrswegen in Frage.

Bauch einer Hochschwangeren - Foto: Free Stock Photo von Shutterstock, freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Generisch

Der Konsum einer einzigen Zigarette schadet dem Fötus, werden Schwangere gewarnt.
Warum soll dann eine permanente Belastung des wachsenden Menschen mit Glyphosat kein Problem sein?
Foto: Free Stock Photo von Shutterstock, freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Generisch

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat am 29. Juli 2013 zu der BUND-Studie Stellung genommen [2] und anerkannt, daß es "eine allgemeine Hintergrundbelastung europäischer Bürger mit Glyphosat gibt", aber zugleich betont, daß die Glyphosat-Aufnahme "um mehr als den Faktor 1000 unter gesundheitlich bedenklichen Konzentrationen" liegt.

Also alles im grünen Bereich? Nein, es bleiben Fragen: Könnte es sein, daß eine lebenslange Belastung mit niedrigen Dosen Glyphosat erst nach einigen Jahren zu erkennbaren Effekten führt, auch wenn der Wirkstoff laufend abgebaut wird? Wurde überhaupt jemals eine Langzeituntersuchung mit niedrigen Dosen durchgeführt? Wie wirkt sich Glyphosat in Verbindung mit anderen Pestiziden aus? Und vor allem: Müßten sich nicht auch Schwangere, die nach ärztlichem Rat keinen Alkohol trinken und nicht eine einzige Zigarette rauchen sollen, zum Wohlergehen ihres Kindes vor einer Dauerbelastung mit niedrigen Dosen Glyphosat schützen? Wächst (unerkannt) vor unser aller Augen eine Glyphosat-Generation heran, mit Kindern, unter denen vermehrt Allergien, Autismus, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) Fettsucht und Diabetes mellitus auftreten?

Vor knapp drei Jahren hat der Schattenblick eine 42seitige Studie mit dem Titel "Sikkation - ein Grund zu fragen" [3] veröffentlicht. Bei einer genaueren Analyse der EU-Bestimmungen über Pestizidbelastungsgrenzen von Lebensmitteln traten erschreckend krasse Lücken, Ungenauigkeiten und Widersprüche auf. Es entstand der Eindruck, daß die EU mehr Wert auf die Vereinheitlichung der nationalen Bestimmungen gelegt hat als auf den Verbraucherschutz. Anscheinend wird der Kurs bis heute beibehalten. Die bis in die Gesetzgebung hinein anzutreffende Vorstellung, die Landwirte hielten sich an die "gute fachliche Praxis" folgt in erster Linie agroökonomischen und nicht gesundheitlichen Kriterien und schließt keinesfalls die chemische Belastung eines Lebensmittels aufgrund des gesamten Konzepts an Wirk-, Bei- und Hilfsstoffen oder das Zusammenwirken verschiedener chemischer Substanzen, die womöglich jede für sich deutlich unter dem zulässigen Grenzwert bleiben, zuverlässig aus.

Am 24. September lud die BUND-Kreisgruppe Pinneberg zu einer Informationsveranstaltung unter dem Titel "Wie belastet ist unsere Essen wirklich? Führen uns Industrie und Behörden hinters Licht?" in das Pinneberger Kulturzentrum Drostei ein. Als Hauptredner wurde Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND e. V., gewonnen. [4] Im Anschluß an eine lebhafte Diskussion, die sich an dem Thema Glyphosatbelastung entzündete, beantwortete der Referent dem Schattenblick einige Fragen.

Interviewpartner, stehend, im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Dringliche Fragen - Prof. Hubert Weiger im Gespräch mit dem SB-Referenten
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der BUND und Friends of the Earth haben eine Stichprobenstudie zur Glyphosat-Belastung von 182 Stadtbewohnern in 18 europäischen Staaten durchgeführt. Werden von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit oder den hierzulande zuständigen Bundesbehörden keine eigenen Untersuchungen zu Glyphosat durchgeführt? Übernehmen die Behörden nur Studien, die von der Wirtschaft geschrieben wurden?

Prof. Hubert Weiger (HW): Im wesentlichen übernehmen sie Studien aus der Wirtschaft und bewerten sie dann. Deshalb fordern wir auch eine unabhängige Risikobewertung, die sogar über die Agrarprodukte hinaus weitergehen und die Böden einbeziehen sollte. Es darf nicht sein, daß an den Universitäten und Instituten keine unabhängige Forschung betrieben werden kann, weil sie dort immer mehr darauf angewiesen sind, Drittmittel aus der Wirtschaft einzuwerben. Und die Wirtschaft finanziert natürlich keine Forschung, die ihre eigenen Produkte schlecht aussehen läßt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Anrecht auf sichere Lebensmittel und müssen geschützt werden. Das Pestizidproblem betrifft uns doch alle!

SB: Vor rund zwei Jahren hat der französische Wissenschaftler Gilles-Éric Séralini die Ergebnisse einer Fütterungsstudie zu den Auswirkungen von genetisch modifziertem Mais auf Ratten veröffentlicht und von einer höheren Sterblichkeit der Tiere gegenüber einer Vergleichsgruppe berichtet. Wie kommt es, daß man nicht den Hinweisen nachgeht, sondern sich statt dessen auf die vermeintlichen Mängel der Untersuchung stürzt und den Wissenschaftler diffamiert, anstatt ihm dankbar für seine Bemühungen zu sein?

HW: Dahinter stecken einflußreiche Interessengruppen. Das ist wie bei der Atomenergie. So wurde festgestellt, daß Kleinkinder, die im Umkreis von fünf Kilometern um ein Atomkraftwerk herum aufwachsen, ein höheres Risiko tragen, an Krebs zu erkranken. Behauptet wird aber, es könne kein Wirkungszusammenhang zwischen Radioaktivität und entsprechenden Krankheiten festgestellt werden, obgleich diese signifikante Erhöhung nur in der Umgebung von Atomkraftwerken auftritt!

Ähnlich verhält es sich im Bereich der chemischen Noxen. Es gibt immer gewaltige wirtschaftliche Interessen, die dazu führen, daß Wissenschaftler, die zu anderen Erkenntnissen gelangen, ausgegrenzt werden, sei es, daß ihre Arbeit als unwissenschaftlich bezeichnet wird, sei es, daß methodische Schwächen in der Untersuchung aufgegriffen werden, um die gesamten Ergebnisse quasi zu ignorieren.

Wir bedauern zutiefst und kritisieren es auch, daß die Zulassungsbehörden nicht von sich aus solchen Studien, wie sie Séralini durchgeführt hat, nachgehen. Das ist der Grund, warum wir uns gesagt haben, daß wir selbst eine Untersuchung durchführen müssen, damit wir ausschließen können, daß es tatsächlich zu entsprechenden negativen Wirkungen kommt. Das verstehen wir unter Vorsorgeprinzip. Das sollten die Behörden in Zukunft viel stärker als bisher beachten, wofür sie dann mit den nötigen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden müßten.

Braune, gelbe und grüne Felder in hügeliger Landschaft - Foto: Bala, freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Generisch via Wikimedia Commons

Morbide Ästhetik - Herbizideinsatz sorgt für abwechslungsreiches Landschaftsbild mit totgespritzten Feldern. Palouse Fields, US-Bundesstaat Washington, 22. Mai 2010
Foto: Bala, freigegeben als CC-BY-SA-2.0 Generisch via Wikimedia Commons

SB: Läßt sich Ihrer Meinung nach der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft senken, ohne zugleich Ertragseinbußen zu riskieren?

HW: Bei den Maximalerträgen wird es zu einem Rückgang kommen. Das wissen wir aus einem Bereich, in dem keine Pestizide eingesetzt werden, nämlich dem ökologischen Landbau. Dort sind die Erträge geringer. Aber zugleich haben wir dort ein stabiles und nachhaltiges Niveau, und wenn die Züchtungen in den Bereichen Pflanzenvielfalt und genetische Ressourcen stärker gefördert würden, könnten wir auch das Ertragsniveau deutlich steigern. Die Forschungsförderung ist im ökologischen Landbau letztlich minimal im Vergleich mit dem, was in den konventionellen Bereich geflossen ist und weiterhin fließt.

Wir hätten also einen Rückgang der Erträge und vor allem auch einen höheren Arbeitsaufwand. Das bedeutet notwendigerweise, daß wir höhere Erzeugerpreise erhalten. Dazu muß die Verbraucherschaft bereit sein - auch in der Erkenntnis, daß der Industrialisierungsdruck anwächst, je mehr darauf bestanden wird, daß Lebensmittel nur wenig kosten dürfen. Diese scheinbar billigen Lebensmittel sind am Ende die teuersten, denn wir bezahlen sie mit Belastungen von Wasser, Boden und Luft und schließlich auch mit unserer eigenen Gesundheit.

SB: Halten Sie das Problem der Herbizidbelastung für so gravierend, daß Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern empfehlen, initiativ zu werden und zu versuchen, sich in irgendeiner Form vor der Glyphosataufnahme durch Lebensmittel zu schützen?

HW: Ich halte es für absolut gravierend. Offensichtlich gibt es Hinweise darauf, daß eine vorrangig ökologische Ernährung zu niedrigeren Belastungen führt. Das könnte der Verbraucher im Interesse seiner eigenen Gesundheit vorsorglich beachten. Gleichzeitig geht es auch um den Landbau, in dem solche Mittel nicht mehr eingesetzt werden sollten. Um die Verbraucher nicht unnötigerweise in Panikstimmung zu versetzen, ist es zwingend notwendig, daß hier der Staat handelt, entsprechende Untersuchungen durchführt und eine Minimierungsstrategie für den Einsatz von Glyphosat verfolgt. Das betrifft unter anderem das Verbot der Sikkation, so wie es in Österreich beschlossen wurde.

SB: Würden Sie mit Blick auf globale Probleme wie die Ernährungsfrage oder den Klimawandel sagen, daß wir hinsichtlich der Verwendung von Glyphosat vielleicht doch Kompromisse eingehen müssen?

HW: Nein, das müssen wir nicht. Wenn wir erstens unseren Fleischkonsum reduzieren, wenn wir ihn auf das Niveau des Verbrauchs in den Mittelmeerländern bringen, dann könnten wir auch die Tiere, die wir haben, mit der eigenen Futtergrundlage ernähren und zweitens eine Eiweiß-Futterstrategie in Europa realisieren, zu der auch das Futter für die Tiere gehört, das wir dann selbst verstärkt anbauen, anstatt es billigst zu importieren. Das wäre zudem ein Beitrag, bei dem man den Zerstörungsprozeß von Natur und Sozialstrukturen zum Beispiel in Südamerika stoppen könnte. Das ist also keine Strategie, die sich gegen diese Länder richtet, sondern eine, die auch im Interesse gerade der sozial schwächeren Menschen dort liegt. In erster Linie sind sie die Opfer des industriellen Sojaanbaus; ihnen werden die Flächen für die eigene Erzeugung von Lebensmitteln entzogen, damit möglichst billige Futtermittel zu uns gebracht werden.

SB: Die Europäische Union und die USA sind in Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen getreten. Wie bewerten Sie diese Bemühungen in Hinsicht der Umwelt- und Sozialstandards?

HB: Wir verlangen einen Stop dieser Verhandlungen. Erst müssen die Bedingungen geklärt werden, um was es geht. Es wird ja bereits eine Ausnahme für die Kultur gefordert. Und wir müssen darauf achten, daß der Handel bei aller Unterstützung nicht dazu führt, daß unsere Umwelt- und Sozialstandards kurzfristigen Kapitalinteressen beiderseits des Atlantik geopfert werden. Wir haben die Vielfalt von Kulturlandschaften zu verteidigen; wir haben Qualitäten zu verteidgen wie, daß es bei uns noch kein Hormonfleisch gibt und daß wir im Regelfall keine gentechnisch veränderten Agrarprodukte auf dem Teller haben. Das wurde auch mit Bürgerengagement durchgesetzt. Deswegen wird der Kampf gegen das sich abzeichnende Freihandelsabkommen, das nämlich genau dazu führt, daß wir diese Standards nicht mehr halten können, eine der wichtigsten Aufgaben von uns sein. Es darf nicht sein, daß die Sicherung unserer Lebensgrundlage über ein Freihandelsabkommen gefährdet wird.

SB: Herzlich Dank, Herr Prof. Weiger.

Steinerner Treppenaufgang und Eingang zur Drostei - Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Drostei - Pinneberger Kulturzentrum mit traditionsreichem Ambiente. (Das zaghafte Grün zwischen den Steinen am unteren Bildrand läßt darauf schließen, daß auf den Herbizideinsatz verzichtet werden kann.)
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/gentechnik/130612_gentechnik_bund_glyphosat_urin_analyse.pdf

[2] http://www.bfr.bund.de/cm/343/glyphosat-im-urin-werte-liegen-unterhalb-eines-gesundheitlich-bedenklichen-bereichs.pdf

[3] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umko0005.html

[4] Näheres zu der Verstanstaltung im Schattenblick unter UMWELT → REPORT → BERICHT:
BERICHT/058: Am Beispiel Glyphosat - Dammbrüche (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0058.html


6. Oktober 2013