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INTERVIEW/229: Gitterrost und Permafrost - bedingt prognosesicher ...    Prof. Antoni Lewkowicz im Gespräch (SB)


11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam

Prof. Lewkowicz über das heterogene Erscheinungsbild des Permafrosts, den allgemeinen Bewußtseinswandel für die Problematik des Klimawandels und die Unzulänglichkeit heutiger Permafrostmodelle


In den Permafrostregionen der Erde befinden sich schätzungsweise 1500 Gigatonnen Kohlenstoff. Das ist beinahe doppelt soviel, wie gegenwärtig in der Atmosphäre vorliegen. Sollte es geschehen, daß unter dem Einfluß der globalen Erwärmung der Permafrost taut, könnte zumindest ein Teil des bis dahin unschädlichen Kohlenstoffs in Form von Methan oder Kohlendioxid in die Atmosphäre wandern und damit den Klimawandel noch beschleunigen.

Angesichts dieser potentiellen Gefahr wundert es nicht, daß die globale Bedeutung des Permafrosts eines der zentralen Themen auf der XI. International Conference On Permafrost oder kurz ICOP 2016 war. Eingeladen zu dieser alle vier Jahre stattfindenden Konferenz, die in diesem Jahr vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam veranstaltet wurde, hatte das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), und gekommen waren über 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt. Viele von ihnen sind Mitglied der Internationalen Permafrost Vereinigung (IPA), deren Vorsitzender, der kanadische Geographieprofessor Antoni Lewkowicz von der Universität Ottawa, mehrere Vorträge gehalten und Sessions geleitet hat. Am Rande der Konferenz stellte er sich dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Beim Interview vor einem Poster mit der Konferenz-Ankündigung - Foto: © 2016 by Schattenblick

Prof. Antoni Lewkowicz erläutert die unterschiedlichen
Entstehungszeiten des Permafrosts
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Lewkowicz, hat sich das Problem der Thermokarstbildung bereits auf dem Radar der Forscher befunden, als die Internationale Permafrost-Vereinigung gegründet wurde?

Prof. Antoni Lewkowicz (AL): Ja, wir wußten natürlich schon von der Thermokarstbildung. Die Forschungen dazu begannen schon viele Jahrzehnte zuvor. Aber 1983, im Gründungsjahr der Internationalen Permafrost-Vereinigung, haben wir gerade erst angefangen, die globale Klimaerwärmung zu begreifen. Die ersten globalen Klimamodelle waren Ende der siebziger Jahre vorgestellt worden. Ich selbst habe 1981/82 für ein Ingenieurbüro gearbeitet, und schon damals haben wir den Klimawandel in unseren Modellen für ein Pipeline-Projekt im Einzugsgebiet des Yukon in Alaska berücksichtigt.

Das Phänomen des Klimawandels tauchte also schon am Horizont auf, doch natürlich wissen wir heute sehr viel mehr darüber, wie die Erde und das Klima in den Permafrostregionen in Zukunft aussehen könnten - mit all den Folgen des zukünftigen Permafrostrückgangs.

SB: Haben Sie den Eindruck, daß die globale Problematik des zunehmenden Auftauens der Dauerfrostböden von den Regierungen unterschätzt wird?

AL: Ich glaube, daß es in den letzten zehn Jahren einen enormen Wandel gegeben hat. Man kann keinen Bericht über die Veränderungen in den arktischen Regionen und nicht einmal in den Hochgebirgen veröffentlichen, ohne den Begriff "tauender Permafrost" zu verwenden. Und ich hoffe, es wird immer "tauender" und nicht etwa "schmelzender" Permafrost heißen! (lacht)

Inzwischen werden in sämtlichen Berichten über die Arktis, ob es sich um die Arctic Climate Impact Assessment, die AMAP-Berichte [Anm. d. SB-Red.: AMAP - Arctic Monitoring and Assessment Programme] oder SWIPA - Snow, Water, Ice, Permafrost in the Arctic - handelt, Kapitel zum tauenden Permafrost geschrieben. Alle betrachten die Auswirkungen zumindest auf lokaler Ebene. Die Auswirkungen auf globaler Ebene sind einer der Gründe, weswegen das Interesse auf diesem Gebiet so stark zugenommen hat. Denn das ist nicht nur die Sorge der arktischen Anrainerstaaten oder der Länder mit Hochgebirgen, sondern die jedes Menschen.


Luftbildaufnahme, am oberen Rand die Hudson Bay, darunter eine Landschaft mit zahlreichen, tendenziell kreisrunden Seen - Foto: Steve Jurvetson, freigegeben als CC-BY-2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Hudson Bay, Kanada, 28. Juni 2008 - Typische Thermokarstseenlandschaft, die durch oberflächlich auftauende Permafrostböden charakterisiert ist. Die Wissenschaft rechnet mit einer Verschiebung der Thermokarstphänomene nach Norden, wenn sich die Erde weiter erwärmt.
Foto: Steve Jurvetson, freigegeben als CC-BY-2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

SB: Wenn Sie das ganze Spektrum an Simulationen und Modellen betrachten, die auf dieser Konferenz vorgestellt wurden, was würden Sie als das Best-case- und was als das Worst-case-scenario bezeichnen?

AL: Ich fange mit dem Worst-case-scenario an. Das wäre dann der Fall, wenn wir die anthropogenen Treibhausgasemissionen nicht ernst nähmen und nichts zu ihrer Reduzierung unternehmen würden. Dann würden die Permafrostmodelle sagen, daß die stärksten Veränderungen des Permafrostes tatsächlich eintreten. Das beste Szenario lautet, daß sich der Permafrost als sehr beständig erweist und eine Menge Energie aufnehmen kann, bevor die Erwärmung allzu große Auswirkungen in vielen Permafrostregionen hat. Wenn wir dann unsere Treibhausgasemissionen reduzieren und die Erwärmung ausbremsen, könnte der Permafrost in der Lage sein, die Energie aufzunehmen, ohne daß die Entwicklung irreversibel sein wird.

SB: Wie ist das zu verstehen, ist das Auftauen des Permafrostes nicht sowieso irreversibel, weil er seit der letzten Eiszeit besteht?

AL: Einige Permafrostgebiete gibt es erst seit wenigen Jahrhunderten. Sie entstanden während der kleinen Eiszeit, einer kalten Phase im 19. Jahrhundert. Ich selbst habe in sehr entlegenen Forschungsgebieten gearbeitet, in denen der Permafrost nicht älter ist. Bei knapp der Hälfte des Permafrosts handelt es sich um eine dauerhafte gefrorene Zone. Die wird selbst dann nicht verschwinden, wenn es zu der stärksten Erwärmung kommt, die wir uns vorstellen können. Der Permafrost würde zwar tiefer auftauen, was alle möglichen Folgen für die betroffenen Regionen hätte, aber er würde weiterhin bestehen. Das ist die Zone, in der er zur Zeit sehr kalt und mächtig ist und in der er von seinen Rändern her allmählich wärmer wird. Dort wird er wahrscheinlich am ehesten verschwinden, weshalb das Gebiete sind, aus denen vermehrt Kohlenstoff freigesetzt werden könnte.

Es ist wichtig zu verstehen, daß Permafrost kein monolithischer Block ist. Er ist sehr heterogen, sein Auftauen wird zu räumlichen Mustern führen. Das heißt, die verschiedenen Gebiete innerhalb der Permafrostwelt werden unterschiedlich stark betroffen sein.

Um Ihre Frage von vorhin zu ergänzen: Wenn noch mehr Treibhausgase in Form von Methan emittiert werden, wäre das schlecht. Wenn mehr in Form von Kohlenstoffdioxid emittiert würde, wäre es besser. Auch das wäre sicherlich nicht gerade großartig, aber es hätte nicht so starke Folgen, als wenn es zu größeren Methanemissionen käme. Was davon eintreten wird, hängt im Detail davon ab, wie sich die Permafrostlandschaften wandeln. Wird es mehr Wasser und Teiche geben, entsteht mehr Methan. Wird es trockener, wäre mit mehr Kohlenstoffdioxid zu rechnen. Eine Reihe von Untersuchungen, von denen hier auf der Konferenz berichtet wurde, zeigt, daß diese Fragen tatsächlich relevant sind. Meiner Meinung nach haben wir zur Zeit noch keine besonders guten Modelle, aber wir arbeiten hart daran, um sie zu verbessern.

SB: Herr Lewkowicz, vielen Dank für das Gespräch.


Prof. Lewkowicz am Rednerpult - Foto: © 2016 by Schattenblick

The number of publications per year refering to permafrost has grown from 200 in the 1990s to more than 800 today and the curve shows no sign of leveling off.
(Prof. Lewkowicz bei der Eröffnungsveranstaltung der ICOP 2016)
(Z. Dt.: Die Zahl der Veröffentlichungen pro Jahr zum Thema Permafrost ist von 200 in den neunziger Jahren auf heute mehr als 800 gestiegen, und die Kurve macht keine Anzeichen abzuflachen.)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zur Permafrostkonferenz in Potsdam erschienen:

INTERVIEW/227: Gitterrost und Permafrost - Zahlenspiele, Umweltziele ...    Prof. Hans-Wolfgang Hubberten im Gespräch (SB)
INTERVIEW/228: Gitterrost und Permafrost - Schrittmacher Menschenhand ...    Prof. Guido Grosse im Gespräch (SB)


29. Juni 2016


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