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INTERVIEW/134: Indikator Salz - Im Prinzip sicher, aber ... Dr. Johannes Michaelsen im Gespräch (SB)


SWIM
23. Salt Water Intrusion Meeting
16. bis 20. Juni 2014 im Husumhus in Husum

Dr. Johannes Michaelsen über die Hamburger Trinkwassergewinnung, technische Lösungen, ausstehende Bestandsaufnahmen und die Belastbarkeit eines störanfälligen Naturkreislaufs


Der Regen peitscht die Bäume und ein gegenüberliegendes Haus in einer typischen Einfamlienhaussiedlung, Wasser fließt auf der Straße ab. - Foto: 2003 by Tomasz Sienicki [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Klimawandel suburban - Regen satt
Hydrologen rechnen mit einer Konstanz der Grundwasserstände in der norddeutschen Region
Foto: 2003 by Tomasz Sienicki [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Bereits seit 30 Jahren registrieren Hydrologen und Klimaexperten meßbare Auswirkungen der globalen Erwärmung auch für Mitteleuropa. Die Jahresmitteltemperatur hat seit 1980 um über ein Grad Celsius zugenommen, im Winter sogar um über zwei Grad Celsius. Der Temperaturanstieg sorgt für eine Zunahme der Niederschläge, in größerem Maß im Winter als im Sommer. Bis zum Jahre 2080 wurden in Klimamodellen je nach Szenario eine weitere Zunahme der Temperatur bis 3,8 Grad Celsius errechnet. Die Niederschläge werden sich hiernach im Jahresmittel nur wenig verändern bei jedoch großen Unterschieden im Sommer und Winter. Während die Winterniederschläge gegenüber 1990 um sechs Prozent bis fast 30 Prozent zunehmen könnten, wird für den Sommer eine deutliche Abnahme der Niederschläge prognostiziert, von einigen Modellen sogar um ein Drittel. Überschwemmungen auf der einen wie Dürre und Trockenheit auf der anderen Seite wären die unmittelbaren Folgen.

Keine Frage, daß davon auch Prozesse wie die Grundwasserspeisung vor allem in der kontinentalen Klimazone [1] betroffen sind. In Deutschland ist diese Tendenz in trockenen Regionen wie Brandenburg bereits spürbar, das schon jetzt rückläufige Niederschlagsmengen im Sommer aufweist sowie einen relevanten Rückgang bei der Grundwasserneubildung.

Laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenabschätzung würden bei einem Temperaturanstieg von "nur" 2,0 bis 2,3 Grad Celsius bis 2050 in Brandenburg die ohnehin geringeren Niederschläge auf ein Niveau unter 450 mm im Jahr weiter fallen (Der jährliche Niederschlag in ganz Deutschland wird im Vergleich dazu mit durchschnittlich 700 mm angegeben; auf der Weltrangliste der niederschlagsreichsten Länder ist das nur Platz 112.). Gleichzeitig rechnet man mit einer wesentlich höheren Verdunstung Sommer wie Winter, so daß die heute schon negative, klimatische Wasserbilanz (mehr Verdunstung als Niederschlag) von -25 mm auf -124 mm zurückgehen wird. Die Sickerwasserbildung und damit auch die Grundwasserneubildung würden auf diese Weise um die Hälfte dramatisch zurückgehen, der Wasserspiegel in Seen und Flüssen absinken und der Boden austrocknen. [2]

In der ozeanischen Klimazone, zu der auch das nordwestdeutsche Flachland gehört, fallen die Auswirkungen der klimatischen Erwärmung durch den maritimen Einfluß ganz anders aus. Schwer abzuschätzen und somit ungeklärt ist dabei, ob die hier zu erwartende Zunahme extremer Wettersituationen, insbesondere Starkniederschläge, nicht über Bodenerosion oder andere unvorhersagbare Veränderungen ebenfalls einen negativen Einfluß auf die Grundwasserbildung hat oder die Lösung unerwünschter Stoffe und ihren Eintrag in diese wichtigen Ressourcen befördert.

Hydrologen rechnen eigentlich mit einer Konstanz der Grundwasserstände in der norddeutschen Region, würden selbst einen Anstieg nicht ausschließen, wenn es nicht die wenig kalkulierbare Gefahr der Versalzung, der Salzwasserintrusion, gäbe.

Nur noch die Hausdächer ragen im Überflutungsgebiet aus dem Wasser heraus, das Salzwasser versalzt die Böden sowie Bäche, Flüsse und Teiche oder Seen und sickert durch die Böden bis ins Grundwasser vor. - Foto: by Gerhard Pietsch [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Sturmflut 1962 in Wilhelmsburg
Salzwasser kann auch durch Extremwetterereignisse vordringen und Küstengewässer und Grundwasser versalzen.
Foto: by Gerhard Pietsch [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Auch bei der Hamburger Trinkwasserversorgung gibt es einige Problembereiche. Derzeit gibt es etwa 350 Brunnen. Neben Schadstoffen und Altlasten im Grundwasser, die die Trinkwassernutzung einschränken und für die an einigen Stellen aufwendige Sanierungsarbeiten im Gange sind, mußten einige Brunnen wie das Wasserwerk in Wilhelmsburg in den vergangenen Jahrzehnten wegen Versalzung aufgegeben werden. Eine Entsalzung sei zwar möglich, koste aber sehr viel Geld, schätzungsweise eine halbe Million pro Brunnen, meinte Dr. Johannes Michaelsen, einer der Organisatoren des 23. SWIM Salt Water Intrusion Meeting, das vom 16. bis 20. Juni 2014 in Husum stattfand. [3] Man könne nur im Vorfeld durch ständige Kontrolle der Entnahmemengen und durch Qualitätsprüfungen sowie durch rechtzeitiges Einschreiten dieser Gefahr begegnen.

Von sechzehn Wasserwerken, erläuterte der Mitarbeiter von "Consulaqua" weiter, würden daher sieben (z.B. Bergedorf, Billbrook-Billstedt, Curslack) ständig auf ihren Salzgehalt überwacht. Mehr als 250 Milligramm gemessenes Chlorid [4] macht Wasser, unser wichtigstes Lebensmittel, unschmackhaft und ungeeignet für die Trinkwasserversorgung (WHO 2011).

Obwohl im Bereich der Hamburger Haushalte der Wasserbedarf seit Ende der 1970er Jahre um rund ein Drittel zurückgegangen ist (ein Umstand, der bereits zu dem widersprüchlichen Appell geführt hat, mehr Wasser zu verwenden, um den zunehmenden Verstopfungen in den städtischen Abwasserrohren vorzubeugen) und die Grundwasserentnahme von bis zu 172 Millionen Kubikmeter im Jahr 1976 auf 117 Millionen Kubikmeter im Jahr 2009 rückläufig ist, hat sich das, wie Hydrologen sagen, "verfügbare Grundwasserdargebot", also die nutzbare Grundwassermenge, aufgrund von Versalzungen und anderer Einträge deutlich verringert. 1986 wurde die Menge noch auf 171,5 Millionen Kubikmeter pro Jahr geschätzt, nach einer Studie 2007 beträgt das für "Hamburg Wasser" verfügbare nutzbare Grundwasserdargebot noch 137,4 Millionen Kubikmeter pro Jahr.

Geologisches Profil durch das Nordwestdeutsche Becken mit Salzstöcken - Grafik: 2006 by Hannes Grobe (UTC), redrawn from Baldschuhn, R.; Frisch, U. & Kockel, F. Geotektonischer Atlas von NW-Deutschland, 1:300 000, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), Hannover (1996). Teil 17 Geologische Schnitte 1:200 000, Tafel 3: Ostfriesland-Nordheide, Schnitt 32. (Own work) [CC-BY-SA-2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Auch von Altona bis Blankenese hat die Zechsteinzeit einen Salzdom wie die hier abgebildeten hinterlassen.
Grafik: 2006 by Hannes Grobe (UTC), redrawn from Baldschuhn, R.; Frisch, U. & Kockel, F. Geotektonischer Atlas von NW-Deutschland, 1:300 000, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), Hannover (1996). Teil 17 Geologische Schnitte 1:200 000, Tafel 3: Ostfriesland-Nordheide, Schnitt 32. (Own work) [CC-BY-SA-2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Im Untergrund von Hamburg und Umgebung liegen Salzstöcke, Hinterlassenschaften eines vor 240 Millionen Jahren eingetrockneten Flachmeers aus der Zechsteinzeit, die auch in jene Grundwassergebiete ragen, die die Hamburger Wasserwerke (bzw. "Hamburg Wasser") für die Förderung nutzen. Im Umfeld dieser Salzstöcke steigt der Salzgehalt im Boden und Wasser durch Auslaugungen an. Wird viel Wasser aus einem Brunnen entnommen, kann das die Strömungsrichtung beeinflussen und Salzwasser in den Bereich des geförderten Grundwassers ziehen. Der Brunnen wird dadurch unbrauchbar, weil das spezifisch schwerere Salzwasser nur sehr aufwendig entfernt werden kann. Die Wasserwirtschaft in Hamburg ist daher ein heikles und teilweise auch umkämpftes Terrain. Um den Wasserbedarf der Zweimillionen-Metropole zu bedienen, muß Hamburg auch Wasserressourcen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen (Landkreis Harburg) anzapfen, das laut dem Niedersächsischen Umweltministerium in ausreichender Menge zur Verfügung steht. [5] Umweltschützer in der Heide befürchten dagegen seit über 30 Jahren, daß eine stärkere Nutzung des Reservoirs durch das Wasserwerk Nordheide die Austrocknung und Wüstenbildung des Naturschutzgebiets zur Folge haben wird.

Dr. Johannes Michaelsen, der sich im Anschluß an das Pressegespräch noch bereit fand, die Situation in Hamburg zu erläutern, hält die meisten Probleme mit entsprechender Ingenieurstechnik und einer klugen Bewirtschaftung für beherrschbar, doch es gibt auch zahlreiche Unbekannte in dem störanfälligen System Natur ...

Johannes Michaelsen während seiner Begrüßungsrede auf der SWIM 23 im Husumhus - Foto: © 2014 by Schattenblick

Wir brauchen als erstes eine flächendeckende Bestandsaufnahme der Salz-/Süßwassergrenze für die norddeutsche Küste.
Dr. Johannes Michaelsen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wurden zum erwarteten Meeresspiegelanstieg im Zuge der globalen Erwärmung - es sind ja bis zu fünfzig Zentimeter in der Diskussion - eigentlich schon Modelle entwickelt, wie sich das im Einzelnen auf die Salzwasserintrusions-Problematik auswirken würde?

Dr. Johannes Michaelsen (JM): Ja, die stehen auch in dem Weltklimabericht, aber gerade hier im Rahmen von SWIM 23 versuchen wir die Vernetzung der einzelnen regionalen Gruppen, die davon betroffen sein werden, zu fördern wie die Niederlande und Deutschland, genauer die Nordseeküste, Friesland, und ebenso den Informationsaustausch innerhalb der deutschen Bundesländer.

Wenn ich noch einmal einen Schritt zurückgehen darf: Wir brauchen als erstes eine Gesamt-Bestandsaufnahme der Salz-/Süßwassergrenze für die norddeutsche Küste. Das heißt eben nicht, daß nur jeweils der lokale Wasserversorger die Süßwassergrenze in seinem Bereich kennt, mit entsprechenden Lücken dazwischen, wo sich keine Wasserversorger befinden und kein Wasser gefördert wird, sondern wir müssen die Gesamtverteilung für das gesamte Gebiet ermitteln. Dafür haben bereits einzelne Länder Programme aufgestellt, aber die Daten dazu wurden bisher noch nicht veröffentlicht. Es existiert bisher keine wirkliche Beschreibung, wie sich die Situation an den deutschen Küsten darstellt. Das wäre das erste, was wir brauchen. Dann können wir auch über Projektionen und Prognosen sprechen, die es zwar lokal gibt, aber eben nicht für den Gesamtprozeß.

Dieser ist jedoch nicht lokal begrenzt, sondern ein äußerst komplexer Vorgang. In der ersten Session dieser Tagung wird es daher um die Modelle gehen, die Kollegen aus aller Welt benutzen, um solche Projektionen darzustellen. Dabei handelt es sich zum einen um Fallstudien, zum anderen um die Modellierungspraxis, also welche Modelle für welche Aussagen oder für welche Prozeßbeschreibungen am besten geeignet sind. Hier geht es um wissenschaftliche Werkzeuge und um ihre Anwendung.

SB: Sie hatten im Pressegespräch vorhin gesagt, die Stellschrauben für eine nachhaltige Wasserbewirtschaftung heißen vor allem Überwachung der Wasserqualität und der Förderraten und das Ausweichen auf neue Brunnenstandorte. Was könnten jetzt der einzelne oder auch politische Entscheidungsträger tun, um vielleicht im allgemeinen eine "nachhaltige Entnahme" zu befördern und um im besonderen die Gefahr der Salzwasserintrusion zu minimieren?

JM: Der Mensch beeinflußt den Grundwasserstand nicht nur durch die aktive Entnahme, um den Garten zu bewässern, wenn es zu warm und zu trocken für die Pflanzen wird. Wir beeinflussen auch die Wasserneubildung direkt, indem wir zum Beispiel Flächen versiegeln und dann das Wasser über die Kanalisation abführen. Da kann man aktiv etwas tun, indem beispielsweise in einem Gebiet, das durch Salzwasser-Intrusion gefährdet ist, eine erhöhte Infiltration zugelassen wird, unter Umständen durch aktive Maßnahmen, indem man die Forstwirtschaft in der Region fördert. Ein schon erwachsener Wald bietet nämlich unter bestimmten Bedingungen wesentlich mehr Grundwasserneubildung als eine landwirtschaftliche Nutzfläche.

Dicht verfugte Steinplatten lassen den Regen nicht einsickern - Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Mensch behindert die Wasserneubildung, indem er Flächen versiegelt ...
Foto: © 2013 by Schattenblick

Regenwasser fließt in den Gulli ab. - Foto: © 2014 by Schattenblick

... und dann das Regenwasser über die Kanalisation abführt.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Darüber hinaus könnten urbane Bauvorhaben die notwendige Infiltration berücksichtigen, indem man Bodenversiegelungen vermeidet oder sogar aufbricht, sprich einen Parkplatz so baut, daß er das Wasser nicht oberflächlich ableitet und es in der Kanalisation verschwindet, sondern durch Art der Verarbeitung oder durch die Verwendung bestimmter, durchlässiger Steine erlaubt, daß ein wesentlicher Teil des Infiltrationswassers zur Grundwasser- oder Süßwasserneubildung beitragen kann.

Sehr aktive Maßnahmen und regional durchaus zielführend wäre es, wassersparende Technik im Haushalt oder im Gewerbe anzuwenden. Denn die Wassermenge, die man fördert, hängt ja exakt von dem Verbrauch ab. Fördermenge und Verbrauch müssen deckungsgleich sein. Wenn also der Verbrauch sinkt, dann kann man auch die Förderung zurücknehmen, was man in den Wasserwerken lokal jeweils entscheiden muß und kann. Dafür gibt es aktive Maßnahmenkataloge und einige neue Maßnahmen sollen auf der Tagung auch noch vorgestellt werden. Da bin ich persönlich auf den Beitrag aus den Niederlanden sehr gespannt. Was kann zum Beispiel eine künstlich aufgeschüttete Düne zur Wasserneubildung beitragen? Bringt sie uns weitere Grundwasser-, beziehungsweise Süßwasserressourcen? Ich bin ganz gespannt, was da für Erfahrungen gemacht wurden.

SB: Herr Michaelsen, Sie arbeiten für das Unternehmen "Consulaqua", das sich insbesondere mit speziellen Problemen in der Wasserversorgung, Abwasserwirtschaft, Ressourcen-Management und -Organisationsentwicklung in Hamburg befaßt. Warum wurde dieser Bereich vom Wasserversorgungsunternehmen "Hamburg Wasser" ausgeklammert?

Dr. Johannes Michaelsen (JM): Nein ausgeklammert kann man das nicht nennen. Wir sind Teil der Unternehmensgruppe "Hamburg Wasser", die sich insgesamt aus vielen verschiedenen Institutionen und Unternehmen zusammensetzt. Und im Prinzip sind wir tatsächlich einmal gegründet worden, um das Know-how von Deutschlands ältestem kommunalen Wasserversorger, das sich im Laufe seines Betriebs - auch in Richtung und in Hinblick Grundwasserversalzung - angesammelt hat, anderen zur Verfügung zu stellen. Das war die Intention bei der Gründung der "Consulaqua".

SB: Wenn man sich die Wasserversorgung in Hamburg mal als Beispiel ansieht, müssen dort 17 Wasserwerke in Hamburg und Umgebung täglich 250 bis 400 Millionen Liter Wasser bereitstellen, um zwei Millionen Menschen mit Wasser zu versorgen. Wenn man nun die tägliche Fördermenge der Wasserwerke zusammenzählt, kommt man gar nicht auf 400 Millionen Liter. Wenn jetzt auch noch einzelne Brunnen geschlossen werden müssen oder die Förderung aufgrund von Versalzungsgefahr zurückgeschraubt werden muß, woher nimmt man es dann?

Anhand eines fiktiven Landschaftsquerschnitts werden die verschiedenen Wege der Verdunstung, der Kondensation, der Niederschläge und schließlich die Grundwasserneubildung und sein Abfluß ins Meer dargestellt - Grafik: by USGS

Von diesem Kreislauf wird nur ein Bruchteil entnommen.
Grafik: by USGS

JM: Also die Wassermenge, die hierzulande als Süßwasser zur Verfügung steht, reicht vollkommen für die Versorgung aus. Wir überwachen ja die ganzen Faktoren und messen ständig, wieviel es regnet, wieviel davon infiltriert wird, wie hoch dann die Grundwasserneubildung ist und wieviel schließlich mit dem Grundwasser abströmt. Und aus diesem Kreislauf wird nur ein Bruchteil entnommen und an anderer Stelle wieder zugeführt.

Also die Menge ist nicht das Problem, sondern das Problem ist die Konzentration von Entnahmestellen auf einen kleinen Bereich. Denn das hat einen Einfluß auf die Bewegung der Süß-/Salzwassergrenze. Es gibt kein Mengenproblem, keine Wasserknappheit hier in Norddeutschland - Gott sei Dank. Sie müssen sich ja nur mal umsehen, wenn Sie hier durch diese herrliche grüne Landschaft fahren, die wir hier haben, und die voll von Wasser ist. Wenn Wasser hier in irgendeiner Weise eine begrenzte Ressource wäre, dann könnten all diese Pflanzen gar nicht überleben.

Also noch einmal: Die Süß-/Salzwassergrenze muß beobachtet werden, denn da wir nur beschränkt in den Untergrund hineinsehen können, müssen wir sehr vorsichtig sein.

Natürlich muß auch die Förderung, also die Entnahmerate im Zusammenspiel mit der Verteilung der Entnahmeorte genau geregelt werden. Die Wasserwerke dürfen da nicht einfach von sich aus sagen, hier baue ich jetzt einen Brunnen und aus dem entnehme ich soundsoviel Wasser, sondern diese Entscheidung ist von sehr aufwendigen, behördlichen Zulassungsverfahren abhängig, die durchlaufen werden müssen und damit beginnen, daß ein Wasserwerk einen Antrag stellt und diesem ein Gutachten eines geologischen Büros beifügt. Diese Unterlagen werden von den Fachbehörden nochmal daraufhin geprüft, ob das tatsächlich plausibel ist und mit dem örtlichen Kenntnisstand übereinstimmt und dann wird im Rahmen eines solchen wasserrechtlichen Bewilligungsverfahrens eine bestimmte Menge festgelegt, die auch nicht überschritten werden darf, also auch von den unteren Wasserbehörden wiederum überwacht werden wird, um zu gewährleisten, daß Grundwasser nicht unkontrolliert entnommen wird, sondern alles legal zugeht.

SB: Wir haben mal die täglichen Grundwasser-Fördermengen der einzelnen Wasserwerke, so wie sie im Internet angegeben werden, zusammengezählt. Dabei kommt man knapp auf den Minimalbedarf von 250 Millionen Litern. Die Spitzenwerte von 400 Millionen Litern können damit nicht abgedeckt werden. Sie sagen, Wasser ist ausreichend vorhanden, wird denn noch Wasser aus anderen Quellen für die Abdeckung der Spitzenwerte hinzugezogen?

JM: Also diese Additionen kenne ich nicht. In Hamburg werden seit den 1960er Jahren ausschließlich Grundwasserressourcen für die Trinkwassergewinnung genutzt. Davor hat man auch einen Teil mit Oberflächenwasser ergänzt. Aber der Anteil des Grundwassers, der immer schon dabei war, ist im Laufe der Zeit angewachsen und seit Beginn dieses Jahrzehnts verwenden wir eben ausschließlich Grundwasser, das übrigens von hervorragender Qualität ist.

Man könnte das auch überprüfen. Jeder Brunnen, jedes Wasserwerk hat seinen eigenen Zähler, der normiert und geeicht ist und regelmäßig überprüft wird. Da können Sie hundertprozentig sicher sein, daß alles aus dem Grundwasser genommen worden ist, und diese Rechnung sollte dann auch mit dem Verbrauch übereinstimmen, denn Hamburg hat auch die geringsten Verlustraten bei der Förderung bis hin zum Verbraucher. Wir sind in dieser Richtung wirklich führend in Europa.

Die von den Behörden genehmigten Entnahmemengen für jedes Brunnenfeld sind darüber hinaus so groß, daß sie durch den normalen Bedarf gar nicht erreicht werden. Das heißt, selbst für die Spitzenwerte gibt es noch einen gewissen Puffer, der eigentlich nie angerührt wird. Es ist sogar eher die Regel, daß die Entnahmemengen deutlich darunter bleiben.

SB: Wenn man einen gewöhnlichen Kaffeefilter oder ein absorbierendes Material nimmt und damit verschmutztes Wasser filtriert, dann sind nach einer bestimmten Zeit die Poren dicht. Entweder läuft nichts mehr durch oder es bleibt weniger von den Stoffen im Filter hängen und gelangt in das Filtrat.

Wie ist das mit dem Regenwasser, das in das Grundwasser infiltriert wird? Sind hier schon Faktoren wie die Umweltverschmutzung oder auch andere Eingriffe des Menschen an dem natürlichen Wasserfilter Boden spürbar? Erschöpft sich die Filtrierleistung oder kann dieser Filter auch verstopfen?

JM: Ich verstehe, worauf Sie hinaus wollen. Zum einen muß man wissen, daß das Wasser auf seinem Weg in den Untergrund umso mehr Zeit braucht, je länger die Strecke ist, die es zurücklegen muß. Und die Förderbrunnen sind so ausgelegt, daß das Wasser, das dort gefördert wird, eine sehr lange und zeitaufwendige Strecke hinter sich gebracht hat. Sie haben das auch schon richtig beschrieben, daß der Boden als Verwitterungsschicht auf den geologischen Schichten eine sehr wertvolle Filterfunktion besitzt, die durchaus bei einer falschen Bewirtschaftung des Bodens, beim falschen Management, erschöpft wird oder sogar ganz verlorengehen kann.

Damit das nicht passiert, ist ein explizit nachhaltiges Management insbesondere in den Fassungsgebieten, in den Trinkwasserschutzgebieten, gefordert, das auch aktiv von den Wasserwerken durchgesetzt wird. Ich kenne überhaupt kein Wasserwerk, das hierfür nicht bereits in der Zusammenarbeit mit den Landnutzern aktive Schutzprogramme entworfen hat, um diese wirklich entscheidende Filterfunktion zu erhalten.

Natürlich sind uns auch Fälle bekannt, in denen diese Filterfunktion - beziehungsweise sprechen wir in diesem Zusammenhang auch von Puffersystemen - erschöpft ist. Dort läßt sich dann durchaus wieder über Strecke und Zeit eine Abfolge von sinkenden Grundwasserqualitäten beobachten. Das findet lokal statt und kann nur über entsprechende Messungen ausgemacht werden, um dafür dann Maßnahmen zu finden, mit denen man diesen Prozessen begegnen kann.

Dieses Phänomen tritt also auf, aber nie flächendeckend. Es ist regional nicht besorgniserregend, kann aber lokal durchaus zu Problemen wie einer veränderten Wasserqualität im Brunnen selbst führen. Ein Beispiel wären Eisenablagerungen, die den Brunnen so verblocken, also so abdichten, daß sie dort kein Wasser mehr fördern können. Für die Abhilfe sind dann wieder Fachleute gefragt und nachhaltiges Management.

Hier in Norddeutschland gibt es vor allem auch das Problem der Düngung. Dabei kann bei Überdüngung ein Mißverhältnis zwischen Aufnahme der Stoffe durch die Pflanze und der Lösung dieser Stoffe während der Perkolation [6] bei der Grundwasserneubildung auftreten. Auf diese Weise werden dann Inhaltsstoffe des Bodens, aber auch der Überschuß an Stickstoff mitgeschleppt, der nicht mehr in den natürlichen Puffersystemen im Boden aufgefangen werden kann, weil auch diese im Laufe der Jahrzehnte allmählich aufbrauchen und dann unwirksam werden.

Damit diese Übernutzung gar nicht erst stattfindet und die natürlichen Filtereigenschaften, die der Boden besitzt, erhalten bleiben, ist eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung unabdingbar. Das ist, glaube ich, wohl unbestritten.

SB: Gibt es abgesehen von der Übernutzung durch den Menschen auch so etwas wie natürliche Alterungserscheinungen bei den Aquiferen, also den natürlichen Grundwasseradern?

JM: Nein, das gibt es in dieser Form nicht. Wenn wir über Aquifere, Grundwasserleiter, sprechen und über ihre Veränderungen, dann sprechen wir in geologischen Zeiträumen, in denen sich Poren und Strukturen ausbilden - das augenfälligste Beispiel ist der Karstgrundwasserleiter [7] oder auch riesige Höhlensysteme. Man kennt diese Bilder. Für den Grundwasserleiter dort heißt das, er hat große Poren, die durchaus einen Meter Durchmesser haben können und die dann innerhalb der natürlichen, geologischen Veränderungen, in dem geologischen Zeitraum, die so ein Karstsystem formen und verändern, auf die Größe eines dünnen Risses zusammengeschrumpft werden. Das gleiche gilt - nur in anderer Weise - für unsere oberflächennahen Grundwasserleiter hier in Norddeutschland. Die verändern sich, aber ebenfalls in geologischen Zeiträumen.

Wenn man das also mit der Veränderung und Reifung von Böden vergleicht, dann gelten für die Alterung von Aquiferen eher geologische Zeiträume, während in Böden durchaus schnellere Prozesse stattfinden, die zu einer Veränderung führen können, die sich in irgendeiner Weise auf die Wasserqualität auswirken.

SB: Noch eine Frage, die möglicherweise auch mit Versalzung oder zumindest Schadstoffkontamination von Wasser in Verbindung steht: In Hamburg und Umgebung gibt es verschiedene sogenannte Aufsuchungsfelder für die Förderung von unkonventionellem Erdgas, die in letzter Zeit aufgrund des erwachten Interesses daran und einiger Aktivitäten, die dort stattfanden, in den Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt sind. Einige Energieunternehmen bekunden Interesse daran, diese Vorkommen irgendwann auch zu fördern, wobei eine umstrittene Technik, hydraulische Fraktionierung, Fracking, angewendet wird. Wie stehen die Wasserwerke dazu oder die Wasserversorger?

JM: Das kann ich Ihnen momentan nicht in allen Einzelheiten sagen. Es gibt aber eine ganz klare und sehr kritische öffentliche Stellungnahme der Wasserwerke gegen das Fracking-Verfahren. Ich habe sie vor ein paar Wochen auch noch in der Hand gehabt. Die Fachleute nehmen darin eine sehr ablehnende Haltung diesem Verfahren gegenüber ein. [8]

SB: Sie haben uns gerade geschildert, was für ein fragiles System der unterirdische Teil des Wasserkreislaufs darstellt. Da läßt sich schon vorstellen, daß die Erschütterungen durch die Aufsuchungen einiges durcheinanderbringen können, auch was die Bodenbeschaffenheit für die Perkolation oder die Wasserneubildung betrifft. Vor einiger Zeit hieß es, daß Erdgasbohrungen in Niedersachsen in Hamburg Flottbek als Erschütterung zu spüren waren, dort liegen Salzformationen ebenfalls nahe unter der Oberfläche. [9]

JM: Also die Technik ist, soweit ich informiert bin, sogar darauf ausgelegt, daß dadurch Porenräume geweitet und kommunizierende Porensysteme geschaffen werden sollen, die eine Kontinuität ermöglichen und dann bestimmte Förderungen von Gas oder Öl ermöglichen sollen. Das ist Sinn und Zweck der Sache.

SB: Herr Michaelsen, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Wir können nur beschränkt in den Untergrund hineinsehen ...
Dr. Johannes Michaelsen vom SWIM Organisationskomitee
Foto: © 2014 by Schattenblick


Anmerkungen:


[1] Die Kontinentale Klimazone oder Landklimazone wird meist vom Seeklima (ozeanische Klimazone) unterschieden. Sie wird durch jahreszeitlich bedingte große Temperaturschwankungen gekennzeichnet wie heiße Sommer und kalte Winter.

[2] F.-W. Gerstengarbe, F. Badeck, F. Hattermann, V. Krysanova, W. Lahmer, P. Lasch, M. Stock, F. Suckow, F. Wechsung, P. C. Werner (2003): Studie zur klimatischen Entwicklung im Land Brandenburg bis 2055 und deren Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die Forst- und Landwirtschaft sowie die Ableitung erster Perspektiven, PIK-Report 83 - auch Online abrufbar:
https://www.pik-potsdam.de/research/publications/pikreports/.files/pr83.pdf

[3] Zum 23. Salt Water Intrusion Meeting im Husumhus, SWIM 23, sind bisher in den Pools
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
unter dem kategorischen Titel "Indikator Salz" erschienen:

BERICHT/081: Indikator Salz - eingekreist und nicht geflohen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0081.html

INTERVIEW/119: Indikator Salz - Sachlicher Leisten rührt noch am meisten ... Prof. Hans von Storch im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0119.html

INTERVIEW/131: Indikator Salz - Küste, Klima, Wechselwirkung ... Broder Nommensen, Johannes Michaelsen und Helga Wiederhold im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0131.html

INTERVIEW/133: Indikator Salz - IT-gestützt ... Dr. Wolfgang Scheer im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0133.html

[4] Gemessen wird nur das Chlorid, ein Bestandteil (das Anion) des Salzes, das überwiegend aus Natriumchlorid (Kochsalz) besteht, aber auch Spuren anderer Salze wie Kaliumchlorid, Magnesium oder Calciumchlorid enthalten kann, die ebenfalls salzig schmecken.

[5] Im Landkreis Harburg weist das Niedersächsische Umweltministerium ein nutzbares Grundwasserdargebot von rund 64 Millionen Kubikmeter pro Jahr aus. Nur für rund drei Viertel dieser Menge sind Wasserrechte vergeben; die tatsächlich geförderten Grundwassermengen betragen wiederum nur knapp ein Drittel dieser Menge. Das ausgewiesene nutzbare Grundwasserdargebot ist demnach nicht ausgeschöpft.
http://www.heidjerblog.de/?page_id=82

[6] Mit Perkolation bezeichnen Wasserfachleute das Durchfließen von Wasser durch ein festes Substrat. Dabei kann es zu Herauslösung oder Fällung von Mineralien kommen. Perkolation wird auch als Sickerlaugung bezeichnet.

Gebräuchlich ist dieser Begriff vor allem in der Hydrologie, wo er die Wassermenge umfaßt, die den Boden durchsickert. Es kommt erst zur Perkolation, wenn die Feldkapazität, also die maximale Wasseraufnahmekapazität des Bodens, überschritten wird. Hierdurch kommt es zur Bildung von Grundwasser.

[7] Karstgrundwasserleiter oder Karstaquifer, sind verkarstete Gesteinskörper, deren Durchlässigkeitseigenschaften wesentlich durch Lösungshohlräume wie erweiterte Trennfugen, Karstspalten und Karströhren bestimmt werden. Karstgrundwasserleiter zeichnen sich im allgemeinen durch hohe Transmissivitäten (Durchfluß) sowie raschen Abfluß entlang der bevorzugten Wegsamkeiten ab. Diese vergleichsweise hohen Abflußgeschwindigkeiten sowie die weiten Öffnungsquerschnitte der Karstkanäle und der Karströhren haben eine nur geringe Selbstreinigungswirkung während der Untergrundpassage zur Folge. Karstgrundwässer wie auch der Grundwasserleiter selbst sind daher sehr empfindlich gegen den Eintrag von Schadstoffen.

[8] Stellungnahme von "Hamburg Wasser" zum Fracking:
http://www.hamburgwasser.de/news/items/fracking.html

Stellungnahme der Wasserexperten in Harburg
http://www.kein-fracking-in-der-heide.de/wasserexperten-im-kreis-harburg-gegen-fracking/

Stellungnahme Deutscher Verein des Gas- und Wasserfachs e.V. zum Fracking:
http://www.dvgw.de/wasser/ressourcenmanagement/gewaesserschutz/fracking/

Stellungnahme der Kooperation kommunaler Wasser- und Abwasserverbände in Schleswig-Holstein (KOWA SH) zum Fracking:
http://www.kowash.de/index/kowa/2013_05_30_Stellungnahme%20KOWASH%20zur%20unkonv.%20Foerderung%20v.%20Kohlenwasserstoffen%20in%20SH.pdf

[9] Bereits 2010 war das 23 Kilometer lange Salzmassiv, das sich von Schleswig-Holstein über Langenfelde bis nach Othmarschen an die Elbe zieht und auch auf Hamburger Stadtgebiet kritische Höhenlagen aufweist, im Gespräch, als ein Teil davon, der Quickborner Salzstock, einsackte. Ähnliches könnte auch in Hamburg Altona, in Langenfelde oder im Bereich Groß Flottbek passieren, hieß es im Hamburger Abendblatt. Kommen das sogenannte Hutgestein des Salzstocks und Grundwasser in Berührung, kann es zu Lösungsprozessen und schließlich zum Einsturz und erbebenähnlichen Vorfällen kommen.
http://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article1654784/Bezirk-Altona-warnt-vor-Salzstock-unter-Hamburg.html

14. Juli 2014