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INTERVIEW/178: Trümmertief - der Griff daneben ...    Dr. Werner Zittel im Gespräch (SB)


Fracking versus Klimaziele
Vorstellung der neuen Studie "Fracking - eine Zwischenbilanz" von Dr. Werner Zittel im Auftrag der Energy Watch Group am 19. März 2015 in Berlin

Dr. Werner Zittel dazu, warum ein Paradigmenwechsel unseres energetischen Weltbildes unabdingbar ist.


Seit mehr als fünf Jahren warnt Dr. Werner Zittel in Studien und Vorträgen vor einem noch ungelösten Widerspruch unserer Gesellschaft: Das für das Wirtschaftswachstum notwendige "Weiter so wie bisher" führt geradewegs in den Klimakollaps, der nur durch gewaltige Emissionseinsparungen noch zu verhindern wäre. Dr. Zittel ist Vorstand der Ludwig-Bölkow Stiftung, studierte Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und promovierte an der Technischen Universität Darmstadt. Er war Mitbegründer der Friedensinitiative "Garchinger Naturwissenschaftler" und von 1987 bis 1989 in der Forschung am Institut für Thermodynamik der DFVLR (heute DLR) in Stuttgart sowie dem Fraunhofer Institut für Festkörpertechnologie tätig. Seit 1989 arbeitet er bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH (LBST) in Ottobrunn/Deutschland, einem Beratungsunternehmen für Energie und Umwelt, mit den Schwerpunkten: Umweltaspekte der Energieversorgung, energiewirtschaftliche Grundsatzfragen und die Analyse von Energieversorgungssystemen. Darüber hinaus sitzt er im Vorstand der Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO) in Deutschland.

Seit mehreren Jahren widmet sich der Ressourcenexperte der Energy Watch Group, insbesondere der Zukunft fossiler Energieträger, und hat sich in mehreren gründlichen Analysen mit dem Thema Fracking in den USA und Deutschland auseinandergesetzt. Seine jüngste Studie "Fracking - eine Zwischenbilanz" stellte die Energy Watch Group am 19. März 2015 in Berlin vor. [1] Im Anschluß an die Pressekonferenz im Hotel Albrechtshof ergab sich das folgende Gespräch.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Dr. Werner Zittel
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ottmar Edenhofer, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates (IPCC), faßte in einem Symposium zu Hartmut Graßls Geburtstag die zum Einhalten der 2-Grad Grenze notwendigsten Maßnahmen wie folgt zusammen: 80 Prozent der Kohlereserven, 40 Prozent an Gas und 40 Prozent Öl müssen im Boden bleiben, damit sie gar nicht erst zu Kohlenstoffdioxid verbrannt werden und den Treibhauseffekt weiter anheizen. Warum macht man sich dann eigentlich noch Gedanken darüber, wie sinnvoll es ist, den letzten Rest dieser fossilen Energieträger mit ungeheurem, ebenfalls energiekostenden Aufwand aus der Erde zu holen?

Dr. Werner Zittel (WZ): Das ist eine berechtigte Frage, denn wir haben schon jetzt viel zu viel Kohlenstoffdioxid in der Luft. Hartmut Graßl ist dafür die beste Referenz. Viel wichtiger ist mir, was ich bereits in meinem Vortrag vorhin andeutete: Wir haben uns mit unserer Politik dazu bekannt, daß wir bis zum Jahr 2050 von mindestens 80 bis 95 Prozent der Emissionen gegenüber 1990 reduzieren wollen, innerhalb von 35 Jahren. Das ist nicht viel Zeit. Deshalb sollten wir, wenn wir uns darüber klar sind, daß wir CO2 einsparen müssen, zu dieser Entscheidung stehen und vernünftigerweise neue Investitionen dafür verwenden und nicht - jetzt sag ich's mal bösartig - einer sterbenden Industrie Geld in den Rachen schmeißen, damit sie ein paar Jahre länger lebt. Das ist kontraproduktiv und leider zeigen historische Beispiele, daß das Kliff, das wir zu bewältigen haben, immer steiler werden wird, wenn sich die Menschheit so benimmt.

Die ursprüngliche Intention der Enquete-Kommissionen war, eine klare Strategie zu der Frage zu entwickeln: Wie können wir die Wende von den fossilen Energieträgern zu erneuerbarer Energiegewinnung schaffen? Wie könnte so ein Umbau aussehen? An solche Pläne müßte man sich dann allerdings halten und nicht jedes Jahr erneut sagen: 'Jetzt verschieben wir das alles noch ein bißchen. Erst muß es der Wirtschaft gut gehen, damit sie ausreichend Geld hat, um dann auch mal so etwas zu machen ...' Damit begibt man sich zum einen in eine noch größere Abhängigkeit, zum anderen verschiebt man den Zeitpunkt und verkürzt den Zeitraum zum eigentlichen Handeln. Und wenn die Menge an Klimagasen in der Atmosphäre in einer immer kürzer werdenden Frist reduziert werden muß, wird es wesentlich komplizierter. Das heißt, je länger man dieses Spiel treibt, umso schwerer wird es, und das kann sich dann als durchaus katastrophal erweisen.

SB: Könnte man sagen, die Bundesregierung gefährdet ihre Klimaziele?

WZ: Ja. Sie nimmt sie nicht ernst.

SB: Wäre Wasserstoff aus Ihrer Sicht eine Alternative?

WZ: Ja und nein. Er ist kein alternativer Brennstoff, weil Wasserstoff kein Primärenergieträger ist. Bei der Energiewende geht es darum, Primärenergie erneuerbar zu machen. Und Wasserstoff hat für sich allein keinen Wert, sondern nur im Kontext einer umstrukturierten Energieversorgungsgesellschaft, in welcher der Anteil der Versorgung durch Erneuerbare sehr hoch ist und in der wir es mit einer Umkehr unseres energiewirtschaftlichen Weltbildes zu tun haben. In der Vergangenheit hatten wir als 'Baseload' [Grundlast] immer fossile Energieträger. Die haben wir irgendwo gelagert und wenn Energiebedarf da war, schürte man das Kraftwerk an und produzierte auf diese Weise Strom mit relativ kleinen Fluktuationen.

Im "Erneuerbaren"-Weltbild ist es genau umgekehrt. Da sind wir von dem Angebot an Sonne und Wind abhängig. Wenn etwas da ist, müssen wir das ernten, unabhängig von der potentiellen Nachfrage. Schlauerweise sollte man die Nachfrage erstens an die neuen Gegebenheiten anpassen, was durchaus möglich wäre. Und zweitens sollte man eine den Bedarf übersteigende größere Energieernte natürlich speichern, bis man sie braucht. Genau da hat Wasserstoff dann eine Funktion als Speichermedium.

Das heißt, im Gesamtkontext der Umstrukturierung macht Wasserstoff sehr wohl Sinn und erlaubt insbesondere eine Kopplung mit dem Verkehrssektor. Das ist aus Sicht der Naturwissenschaftler natürlich sehr attraktiv, zumal die begrenzte Ressource Erdöl hier immer mehr zum Problem werden wird. Brennstoffzellen-Antriebe könnten in diesem Sektor in Zukunft eine größere Gesamteffizienz erzielen.

SB: Erdölunternehmen aus Kanada und den Vereinigten Staaten haben sich bereits in verschiedenen Ländern von der Förderung der unkonventionellen Lagerstätten zurückgezogen, weil der Ölpreis drastisch abgesunken ist. Ist langfristig mit einem erneuten Anstieg des Ölpreises zu rechnen?

WZ: Da fragen Sie mich nach Kaffeesatzlesen, ich will es mal anders formulieren: Der Preis generell hat die Funktion, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Wenn also die Nachfrage da ist, aber die Bereitstellung und Förderung nicht vorhanden sind, dann geht natürlich der Preis hoch. Wenn aber umgekehrt, wie in den letzten Jahren bei Erdgas der Fall, die Förderung in Europa zurückgeht und gleichzeitig auch der Verbrauch, dann entsteht keine Notwendigkeit dafür, daß der Preis ansteigt. Es kann also auch sein, daß die Ölförderung geologisch bedingt zurückgeht und trotzdem der Preis niedrig bleibt. Das macht den Öl- und Gasfirmen auch große Angst und deshalb wehren sie sich so gegen wissenschaftliche Erkenntnisse über "Peak Oil" und den Rückgang der Ressourcen. Denn wenn ihnen die Kunden aufgrund dieser Informationen schneller wegbleiben als notwendig, wäre das natürlich aus ihrer Sicht der "GAU".

SB: Gäbe es denn Voraussetzungen, unter denen sich Fracking dann überhaupt noch lohnen könnte? Würde es eventuell wieder rentabel werden?

WZ: Wenn die Anleger hoffen, daß der Preis hoch genug steigt, ja. Das ist genau in den letzten Jahren in Amerika passiert. Durch die Spekulation der Anleger, die Geld in Fracking-Projekte investiert haben. Andere spekulieren mit Gold oder sogar mit "Google". Man gibt Geld und hofft, damit in zehn Jahren dicke Gewinne einzufahren.

SB: Gibt es nicht auch, abgesehen von den Erdölinteressen, eine ganz massive Lobby der regenerativen Energien?

WZ: Natürlich, aber massiv würde ich diese noch nicht nennen. Die Erdölbranche ist in Hinblick auf die Anzahl der Arbeitsplätze gar nicht mal so groß und vom Anteil der Eigenerzeugung ebenfalls nicht. Aber sie hat eine lange Tradition und ist eng mit den entsprechenden Kreisen verbunden. Das müssen sich die Erneuerbaren erst erkämpfen. Natürlich machen die teilweise mit schwächeren Kräften bereits Lobbyarbeit und sind durchaus schon stärker geworden. Das sind keine Anfänger mehr.

Die wichtigsten Phasen mit den ersten Windenergieprojekten und der Einspeisevergütung hat man etwa um das Jahr 2000 hinter sich gelassen. Das heißt, man kann nur die nächsten Schritte des Umbaus verzögern, aber die Entwicklung nicht mehr aufhalten.

SB: 2013 haben Sie eine Studie herausgegeben, in der Sie dem Erdölboom in Amerika nur noch drei Jahre gegeben haben. Unterscheidet sich Ihre aktuelle Studie von den damaligen Berechnungen und wieso konnten sich die US-Erdölexperten derart verrechnen?

WZ: Nein, verrechnet hat man sich nicht (lacht). Die wissen schon, was sie machen. Zu Ihrer Frage: Die heutige Studie unterscheidet sich von der alten dadurch, daß ich hier keine Szenarien entwerfe, sondern zunächst möglichst genau zu belegen versuche, in welchen wissenschaftlichen Publikationen bereits etwas zum Thema nachgewiesen worden ist, ob die US Umweltbehörde EPA oder entsprechende Homepages davon berichtet haben, um bestimmte Zusammenhänge - ein Großteil meiner Studie befaßt sich mit den Umweltauswirkungen - nochmal zu verdeutlichen.

Sie stellt genaugenommen eine schwerpunktmäßige Zusammenfassung unter der Fragestellung dar: Was waren die bisherigen Erfolge der unkonventionellen Förderung und welche Probleme waren damit verbunden?

Die Anzahl von drei Jahren war keine exakte Prognose. Sie basiert allerdings nicht nur auf meinen eigenen Analysen, sondern auch auf Berechnungen von J. David Hughes oder Arthur E. Berman. [2] Das sind prominente amerikanische Kritiker der Branche, welche die einzelnen Felder mit großer Sachkenntnis danach abgeklopft haben, wie weitläufig die sogenannten "Sweet Spots", die besonders ertragreichen Gebiete innerhalb der Shale-Formationen, sind, wie groß insgesamt die Bohrdichte ist und wie viel man davon noch erwarten kann. Entsprechende Hochrechnungen können somit ein bißchen daneben liegen oder durch Zufall vielleicht auch stimmen. Aber sie laufen alle mehr oder weniger auf drei Jahre hinaus.

Vielleicht war die Prognose 'bis 2017 geht das gut' aus heutiger Sicht ein bißchen vorsichtig, aber ich würde noch immer dazu stehen. Der Zusammenbruch der Energiepreise beschleunigt den Verfall der Branche, weil neue Investitionen künftig fehlen werden.

Sicher werden hierzu manche wieder das Argument von den Schweinezyklen [3] in die Diskussion einbringen, damit weiteres Geld investiert wird. Doch läßt sich diese Wirtschaftstheorie nicht mit dem Energiegeschäft vergleichen: Schweine sind regenerativ, die wachsen immer wieder nach, Gasfelder aber nicht. Die werden kleiner. Übertragen auf die Schweinezucht würde das bedeuten, daß man im nächsten Zyklus kleinere Schweine hätte, die mehr fressen, die somit mehr kosten, so daß sich der Erfolg der ersten Phase nicht wiederholen läßt.

SB: Bei früheren Studien wurde immer kritisiert, daß bei der Debatte um die Zukunftsfähigkeit der erneuerbaren Energien der gern erwähnte kumulierte Energieaufwand für die Berechnung des Erntefaktors [4] nicht weit genug greift.

WZ: Der Erntefaktor ist nur ein Detailaspekt, aber ein wichtiger. Wenn Sie Energie mit Hilfe der Sonne erzeugen, ist der Erntefaktor in der Regel größer als eins, das heißt, es wird zweifellos mehr Energie gewonnen als reingesteckt. Das ist übrigens bei keinem fossilen Energieträger der Fall. Dort ist der Erntefaktor immer negativ, weil Sie immer mehr Energie investieren müssen, als Sie hinterher rausbekommen, da es sich um eine begrenzte Ressource handelt. Bei den Erneuerbaren wird die Effizienz deshalb wichtig, weil es natürlich auch um die spezifischen Kosten und um den Flächenertrag geht. Damit wird berechnet, wie viel Verlust an Landschaft in Kauf genommen werden muß, um den entsprechenden Ertrag zu erhalten. Insofern spielt der Erntefaktor hier für den Vergleich einzelner Technologien eine Rolle. Es macht allerdings wenig Sinn, Fossile mit Erneuerbaren auf dieser Basis zu vergleichen.

SB: Was geht beim Fracking an aufgewendeter Energie in den Erntefaktor ein? Wo zieht man die Grenze? Sie erwähnten bereits die erforderliche Infrastruktur, die Baumaßnahmen für ein solches Vorhaben oder auch die Anzahl der Lastwagenfuhren, die das nötige Material heranschaffen für einen Fracking-Vorgang. Die Lastwagen müssen aber auch gebaut werden, die Rohstoffe dafür gewonnen werden - wo hört man auf, den erforderlichen Energieaufwand mit einzubeziehen?

WZ: In der Regel gehen Lastwagen mit in die Rechnung ein. Nicht der Energiewert, der beim Produzieren der Lkws entsteht, aber der Energiewert des ganzen Materials, das durch sie herangeschafft wird wie Geräte, Gestänge, Rohre und sonstige Verbrauchsmaterialien, wird mit einberechnet. Auch der Energieverbrauch der Lastwagen ist in der Regel noch Bestandteil dieser Kalkulation. Aber Sie können die Grenze nie exakt ziehen, weil - und das ist das Problem - Sie es immer mit Koppelproduktionen und -nutzungen zu tun haben und deshalb mit der Frage, welcher Anteil des Energieaufwandes diesem Produkt oder dieser Nutzung zugeschlagen wird. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Bergbau, wenn Kupfer mit Silber, Zinn oder Zink vergesellschaftet vorkommt, welchem Element lasten Sie den durch die Förderung entstandenen Energieaufwand jetzt an? Üblicherweise wird es dem ökonomischen Wert entsprechend aufgeteilt. Eine weitere Möglichkeit wäre anteilig zum Ertrag: Wenn beispielsweise eine Tonne Erz einige Prozent an Kupfer ergibt, aber nur wenige Promille Gold, dann würde der aufgewendete Energiebetrag im gleichen Verhältnis aufgeteilt.. Das läßt sich nicht scharf trennen. Aus gutem Grund strebt man in der Chemie solche Koppelproduktionen an, um eine möglichst gute Gesamtenergie- und Kostenbilanz zu erreichen.

SB: Noch einmal zurück zum Fracking, wo bleibt eigentlich die komplette Ausrüstung, wenn das Bohrloch aufgegeben wird?

WZ: Im Boden.

SB: ... also auch die Rohre, die in den Boden gerammt wurden?

WZ: In der Bakken-Formation in Norddakota werden pro Bohrung etwa 90 Tonnen Stahl und noch einmal das Zwei-bis Dreifache an Zement und Beton im Boden zurückgelassen.

SB: Weiß man, wie sich das auf die Bodenumwelt auswirkt? Gibt es dafür spezielle Umweltverträglichkeitsprüfungen?

WZ: Nein, etwas in der Art gibt es dazu nicht. Auch keine Untersuchungen dazu, ob die alten Bohrungen überhaupt noch dicht sind. Letzteres ist einer der Verdachtsmomente in den USA. Dort soll es über eine Million alte, vergessene Bohrungen geben, deren genaue Standorte unbekannt sind. An diesen Stellen könnten durch eventuelle Undichtigkeiten Schadstoffe in den Boden austreten. Das ist ein äußerst kritischer Faktor, der bislang an keiner Stelle überprüft wurde.

Deep Water Horizon ist ein Musterbeispiel dafür, daß oft auch schlampig gearbeitet wird. Da wurde gepfuscht, weil man zu schnell bauen wollte und hatte es dann mit Luftblasen und dergleichen zu tun. Im Lauf der Zeit verschiebt sich das Erdreich, der Zement altert, wird mürbe und zerbröselt möglicherweise. Das heißt, man hat keine Garantie dafür, daß diese alten Bohrungen da draußen noch dicht sind. Man sollte bereits bei der Planung über Jahrzehnte hinaus weiter denken, nicht bloß über die nächsten Jahre.

SB: Das heißt, um feststellen zu können, ob eine alte Bohrung undicht ist, müßte man eine neue Bohrung ansetzen und dann Bodenproben nehmen, das Grundwasser analysieren oder etwas in der Art?

WZ: Ja oder noch mal die alte Bohrung aufmachen und dann mit einem sogenannten Cement-Bond-Log (CBL) die Qualität und Konsistenz der Zementierung mit Ultraschall überprüfen, der durch die ganze Hülle dringen kann. Das ist eigentlich Pflicht bei jeder Bohrung, aber erst nach dem abgeschlossenen Bohrvorgang. Nach einer Hydraulischen Fraktionierung müßte man das allerdings unbedingt machen, denn dabei entsteht ein gewaltiger Druck ...

SB: ... den das Material halten muß. Das heißt aber doch, nach dem Fracking läßt sich nur überprüfen, wie weit der Schaden reicht, der bereits angerichtet worden ist. Davor wird nicht geprüft, ob ein potentieller Schaden vorausgesehen werden kann?

WZ: Genau so wird es gemacht.

SB: Gibt es denn im Verlauf der Bohrung auch keine Verpflichtung zu einem breit angelegten "Monitoring", also einer den Prozeß begleitenden laufenden Kontrolle?

WZ: Nein, nicht im notwendigen Umfang.

SB: Oder gibt es vergleichende Beobachtungen von Erschließungsgebieten oder Fracking-Feldern, meinetwegen in den USA, wo man so etwas schon gemacht hat und Daten existieren, aus denen sich der Schaden im Vorfeld abschätzen ließe?

WZ: Manchmal schon. Allerdings hat man bereits im Vorfeld mit einem besonderen Kunstgriff beim "Energy Policy Act" dafür gesorgt, daß sämtliche Erdgas- und Erdölunternehmen vom "Save Drinking Water Act" [Trinkwasserschutzgesetz] ausgenommen wurden. Damit wurde der Umweltbehörde jedwede Rechtfertigung genommen, ein Monitoring durchzuführen, für das sie ein bestimmtes Budget benötigt, das mit dem Haushaltsplan genehmigt werden muß.

Erst als dann später entsprechende Proteste kamen und Henry Arnold Waxman, einer der Oppositionsführer und einer der Engagiertesten in dieser Sache, sehr viel Druck gemacht hat, wurde von der Umweltbehörde verlangt, etwas zu unternehmen. Die versprach dann 2010, eine neue Studie zu erstellen, die 2013 veröffentlicht werden sollte. Grundlage sollten zahlreiche Proben und eine gründliche Beobachtung der verschiedenen Bohrsonden sein. Sie ist bis heute noch nicht erschienen. Solche Umweltuntersuchungen werden in den USA gewöhnlich von der Industrie stark torpediert. Es gibt dort eine ganz enge Verbindung zwischen Regierung und Erdöl-Industrie, aber einige Daten gibt es, das ist erstmal richtig.

In dem deutschen Gesetzentwurf ist ein solches Monitoring bereits enthalten. Fraglich ist derzeit noch, wie umfangreich es werden soll. Will man es bei jeder Bohrung oder nur beim Fracken von Shalegas durchführen? Da gibt es noch viel zu tun.

SB: Ein Thema in Ihrem Bericht sind die sogenannten NORM-Teilchen, also die in tiefen Gesteinschichten natürlich vorkommenden radioaktiven Elemente, die mit dem Lagerstättenwasser und Flowback zusammen ausgespült werden. Weiß man von den deutschen Aufsuchungsgebieten her, inwiefern dort radioaktive Substanzen vorkommen? Das kann ja durchaus von Lagerstätte zu Lagerstätte verschieden sein. Wird das in Deutschland überprüft?

WZ: Generell hat man überall mit Radioaktivität zu tun. In der Erde kommen bestimmte Konstellationen von Uran im Gestein vor und Uran zersetzt sich, wobei seine radioaktiven Zerfallsprodukte, Radon und Radium, entstehen. Wie stark sie im Boden vertreten sind, hängt von den geologischen Verhältnissen ab. Für Deutschland kann ich dazu keine konkrete Aussage machen, die Radioaktivität ist hier vergleichsweise gering.

SB: Radon kommt in Deutschland vor allem im Schwarzwald, im Bayerischen Wald, im Fichtelgebirge und Erzgebirge natürlich vor. Dort gibt es teilweise schon Aufsuchungsgebiete.

WZ: In den USA schwankt die Radioaktivität in den verschiedenen Lagerstätten stark. Ob sie im Barnett Shale hoch ist, kann ich nicht sagen, doch im Jahr 2006/2007 machte dort eine Firma von sich reden, weil sie allein vier Tonnen radioaktiven Müll entsorgen mußte. Diese Menge hatte sie angemeldet. Allerdings war es die einzige von 67 Firmen im Barnett Shale, die das getan hat. Da muß man sich doch fragen, haben die anderen wirklich keinen radioaktiven Müll gehabt? Oder was haben die mit dem ganzen Zeug eigentlich gemacht? Das Marcellus Feld im US-Bundesstaat New York ist sogar für eine extrem hohe Radioaktivität bekannt ... [5]

SB: Das Verpressen von Lagerstättenwasser in Versenkbohrungen ist zwar umstritten, aber derzeit noch immer erlaubt, das Verpressen von Flowback und Fracking-Fluiden so nicht. Wie kann man das eigentlich unterscheiden?

WZ: Das kann man nicht. Beides vermischt sich natürlich, weil es zusammen herauskommt. Man kann versuchen, die schädlichen chemischen Substanzen abzutrennen und das sollte eigentlich auch passieren. Dem Gesetz nach müßte man es zumindest überprüfen, aber ich denke, damit wären die Behörden überfordert.

SB: Also besteht grundsätzlich die Gefahr, daß mit dem Lagerstättenwasser, das man versenkt, auch radioaktive Stoffe legal verpreßt werden?

WZ: Genau. Wesentlicher ist aber die sogenannte Konkurrenznutzung. Das heißt, bei Versenkbohrungen läßt sich der Boden nicht mehr anderweitig nutzen, da er zu viele Schadstoffe [6] enthält. Darüber hinaus kann der Druck beim Verpressen oder Injizieren von Lagerstättenwasser seismische Aktivitäten auslösen, je nachdem wie die Vorspannung in der Gegend ist. Letzteres ist eigentlich schon seit über 20 Jahren in der Branche bekannt und auch von den Regierungsbehörden akzeptiert.

SB: Inwiefern akzeptiert?

WZ: Im Staat Arkansas hat beispielsweise die seismische Aktivität, das heißt, die Erdbebenhäufigkeit über die letzten 20, 30 Jahre um etwa den Faktor 100 zugenommen und das korreliert schon ein bißchen mit der Aktivität der Bohrungen. Es wird aber nichts dagegen unternommen.

SB: Wieso wird das Fracking von Tight Gas in dem neuen Fracking-Gesetzentwurf anders gewertet, als das Fracken von Schiefergas? Auch hier werden Flüssigkeiten in den Erdgrund gepreßt und auch hier lassen sich fast überall Risse an Häusern nachweisen, wenn solche Aktivitäten stattgefunden haben. Ebenso besteht ein Risiko von seismischen Veränderungen. Woher leitet man die Toleranz dafür ab?

WZ: Im Prinzip ist es das gleiche, aber die Quantität ist eine andere. Die Menge an Fluiden, die dabei verpreßt werden müssen, ist um eine Größenordnung geringer und ebenso der Druck. Angesichts potentieller Schädigungen und möglicher Begleitstoffe ist es eigentlich genau das gleiche. Man hat nur lange Zeit gar nicht über Tight Gas gesprochen. Es wurde einfach gefrackt und hinterher sagt man dann, 'was regt ihr euch eigentlich auf, das haben wir doch schon immer gemacht.'

SB: So kann man es auch sehen.

WZ: De facto ist es so. Sie haben nie ein homogenes Feld über 100 Quadratkilometern, sondern sie haben ein konventionelles Feld. Das zeichnet sich durch hohe Fließfähigkeit aus. Wenn sie dort irgendwo eine Bohrung einbringen, dann strömt das Gas oder Öl dorthin, beziehungsweise es drückt dorthin. Darüber hinaus gibt es aber auch dichtere Bereiche. Da lagert das Gas oder Öl in den Poren des Gesteins. Und um daran zu kommen, muß man am Anfang gar nicht viel nachhelfen. Aber je dichter das Gestein wird und je näher man diesem Bereich kommt, umso größer wird der Aufwand, die darin enthaltenen Energieträger freizusetzen. Schiefergas ist dann noch mal um Größenordnungen dichter, was für das Fracking eine ganz neue Dimension ergibt.

SB: Wenn ein weniger dichtes Gestein, Sandstein oder Tight Gestein, leichter zu fracken ist, dann heißt das doch auch, daß es leichter nachgibt und sich leichter durch den aufgewendeten Druck bewegen läßt. Müßte dann nicht der Schaden entsprechend sein?

WZ: Das ist schon richtig, ja. Die Dichtigkeit ist nicht so hoch und der Aufwand entsprechend geringer. Aber wie gesagt, von der Sache ist es genau der gleiche Vorgang, nur mit anderen Mengen.

SB: Was erhoffen Sie sich von Ihrer Studie?

WZ: Die Risiken der Technologie sind bekannt. Man kann natürlich viel Aufwand treiben, um zu versuchen, sie möglichst klein zu halten. Das macht man bestenfalls bei der ersten Probebohrung. Wenn es dann aber kommerziell werden soll, wird in der Regel alles darangesetzt möglichst schnell, möglichst viel und möglichst billig zu produzieren.

Deshalb sollte die Politik hier ein eindeutiges Signal setzten. Sie hat Klimaschutzziele und die soll sie gefälligst verfolgen.

Frankreich hat damit kein Problem. Es hat zwar Schwierigkeiten gegeben, aber dort darf nicht mehr gefrackt werden. Es geht also. Als in den Siebzigern der Ölpreis hoch war und dann zusammenbrach, hat die Regierung in Dänemark beispielsweise einfach den Ölpreis gehalten, um die Diversifizierung im ländlichen Raum, die energiewirtschaftliche Umstrukturierung, mitzufinanzieren. Und vor kurzem wurden dort Kohlekraftwerke aus Klimaschutzgründen verboten. Das wären deutliche Signale der Regierung, wenn man die eigene Politik ernst nimmt.

SB: Wie sollte denn eine ernst gemeinte staatliche Intervention aussehen? Hierzulande herrscht doch eher eine neoliberale oder wirtschaftliche Orientierung in der Politik vor ...

WZ: Für mich ist das schönste Beispiel eigentlich die Autoindustrie mit ihren Klimaschutzzielen. Wie hat sie sich dagegen gewehrt, Autos zu produzieren, die nur noch 95 Gramm Kohlenstoffdioxid pro Kilometer ausstoßen. Doch selbst wenn sich das durchsetzt, hat man überhaupt nichts gewonnen, denn die Autoindustrie will ihre Verkaufszahlen steigern.

Das heißt, die Politik müßte neben den Grenzwerten auch ein Mengenziel festlegen. Es dürften also nur eine begrenzte Anzahl von Fahrzeugen auf den Markt, die gemäß dem heutigen Fahrverhalten eine entsprechend geringe Menge CO2 emittieren. Darauf wird sich die Industrie nie einlassen, weil das gegen ihr Grundverständnis geht. Und das müßte sich ändern, das Grundverständnis!

SB: ... von einem Erneuerbaren-Weltbild?

WZ: Genau, die Politik sollte das große Ganze im Auge behalten und mit ihrem Geld nicht etwas aufrecht erhalten, das sich schon lange als schlecht erwiesen hat.

SB: Herr Zittel, haben Sie herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.


Anmerkungen:


[1] Einen weiteren Bericht sowie ein Interview zu dieser Veranstaltung finden Sie hier:

BERICHT/097: Trümmertief - Wirtschaftswetten, Fehlerketten ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0097.html

INTERVIEW/176: Trümmertief - Widerstand auf gutem Grund ..., Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0176.html

[2] Arthur E. Berman,
http://www.resilience.org/author-detail/1150928-arthur-e-berman

Die Studie verweist auf das Interview: Why Today's Shale Era Is The Retirement Party For Oil Production, Adam Taggart, 7.2.2015, siehe
http://www.peakprosperity.com/podcast/91722/arthur-berman-why-todays-shale-eraretirement-party-oil-production

J.David Hughes
http://www.postcarbon.org/our-people/david-hughes/

die Studie verweist auf zwei seiner Bücher:
http://www.postcarbon.org/books_and_reports/

Drill, Baby, Drill: Can Unconventional Fuels Usher in a New Era of Energy Abundance? David Hughes, Post Carbon Institut, 19. Februar 2013, siehe
http://www.postcarbon.org/publications/drill-baby-drill/

Drilling Deeper, David Hughes, Post Carbon Institut, 27. Oktober 2014, siehe
http://www.postcarbon.org/publications/drillingdeeper/

[3] Schweinezyklus ist ein in der Wirtschaftswissenschaft verbreiteter Begriff, der ursprünglich aus der Agrarwissenschaft stammt und eine periodische Schwankung auf der Angebotsseite bezeichnet, wie sie exemplarisch ursprünglich auf dem Markt für Schweinefleisch von Arthur Hanau in seiner Dissertation über Schweinepreise 1927 dargestellt wurde: Bei hohen Marktpreisen kommt es zu verstärkten Investitionen, die sich wegen der Aufzuchtzeit erst mit einem Verzögerungseffekt ("Time Lag") auf das Angebot auswirken, dann aber zu einem Überangebot und Preisverfall führen. Infolgedessen kommt es zur Reduzierung der Produktion, die sich ebenfalls erst zeitverzögert auswirkt - und dann wiederum zu einem relativen Überschuß der Nachfrage (Angebotslücke) und dadurch steigenden Preisen führt. Ebenso könnten sich auch bei der Förderung von Rohstoffen wie etwa Erdöl Märkte nach dem Schweinezyklus verhalten.

[4] Der Erntefaktor (englisch Energy Returned on Energy Invested, ERoEI, manchmal auch EROI) ist eine Kennziffer für die Effizienz eines Kraftwerks oder die Ausbeutung von Energiequellen. Der Erntefaktor beschreibt das Verhältnis der genutzten Energie zur investierten Energie. Unklar ist hier oft, welche Voraussetzungen in diesen "kumulierten Energieaufwand" einberechnet werden.

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-173.html

[6] Je nach Förderstelle und Gesteinsbeschaffenheit können in diesem Lagerstättenwasser neben stark salzhaltigen Lösungen, Kohlenwasserstoffen wie Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol (kurz BTEX) auch andere Stoffe wie Quecksilber, Blei oder natürliche, schwach radioaktive Stoffe, sogenannte NORM-Teilchen, enthalten sein.
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0141.html

27. April 2015


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