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INTERVIEW/220: Ende Gelände - Wendehände ...    Marvin Kracheel im Gespräch (SB)


Ende Gelände 2016 - Kohle stoppen, Klima schützen!

Pressekonferenz des Bündnisses Ende Gelände am 11. Mai 2016 in Berlin im Vorfeld der angekündigten Aktionen zivilen Ungehorsams am Tagebau Welzow

Marvin Kracheel, Pressesprecher des 6. Lausitzer Energie- und Klimacamps, über die Zusammenarbeit mit den Einwohnern Proschims, die Ziele des Lausitz-Camps und die Hoffnung, daß der geplante Tagebau Welzow Süd Teilfeld 2 verhindert werden kann


Bereits im sechsten Jahr hintereinander wird in der Lausitz ein Energie- und Klimacamp veranstaltet. Vom 9. bis zum 16. Mai 2016 lassen sich die Klimaaktivistinnen und -aktivisten in dem Dorf Proschim nieder. "Wir verstehen uns als Plattform der Information, des Austausches und der Vernetzung", berichtete Marvin Kracheel, Sprecher des Lausitz-Camps, auf einer Pressekonferenz am 11. Mai 2016 in Berlin. Das Ziel des Camps sei es, den Braunkohletagebau zu verhindern und die Energiewende voranzubringen. Das versuche man auch im Lager selbst zu verwirklichen.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Marvin Kracheel, Pressesprecher des 6. Lausitzer Energie- und Klimacamps
Foto: © 2016 by Schattenblick

Zur Zeit befinden sich rund 2000 Personen in dem Camp, denn zeitgleich hat das Bündnis Ende Gelände zu viertägigen Aktionen des zivilen Ungehorsams aufgerufen. Der Tagebau Welzow Süd soll in einem symbolischen Akt lahmgelegt werden.

Seit Jahren setzen sich die Bewohner Proschims bei der Bergbaustadt Welzow gegen die geplante Abbaggerung ihres Dorfes zur Wehr. Nach der Wende war den Menschen in der Lausitz von Ministerpräsident Stolpe versichert worden, daß es keine neuen Tagebaue geben wird. Also haben die Menschen in Proschim und anderen Orten angefangen, sich eine Existenz aufzubauen. Begeistert berichtet Kracheel, daß Proschim die Energiewende Deutschlands "lebt". Der Ort versorgt sich selbst mit elektrischer Energie und nutzt dafür Wind, Sonne und Biomasse: "Hier soll eine dezentrale Energiewende von unten vernichtet und eine vorhandene Energieinfrastruktur zerstört werden, damit ein einzelnes Unternehmen weiter Gewinne machen kann."

Das Unternehmen Vattenfall will die aus seiner Sicht nicht mehr ausreichend gewinnträchtige Braunkohlesparte an den tschechischen Investor EPH verkaufen. Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten fordern dagegen, daß Vattenfall bleibt und für die Schäden aufkommt, die der Bergbau angerichtet hat. Bei einem Verkauf, so ist zu befürchten, wird der Nachfolger Einsparungen vornehmen, damit sich der Erwerb für ihn lohnt, was aber schlecht für die Umwelt ist. Deshalb richtet das Lausitzer Energie- und Klimacamp eine Botschaft an den Investor. Kracheel: "Wenn ihr Tagebaue und Kraftwerke kauft, kauft ihr uns als Protest mit!"

Im Anschluß an die Pressekonferenz beantworte Marvin Kracheel dem Schattenblick noch einige Fragen.


Schattenblick (SB): Inwieweit arbeitet das Lausitzer Energie- und Klimacamp mit der örtlichen Bürgerinitiative von Proschim, die sich gegen die geplante Abbaggerung ihres Dorfes zur Wehr setzt, zusammen?

Marvin Kracheel (MK): Wir halten immer einen ganz engen Kontakt und stehen im persönlichen Austausch mit den Leuten. Sie unterstützen uns viel, beispielsweise bei logistischen Fragen. Wir vom Camp gehen arbeitsteilig vor, was bedeutet, daß wir eine Logistik AG eingerichtet haben. Die kümmert sich darum, den Platz zu organisieren, Infrastruktur aufzubauen und ähnliches. Da ist die örtliche Bevölkerung natürlich der erste Ansprechpartner.

SB: Werden auch gemeinsame Aktionen durchgeführt?

MK: Wir waren am Montag zu unserer Eröffnungsveranstaltung ins Kulturhaus von Proschim eingeladen worden. Da haben dann Einwohner aus dem Dorf eine Rede gehalten und ich habe das Camp eröffnet. Hinterher wurde ein Film vorgeführt. Und abends gibt es bei uns im Camp Veranstaltungen, zu denen auch Leute aus dem Ort kommen.

SB: Das Lausitz-Camp ist zum sechsten Mal in der Region. Hat sich dieses Vertrauensverhältnis erst im Laufe der Jahre aufgebaut oder bestand das von Anfang an?

MK: Am Anfang kennt man sich natürlich noch nicht. Aber wir haben auch Einwohnerinnen und Einwohner aus der Lausitz im Camp, die wiederum einige von denen aus Proschim, die widerständig sind, kennen. Darüber werden dann Kontakte geknüpft. Und wenn wir sagen, wir kommen mit dem Camp zu euch, wissen sie natürlich zunächst noch nicht, was sie erwartet. Dann legt man erstmal los, so daß sie sehen: Ach ja, die Leute sind ganz nett, das Programm ist interessant und vielfältig - da können wir hingehen und uns dazugesellen. Das hat sich also mehr und mehr entwickelt.

2014 wurde in der Lausitz eine lange Menschenkette gebildet, da hat die örtliche Bevölkerung erlebt, wie Menschen aus über 26 Ländern angereist waren und sie bei ihrem Protest gegen den Braunkohleabbau unterstützt haben. Das fanden sie natürlich toll. Inzwischen hat sich das Lausitz-Camp so weit entwickelt, daß einige Leute aus der Umgebung angefragt haben, ob wir nicht das nächste Mal zu ihnen ins Dorf kommen wollen.

SB: Politisch ist ein Teil der Einwohner Proschims konservativ, aber dennoch gegen die Abbaggerung. Wie klappt die Zusammenarbeit mit ihnen?

MK: Wir sind politisch überparteilich und man kann nicht anhand der Partei festmachen, ob jemand pro oder contra Kohle ist. Zum Beispiel gibt es viele Leute, die Mitglied der CDU sind. Diese Partei fährt landesweit einen Pro-Kohleabbaggerung-Kurs. Aber die CDU-Leute vor Ort sind dagegen.

SB: Laut der Pressemappe geht es auf dem Lausitz-Camp nicht ausschließlich um den Austausch der Energiesysteme, also nicht nur darum, fossile durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Könnten Sie das näher erklären?

MK: In der Lausitz ist natürlich die Kohle ein zentrales Thema. Uns interessiert aber auch der Klimawandel als solcher, und das versuchen wir über unser breit aufgestelltes Programm abzudecken. So haben wir beispielsweise auch Workshops zu Freihandelsabkommen und TTIP.

SB: Wie schätzen Sie die Chancen ein, daß der Verkauf der Braunkohlesparte von Vattenfall noch gestoppt werden kann?

MK: Man kann das natürlich schwer einschätzen. Wir haben die Unterstützung aus Schweden und versuchen, Druck auf die Regierung dort zu machen, damit sie dem Verkauf einen Riegel vorschiebt. Wir machen eben Druck vor Ort - ich glaube, viel mehr kann man nicht tun.

SB: Wie ist die Diskussion darüber ausgegangen, ob es sich bei der geplanten Abbaggerung von Welzow Süd Teilfeld 2 um eine Erweiterung eines bestehenden Tagebaus handelt, wie Vattenfall es darstellt, oder um einen Neuaufschluß?

MK: Erst gestern habe ich erfahren, daß das Unternehmen es als neuen Tagebau anerkennen muß.

SB: Gehen Sie davon aus, daß dadurch eine andere rechtliche Ausgangsbasis geschaffen wird?

MK: Das wäre eine Idee. Wir hoffen, daß auf diesem Wege der Tagebau verhindert werden kann.

SB: Wie stellt sich die Stadt Welzow, die eine Bergbaustadt ist, zu dem Lausitz-Camp und den Aktionen?

MK: Ich weiß, daß die Bürgermeisterin einen kohlefreundlichen Kurs fährt. Bei den Einwohnern Welzows sind die Einstellungen unterschiedlich. Der Braunkohletagebau war schon immer ein Thema, das sehr polarisiert. Manche sind ganz stark dafür, manche ganz stark dagegen, andere sind eher neutral und wiederum andere unsicher. Dazwischen spannt sich alles auf.

SB: In ganz Deutschland kommt es regelmäßig zu Übergriffen auf geplante oder bereits bezogene Flüchtlingsunterkünfte von Personen aus dem rechten Spektrum. Rechnen Sie beim Klimacamp auch mit Reaktionen aus dieser Richtung?

MK: Bisher hatten wir damit noch nie ein Problem und gehen auch nicht davon aus, daß eines auftritt. Für den Notfall haben wir Kontakt zu der Polizeidirektion Süd in Brandenburg. Wenn irgend etwas vorfällt, können wir uns sofort über eine direkte Telefonnummer an sie wenden, die würden uns dann auch helfen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Große Ansammlung von Protestierenden in weißen Overalls und mit Bannern im Lausitz-Camp, 13. Mai 2016 - Foto: © Ruben Neugebauer, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Vereint gegen Kohleabbau und Klimawandel
Foto: © Ruben Neugebauer, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr


13. Mai 2016


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