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INTERVIEW/215: Profit aus Zerstörungskraft - Augenwischerei ...    Mycle Schneider im Gespräch (SB)


5 Jahre Leben mit Fukushima - 30 Jahre Leben mit Tschernobyl

Internationaler IPPNW-Kongreß vom 26. bis 28. Februar 2016 in der Urania, Berlin

Mycle Schneider unter anderem über das als Dekontaminierung verklärte Hin- und Herbewegen von Radioaktivität, die Korrosionsanfälligkeit des Akw Fukushima Daiichi und die vielfachen Hotspots in der Stadt Koriyama


Wenn jemand als "Berater" bezeichnet wird, trifft die Vermutung häufig ins Schwarze, daß dies mal wieder eine jener Jobbeschreibungen beispielsweise für ehemalige Politiker ist, die von der Industrie angeheuert werden, weil man dort an ihren guten Verbindungen in die Administration interessiert ist, nicht aber weil sie sich auf irgendeinem Sachgebiet besonders gut auskennen würden. Das gilt jedoch nicht für Mycle Schneider. Er ist ein weltweit gefragter Energie- und Atompolitikberater, dessen Fachwissen von Politik, Industrie und Zivilgesellschaft gleichermaßen in Anspruch genommen wird. Er lebt seit mehreren Jahrzehnten in Paris und gibt jährlich den World Nuclear Industry Status Report [1] heraus, für den er auch als Autor zeichnet. Dieser Bericht gilt als Standardwerk und bietet einen umfassenden Einblick in den gegenwärtigen Stand der Atomindustrie in der ganzen Welt.


Schneider beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Ich halte es nach wie vor für einen großen Fehler, daß die Evakuierungszone von Fukushima nicht erweitert wurde."
(Mycle Schneider, 27. Februar 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Er hat die EU-Kommission, die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und die Bundesregierung beraten. Als Mitglied des International Panel on Fissile Materials (IPFM) der Princeton University in den USA befaßt sich Schneider mit praktischen und machbaren politischen Initiativen, um die Bestände an hoch angereichertem Uran und Plutonium zu sichern und zu verringern. Als Koordinator des Seoul International Energy Advisory Council (SIEAC) arbeitet er an einer umfassenden Transformation der südkoreanischen Hauptstadt weg von fossilen und atomaren Energieträgern hin zu den Erneuerbaren sowie an Möglichkeiten der Energieeinsparung.

Auf dem internationalen IPPNW-Kongreß "5 Jahre Leben mit Fukushima - 30 Jahre Leben mit Tschernobyl", der vom 26. bis 28. Februar 2016 in Berlin stattfand, hielt Schneider einen Vortrag zum Thema "Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland und Europa" und nahm an einer Podiumsdiskussion zum Thema "Weltweiter Atomausstieg: Was ist zu tun?" teil. Am Rande des Kongresses stellte sich Mycle Schneider dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Schattenblick (SB): Einwohner der Präfektur Fukushima fordern die Regierung auf, die Dekontaminierung der radioaktiv verstrahlten Wälder nicht nur auf 20 Meter rund um ihre Siedlungen und Infrastruktureinrichtungen wie die Verkehrswege zu begrenzen. Abgesehen von dem berechtigten Anliegen der Einwohner - lassen sich Wälder überhaupt dekontaminieren?

Mycle Schneider (MS): Die japanische Regierung setzt den Begriff "Dekontaminierung" als eine Art Zauberwort ein. Nach dem Motto: Damit regeln wir das Problem Fukushima. Dabei konnte ich selber beobachten, daß Dekontaminierung darin besteht, Radioaktivität von einer Ecke in die andere zu spritzen, zu schaufeln oder auf andere Weise zu bewegen. Aber es handelt sich in keinem Fall darum, zu einem dekontaminierten Zustand im Sinne von nicht-vorhandener Radioaktivität zu gelangen.

Die Wälder sind natürlich ein besonderes Problem. Japan besteht zu 80 Prozent aus Bergen. Wir wissen aus der Erfahrung von Tschernobyl, daß sich die Radioaktivität mit Regen, Schnee und Wind immer mehr ausbreitet. Insofern handelt es sich um einen dynamischen Prozeß und nicht um einen Zustand, der einmal verändert in einen anderen Zustand gebracht wird.

Die Radioaktivität wandert vor allen Dingen über Oberflächenwasser, das von den Bergen kommt, in die Täler und rekontaminiert dort die Oberflächen. Insofern halte ich den gesamten Ansatz für unglaublich irreführend. Daß es Dekontaminierung geben muß, darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel. Es stellt sich nur die Frage, was man darunter versteht.

Wer noch Tschernobyl miterlebt hat, wird sich erinnern, daß nach dem Fallout auch in Deutschland beispielsweise der Sand aus den Spielplätzen ausgewechselt wurde. Das war sicherlich sinnvoll. Zweifelsohne sollte man so etwas auch in Japan machen. Nur sollte das immer ins Verhältnis zu dem gesetzt werden, was auf diese Art und Weise überhaupt machbar ist, und man sollte nicht der Illusion verfallen, daß sich damit das Problem der Kontaminierung lösen läßt.

SB: Was halten Sie von der Dekontaminationsanlage ALPS, die angeblich große Mengen an Radionukliden aus dem kontaminierten Wasser vom Akw Fukushima herausfiltern kann?

MS: Es gibt nicht nur diese eine Anlage, sondern mehrere, die parallel und teilweise auch in Konkurrenz zueinander in Betrieb sind. Da sind verschiedene kommerzielle Unternehmen involviert, die diese Anlagen verkaufen. Diesen Aspekt darf man nicht unterschätzen.

Keine dieser Anlagen ist bislang ohne Probleme gelaufen. Die Vorstellung, daß diese Dekontaminierungsanlagen aus dem radioaktiven Wasser sozusagen Trinkwasser machen, wäre falsch. Erstens muß das Wasser entsalzt werden, zweitens gibt es radioaktive Stoffe, die sich über diese Anlagen überhaupt nicht herausziehen lassen. Dazu zählt in erster Linie Tritium, also radioaktiver Wasserstoff. Der ist extrem schwierig zu handhaben, weil er durch viele Materialien diffundiert. Man kann nicht mal eben irgendwo größere Mengen Tritium langfristig lagern. Das ist sehr kompliziert.


Zwei Haufen, offenbar Strahlenmaterial, mit weißen Säcken gesichert und von Absperrleine umgeben, am Wegesrand - Foto: Giovanni Verlini / IAEA, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr

Dekontaminierung: Strahlenmaterial von einer Ecke in die andere schaufeln ...
Sanierungsmodellprojekt in der japanischen Stadt Date, Besuch einer IAEA-Delegation am 10. Oktober 2011
Foto: Giovanni Verlini / IAEA, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr

SB: Weiß man inzwischen vom Akw Fukushima Daiichi, wo sich die geschmolzenen Brennstäbe der Reaktoren 1 bis 3 befinden?

MS: Nein, das weiß man nicht. Bisher gibt es nur sehr vage Berechnungen, aber noch keine visuelle Inspektion. Die ist nicht möglich.

SB: Wie tief kann sich das Corium in den Boden einschmelzen?

MS: Das ist reine Theorie, man weiß es letzten Endes nicht, weil es so einen Fall noch nicht gegeben hat. Aus der Tatsache, daß der Berstschutz in allen drei Reaktoren zerstört ist, geht hervor, daß man auch heute noch tagtäglich 300 bis 400 Kubikmeter Wasser in die Reaktoren einspeisen muß, um sie zu kühlen. Übrigens muß man nicht nur Wasser, sondern auch inertes Gas einfüllen, um zu vermeiden, daß es zu Wasserstoffexplosionen kommt. Das ist einer der Gründe, warum die gesamte Anlage einem Kartenhaus gleicht. Sie ist sehr zerbrechlich und unberechenbar, weil diese Strukturen durch Erdbeben, Tsunami, etc. stark mitgenommen sind und nun weiter verfallen.

Dazu gesellt sich noch das Problem der salzigen Luft aufgrund der Nähe zum Meer. Der hohe Salzgehalt führt zu einer beschleunigten Korrosion. Wenn über Löcher und Risse, die ja vorhanden sind, salzhaltige Luft oder salzhaltiges Wasser an das Metall gerät und das zu korrodieren beginnt, nimmt das Volumen zu und der Beton wird von innen her aufgesprengt. Das ist nach wie vor eine extrem beunruhigende Situation.

SB: Ist das in die Reaktoren eingespeiste inerte Gas gesundheits- oder umweltrelevant?

MS: Ich glaube, es handelt sich bei dem Gas um Argon. Die Umwelt- oder Gesundheitsrelevanz anderer Stoffe, mit denen dort umgegangen wird, ist so unglaublich viel höher, da ist das Argon mit Sicherheit nicht das Problem.

SB: Wie bewerten Sie die Versuche der Akw-Betreibergesellschaft Tepco, den Grundwasserstrom zu reduzieren, um die Menge an abgepumpten radioaktiven Wasser zu reduzieren?

MC: Es gibt mehrere Projekte, die parallel gefahren werden. Man muß sich die Ausgangssituation vergegenwärtigen. Am 10. März 2011 gab es noch eine technische Barriere, durch die ein unterirdischer Fluß - man muß wirklich Fluß sagen, denn der Durchfluß liegt bei einer Größenordnung von rund 1000 Kubikmetern pro Tag - umgeleitet wurde. Das Wasser wäre ansonsten direkt unter dem Akw-Standort hindurchgeflossen. Durch das Erdbeben wurde diese Infrastruktur vollständig zerstört. Also brechen jeden Tag 300 bis 400 Kubikmeter Grundwasser in die Kellerräume des Akw ein. Das hat man inzwischen mittels Fotos bestätigt.

Man steht also vor dem Problem, wie man mit diesem einbrechenden Wasser umgeht. Ein Versuch besteht darin, einen Teil dieser Umleitungsstrukturen wieder herzustellen, damit das Wasser gar nicht erst in die Anlage eindringt und sich dort nicht mit dem hochradioaktiven Wasser vermischt. Das einströmende Wasser ist zwar ebenfalls kontaminiert, aber nur sehr schwach.

Die zweite Frage lautet, wie geht man längerfristig mit dem restlichen einbrechenden Wasser um. Dazu wurde dieses ziemlich kuriose Projekt der Eiswand begonnen. Man will das Erdreich durch Vereisung komplett verfestigen, um auf diese Weise zu vermeiden, daß weiterhin so viel Wasser in die Kellerräume der Reaktoren eindringt. Hier waren die ersten Versuche fehlgeschlagen, weil die Frosttemperaturen nicht tief genug gingen. Die Ergebnisses dieses noch laufenden Projekts sind nicht sehr aufschlußreich.

Entscheidend ist die Frage, wie man vermeiden kann, daß die Menge an zu lagerndem Wasser weiter zunimmt. Denn die Größenordnung liegt nach wie vor bei 300 bis 400 Kubikmetern pro Tag. Die Tanks fassen etwa 1000 Kubikmeter, was bedeutet, daß alle zwei bis drei Tage ein neuer Tank aufgebaut werden muß. Man hat die Kapazität schon auf die unglaubliche Menge von 700.000 Tonnen ausgeweitet.

Es handelt sich keineswegs um Behälter, die für diesen Zweck konzipiert worden sind. Die Tanks haben relativ geringe Wandstärken, und viele von ihnen sind gar nicht verschweißt, sondern werden nur mit Bolzen zusammengehalten, was sich als problematisch erwies. Es gibt viele solcher mangelhaften technischen Kleinigkeiten, die aber logisch sind, wenn man drüber nachdenkt: Die Bolzeneingänge führen dazu, daß sich dort Wasser staut, und Salzwasser, das sich dort staut, beschleunigt die Korrosion enorm. Das ist einer der Gründe, warum ständig irgendwelche Lecks auftreten.

Wenn man jetzt aber weiß, daß auf der einen Seite die Korrosion sehr schnell voranschreiten kann, sich demnach die eigentliche Infrastruktur der Behälter täglich verschlechtert, und auf der anderen Seite immer wieder Erdbeben auftreten, kann man natürlich die Befürchtung hegen, daß bei einem solchen Untergrund ein größeres Erdbeben eine Art Kettenreaktion zwischen den eng beieinander stehenden Tanks auslösen kann. Der Untergrund ist ja nicht erdbebenfest ausgelegt. Es war nie geplant, dort ein paar hunderttausend Kubikmeter Wasser zu lagern. Wenn nun in einem Erdbebenfall ein Behälter kaputt geht - wer wollte seine Hand dafür ins Feuer legen, daß die umliegenden Behälter das aushalten?

SB: Dann hat man wohl bisher Glück gehabt, denn es war ja schon zu leichteren Beben gekommen.

MS: Es traten sogar schon erhebliche Beben auf. Nach dem 11. März 2011 hatten sie teilweise eine Stärke von über 6,0 auf der Richterskala. Ich habe selber einmal in Koriyama ein Erdbeben von einer Stärke über 5 erlebt. Da wackelt die Erde schon ganz kräftig! Erdbeben treten in Fukushima immer wieder auf, was die Anlage noch zerbrechlicher macht. Das ist für meine Begriffe nach wie vor einer der Problempunkte.


Tanklager am Standort Fukushima Daiichi - Foto: Gill Tudor / IAEA, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr

Tanks, dicht an dicht, 18. Dezember 2012. Besuch einer IAEA-Delegation beim Akw Fukushima Daiichi. Damals betrug die Füllkapazität der Tanks 240.000 Kubikmeter, heute ist man schon bei über 700.000 Kubikmetern.
Foto: Gill Tudor / IAEA, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr

SB: Die japanische Regierung läßt prüfen, ob nicht radioaktives Material aus der Fukushima-Katastrophe 15 Kilometer von der Küste entfernt unter dem Meeresboden endgelagert werden kann. Was halten Sie von der Idee?

MS: Absurd, aber es wurden im Laufe der Geschichte der Atomenergienutzung schon alle möglichen Ideen vorgebracht, wo man radioaktives Material verpressen oder verbuddeln kann. Eines ist dabei wichtig: Jede Form der Lagerung sollte so gemacht werden, daß sie auf jeden Fall rückholbar ist. Und im Meeresboden verbuddeltes Material klingt vom eigentlichen Konzept her nicht nach Rückholbarkeit. Ich halte zum Beispiel die bloße Offenhaltung eines geologischen Lagers für kein Konzept der Rückholbarkeit, denn wie man aus Erfahrung weiß - siehe beispielsweise die Asse -, können Situationen entstehen, die diese Rückholbarkeit einfach ad absurdum führen.

SB: Wie bewerten Sie das vor kurzem gemeldete Unterfangen der US-Behörden, in North-Dakota zu Testzwecken ein fünf Kilometer tiefes Loch zu bohren und zu prüfen, ob sich darin Atommüll versenken läßt? Ist das ähnlich einzuschätzen wie die Endlagerung unter dem Meeresboden?

MS: Ja, aber mit einer Ausnahme. Es handelt sich dabei um immobilisiertes Plutonium. Ich habe mir dazu noch keine abschließende Meinung gebildet und halte es für zu früh, um sich dazu zu äußern. Aber wir haben ein riesiges Problem, denn es haben sich große Mengen an abgetrenntem Plutonium angesammelt. Ich halte es für viel problematischer, dieses Plutonium, wie beispielsweise in den Reaktoren im japanischen Akw Takahama, die wieder angefahren sind, einzusetzen. Man kann das Plutonium in Keramik, Glas oder in irgendeiner anderen inerten Matrix immobilisieren. Wenn man dann sagt, man bohrt ein fünf Kilometer tiefes Loch und verpreßt das in den Untergrund, halte ich das zumindest im Moment noch nicht für komplett auszuschließen. Ich bin Mitglied einer Arbeitsgruppe, die an der Princeton University sitzt und sich auch mit dieser Möglichkeit der Lagerung befaßt.

SB: Haben Sie die Präfektur Fukushima schon mal nach der Katastrophe besucht?

MS: Ich habe den ehemaligen Gouverneur von Fukushima schon zehn Jahre vor der Katastrophe beraten und somit eine eigene Beziehung zu dieser Region. Ich war schon mehrfach dort. Nach dem 11. März 2011 habe ich die Region zweimal besucht, wobei ich bis an die Evakuierungszone herangefahren bin. Allgemein habe ich viel in Japan gearbeitet und war dort zwischen 25- und 30mal.

SB: Der Fallout hat sich nicht gleichmäßig über die Präfektur Fukushima verteilt. Zeigt dann das Dosimeter ständig wechselnde Werte an?

MS: Genauso ist es. Wir waren damals mit einem Bus unterwegs und ich habe je ein Dosimeter außen, das man von innen lesen konnte, und eines innen anbringen lassen. So hatten wir permanent einen Innen-außen-Vergleich. Es war schon sehr schockierend zu sehen, daß sich die Werte alle paar hundert Meter um den Faktor zehn änderten. Das ist also völlig unkalkulierbar. Genau nach dem Prinzip eines Leopardenfells von Kontaminationsflecken mit zum Teil wirklich beachtlichen Werten, die weit über das, was in der Evakuierungszone gemessen wird, hinausgingen.

Die Stadt Koriyama, die 60 Kilometer vom Akw Fukushima Daiichi entfernt liegt, ist nicht etwa ein einziger Hotspot, sondern es werden dort multiple Hotspots gemessen. Deshalb muß man sich die Frage stellen, was eigentlich die durchschnittliche Dosisleistung, die die Leute abbekommen, sein soll. Man hat ja auch nicht unbedingt immer den höchsten Wert gemessen. Das darf man nicht vergessen.

Es gibt sehr viele Stellen, an denen die Meßwerte über die aus der Evakuierungszone von Tschernobyl hinausgehen. Ich finde es interessant, daß das Verhalten der sowjetischen Behörden damals im Grunde genommen sehr viel radikaler war als das, was in Japan gemacht worden ist. Denn die Anzahl der Personen, die im ersten und zweiten Schritt evakuiert wurden, ist ungefähr gleich, also etwa 130.000 Einwohner. Aber in Tschernobyl hat man noch darüber hinaus, über einen längeren Zeitraum hinweg, Leute evakuiert. Denn man hatte immer wieder Hotspots oder Gegenden gefunden, die hochbelastet sind.

Einige Personen wurden mehrfach evakuiert, weil man, nachdem man sie neu angesiedelt hatte, feststellte, daß es dort doch heißer war, als man dachte. Wenn ich es richtig erinnere, dann liegt die akkumulierte Zahl der Evakuierten von Tschernobyl bei 400.000 und ist damit viel höher als im Fall von Fukushima. Dort hat man die 20-Kilometer-Zone eingerichtet und so getan, als ob das genüge. Eine Ausnahme war Iitate, wo man dann nochmals einen Fleck zur Evakuierung ausgewiesen hat, weil die Einwohner empört gesagt haben, jetzt reicht es uns aber.

Ich halte es nach wie vor für einen großen Fehler, daß die Evakuierungszone von Fukushima nicht erweitert wurde. Ich bin vor kurzem von einem japanischen Diplomatenberater gefragt worden, ob ich heute aufgrund des Eingeständnisses von Tepco, daß sie damals die Kernschmelze verheimlicht haben, das rückwirkend betrachtet anders gesehen, andere Empfehlungen gegeben oder eine andere Analyse gemacht hätte. Daraufhin habe ich mir nochmal meinen eigenen Kommentar, den ich zwölf Tage nach der Katastrophe geschrieben hatte, durchgelesen und kann sagen, ich hätte kein Komma daran geändert. Ich hatte nämlich schon damals geschrieben, daß sich die Reaktoren im fortgeschrittenen Kernschmelzstadium befinden. Denn jeder, der sich ein bißchen mit dem Thema Atomenergie beschäftigt, wußte, daß eine Kernschmelze stattfindet, sobald man Spaltprodukte messen kann. So kompliziert ist das dann auch nicht.

SB: Vielen Dank, Herr Schneider, für das Gespräch.


Hoher Kran neben vollständig zerstörtem Reaktorgebäude - Foto: Giovanni Verlini / IAEA, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr

Auch wenn die Reaktorgebäude des Akw Fukushima Daiichi inzwischen von außen her den Eindruck erwecken, sie seien gesichert, stellen Erdbeben nach wie vor eine Gefahr dar. Besuch einer IAEA-Delegation am 11. Oktober 2011.
Foto: Giovanni Verlini / IAEA, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr


Fußnote:
[1] www.WorldNuclearReport.org


Die Berichterstattung des Schattenblick zum IPPNW-Kongreß finden Sie unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT:

BERICHT/112: Profit aus Zerstörungskraft - Herrschaftsstrategie Atomwirtschaft ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0112.html

BERICHT/113: Profit aus Zerstörungskraft - kein Frieden mit der Atomkraft ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0113.html

INTERVIEW/203: Profit aus Zerstörungskraft - nach unten unbegrenzt ...    Dr. Alexander Rosen im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0203.html

INTERVIEW/204: Profit aus Zerstörungskraft - Spielball der Atommächte ...    Dr. Helen Caldicott im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0204.html

INTERVIEW/205: Profit aus Zerstörungskraft - systemische Verschleierung ...    Tomoyuki Takada im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0205.html

INTERVIEW/206: Profit aus Zerstörungskraft - auf verlorenem Posten ...    Ian Thomas Ash und Rei Horikoshi im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0206.html

INTERVIEW/207: Profit aus Zerstörungskraft - eine ungehörte Stimme ...    Prof. Dr. Toshihide Tsuda im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0207.html

INTERVIEW/208: Profit aus Zerstörungskraft - Empathie und Trauma ...    Tatjana Semenchuk im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0208.html

INTERVIEW/209: Profit aus Zerstörungskraft - so was wie Diabetes ...    Liudmila Marushkevich im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0209.html

INTERVIEW/210: Profit aus Zerstörungskraft - Schlußfolgerungen verfrüht ...    Dr. Alfred Körblein im Gespräch, Teil 1 (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0210.html

INTERVIEW/211: Profit aus Zerstörungskraft - Schlußfolgerungen verfrüht ...    Dr. Alfred Körblein im Gespräch, Teil 2 (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0211.html

INTERVIEW/212: Profit aus Zerstörungskraft - Schlußfolgerungen verfrüht ...    Dr. Alfred Körblein im Gespräch, Teil 3 (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0212.html

INTERVIEW/213: Profit aus Zerstörungskraft - die Faust des Bösen ...    Jonathan Frerichs im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0213.html

INTERVIEW/214: Profit aus Zerstörungskraft - den Finger in der Wunde ...    Dr. Ian Fairlie im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0214.html

14. April 2016


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