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INTERVIEW/100: Treffen der Wege - von unten nach oben ... Christoph Fischer im Gespräch (SB)


Die Farbe der Forschung II
Das Innovationspotenzial von Beziehungen

Symposium am 7./8. März 2014 in Berlin

Christoph Fischer über die Intelligenz hilfreicher Mikroorganismen und andere vernachlässigte Ressourcen des Lebens



Von Hause aus ist Christoph Fischer eigentlich gar kein Landwirt, dennoch berät er seit 20 Jahren in seiner Heimatregion die Chiemgauer Bauern erfolgreich über die Optimierung von Umfeldbedingungen, seit 15 Jahren auch über die Funktion und Nutzung von Mikroorganismen für Mensch und Umwelt. 1999 entstand daraus das sogenannte "Rosenheimer Projekt" [1], das sich seither kontinuierlich weiterentwickelt. Darin wird nach alternativen Methoden und Produkten geforscht, die in der Landwirtschaft und in Gärten zur Anwendung kommen, um dort die natürlichen Prozesse in der Natur oder die, laut Fischer, komplexen natürlichen Kreisläufe zu stärken, zu befördern oder - falls erforderlich - sogar zu heilen. Daneben gilt es, die biologische Wertigkeit der Endprodukte, die Produktivität der Betriebe und schlicht die Lebensqualität von Mensch und Tier zu steigern.

Durch das wachsende Interesse an den erfolgreichen Ergebnissen dieser praxis- und erfahrungsnahen Forschung gründete Fischer im Herbst 2004 die Interessengemeinschaft "Agrar Impulse - Neue Wege, neue Ethik in der Landwirtschaft". Hier steht der Informationsaustausch im Mittelpunkt, um eine nachhaltige Bewirtschaftung auf Feld und Beet umzusetzen. Dafür organisiert Christoph Fischer mit seinem Unternehmen landwirtschaftliche Stammtische, Feldbegehungen, Vorträge, Seminare, Betriebsbesichtigungen und Lehrfahrten. Regelmäßig werden auf der Fraueninsel zweitägige Symposien abgehalten, die sich traditionsgemäß mit den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von - wie Christoph Fischer sie nennt - "Effektiven Mikroorganismen" (EM) befassen, deren Wirkungsbereich von Haushalt, Garten, Landwirtschaft, Kompostierung, Umweltschutz, Gewässersanierung, Abwasserbehandlung, Trinkwasseraufbereitung über die menschliche und tierische Gesundheit ständig erweitert wird, und deren Einsatzmöglichkeiten, wie der Referent meinte, nur unser eigenes, beschränktes Vorstellungsvermögen Grenzen setzen würde.

Sein Wissen hat er sich durch Beobachtung, eine gesunde Neugier, gezielte Fragen sowie den steten Austausch mit Fachleuten und Bauern erworben. Auf sein Motto "Unser Wissen ist ein Schatz, der sich vermehrt, wenn wir ihn teilen" hat er wortwörtlich in ein lukratives Unternehmen gebaut, das in vielen Bereichen interessante und unkonventionelle Problemlösung mit Mikroorganismen, Kohle oder Gesteinsmineralien anbietet. Daneben initiierte er unter den Bauern eine sehr erfolgreiche politische Welle gegen Gentechnik, die selbst konservative Kräfte mit sich riß. Eine seiner wichtigsten Ressourcen zum Teilen von Wissen und seine Verbreitung, über die er auf dem Symposium "Farbe der Forschung - über das Innovationspotential von Beziehungsnetzen" referierte, sind "Bauern Stammtische". [2]

Während des Vortrags auf dem Symposium in Berlin - Foto: © 2014 by Schattenblick

Christoph Fischer
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ich kannte den Begriff "EM" bisher nicht für Mikroorganismen. Sie bezeichnen damit effektive Mikroorganismen. Was bedeutet "effektiv" in diesem Zusammenhang für Sie?

Christoph Fischer (CF): Das ist einfach eine Bezeichnung. Bei EM handelt es sich um eine sehr breite Mischung verschiedenster Mikroorganismen. Es sind ungefähr 80 verschiedene Stämme, und man folgt damit der Intelligenz der Natur. Die Mikroorganismen sind schon einige hundert Millionen Jahre länger als wir auf der Erde und haben in dieser Mischung eine ganz eigene Intelligenz entwickelt. "Effektiv" heißt dann nur, daß egal, wo wir sie einsetzen, egal wo Stoffwechselprozesse vorkommen und dadurch gefördert werden, diese Mischung sehr effektiv wirkt. Das ist nur ein Kunstgriff, um sie irgendwie zu bezeichnen.

SB: Oberflächlich betrachtet könnte man denken, Sie nutzen die Mikroorganismen für Stoffwechselprozesse, um damit Dünger oder etwas ähnliches zu erzeugen. Entspricht das vielleicht der sogenannten "Green Chemistry" oder unterscheidet sich das? Die versucht ja auch, mit Hilfe von Mikroorgnismen chemische Produkte wie Arzneimittel oder Aromastoffe vermeintlich umweltfreundlicher und energieeffizienter zu produzieren. Dabei werden allerdings Mikroorganismen genutzt, ...

CF: ... die dann dafür gentechnisch verändert wurden. Also unser Ansatz besteht eben nicht darin, vorher zu definieren, welcher Mikroorganismus was genau macht und zu überlegen, wie und wo könnten wir den dann speziell einsetzen, sondern wir arbeiten immer mit der Ganzheit, die eigentlich auch in der Natur wirkt. Und nicht wir entscheiden, wie etwas zu werden und zu wirken hat, sondern letztendlich bestimmt die Intelligenz der Mikrobengemeinschaft, wie der Prozeß läuft. Das heißt, die Mikroorganismen sind bei uns schon dahingehend selektiert, daß es sich bei allen in dieser Mischung befindlichen um regenerative, also um aufbauende Bakterien handelt, so daß wir damit die Lebensprozesse noch mehr fördern. Beispielsweise wollen wir in der Landwirtschaft degenerative Prozesse wie die Fäulnis reduzieren und aus den Betrieben herausbringen. Die Fäulnis ist ein Oxidationsprozeß, bei dem Energie verlorengeht und auch toxische oder krankmachende Stoffwechselprodukte entstehen, die nicht so förderlich sind. Wenn ich das Ganze aber mit effektiven Mikroorganismen in eine Fermentation bringe, entstehen viele nützliche, antioxidativ wirksame oder energiereiche Stoffwechselprodukte: Vitamine, Enzyme, Amminosäuren, Antioxidantien, alles lebensaufbauende Mosaiksteinchen, die man eigentlich zu fast allen Prozessen brauchen kann.

SB: Woher haben Sie diese Kenntnisse gewonnen, sind das Erfahrungswerte, die aus eigenen Beobachtungen stammen oder traditionell von Generation zu Generation überliefert wurden?

CF: Die Erfahrung hat sich in den letzten zwanzig Jahren gebildet. Mein erster persönlicher Ansatz war eigentlich nur, den Geruch von Gülle zu verbessern. Da hat es schon immer Leute gegeben, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen und sagten: 'Das hier kannst du auch noch nehmen und auch dafür ist das gut.' Diese vielfältigen Einsatzmöglichkeiten haben mich aber eigentlich dann doch zunächst eher verwirrt und abgeschreckt. Ich hab mir gedacht, daß es doch kein Mittel geben kann, das überall funktioniert. Doch seit etwa 17 Jahren beschäftige ich mich sehr intensiv mit diesem Thema und es ist tatsächlich so. Jedes Jahr war sehr spannend und hat neue Erkenntnisse gebracht. Wir finden immer wieder neue Möglichkeiten, wo man EM einsetzen kann und verstehen auch allmählich immer besser die Zusammenhänge.

SB: In welchen Bereichen außer zur Bodenverbesserung wird EM noch eingesetzt?

CF: Wir setzen es, wie gesagt, ein, um Stoffwechselprozesse zu steuern. Das funktioniert bei der Milch in der Käserei ebenso wie bei der Gülle, bei der Umsetzung von Organik jeglicher Art. Aber wir können diese Antioxidantien, die damit erzeugt werden, natürlich auch speziell nutzen, zum Beispiel bei der Reinigung. Wir stellen inzwischen sehr viele Hotels, Kindergärten, Schulen komplett auf eine Bioreinigung um und damit auch an diesen Standorten ein ganz anderes, gesünderes Umfeld her. Diese ganze Chemie, die man üblicherweise zum Reinigen benutzt, muß sonst ja erst weggeatmet werden. Und diese Belastung entsteht so gar nicht mehr. Dazu kommt, daß man mit chemischen Reinigern, die oxidativ funktionieren, jede Oberfläche angreift. Mit den EM-Reinigern baue ich die Oberflächen auf. Das ist eine Umkehrung der üblichen Verschleißprozesse. Zudem kann man die Antioxidantien, Vitamine, Enzyme, die durch Mikroorganismen erzeugt werden, ebensogut in der Kosmetik verwenden. Wir stellen auch Produkte für den kosmetischen Bereich her. Es gibt ja immer mehr Menschen, die auf Kosmetika allergisch reagieren. Also auf all diesen Gebieten gibt es Antworten.

Und wenn wir mal bei den Stoffwechselprozessen bleiben: Auf dieser Tagung geht es ja um die Vernetzung, daß wir nicht vereinzelt oder ausgeschlossen vorkommen, wir sind ein Teil dieser Natur, folgerichtig funktionieren wir also auch mit dieser Natur und mit den natürlichen Abläufen und Zusammenhängen. Das betrifft auch unsere Verdauung, die zum Beispiel durch Dinge wie Fast Food gefährdet ist, durch ultrahocherhitze, pasteurisierte und sterilisierte oder auch mit Antibiotika verunreinigte Nahrungsmittel. Da müssen wir eigentlich nur die empfindliche Symbiose in unserer Darmflora wieder richtig aufbauen. Auch dafür haben wir schon Produkte entwickelt. Und daran kann man sehen, daß es ein sehr, sehr breiter Bereich ist, bei dem diese Mischungen zur Anwendung kommen.

SB: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, beziehen Sie die Mikroorganismen, die Sie einsetzen, aus Ihrem Betrieb, also Ihrer eigenen Gülle?

CF: Nein, die Mikroorganismen kommen aus Lebensmittellabors, werden dort als Einzelprodukte eingekauft und dann nacheinander zusammengemischt.

SB: Na, das beruhigt mich dann, ehrlich gesagt, schon ein wenig.

CF: Eine spannende Erkenntnis dabei ist, daß die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, mindestens ebenso vielfältig sind, wie diese Anwendungen. Und wenn die sich dann begegnen und sich in die Augen schauen, dann merkt man auch, daß über diese Brücke von Mensch zu Mensch die Lebensprozesse viel schneller und effektiver vernetzt sind und wie Gemeinsames und Ähnliches in unterschiedlichsten Bereichen zusammenspielt oder miteinander zu tun hat. Und so finden auch die Menschen zusammen.

SB: Sie sprachen ja in Ihrem Vortrag auch schwerpunktmäßig über den Informationsaustausch durch Bauern Stammtische und darüber, was man mit dieser Art von Vernetzung in der Landwirtschaft bewirken kann. Und Sie informieren auch die Menschen in der Umgebung über Ihre Arbeit und Ihre Erkenntnisse. Liegt Ihnen das Zusammenfinden, also die Gemeinschaft und das Gespräch mit anderen Menschen, dabei besonders am Herzen?

CF: Ja, mir geht es auch darum, ein Verständnis für das, was wir tun, zu schaffen. Wenn Bauern über viele Jahre mit mir arbeiten und wenn man bedenkt, daß wir beispielsweise Tierarztkosten von über 80 Euro auf 6 Euro senken konnten, dann heißt das auch, daß diese Landwirte hochwertigere Produkte herstellen. Aber was hilft es dem Bauern, der diese Milch abgibt und die Molkerei sie nur in Form von Litern, Fett und Eiweiß klassifiziert?

Etwas anderes ist es, wenn er Menschen um sich hat, die seine Arbeit wertschätzen können, die sagen: 'Ich mache das auch in meinem Garten und merke, wie das Gemüse anders und besser schmeckt.' Und die dann natürlich auch bereit sind, wenn sie einen Bauern kennenlernen, der auf diese Weise seine Kartoffeln aufzieht, mehr dafür zu bezahlen, weil sie den Mehrwert ja erkennen. Darum versuchen wir halt nicht nur mit den Landwirten zu arbeiten, sondern diese Informationen auch in der ganzen Breite den sogenannten Verbrauchern näher zu bringen. Wenn da ein gegenseitiges Verständnis entsteht, dann ist das natürlich leichter, als wenn man eine landwirtschaftliche Theorie zu den Menschen tragen müßte. Ihnen etwas in die Hand zu geben, was sie im eigenen Lebensbereich erfahren und nutzen können, macht sie wieder zu überzeugten Kunden, die wissen, was sie bekommen. Denn die sagen: 'Dafür brauche ich kein Siegel und keine Studie, die keiner versteht, denn ich bin ja selbst derjenige, der beurteilen kann, was gut ist.'

SB: Ein weiteres spannendes Projekt ist der "Chiemgauer". Was hat Sie auf die Idee gebracht, einen eigenen Tauschwert, eine eigene Währung bei sich in der Region einzuführen?

CF: Das ist nicht ganz allein auf meinem Mist gewachsen. Wir fördern seinen Umsatz nur sehr stark. Der Chiemgauer ist eigentlich ein Projekt der Waldorfschule. Die Schüler haben das in die Anwendung gebracht, die dann letztlich über eine Genossenschaft so richtig in die Breite getreten wurde. Die Idee ist, sich von der Globalisierung und von den undefinierbaren Waren- und Geldströmen abzukoppeln. Und heute kann ich mir, wenn ich Chiemgauer in der Tasche habe, egal bei welchen Kunden eine Pizza kaufen, ich kann mir Schuhe, ein Bett kaufen, ich kann zum Gärtner gehen. Wir haben über 700 Akzeptanzstellen für Chiemgauer. Wenn ich jemandem 20 Chiemgauer in die Hand drücke, dann kann ich sicher sein, daß die auf Umwegen wieder zu mir zurückkommen. Das Geld bleibt in der Region.

Ein bunter Fächer aus Geldgutscheinen, die 1 zu 1 den Geldwert des Euro besitzen, aber nur im Chiemgau ausgegeben werden können. - Grafik: by Christian Gelleri (Chiemgauer e. V.) CC-BY-SA-2.0-de, via Wikimedia Commons

Ein Taler, der immer wieder in die eigene Tasche zurückkommt: Der Chiemgauer (Regiogeld) sorgt dafür, daß die Kaufkraft in der Region bleibt.
Grafik: by Christian Gelleri (Chiemgauer e. V.) CC-BY-SA-2.0-de, via Wikimedia Commons

SB: Das ist also der Gedanke, man kauft keine importierten Produkte mehr, sondern Produkte der Region.

CF: Der Handel findet nur in der Region statt. Man hat einen Negativ-Zins, das heißt, wir haben dadurch eine sehr hohe Umlaufgeschwindigkeit. Wenn ich Euros zur Seite schaffe auf die Bank, bekomme ich Zinsen. Der Chiemgauer wird nach zwei Monaten abgewertet. Das heißt, er wird sehr viel schneller wieder ausgegeben. Wenn ich also den Chiemgauer in die eine Richtung ausgebe, dauert es deshalb nicht lange, dann kommt der von der anderen Seite wieder. Und das kann eine ganze Region beleben.

SB: Gibt es dafür eine andere Berechnungsgrundlage oder wie ist sein Tauschwert?

CF: Momentan ist er eins zu eins, also wie der Euro.

Eine Handvoll braune Komposterde, die mit Hilfe von Mikroorganismen aus Küchen- und Gartenabfällen umgesetzt wurde. Für ein 'Superbokashi' braucht man Kohlestaub, der den 'Dreck' deutlich dunkler färben würde. - Foto: 2008 by Normanack als CC-BY-2.0 Lizenz via Wikimedia Commons

Dreck, Bokashi oder Superbokashi - für den Spezialisten nur eine Frage des Einsatzes von effektiven Mikroorganismen und Kohle.
Foto: 2008 by Normanack als CC-BY-2.0 Lizenz via Wikimedia Commons

SB: Seit Ihrem Vortrag frage ich mich, ob Sie inzwischen wissen, warum die Kohle den "Bokashi" [3], also den EM-Kompost, zum "Super-Bokashi" macht?

CF: Die Kohle ist für mich in den 20 Jahren, in denen ich mich mit nachhaltiger Landwirtschaft im Alpental beschäftige, die wohl mächtigste Entdeckung, die gemacht wurde. Das kann momentan wohl noch keiner richtig erfassen. Aber Sie müssen wissen, daß wir dort im Voralpenland, in dem Grünlandgürtel, sehr viel Viehwirtschaft haben. Wir haben extrem viel Gülle, aber nur zwanzig Prozent der Nährstoffe, die in der Gülle sind, kommen zurück an die Pflanze. Alles andere vergast vorher schon während der Lagerzeit und bei der Ausbringung oder wird dann weg- oder durchgeschwemmt. Das heißt, wir haben auf der einen Seite einen achtzigprozentigen Verlust für den Landwirt, aber auf der anderen Seite eine eins zu eins Belastung für die Umwelt. Und wir haben auch in vielen anderen Regionen mit intensiver Viehwirtschaft, wie im Oldenburger Raum, keine vernünftigen Lösungen für diese Probleme. Mit der Kohle sind wir nun in der Lage, die Nährstoffe in der Gülle oder im Mist zu fixieren. Die sind dann nicht mehr flüchtig und können auch nicht mehr ausgewaschen werden, sondern sind erst einmal fixiert und werden über einem von der Natur ausgedachten und ausgeklügelten System von der Pflanze über Wurzelausscheidungen wieder gelöst und abgerufen. Und solange die Nährstoffe nicht benötigt werden, bleiben die einfach im Depot und gehen nicht verloren und machen keinen Schaden. Deshalb ist das ein riesiges Potential, wir müssen nur Wege finden, wie wir das kommunizieren können, weil sich einfach niemand vorstellen kann, welche Möglichkeiten darinnen stecken.

SB: Das greift in meine nächste Frage: Wo fängt für Sie die Nachhaltigkeit an? Ihr Schlußwort war: "Die Erde haben wir nur von unseren Kindern gepachtet". Wo fängt das bei Ihnen an, beim Anbau, beim Zusammenarbeiten mit anderen Menschen ...

CF: Die Nachhaltigkeit zieht sich durch unser ganzes Leben. Es ist einfach an der Zeit, den Blick darauf zu richten, daß wir unser Sosein, wie wir unser Leben eingerichtet haben, also unsere gesamten Systeme, nachhaltig durchdenken. Die Möglichkeiten sind vorhanden. Wir müssen sie nur nutzen. Ich bin anfangs immer von vielen Landwirten gefragt worden: "Was meinst du denn damit?"

Nachhaltigkeit heißt eigentlich nur, daß wir so wirtschaften, daß das, was wir selbst übernommen haben, hinterher vielleicht ein Stück besser geworden ist, wenn wir es an die nächste Generation weitergeben. Das heißt, daß wir unsere Wirtschaftsweise, unsere Kreisläufe so optimieren, daß das Ganze besser wird. So wie die Natur vor unserer Zeit ja auch gearbeitet hat. Die heutige Ernährung beruht auf einer kleinen Schicht Humus, die den gesamten Globus umzieht. Aber dieser Humus ist in Jahrmillionen entstanden, weil die Natur ein System entwickelt hat, daß der Boden nach jeder Vegetationsperiode, nach jedem Stoffwechselprozeß, ein bißchen besser wurde. Er wurde immer ein wenig aufgebaut. Wir können natürlich jetzt, wie in den letzten 50 Jahren geschehen, rapide Humus abbauen, aber wir verschleudern dann das Kapital, das sich über Jahrtausende entwickelt hat. Also ist das eine Einbahnstraße. Nachhaltigkeit heißt für mich, unsere Wirtschaftsweise so umzugestalten, daß wir eben wieder Humus aufbauen, daß wir in unserem Konsumverhalten ein bißchen durchdachter sind und daß alles, was wir machen, so weiterentwickelt wird, daß wir sagen: "Ja, wir können diesen Planeten ohne weiteres bewohnen. Denn er wird, je länger wir da sind, immer ein bißchen besser und wir können ihn mit gutem Gewissen der nächsten Generation in die Hände legen."

SB: Welches Ihrer Projekte liegt Ihnen am meisten am Herzen?

CF: Ach, das ist schwierig zu sagen. Am meisten liegt mir wohl die Landwirtschaft am Herzen, schon vor 20 Jahren hatte ich die Motivation, die ich auch haben mußte, denn Sie müssen sich vorstellen, es bedarf einer Überwindung als Nicht-Landwirt zu Landwirten zu gehen und ihnen Tips zu geben, anders zu wirtschaften. Das hat sich sehr gut entwickelt. Und die Bewegung um die Agro-Gentechnik ist zwangsweise entstanden, weil mir klar wurde, daß uns die Agro-Gentechnik, wenn wir sie nicht stoppen, egal welch gute Projekte wir auf den Weg bringen, den Teppich unter den Füßen hervorzieht. Und drum kann ich jetzt nicht sagen, was mir wichtiger ist. Am wichtigsten ist mir einfach das Leben, daß wir so leben, daß es Spaß macht und wir die Dinge einfach bewußt steuern und uns so im Griff haben, daß das Ganze gut läuft.

SB: Das ist ein gutes Schlußwort, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1] Siehe auch:
http://www.em-chiemgau.de/php/waswirtun_rosenheimerprojekt.php

[2] Die mit 259 Fotos bebilderte Präsentation des Vortrags von Christoph Fischer "Ein bayerisches Innovations-Netzwerk: Der Bauern-Stammtisch" finden Sie hier:
http://www.zs-l.de/farbe-der-forschung/programm/

[3] Bokashi - die Variante eines Komposthaufens, der trotz Küchenabfällen nicht stinkt und in dem "effektive Mikroorganismen" zur Anwendung kommen. Die gewöhnliche Version enthält Melasse, Kleie und effektive Mikroorganismen, ein noch wesentlich besserer Kompost, der Super-Bokashi, wird durch einen weiteren Zusatz von Kohle erreicht. Warum die Kohle hier so gut wirkt, weiß allerdings niemand.
http://www.zeit.de/lebensart/essen-trinken/2011-02/bokashi-kompost-mikroorganismen


Weitere Berichte und Interviews zum Berliner Symposium "Die Farbe der Forschung II" vom 7. und 8. März 2014 finden Sie unter dem kategorischen Titel "Treffen der Wege":
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
und
http:/www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

BERICHT/067: Treffen der Wege - Ökosynaptische Knoten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0067.html

BERICHT/068: Treffen der Wege - Urknallverständigung (SB)
Gedanken zum Vortrag von Saira Mian "Am Schnittpunkt von Kommunikationstheorie, Kryptographie und Agrarökologie"
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0068.html

BERICHT/070: Treffen der Wege - Von Auflösungen auf Lösungen (SB)
Über den Vortrag von Ina Praetorius "Beziehungen leben und denken. Eine philosophische Spurensuche"
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0070.html

INTERVIEW/077: Treffen der Wege - Reform alter Werte, Ina Praetorius im Gespräch (SB)
Ina Praetorius über Beziehungen, den Wandel wörtlicher Werte und das Postpatriarchiale Durcheinander
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0077.html

INTERVIEW/078: Treffen der Wege - Das Flüstern im Walde, Florianne Koechlin im Gespräch (SB)
Florianne Koechlin über das Bewußtsein und die Würde von Pflanzen sowie über Grenzen, die der Mensch verletzt
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0078.html

INTERVIEW/088: Treffen der Wege - Ökoideologische Träume..., Biobauer Sepp Braun im Gespräch (SB)
Josef Braun über die Vernetzung von Wald, Wiese und Acker
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0088.html

INTERVIEW/089: Treffen der Wege - Kahlfraß und Kulturen, Prof. Dr. K. Jürgen Friedel im Gespräch (SB)
Professor Dr. K. Jürgen Friedel über Pflanzennährstoffmobilisierung, Nährstoffwirkung, Nährstoffmangel, Forschungsmethoden und Rudolf Steiner
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0089.html

INTERVIEW/094: Treffen der Wege - Grüne Netze aus der Hand ... Dr. Christa Müller im Gespräch (SB)
Dr. Christa Müller über die Auflösung der Grenze zwischen Kultur und Natur am Beispiel der Stadtentwicklung
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0094.html

INTERVIEW/095: Treffen der Wege - Pilze, Pflanzen, Landwirtschaft ... Prof. Andres Wiemken im Gespräch (SB)
Professor emeritus Andres Wiemken über das WWW, das Wood Wide Web, in dem Pilze und Pflanzen in Symbiose leben
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0095.html

INTERVIEW/099: Treffen der Wege - gesät, begrünt, begriffen ... Bastiaan Frich im Gespräch (SB)
Bastiaan Frich über über Networking und das Anlegen von urbanen Gärten als Begegnungs- und Erlebnisraum in Basel
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0099.html

26. April 2014