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INTERVIEW/187: Waldvorräte, Kolonien - geben und nehmen ...    Josien Aloema Tokoe im Gespräch (SB)


Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker

Tagung von INFOE und Klima-Bündnis am 12. Juni im LVR LandesMuseum Bonn

Josien Aloema Tokoe aus Surinam über die Bedrohungen der indigenen Lebensweise und was sie dagegen unternimmt


Anfangs waren die Erwartungen der Entwicklungsländer an ein internationales Finanzierungsmodell zum gleichzeitigen Schutz des Waldes und des Erdklimas hoch. Im Rahmen des REDD- bzw. REDD+-Prozesses [1] sollten sie für den Kampf gegen Entwaldung bzw. umgekehrt für einen nachhaltigen Umgang mit Wäldern entschädigt werden. Denn diese binden in ihrer Substanz Kohlenstoffdioxid (CO2), dessen vermehrte Emissionen als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) den Treibhauseffekt der Erde verstärken und diese aufheizen.


Beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Josien Aloema Tokoe, bei der Indigenen-Dachorganisationen COICA für Frauen und Familien zuständig
Foto: © 2015 by Schattenblick

Einen Wald nicht abholzen und dafür Geld erhalten ... wenige Jahre nach dem Startschuß von REDD+ war diese Traumblase ebenso in sich zusammengefallen wie einst die G7/G8-Entschuldungsinitiative für die Entwicklungsländer. In einem Wirtschaftssystem, in dem der Nachteil des einen dem anderen zum Vorteil gereicht, das heißt, Gewinne nur auf der Basis von Verlusten realisiert werden können, widerspräche es dem Interesse der führenden Industrienationen, entließen sie die ärmeren Länder vollständig aus der Verschuldung oder räumten ihnen die Chance ein, sich mittels eines Finanzierungsmodells wie REDD+ von dem Joch der Dauerabhängigkeit zu befreien.

Die immanente Widersprüchlichkeit der Idee von REDD+ als Schutz des globalen Klimas durch lokale Maßnahmen drückte sich bereits im Titel einer Tagung aus, die das Klima-Bündnis und der Verein INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie am 12. Juni 2015 im LVR LandesMuseum Bonn veranstaltet haben: "Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker".

Der Titel verrät aber auch, daß den indigenen Völkern nach wie vor daran gelegen ist, Einfluß auf den REDD-Mechanismus zu nehmen, um die Voraussetzungen für die desaströsen Folgen, die mit der Einschränkung ihrer traditionellen Lebens- und Wirtschaftsweise in und von den Wäldern einhergehen, zu beseitigen.

Seit vielen Jahren setzt sich Josien Aloema Tokoe vom Volk der Kari'na in Surinam für die indigenen Völker der Amazonasregion ein. Sie lebt im Nordosten des Landes, rund zehn Kilometer von der Atlantikküste entfernt. Als Vorsitzende der Organization of Indigenous Peoples of Suriname (OIS) wurde sie zur Vertreterin der Indigenen ihres Landes bei der COICA, einem internationalen Dachverband der indigenen Völker im Amazonasbecken, ernannt. [2] Auf der Bonner Tagung hielt sie den Vortrag "Hidden Violations of Social, Economic and Cultural Rights of Indigenous Peoples in the Amazon" (Versteckte Verletzungen der sozialen, ökonomischen und kulturellen Rechte der indigenen Völker im Amazonasbecken).

Darin stellte sie den Vorschlag vor, in Surinam ein über 1,8 Mio. Hektar großes Schutzgebiet unter Verwaltung der Indigenen einzurichten. Zu lange schon seien diese von politischen Entscheidungen ausgeschlossen gewesen, sagte sie und erläuterte dies am Beispiel der Meeresschildkröten im Nordosten des Landes, die unter Schutz gestellt wurden, ohne daß die Indigenen zuvor gefragt worden seien. Nun würden jedes Jahr indigene Jugendliche und Familienoberhäupter ins Gefängnis gesteckt, weil es verboten ist, Schildkröteneier einzusammeln. Es sei aber Bestandteil der Tradition, dies zu tun und Handel mit ihnen zu treiben, und bei einem Verbot hätten zumindest die Indigenen Kompensationszahlungen erhalten müssen, was nicht geschehen ist. Darüber hinaus würden auch noch die Boote der Festgenommenen konfisziert, womit die Familien eines für sie wichtigen Produktionsmittels beraubt würden. Um das Boot zurückzuerhalten, ginge oftmals ein ganzes Jahresgehalt drauf.


Lederschildkröte am Sandstrand des Atlantiks - Foto: JuliasTravels, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0] via WikimediaCommons

Lederschildkröte in ihrem Nest nahe Galibi, Surinam, 1. Januar 2007
Foto: JuliasTravels, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0] via WikimediaCommons

Aufgrund solcher Erfahrungen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen gemacht werden, zählt die Herstellung von Rechtssicherheit in territorialen wie kulturellen Fragen zu den Hauptanliegen der Indigenen. Am Ende der Tagung zeigte Josien Aloema Tokoe einen kurzen Film über den Diskussionsprozeß unter den Indigenen über REDD+. Im Anschluß daran stellte sie sich dem Schattenblick für einige ergänzende Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Auf der heutigen Tagung wurde viel über Entwaldung gesprochen. Wer sind dafür in Ihrem Land die Hauptverantwortlichen?

Josien Aloema Tokoe (JAT): Es gibt zahlreiche Holzunternehmen in Surinam, doch nun versuchen wir Indigenen, ebenso wie die Regierung, die Entwaldung zu unterbinden. Darüber hinaus haben wir die Regierung aufgefordert, keine weiteren Verträge mit Unternehmen abzuschließen, von denen es schon viel zu viele gibt. Wir wollen erst einmal sehen, daß wir den REDD+-Prozeß gestalten und zu einer Lösung gelangen, bei der die territorialen Rechte der Indigenen gewahrt bleiben und keine Konzessionen vergeben werden, die ihre Gebiete betreffen. Außerdem gibt es in Surinam noch einen großen Konzern, der Gold abbaut, sowie weitere, kleinere Unternehmen, die sich im Besitz der örtlichen Maroon-Communities [3], nicht aber der Indigenen befinden.

Auch im Südosten des Landes leben indigene Gemeinschaften. Dort sind die Umweltverschmutzungen mit Quecksilber aus dem Goldbergbau besonders gravierend. Das ist eines der großen Probleme, für die eine Lösung gefunden werden muß. Die Umweltverschmutzungen zu stoppen ist somit eine weitere Forderung, die wir an die Regierung stellen.

SB: Kommt es vor, daß die Indigenen in Surinam aus ihren angestammten Gebieten für den Bergbau oder die Holzwirtschaft vertrieben werden?

JAT: Ja und nein. Die Regierung hat eine Kommission eingerichtet, um gegen die Goldschürfer, die illegal von Brasilien über die Grenze eindringen, vorzugehen. Wir nennen sie die Garimpeiros. Von denen gibt es viele, und ihnen ist nur schwer das Handwerk zu legen, weil es sich dort um ein großes und wenig zugängliches Gebiet handelt.

SB: Ist Brasilien aus der Sicht Ihres Landes so etwas wie der große Bruder im Süden, der die gesamte Region dominiert?

JAT: Ja, und das ist sicherlich auch ein Grund dafür, warum so viele Garimpeiros illegal über die Grenze wandern. Unsere Regierung hat zugesagt, daß sich die Kommission des Problems annimmt, und wir werden abwarten und schauen, was bei den Maßnahmen sowohl gegen den illegalen Goldabbau als auch die Entwaldung herauskommt.


Satellitenaufnahme vom Paramaribo und der gleichnamigen, an der Atlantikküste gelegenen Hauptstadt - Foto: NASA World Wind screenshot, public domain

Der Paramaribo, größter Fluß Surinams.
Foto: NASA World Wind screenshot, public domain

SB: In Ihrem Vortrag sagten Sie: "Ich bin Teil des Waldes." Könnten Sie für eine deutsche Leserschaft erklären, was das für Sie und die Indigenen bedeutet?

JAT: Wir leben im Wald, von seiner Biodiversität und allem anderen auch. Genauso wie das vorhin beim Vortrag zur Demokratischen Republik Kongo so treffend gesagt wurde: Der Regenwald ist für die Indigenen ein Supermarkt. Wir brauchen kein Geld, um uns Waren zu kaufen. Wir bauen unsere Lebensmittel selbst an und kümmern uns darum, genauso wie um unsere Kinder. Aus dem Grund sagen wir, daß man den Regenwald nicht zerstören darf, denn wir "sind" der Wald. Warum ist das so? Weil wir wissen, wie man den Wald nutzt und wie man ihn respektiert. Deshalb sprechen wir davon, daß wir der Wald sind. Das ist unsere Seele, ohne sie hat man kein Leben.

Die Menschen in Europa brauchen Geld. Doch wir brauchen das nicht, wir gehen einfach in den Wald und nehmen uns dort die Früchte. Wenn man all das zerstört - wie kann ich da noch leben? Schauen Sie sich die Tiere an. Man sagt, Menschen könnten sprechen, aber das können Tiere auch! Man muß ihnen mit Respekt begegnen, wenn man jagen geht. Ein jedesmal muß man beten und zu dem Schöpfer sagen: "Du hast all das geschaffen, weil ich Nahrung und andere Dinge aus dem Wald brauche." Wir müssen auch für die Bäume Respekt haben, die uns die Medizin geben, die wir brauchen. Man muß darum bitten und sagen: "Ich brauche dich. Wir sind eins, ich will dich nicht zerstören, aber ich brauche ein Stück von dir." Um zu heilen, für meine Kinder. Deshalb erklären wir, daß wir der Wald sind. Wir leben zusammen. So etwas gehört zu dem, das wir lernen. Wenn man den Wald zerstört, müßte ich ebenfalls sterben, weil alles von meinem Heim zerstört wurde.

SB: Wie weit reicht der westliche Einfluß auf den Lebensstil der indigenen Jugend in Surinam?

JAT: Das ist ein Problem. Aus dem Grund sagen wir, daß COICA einen das gesamte Leben betreffenden Schutzplan [4] aufgestellt hat und wir zu den Wurzeln zurückkehren müssen. Der westliche Einfluß zerstört unsere traditionelle Lebensweise. Manchmal können wir damit nicht leben. Sehen Sie sich die Leute in den Städten an: Sie sind nicht glücklich! Sie wollen wieder zurück, die eigene Nahrung essen. Weil man in der Stadt das Essen im Supermarkt kaufen muß. Die Indigenen lehnen das ab und sagen, daß sie Dinge wie zum Beispiel Fisch frisch aus dem Fluß fangen und essen müssen.

SB: Und nicht aus Konservendosen ...

JAT: (lacht) Nein, nicht aus Konservendosen! Das ist ein großer Unterschied. Sie sind glücklich damit, das ist ihre Kultur. Aus dem Grund erklären wir, daß wir die Lebensweise der indigenen Stämme schützen müssen. Wenn man sie zerstört, zerstört man den Frieden der Gemeinschaft. Darum sprechen auch die Indigenen so häufig davon - nicht weil sie reich werden wollen, sondern weil das ihre Lebensweise ist.

SB: Glauben Sie an eine Chance der Renaissance der indigenen Kultur?

JAT: Ja, sicher!

SB: Weil die Menschen begreifen, was der Einfluß von außen mit ihnen macht?

JAT: Ja, denn es geht so viel von dem kulturellen Wissen verloren. Meine Großmutter hat mich noch viel gelehrt und mich ermahnt, das an meine Kinder und Enkel weiterzugeben. Aber das gilt nicht für alle, deshalb werde ich oft um Rat gefragt. Ich sage dann immer: "Du mußt lernen." Wir müssen begreifen, daß wir unser kulturelles Wissen schützen müssen.

Wir müssen auch über den Projektvorschlag der Indigenen zu einem Schutzgebiet sprechen. Das betrifft dann auch REDD+. Die Menschen kommen wieder zusammen und sprechen über ihre Art und Weise zu leben, dann wollen sie auch ihre Sprache verwenden oder es zumindest versuchen. Und sie lieben es. Das gilt auch für die Lieder, durch die die Leute ebenfalls zusammenkommen. Einmal im Jahr, am 9. August, dem Nationalfeiertag der indigenen Völker in Surinam, organisieren wir einen großen, dreitägigen Amazonasmarkt, zu dem Indigene aus allen Landesteilen zusammenströmen und ihr traditionelles Wissen, ihre Lieder und einfach alles an andere weitergeben. Auf diese Weise organisieren wir unsere Leute, damit wir unser traditionelles Wissen bewahren können.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.


Beim Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Regierung hat die Indigenen aufgefordert, sie sollten sich selbst organisieren und einen Vorschlag unterbreiten, was sie benötigen. Die Indigenen sagten daraufhin, daß sie die Wälder brauchen, und haben das der Regierung mitgeteilt. (Josien Aloema Tokoe, 12. Juni 2015, Bonn)
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Das Akronym REDD, bzw. die erweiterte Form REDD+ bedeutet: Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries, z. Dt.: Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle der Bewahrung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wald und dessen Ausbau als Kohlenstoffspeicher in Entwicklungsländern.

[2] COICA steht für Coordinadora de la Organizaciones Indigenas de la Cuenca Amazonica und ist eine Dachorganisation der Indigenen im Amazonasbecken.

[3] Maroons: Nachfahren der von Plantagen geflohenen schwarzafrikanischen Sklaven.

[4] http://www.bicusa.org/wp-content/uploads/2014/02/COICA-Indigenous-REDD+-Alternative.pdf

2. Juli 2015


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