Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/099: Treffen der Wege - gesät, begrünt, begriffen ... Bastiaan Frich im Gespräch (SB)


Die Farbe der Forschung II

Das Innovationspotenzial von Beziehungen

Symposium am 7./8. März 2014 in Berlin

Bastiaan Frich über Networking und das Anlegen von urbanen Gärten als Begegnungs- und Erlebnisraum in Basel



Die traditionelle Trennung von Stadt und Land löst sich allmählich auf, konstatierte die Soziologin Christa Müller im ersten Teil des Vortrags "Urbane Gärten und Landwirtschaft: Städtische Netzwerke des Do-it-yourself" am 8. März auf dem Symposium "Die Farbe der Forschung II" in Berlin. Im zweiten Teil berichtete der Netzwerker und Kommunikator Bastiaan Frich über einige konkrete Beispiele aus Basel, wie die Natur in die Stadt geholt wird. Die Möglichkeiten und Gelegenheiten scheinen unbegrenzt, die Projekte reichen von Einkaufswagen, die mit Erde gefüllt und bepflanzt werden, so daß sie fortan als (K)einkaufswagen dienen, bis zu einem häßlichen Hinterhof, der von seiner mächtigen Betondecke befreit und in einen Garten umgewandelt wird, in dem sich die Menschen gerne aufhalten und miteinander ins Gespräch kommen.

Mit Bastiaan Frich ins Gespräch kam auch der Schattenblick, wenngleich in einem Ambiente, in dem die Natur noch draußen gehalten wird, der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität. Im Anschluß an die Arbeitsgruppe "Bauern und ihre Ko-Produzenten: Neue Stadt-Land-Netzwerke - Innovationskonzepte, Beziehungsgeschichten, Pilotanlagen & Pionierlager", an dem Bastiaan Frich als einer der Referenten teilnahm, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Bastiaan Frich
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könntest du einmal das Projekt, das du in Basel betreust, vorstellen?

Bastiaan Frich (BF): Wir haben ein Netzwerk gegründet, das Urban Agriculture Netz Basel [1], das inzwischen etwa 40 Projekte bündelt und koordiniert. Über die Gesamtheit soll die Strahlkraft nach außen vergrößert werden, denn wir haben schnell gemerkt, daß die einzelnen Projekte für sich einen begeisterten Erlebnis- und Entfaltungsraum bieten können, daß sie aber für ihren langfristigen Erhalt und für eine weitere Potentialentfaltung die Synergien eines Netzwerkes brauchen. So ist die Strahlkraft mehr als die Summe der einzelnen Teile.

Deswegen haben wir eigentlich von Anfang an den Fokus sehr auf diese Allianzbildung oder Netzwerkbildung, man könnte auch von Beziehungsbildung oder Gemeinschaftsbildung sprechen, gelegt. Das stärkt dann einfach auch die ganze Bewegung. Mit diesen rund 40 Projekten decken wir sehr vielfältige Bereiche auf allen Stufen der Lebensmittelentstehung ab. Das geht von gemeinsam Um-das-Saatgut-Kümmern bis zum gemeinsamen Pflanzen, vom Ernten und Verarbeiten bis zum Konsumieren und Genießen. Auch das Kompostieren und die Humuspflege gehören dazu.

So sind viele Sensibilisierungsprojekte im kleineren, städtischen Bereich entstanden, in denen die Leute einfach diesen Erlebnisraum haben und das alles mit all ihren Sinnen erleben können. Sie sind so entfremdet, daß sie dadurch wieder mit sich selber und den brennenden Fragen des Lebens in Kontakt kommen. Denn es ist kein Naturgesetz, daß die Tomaten oder Erdbeeren im Dezember verpackt im Regal liegen. In den Projekten geht es dann wirklich um die Fragen, wie wir die städtische Bevölkerung komplett mit gesunden, sozial und regional produzierten Lebensmitteln versorgen können. Dazu gibt es mehrere Vertragslandwirtschaftsprojekte, sogenannte CSA-Projekte [2].

SB: Könntest du dir vorstellen, daß euer Ansatz irgendwann die Produktivität entfaltet, um den Lebensmittelbedarf der Menschen vollständig zu decken, so daß man sagen kann: Mehr braucht es nicht?

BF: Mir ist es ziemlich wichtig zu sagen, daß das nicht romantisiert und statt dessen klar gesehen wird, daß die kleinen Projekte in der Stadt nicht dazu da sind, den Lebensmittelbedarf der Teilnehmenden zu decken. Sie sind ist nur dafür da, um einen Erlebnisraum zu schaffen. Dadurch verändern die Leute auch ihren ganzen Lebensstil.

Um die städtische Bevölkerung wirklich mit Lebensmitteln zu versorgen, unter Beteiligung der umliegenden Landwirte in der Agglomeration und näheren Umgebung, also da würde ich mich jetzt zur Zeit auf keine Prognose einlassen, wieviel Fläche die Projekte dazu bräuchten oder wieviele Bauern, Betriebe oder Kooperationen benötigt werden, um eine Stadt wie Basel mit knapp 300.000 Einwohnern zu versorgen. Das ist ein sukzessiver Prozeß. Wir sind dabei, das aufzubauen, Schritt für Schritt, und integrieren natürlich auch ältere, schon bestehende Projekte in dieses Netzwerk. In der Region Basel existieren seit 30 Jahren solidarische Vertragslandwirtschaftsprojekte.

Bastiaan Frich erläutert beim Vortrag an der Tafel menschliche Beziehungen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Erlebnisraum Hör-Saal
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Inwiefern ist das Netzwerk in Basel mit dem Konzept "Neustart Schweiz" verbunden, dessen Erfinder P. M. [3] die Idee verfolgt, für bestimmte Regionen Selbstversorgung zu erreichen? Und wie weit ist sein Projekt gediehen?

BF: Mit "Neustart" wird der Ansatz einer lebendigen Beziehungsentwicklung in deiner "Nachbarschaft" verfolgt. Die Nachbarschaftsentwicklung ist modular aufgebaut, jeweils mit Bezug oder, man könnte auch sagen, in Beziehung zu einem Mikro-Agrozentrum in der Umgebung von, sagen wir, 30 Kilometern. Das heißt, man hat in dem städtischen Bereich Nachbarschaften mit etwa 500 Bewohnerinnen und Bewohnern, die haben ein Mikro-Agrozentrum als Partner, von dem eigentlich alle Lebensmittel kommen. Da von Selbstversorgung zu sprechen ist wohl heikel, weil es einfach nicht möglich ist, die gesamten Bedürfnisse in dieser Kooperation allein zu decken. Es geht dabei mehr um Resilienz, Suffizienz und Subsistenz [4].

Ein besonderer Fokus von "Neustart" richtet sich auf die Energieversorgung. "Neustart" proklamiert nicht die 2000-Watt-Gesellschaft [5] - einige unserer Projekte in Basel haben für ihren herausragenden Beitrag zur 2000-Watt-Gesellschaft Energiepreise gewonnen -, sondern die 1000-Watt-Gesellschaft.

SB: Und wie ist da zur Zeit der Stand der Dinge bei "Neustart"?

BF: Vor allem wird über die Verbreitung von Texten und der Ausgabe von kleinen Büchlein und Broschüren eine Sensibilisierung erreicht. Aber es gibt eben auch ganz konkrete Wohngenossenschaftsprojekte. In Zürich beispielsweise gibt es zwei, NeNa1 und KraftWerk1, in denen dieses Modell in die Praxis umgesetzt wird. In Basel stecken wir da noch ein bißchen mehr in den Kinderschuhen. Aber auch da gibt es eine Wohnbaugenossenschaft, die nennt sich LeNa, was für Lebendige Nachbarschaft steht. Die hat auch schon ihre Partnerorganisation auf dem Land, wo dann die Lebensmittel herkommen sollen im Rahmen einer CSA. Aber die LeNa-Genossenschaft hat noch nicht die Immobilien oder den Platz, um das Projekt zu realisieren. Im Rahmen von Neustart entstehen auch ganz viele kleine Projekte, Kunstprojekte, die wiederum eher der Sensibilisierung dienen.

SB: Vielen Dank, Bastiaan, für deine Erläuterungen.

Bildhafte Darstellung eines urbanen Mikrozentrums von 1 ha Größe und eines 20 - 50 km entfernten, 80 ha großen Agrozentrums, in dem Landwirtschaft und Viehhaltung betrieben wird und von dem aus 3 x die Woche 2 - 3 t Nahrungsmittel in die Stadt gefahren werden - Grafik: Neustart Schweiz, freigegeben als CC BY ND 3.0

Stadt-Land-Beziehung mit möglichst geringem Energie- und Ressourcenverbrauch
Grafik: Neustart Schweiz, freigegeben als CC BY ND 3.0


Fußnoten:

[1] http://urbanagriculturebasel.ch/

[2] CSA: Abkürzung für "community supported agriculture", z, Dt.: gemeinschaftlich getragene Landwirtschaft.

[3] Hinter dem Pseudonym P. M. verbirgt sich der Schweizer Autor Hans Widmer. Eine SB-Rezension seines Buchs "Neustart Schweiz - So geht es weiter" finden Sie unter:
http://schattenblick.com/infopool/buch/sachbuch/busar501.html
Informationen zur Initiative "Neustart":
http://www.neustartschweiz.ch/

[4] Resilienz: Die Fähigkeit beispielsweise eines Ökosystems, äußere Störungen abfedern zu können.
Suffizienz: Genügsamkeit, beispielsweise mit möglichst geringem Ressourcen- und Energieverbrauch auskommen.
Subsistenz: Selbständigkeit, beispielsweise bei der Versorgung mit Lebensmitteln.

[5] Die "2000-Watt-Gesellschaft" ist ein energiepolitisches Modell, das an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) entwickelt wurde und das besagt, daß jedes Erdenbewohner im Durchschnitt nicht mehr als 2000 Watt verbrauchen sollte. Das Modell wird unter anderem hier beschrieben:
http://www.2000watt.ch/


Weitere Berichte und Interviews zum Berliner Symposium "Die Farbe der Forschung II" vom 7. und 8. März 2014 finden Sie unter dem kategorischen Titel "Treffen der Wege":
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
und
http:/www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

BERICHT/067: Treffen der Wege - Ökosynaptische Knoten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0067.html

BERICHT/068: Treffen der Wege - Urknallverständigung (SB)
Gedanken zum Vortrag von Saira Mian "Am Schnittpunkt von Kommunikationstheorie, Kryptographie und Agrarökologie"
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0068.html

BERICHT/070: Treffen der Wege - Von Auflösungen auf Lösungen (SB)
Über den Vortrag von Ina Praetorius "Beziehungen leben und denken. Eine philosophische Spurensuche"
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0070.html

INTERVIEW/077: Treffen der Wege - Reform alter Werte, Ina Praetorius im Gespräch (SB)
Ina Praetorius über Beziehungen, den Wandel wörtlicher Werte und das Postpatriarchiale Durcheinander
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0077.html

INTERVIEW/078: Treffen der Wege - Das Flüstern im Walde, Florianne Koechlin im Gespräch (SB)
Florianne Koechlin über das Bewußtsein und die Würde von Pflanzen sowie über Grenzen, die der Mensch verletzt
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0078.html

INTERVIEW/088: Treffen der Wege - Ökoideologische Träume..., Biobauer Sepp Braun im Gespräch (SB)
Josef Braun über die Vernetzung von Wald, Wiese und Acker
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0088.html

INTERVIEW/089: Treffen der Wege - Kahlfraß und Kulturen, Prof. Dr. K. Jürgen Friedel im Gespräch (SB)
Professor Dr. K. Jürgen Friedel über Pflanzennährstoffmobilisierung, Nährstoffwirkung, Nährstoffmangel, Forschungsmethoden und Rudolf Steiner
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0089.html

INTERVIEW/094: Treffen der Wege - Grüne Netze aus der Hand ... Dr. Christa Müller im Gespräch (SB)
Dr. Christa Müller über die Auflösung der Grenze zwischen Kultur und Natur am Beispiel der Stadtentwicklung
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0094.html

INTERVIEW/095: Treffen der Wege - Pilze, Pflanzen, Landwirtschaft ... Prof. Andres Wiemken im Gespräch (SB)
Professor emeritus Andres Wiemken über das WWW, das Wood Wide Web, in dem Pilze und Pflanzen in Symbiose leben
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0095.html

25. April 2014