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INTERVIEW/192: Waldvorräte, Kolonien - manche sind gleicher ...    Jutta Kill im Gespräch (SB)


Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker

Tagung des Vereins INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie und des Klima-Bündnisses am 12. Juni 2015 im LVR LandesMuseum Bonn

Jutta Kill zur Inwertsetzung sozialökologischer Zerstörungsprozesse, den Fallstricken des Emissionshandels und den irreführenden Parametern sogenannter Ausgleichsmaßnahmen


Als vor zehn Jahren Papua-Neuguinea und Costa Rica vorschlugen, Entwicklungsländer könnten durch die Industriestaaten dafür entschädigt werden, daß sie Wald bewahren, anstatt ihn um der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung willen abzuholzen, löste das in den ärmeren Ländern große Hoffnungen aus. Denn die Industriestaaten hatten Zustimmung zu der Idee, die Erderwärmung durch den Erhalt von Wäldern als CO2-Senken zu bremsen, signalisiert. Sie stellten einen milliardenschweren Finanztransfer von den Wohlstands- in die Armutsländer in Aussicht. Endlich nähmen die reichen Länder ihre historische Verantwortung für den Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger wahr, so die Erwartung. Daraufhin trafen Bewohner der entlegensten Weltregionen Vorbereitungen zum Waldschutz und bewarben sich mit ihrem Projekt um Anerkennung.

Die Grundidee hinter dem geplanten Ausgleich lautet, daß ein Industriestaat, der im Rahmen der UN-Klimaschutzvereinbarungen nicht die von ihm produzierten CO2-Emissionen senken will, sich davon durch die Finanzierung von Aufforstungs- und anderen Waldschutzprojekten in Entwicklungsländern freikaufen kann, sofern dadurch die gleiche Menge an Kohlenstoff zum Beispiel in Form von Holz gebunden bleibt oder er dazu beiträgt, daß in den Entwicklungsländern CO2-Emissionen vermieden werden.

Unhinterfragte Voraussetzung dieses Konzept ist natürlich die Unterstellung, daß die ärmeren Länder in einer Art nachholenden Entwicklung zwangsläufig den gleichen, gegenüber Mensch und Umwelt destruktiven Wachstumspfad einschlagen würden wie die Industriestaaten. Nur unter dieser Annahme kann man von einer Spanne zwischen beabsichtigter und vermiedener Umweltbelastung sprechen. Durch diesen CO2-Ablaßhandel werden andere als die etablierten Produktionsweisen, die stets auf eine Kommodifizierung der Natur und den Verbrauch endlicher Rohstoffe abzielen, von vornherein ausgeschlossen.


Podiumsrunde - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Ich habe lang nach irgendetwas Positivem an REDD gesucht und immer noch nicht gefunden."
(von rechts: Jutta Kill, Thomas Brose, Thomas Fatheuer, Uwe Schölmerich)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Inzwischen ist Ernüchterung und Ablehnung an die Stelle der Euphorie getreten. Was von Papua-Neuguinea und Costa Rica vorgeschlagen und unter dem Akronym REDD und später REDD+ umgesetzt bzw. gegenwärtig weiterverhandelt wird, hat die Erwartungen nicht erfüllt. Im Gegenteil, REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries, z. Dt.: Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle der Bewahrung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wald und dessen Ausbau als Kohlenstoffspeicher in Entwicklungsländern) erweist sich mehr und mehr als eine der zahlreichen Varianten des immer gleichen Übergriffs auf die natürlichen Ressourcen der ärmeren Länder, inklusive der Vertreibung der Waldbewohnerinnen und -bewohner. Für sie macht es keinen nennenswerten Unterschied, ob sie vertrieben werden, weil ein Waldgebiet abgeholzt oder weil es, um die REDD-Auflage zu erfüllen, aus jeglicher Nutzung herausgenommen wird.

"Ich habe lange nach irgendetwas Positivem an REDD gesucht und immer noch nicht gefunden", berichtete die Biologin Jutta Kill auf einer Fachtagung des Vereins INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie und des Klima-Bündnisses am 12. Juni 2015 im LVR LandesMuseum Bonn. [1] Zwischen 2000 und 2012 hat Kill die Klimakampagne der Nichtregierungsorganisation FERN koordiniert, und im Februar/März 2015 wurde ihre Analyse von 24 REDD-Projekten von der World Rainforest Movement veröffentlicht. "A Gallery of Conflicts, Contradictions and Lies" [2] - eine Galerie von Konflikten, Widersprüchlichkeiten und Lügen - nennt sich der Report.

Darin wird nicht nur eindrücklich geschildert, wie indigenen Gemeinschaften das Verfügungsrecht über ihren angestammten Lebensraum aberkannt wird, sondern wie sie darüber hinaus bezichtigt werden, hauptverantwortlich für Waldverluste zu sein. Nur wenn die Waldvölker die "falsche Argumentation", daß ihr traditioneller Wanderfeldbau eine Gefahr für den Wald darstellt, akzeptieren, erhielten sie Zugang zu REDD-Geldern. Das sei doch pervers, meinte Kill und resümierte: Gelder für REDD sind zwar nicht vorhanden, aber diese falsche Argumentation, die habe sich inzwischen verfestigt.

Am Rande der Bonner Tagung stellte sich Jutta Kill dem Schattenblick für weitere Fragen zu den Widersprüchen des Emissionshandels zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Beim Handel mit Emissionszertifikaten wird Verbrauch in Wert gesetzt und handelbar gemacht. Wie kann das sein, wenn man doch davon ausgeht, daß eine Ware für den Menschen einen Gebrauchswert haben sollte? Wie kann Zerstörung plötzlich positiv bewertet werden in Form von Geld?

Jutta Kill (JK): Bei unserer verbrauchsintensiven Form des Wirtschaftens wird immer Verschmutzung produziert, unter anderem Verschmutzung der Atmosphäre mit CO2, dessen Konzentration ständig anwächst. Wir kommen zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer klarer an Grenzen heran, an denen die Natur diese Verschmutzung nicht mehr kompensieren kann, und es wird immer schwieriger, dies nicht zu erkennen. Gleichzeitig leben wir in einem Wirtschaftssystem, das zentral auf die weitere Zerstörung von Natur und die Produktion von Verschmutzung angewiesen ist.

In dieser Konstellation fließt natürlich auch sehr viel Kreativität in die Entwicklung von Instrumenten, die den Konflikt, auf den wir als Gesellschaft immer schneller zulaufen, nochmal ein bißchen weiter hinausschieben. Dabei spielt der Emissionshandel und das Instrument des sogenannten Ausgleichs eine wichtige Rolle.

Indem man sagt, wir können weiterhin Emissionen ausstoßen, auch mehr als die, die uns beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zugeschrieben werden, und behauptet, daß wir das Klimaschutzziel einhalten, weil wir jemand anderen bezahlen, damit er für uns sozusagen die Reduktionen übernimmt, erlaubt man die Fortsetzung der industriellen Produktion und Verschmutzung da, wo sie am lukrativsten ist.

Einem Land wie Brasilien wird zugestanden, die Zerstörung von Wald weiterhin da zu betreiben, wo es am lukrativsten ist, und gleichzeitig wird ihm die Einhaltung von Waldschutz und Walderhaltungszielen attestiert. Denn man sagt, okay, jetzt wird zwar in einer Region, in der die Waldzerstörung immer noch sehr lukrativ ist, weniger Wald erhalten, als das Gesetz vorschreibt, aber das gleichen wir ja aus, indem wir an einer anderen Stelle, wo weniger oder kein Zerstörungsdruck besteht, ein bißchen weniger Wald vernichten, als das Gesetz erlaubt. Damit wird in der Tat Zerstörung oder Verschmutzung in Wert gesetzt. Gleichzeitig erleben wir damit das Erfinden oder den Aufbau neuer Handels"güter" - das ist aber kein Gut, sondern ein Wert, der geschaffen wird.

SB: Bei der Podiumsdiskussion vorhin sprachen Sie sogar von einem Paradigmenwechsel.

JK: Ja, denn ein noch grundsätzlicheres Problem als die Idee des Ausgleichs besteht darin, daß wir einige Prinzipien unserer Umweltgesetzgebung, vielleicht sogar unseres demokratischen Verständnisses, umbauen. Bis heute sind wir zumindest in der Theorie vor dem Gesetz alle gleich. Ein Grenzwert gilt für alle gleichermaßen. Der Emissionshandel macht uns vor - und das wird jetzt auch auf andere Bereiche wie den Flächenverbrauch und Biodiversitätsverlust ausgeweitet -, daß die Gesetzgebung Grenzwerte enthält: Man darf nicht mehr CO2 ausstoßen als ein bestimmter Grenzwert, man darf nicht mehr Fläche verbrauchen als ... man darf nicht mehr Biodiversität zerstören als ... es darf nicht mehr verschmutztes Abwasser in die Gewässer geleitet werden als ... und so weiter. Im Rahmen der Umweltgesetzgebung werden klare Grenzwerte festgelegt. Wer darüber hinaus verschmutzt oder zerstört, läuft Gefahr, dafür bestraft zu werden. Denn das wäre ein Bruch des Gesetzes.

Im Kyoto-Protokoll, dem internationalen Klimaschutzabkommen, wurde der Grundstein für einen sehr, sehr weitreichenden Umbau dieses Prinzips gelegt, denn man hat gesagt: Ja, es gibt bestimmte Grenzwerte der Verschmutzung, aber Deutschland zum Beispiel könnte auch sagen, daß es sein Reduktionsziel - also den Grenzwert der Emissionen, die ihm zugestanden werden - selbst dann erreicht, wenn es darüber hinaus Emissionen produziert, so lange es zum Beispiel den Aufbau eines Windparks in Kenia bezahlt, der dort Elektrizität, die sonst aus Kohle produziert worden wäre, ersetzt.

Damit würden in Kenia Emissionen vermieden, die sonst produziert worden wären. Und damit sind auf einmal vor dem Gesetz nicht mehr alle gleich. Es gibt nämlich diejenigen, die das Geld haben und es sich leisten können, jemand anderen zu bezahlen, daß er seine Verpflichtungen übernimmt. Man erkauft sich das Recht, gesetzliche Grenzwerte zu umgehen. Das halte ich für einen ganz zentralen Umbau unserer demokratischen Prinzipien.

Stellen Sie sich vor, daß diese Denkweise nicht nur auf den Emissionshandel angewendet wird, sondern eben auch auf die Zerstörung von biologischer Vielfalt, auf Flächenverbrauch, auf Umweltverschmutzungen und andere Dinge. Das hieße, daß Bürgerinnen und Bürger etwa in Industriegebieten keine Handhabe mehr hätten, gegen eine über einen Grenzwert hinausgehende Verschmutzung oder Zerstörung zu klagen. Weil der Unternehmer sagen könnte: "Ja, das stimmt, hier vor Ort verschmutze oder zerstöre ich mehr, als das Gesetz erlaubt. Ich verhalte mich aber trotzdem gesetzeskonform, weil ich für dieses Papier hier bezahlt habe, das mir das Recht verleiht, an diesem speziellen Ort über die Grenzwerte hinaus zu gehen, denn ich habe jemand anderen dafür bezahlt, der für mich weniger verschmutzt oder weniger Natur zerstört."

Den Menschen vor Ort, die von der Umweltverschmutzung betroffen sind, nützt es nichts, wenn 50, 100 oder 5000 Kilometer weit entfernt eine sogenannte Kompensation durchgeführt wurde. Aber genau das ist der Umbau, den der Emissionshandel salonfähig gemacht hat.

SB: Könnte man sagen, daß beim Emissionshandel das gleiche Nord-Süd-Gefälle reproduziert wird, das bereits aufgrund großer Produktivitätsunterschiede der einzelnen Ländern auch bei der Herstellung von Waren zu beobachten ist, also äquivalent dazu, daß in diesen Ländern billige Lohnarbeit eingekauft wird, um sie hier in Deutschland oder in Europa in Wert zu setzen?

JK: Ja, auf jeden Fall, denn das Grundargument insbesondere für den Handel mit Emissions- bzw. Verschmutzungsgutschriften lautet, daß das Problem des Klimawandels ein globales ist und es keinen Unterschied macht, wo reduziert wird. Dem würde ich stark widersprechen. Aber das ist die Grundannahme: Das CO2 bewegt sich in dem globalen Raum Atmosphäre, da ist es dann aus Sicht des Klimas egal, wo die Reduktion stattfindet. Dann ist es wirtschaftlich gesehen natürlich sinnvoll, sie da durchzuführen, wo sie gesamtwirtschaftlich und mit Sicherheit betriebswirtschaftlich am günstigsten ist.

Dabei werden sehr viele Aspekte nicht berücksichtigt. Für die Bewohner beispielsweise um ein Verhüttungswerk herum macht es sehr wohl einen Unterschied, ob die Emissionen dort reduziert werden oder nicht. Und auch für den Umbau unseres Energiesystems in Deutschland macht es einen Unterschied, wo die Emissionsreduktion stattfindet. Weil der Emissionshandel aufgrund dieser unterschiedlichen Preise der Reduktionen natürlich auch dazu führt, daß eben diejenigen, die aus der Klimaperspektive als erste die großen Investitionen machen müßten - also unsere Energiewirtschaft -, sie nun als letztes machen, weil es natürlich auch die teuersten Investitionen sind.

Da geht es nicht darum, nur einen Aspekt der Produktion zu verändern, da geht es darum, das Businessmodell, das Kerngeschäft dieses Industriezweigs, völlig umzukrempeln. In diesem Kontext, daß es eben nicht nur um einen Randbereich der Produktion geht, sondern um das Kerngeschäft, sind die Kosten der Veränderung immer deutlich höher als der Zukauf von Emissionsgutschriften. Immer! Und deshalb führt dann der Emissionshandel insbesondere in seiner Form der sogenannten Offsets dazu, daß wir da, wo die Veränderungen am notwendigsten, aber eben auch am teuersten sind, sie am weitesten rausschieben können. Damit ist das klimapolitisch eine Katastrophe - nicht zu sprechen von den menschenrechtlichen Katastrophen, die dann oft im Zuge von solchen Projekten ausgelöst werden, und natürlich auch den damit einhergehenden Umweltkatastrophen.


Kleiner, bewachsener Weiher umgeben von hohen Bäumen - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Der Wald ist nicht nur eine Sammlung von Bäumen und Arten, sondern ein Gefüge."
Hambacher Forst, 14. Juni 2015. Der ehemals größte Wald Nordrhein-Westfalens wurde und wird weiterhin dem Braunkohletagebau geopfert.
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Mit dem Titel der Fachtagung, "Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt?", wird eine sehr interessante Frage aufgeworfen, wenn man daran denkt, daß es heute Biomassekraftwerke gibt, in denen vermeintlich klimaneutrale Energie erzeugt wird, wofür aber große Wälder abgeholzt werden. Was sagen Sie zu so einer Innovation, die als grüne Energie auch noch sehr werbewirksam verkauft wird?

JK: Beim Gleichsetzen von fossilem Kohlenstoff und dem Kohlenstoff im Baum vergessen wir immer sehr schnell, daß der fossile Kohlenstoff, wenn er denn zu Öl und Kohle als Energieträger gemacht wird, den Kohlenstoff in einer unglaublich konzentrierten Form enthält. Das sind 40.000 Jahre "komprimierter Baum", die sich in den Öl- oder Kohlereserven verbergen.

Beim Verbrennen von einem Liter Öl setzen wir sehr viel fossilen Kohlenstoff frei. Für die gleiche Energiemenge müßten wir unglaublich viel Wald verfeuern. Die Rechnung, daß das eine durch das andere ersetzbar ist, kann schon deshalb nicht aufgehen, weil wir diesen Luxus von Energieintensität, den Öl und Kohle haben, niemals durch Biomasse auffangen können. Wenn wir meinen, das eine nur durch das andere substituieren zu können, ist das Resultat dann, daß wir sehr viel schneller die vorhandene Biomasse verheizen, als sie nachwächst. Es wurde einmal ausgerechnet, daß der Kohlenstoff, den wir durch das Verbrennen fossiler Energieträger pro Jahr freisetzen, dem Kohlenstoff in der Biomasse entspricht, die über einen Zeitraum von 400 Jahren auf der Erde nachwächst! Wo sind denn dann die 399 Planeten, die wir zusätzlich bräuchten, um eine reine Substitution der Fossilen hinzubekommen? Das geht also nicht, zumal darüber hinaus Konflikte über Landnutzung mit konkurrierenden Landnutzern aufträten.

Die andere falsche Gleichsetzung bei der Vorstellung, man könne Wald verheizen und würde dadurch das Klima schützen, besteht darin, daß ein Baum 50, 100 oder 200 Jahre braucht, bis wieder die Menge an Kohlenstoff gespeichert wird, der vorher verbrannt wurde. Es entsteht eine zeitliche Lücke, in der eben doch mehr Kohlenstoff in der Atmosphäre ist als im Wald. Die Vorstellung, Wald befände sich in einem CO2-neutralen Kreislauf, ist ein Irrtum, wenn wir die verzögerte Speicherung berücksichtigen.

Sicherlich, Wald kann sehr viel Kohlenstoff speichern. Das tut er bereits, aber er könnte sehr viel mehr speichern, ließen wir die Bäume länger wachsen, als es das wirtschaftliche Optimum, an dem sie normalerweise geschlagen werden, nahelegt. Eine sehr sinnvolle und wirksame Klimaschutzmaßnahme wäre somit, die Umtriebszeiten deutlich zu verlängern.

SB: In NRW gibt es zur Zeit zwei Konflikte, bei denen Wald eine größere Rolle spielt. Zum einen der Hambacher Forst, der dem Braunkohletagebau geopfert wird. Auch dort wird behauptet, daß der Wald, der an der einen Stelle vernichtet wird, woanders wieder nachwächst. Wenn man sich aber die Rekultivierungsflächen zum Beispiel auf der Sophienhöhe anschaut, sieht man, daß man diesen Wald nicht mit dem uralten Hambacher Forst gleichsetzen kann. Das zweite Beispiel ist der von Ihnen bei der Veranstaltung erwähnte Freizeitpark Phantasialand in Brühl, den die Betreiber zu Lasten eines Naturschutzgebietes erweitern wollen. Weshalb sind Sie da engagiert?

JK: Das Instrument des Emissionshandels ist nicht nur auf die Diskussion um Klimaschutz beschränkt, sondern findet auch bei Konflikten um Landnutzung Anwendung. Dafür ist der Hambacher Forst ein Beispiel. Wenn rechnerisch eine Äquivalenz nachgewiesen wurde, wird behauptet, daß der Wald nicht zerstört wurde, weil er woanders ausgeglichen wird.

Auch das ist eine Rechnung, die nicht aufgeht. Der Wald ist nicht nur eine Sammlung von Bäumen und Arten, sondern ein Gefüge. Keine Stelle eines Waldes gleicht einer anderen. Den Nutzern des Walds, die Geschichten mit ihm verknüpfen, eine Bindung zu ihm aufgebaut haben, auch einen nicht-materiellen Nutzen aus ihm ziehen, nützt es nichts, wenn der Wald, mit dem sie verbunden sind, zerstört und ihnen daraufhin erzählt wird: "Aber wir haben das 50 Kilometer weiter ausgeglichen." Das Instrument der Emissionsgutschriften, das sich schon beim Klimaschutz als sehr problematisch erwiesen hat, ist ebenso problematisch, wenn man es anwendet, um beispielsweise den Flächenverbrauch weiterhin zu rechtfertigen.

Ob Ausgleichsmaßnahmen auf der Fläche oder Emissionsgutschriften im Klimahandel, beides ist nicht zielführend, weil es uns nicht zum Ziel der Reduktion führt. Wie diese Ausgleichsmaßnahmen berechnet werden, ist eigentlich nur als hanebüchen zu bezeichnen. Wenn ich die Emissionen ausgleichen will, muß ich ja nachweisen, daß ohne meine Maßnahme dieses CO2 sonst in der Atmosphäre gelandet wäre. Das heißt, ich muß wissen, was ohne mein Emissionsreduktionsprojekt passiert wäre. Da braucht es aber viele Hellseher, um zu wissen, was passiert wäre, wenn es eine bestimmte Ausgleichsmaßnahme nicht gegeben hätte!

Wenn man jetzt noch überlegt, daß sich die Zahl der Emissionsgutschriften erhöht, je schmutziger die Geschichte dessen, was passieren könnte, beschrieben wird, wird die perverse Logik dieses Instruments vollends deutlich. Denn das Volumen vermiedener Emissionen, das mit Zertifikaten "ausgeglichen" werden kann, wird um so größer, je zerstörerischer jemand das Bild der Zukunft malt. Und jedes Programm, das diese Zerstörung reduzieren würde, wäre somit ein geschäftliches Risiko für mein Emissionsprojekt, weil ich damit ja dann weniger Gutschriften generieren kann. Das ist pervers.


Foto: EveryPicture, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Rekultivierter Teil der Inde des rheinischen Braunkohletagebaus Inden, 9. Juli 2010: Vorwiegend Buschwerk und unfruchtbarer Sandboden anstelle von Bäumen und humusreichem Waldboden
Foto: EveryPicture, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

In der Stadt Brühl, südlich von Bonn, gibt es das Phantasialand, das seit etwa 15 Jahren eine Erweiterung anstrebt. Der Vergnügungspark liegt in einem Wohngebiet, die Erweiterungsoptionen sind also relativ begrenzt. Eine Erweiterungsoption, die sich der Betreiber dieses Vergnügungsparks ausgeguckt hat, ist ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet, das auch Staatswald beinhaltet und Ententeich genannt wird. Das ist kein uralter Wald, sondern ein Renaturierungsgebiet auf den alten Braunkohleflächen, aber für die Bevölkerung in der Region ein durchaus wichtiger Anlaufpunkt. Menschen sind dort hingezogen, weil sie in der Nähe von Grün wohnen und dort ihren Lebensmittelpunkt aufbauen wollten. Sie verließen sich darauf, daß sie da, wo ein Naturschutzgebiet ausgewiesen ist, die Investition eines Hauskaufs tätigen können.

Das Land Nordrhein-Westfalen erwägt zur Zeit gemeinsam mit dem Betreiber des Phantasialands, dieses ausgewiesene Naturschutzgebiet als Baufläche für den Vergnügungspark freizugeben mit dem Argument: "Wir gleichen das ja aus." Es werden jedoch 40 bis 70 Jahre alte Wälder zerstört und eben nicht durch gleichaltrige, sondern durch junge Bäume ersetzt. Natürlich wird dieser Ausgleich den Leuten, die von zusätzlichem Lärm, zusätzlicher Verschmutzung und all den anderen Unannehmlichkeiten, die mit dem Vergnügungspark verbunden sind, nichts nützen, weil es in seiner direkten Umgebung keine Ausgleichsflächen gibt. Die Menschen, die dort investiert haben, werden auf jeden Fall einen massiven Verlust hinnehmen müssen, ohne von dieser Privatinvestition zu profitieren.

Auch hier liefert das Instrument der Ausgleichsmaßnahme oder auch Ökokonten, die Idee, daß ich ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet zerstören kann, obwohl es keinen überwiegenden Nutzen des Allgemeinwohls gibt, sondern lediglich das Interesse eines Privatinvestors. Die Ausweitung dieses Instrument der Ausgleichsmaßnahme gibt es in Deutschland schon seit über 35 Jahren mit der Eingriffs-Ausgleichsregelung, die erlaubt, daß wir Straßen, Bahnen und alles mögliche auch durch Schutzgebiete führen dürfen. In diesem Fall wäre es aber das erste Mal, daß ein gesamtes Schutzgebiet für eine private Investition, bei der das vorrangige öffentliche Interesse nicht sichtbar ist, geopfert wird.

Das ist ein Beispiel für die Erweiterung dieses Instruments "Ausgleichshandel", das früher einmal die letzte Option sein sollte für Flächenverbrauch und Naturzerstörung, wenn es um ein höherrangiges öffentliches Interesse geht. Ich halte das für sehr problematisch und glaube, daß der Emissionshandel - eingeführt im Zuge der Diskussionen um den Klimawandel - diese Ausweitung des Instruments "Kompensation" erleichtert hat.

Da müssen wir uns auch als Gesellschaft überlegen: Wollen wir da wirklich hin? Wollen wir Natur begrenzen auf eine Sammlung von einzelnen Komponenten, die man irgendwie abzählen kann und für die man dann an unterschiedlichen Stellen wieder ausgleichen kann und dann so tun, als ob damit Natur erhalten würde? Was gaukeln wir uns da eigentlich vor? Was sagt ein solcher Ansatz aus über das Verständnis und die Wertschätzung, die wir der Natur entgegenbringen, wenn man selbst bei so relativ kleinen Investitionen, wo man mit mehr Geld sicherlich andere Lösungen finden könnte, bereit ist, einmal ausgewiesene Naturschutzgebiete ohne große Not zu zerstören?

SB: Frau Kill, vielen Dank für das Gespräch.


Hinweisschild für die Veranstaltung 'Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt?' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Fachtagung zu einer unbequemen Frage
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Zu der Fachtagung sind bisher unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
mit dem kategorischen Titel "Waldvorräte, Kolonien" erschienen:

BERICHT/102: Waldvorräte, Kolonien - Beutespiel mit Lebensraum ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0102.html

INTERVIEW/187: Waldvorräte, Kolonien - geben und nehmen ... Josien Aloema Tokoe im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0187.html

INTERVIEW/188: Waldvorräte, Kolonien - die letzten Wächter ... Thomas Fatheuer im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0188.html

INTERVIEW/189: Waldvorräte, Kolonien - den Teufel mit dem Beelzebub ... Joseph Ole Simel im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0189.html

INTERVIEW/190: Waldvorräte, Kolonien - Forsten, ernten und benutzen ... Uwe Schölmerich im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0189.html

[2] http://wrm.org.uy/wp-content/uploads/2014/12/REDD-A-Collection-of-Conflict_Contradictions_Lies_expanded.pdf

19. Juli 2015


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