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INTERVIEW/259: Folgen regional - daß nicht der Teufel mit dem Beelzebub ...     BUND-Experte Jörg Schmiedel im Gespräch (Teil 1) (SB)


"Klimawandel konkret: Fakten, Folgen und Perspektiven für Mecklenburg-Vorpommern" lautete der Titel einer Veranstaltung, die am 30. Juni 2017 in Warnemünde abgehalten wurde. Als wollte das Wetter den Klimaprojektionen Hohn sprechen, daß in diesem Bundesland die Sommer wärmer und trockener werden, war es an diesem Tag überaus regnerisch und kühl. Die Gesichter der wenigen Touristen, die sich in diesem sommers normalerweise belebten Ostseebad überhaupt nach draußen trauten, wirkten kaum weniger lang als die Regenfahnen, die übers Land getrieben wurden.

Ganz anders dagegen das Bild hinter den Fensterscheiben eines zentral gelegenen Gebäudes, aus denen der Blick gewöhnlich von keinen Regenwolken verstellt über Sonnenanbeter, Sandburgenbauer und Lebensabendgenießer weit hinaus auf die Ostsee reicht, des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde. Rund einhundert Personen hatten sich dort zu einer Tagung eingefunden, um in einer freundlichen Atmosphäre hochkonzentriert den Vorträgen zu lauschen und mit den Referenten zur Sache zu diskutieren. Das IOW, wie das Institut verkürzt genannt wird, hatte gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern und dem mecklenburg-vorpommerschen Zweig der Naturschutzorganisation BUND zu dieser Veranstaltung über den Klimawandel geladen.



Porträt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Dipl.-Ing. Jörg Schmiedel
Foto: © 2017 by Schattenblick

Einer der Referenten war der Diplom-Ingenieur Jörg Schmiedel, Ostsee-Experte des BUND und stellvertretendes Vorstandsmitglied der im schwedischen Uppsala ansässigen Coalition Clean Baltic (CCB). Er sprach über die Folgen der zu erwartenden Klimaerwärmung um zwei Grad für die Vogelwelt, auch und gerade für die Zugvögel, deren gewohnter Lebensraum sich verlagert und die auf ihren langen Reisen vermutlich in Schwierigkeiten geraten, da die Abstände der Zwischenlandeplätze zunehmen, wenn beispielsweise die Sahara breiter wird.

Unter anderem um Zugvögel geht es auch im folgenden Interview, das der Schattenblick im Anschluß an die Tagung mit dem Referenten geführt hat und das in zwei Teilen veröffentlicht wird. In diesem ersten Teil geht es um Landwirtschaft, Klimawandel und Energiepolitik, im zweiten Teil um Fragen rund um die Ostsee.

Schattenblick (SB): Herr Schmiedel, wie bewerten Sie die Landwirtschaftspolitik der mecklenburg-vorpommerschen Regierung hinsichtlich des zu erwartenden Klimawandels - werden ausreichend Vorsorgemaßnahmen ergriffen?

Jörg Schmiedel (JS): Gerade Mecklenburg-Vorpommern als landwirtschaftlich strukturiertes Land sollte bei der Landwirtschaftspolitik proaktiv tätig sein. Das ist im Moment nicht zu erkennen, andere Staaten wie Österreich sind da sehr viel aktiver. Dort werden die Interessen einer kleinteiligeren Landwirtschaft stärker in die politischen Entscheidungen eingebunden, was in Mecklenburg-Vorpommern leider nur sehr schwach entwickelt ist. Es ist nicht so, daß das Land gar nichts für kleinere landwirtschaftliche Betriebe tut, aber man merkt schon, daß die Politik maßgeblich durch die große, industrielle Landwirtschaft bestimmt wird. Die ökologische Landwirtschaft dagegen dehnt sich nur sehr, sehr langsam aus, auch wenn das Land da große Potentiale hätte.

SB: Was sind die Kernforderungen des BUND zur Landwirtschaft im Klimawandel?

JS: In Bezug auf den Klimawandel hat die Landwirtschaft im Grunde nur einen relativ geringen Anteil. Natürlich erfordert die industrielle Landwirtschaft mit ihrem Einsatz von Mineraldünger einen höheren Energieeinsatz als nachhaltigere Formen der landwirtschaftlichen Produktion. Gerade auch bei der Düngererzeugung werden enorme Energiemengen eingesetzt. Da muß man natürlich ran. Die Ansätze, die in der industriellen und der ökologischen Landwirtschaft verfolgt werden, unterscheiden sich sehr voneinander. Das heißt jedoch nicht, daß die ökologische Landwirtschaft, die ja zum Teil auch relativ stark mechanisiert sein kann, keine Verbesserungsmöglichkeiten hätte. Im Gegenteil. Aber die Landesregierung arbeitet an diesen Wegen im Moment fast überhaupt nicht.

SB: Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft bedeutet Hinwendung zu den Erneuerbaren, beispielsweise zu Windenergie. Mecklenburg-Vorpommern hatte 2016 bereits einen Windenergieanteil am Bruttostromverbrauch von 40 Prozent. Der Bundesverband der Windenergie schlägt vor, daß auf zwei Prozent der Landesfläche Windenergieanlagen aufgestellt werden. Was würde das für den Artenschutz in der Region bedeuten? Wird das beim BUND diskutiert?

JS: Das wird natürlich diskutiert, und man kann darauf keine pauschale Antwort geben. Die Frage ist immer, wo und wie etwas gebaut wird. Ich gehe mal von der Frage ein Stück weit weg in Richtung auf die Offshore-Windenergiegewinnung. Da haben wir in Zeiten des Vogelzugs enorme Probleme mit Vogelschlag - übrigens auch mit Fledermausschlag, was weit weniger bekannt ist. Das sind zwei Tiergruppen, denen die Windanlagen echte Probleme bereiten. Angesichts der Größe der aktuellen und der projektierten Windparks kann das populationsökologisch relevante Größenordnungen erreichen. Da muß man einschreiten.

SB: Was hieße das?

JS: Zum einen kann vermieden werden, daß Windanlagen in den Hauptzugzonen aufgestellt werden, auch wenn es sich dabei aus windenergetischer Sicht um geeignete Flächen handelt. Zum anderen muß man den Konfliktsituationen gezielt aus dem Wege gehen. Beim Vogelschlag ist das inzwischen sehr gut untersucht und auch schon seit Jahrzehnten bekannt: Die Hauptkonflikte treten in wenigen Zugnächten im Herbst auf, und zwar in Nächten, in denen richtiges Sauwetter mit viel Wind und Regen herrscht. Da fliegen die Vögel relativ niedrig, kommen in den Bereich, in dem sich die Rotoren drehen, können nichts sehen, haben ohnehin Schwierigkeiten, sich zu orientieren, und prallen dann gegen die Anlagen. Häufig auch deshalb, weil die Windenergieanlagen befeuert sind, um als Hindernis wahrgenommen zu werden. Für die Vögel hat das den Effekt, daß sie ein Licht sehen und darauf zufliegen. Die Zugvögel konzentrieren sich also ausgerechnet genau da, wo sie sich lieber nicht konzentrieren sollten.

SB: Zu welchen Maßnahmen gegen den Vogelschlag raten Sie?

JS: Wenn man in jeder Genehmigung, die für solche Problemzonen erteilt wird, festlegen würde, daß die Anlagen in solchen Schlechtwetternächten zur Hauptzugzeit nicht betrieben werden dürfen, reduziert man das Risiko erheblich. Und wenn solche Genehmigungen noch die Vorschrift enthielten, daß zusätzlich die Flügel eingeklappt werden müssen, so daß sie nicht mehr einen so großen Luftraum durchschneiden, dann wäre man ein großes Stück weiter.

Aber solche Genehmigungen müssen natürlich erstmal entsprechend beauflagt werden, um überhaupt eine Nachfrage für solche Anlagen zu schaffen. Das passiert meines Wissens nach bisher nicht. Selbst Beauflagungen für den Betriebsstopp werden bisher relativ zögerlich gehandhabt. Energetisch betrachtet sind das natürlich zeitlich nicht die Problemzeiten: Stärkerer Wind heißt selbst bei schlechtem Wetter, daß die Anlagen wahrscheinlich auf vollen Touren laufen. Natürlich würde die Beauflagung für den Privatinvestor, der einen Windpark ins Meer stellt, bedeuten, daß dann weniger Strom erzeugt wird.

Man könnte die regenerative Energieerzeugung sehr viel kompatibler mit dem Naturschutz machen, wenn man es nur wollte. So werden einige Fronten aufgebaut, die nicht existieren müssen. Daß in Zukunft an bestimmten Stellen noch immer ein Konflikt besteht, wird wohl so bleiben.


Mehrere Dutzend Kraniche vor einer Handvoll Windräder in einer sanft hügeligen Agrarlandschaft mit vereinzelten Hainen und Buschgruppen - Foto: Archiv Tierarzt i. R. Frank Liebig, Röbel/Müritz, CC-BY-SA-3.0-DE [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de]

Kraniche (Grus grus) in Kambs vor den Windrädern in Bütow, Mecklenburg-Vorpommern, 7. Oktober 2011
Als Art zählt der Kranich nicht zu den gefährdeten Tieren, doch ohne eine zugvogelfreundliche Reglementierung von Standorten und Betriebsform können Windräder für andere Vogelarten sowie Fledermäusen eine populationsrelevante Bedrohung darstellen.
Foto: Archiv Tierarzt i. R. Frank Liebig, Röbel/Müritz, CC-BY-SA-3.0-DE [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de]

SB: Bestehen ähnliche Probleme auch bei anderen regenerativen Energieerzeugungsmethoden, etwa Photovoltaik oder Bioenergie, deren Anteil an der Stromerzeugung in Zukunft weiter wachsen soll?

JS: Bei Biomasse ist der Konflikt offensichtlich, wenn man sich die intensiv gedüngten Maisäcker in unserer Landschaft anschaut. Die werden für die Rohstoffgewinnung angelegt. Mit Nachhaltigkeit bei der Erzeugung dieses Brennstoffs ist es nicht mehr so fürchterlich weit her. Bei Photovoltaik verhält es sich so, daß man den Flächenverbrauch im Auge behalten muß. Nehmen wir zum Beispiel die hügeligeren Bereiche der mecklenburg-vorpommerschen Moränenlandschaft. An den südexponierten Hängen, die sich natürlich wunderbar für die Photovoltaik eignen, entwickeln sich häufig hochwertvolle, sehr seltene Magerrasen mit wärmeliebenden Tier- und Pflanzenarten, die wirklich nicht mehr viele Lebensräume haben. Da muß man ganz klar sagen, das ist ein No-go für Photovoltaik. Diese kann statt dessen meist sehr einfach auf bestehenden Dächern installiert werden. Solche Standorte müssen weiter ausgebaut werden.

Man kann nicht immer den Weg des geringsten Widerstands gehen, und weil die Landfläche unerschöpflich verfügbar zu sein scheint, alles in der freien Landschaft installieren. Sondern wir müssen ins Flächenrecycling kommen, möglicherweise auch eine Kombinationsnutzung von Flächen betreiben. Daß in Zukunft noch die eine oder andere Photovoltaikanlage in der freien Landschaft stehen wird, ist klar. Aber im Moment wird mit der Fläche manchmal mehr geast, als es sein müßte, obgleich sich das Land des Problems bewußt zu sein scheint und bereits Restriktionen verhängt hat.

SB: Wenn aber, wie wir das heute in den Vorträgen gehört haben, Mecklenburg-Vorpommern die Treibhausgasemissionsrate um 80 Prozent senken muß, wird dann nicht durch die Flächenkonkurrenz diese Art von Konflikten enorm zunehmen?

JS: Ja, aber wie ich bereits gesagt habe, gibt es auch Möglichkeiten, das Konfliktpotential zu mindern. Indem ich mich konstruktiv und betrieblich darauf einstelle, den Konflikten aus dem Weg zu gehen. Das bedeutet in der Regel, daß die einzelne Anlage in sich natürlich erstmal weniger wirtschaftlich ist. Aber wenn wir sehen, wie sich die Preise auf der einen Seite und die Herstellungskosten der Anlagen auf der anderen Seite entwickeln, dann ist das ja nicht so, daß das wirtschaftlich untragbar wäre. Als Investor muß man sich, wie bei jeglichen anderen Investitionen auch, den Rahmenbedingungen anpassen. Und dazu gehört nun mal, daß Flora, Fauna und Landschaft geschützt gehören. Man darf sie nicht einfach als kostenlose Dreingabe verheizen. Das gilt für die althergebrachten fossilen Energieträger, die eben genau das praktizieren, und da sollte man bei den regenerativen eigentlich etwas höhere Maßstäbe anlegen dürfen.

SB: Der Klimawandel ist einer der Faktoren für Wanderungsbewegungen von Tieren und Pflanzen. Existiert schon ein Monitoring, welche Tiere bereits heute abwandern?

JS: Ein gezieltes Monitoring gibt es nicht. Man hat jedoch beobachtet, daß einige Zugvögel anfangen, in der Region zu überwintern. Das liegt an den inzwischen wärmeren Wintern. Insofern werden sich dann die Tiere durchsetzen, die vor Ort bleiben, weil sie früher zur Brutzeit hier sind und die besseren Brutreviere besetzen. In der natürlichen Selektion sind sie dann am Ende bevorteilt, solange die Winter so warm sind, wie wir das aktuell erleben.

Was die Wanderungen angeht, verhält es sich so, daß gerade die Tiere, die wandern können, eigentlich auch diejenigen sein werden, die durch den Klimawandel am wenigsten betroffen sind. Das liegt daran, daß sie sich eben neue Lebensräume erschließen können. Problematisch wird es für die Arten, die nicht wandern können, weil sie zu langsam sind oder sich gar nicht fortbewegen können. Wir haben hier zum Beispiel in der Rostocker Heide eine ganze Reihe von Insekten- und auch Molluskenarten wie kleine Schnecken, die bekanntermaßen nicht besonders gut zu Fuß sind. Wie sollen die allein schon den Sprung über die Ostsee schaffen, um wärmer gewordene Lebensräume in Skandinavien zu besiedeln? Das werden die potentiellen Opfer des Klimawandels werden.

SB: Die vermuteten zwei Grad Temperaturerhöhung klingen für uns Menschen nach nicht sehr viel. Wie ist das dann für die Mollusken, halten sie das nicht aus und sterben aufgrund der Erwärmung?

JS: Ja, aber in der Regel nicht direkt. Wenn wir uns die Schnecke anschauen, so braucht sie häufig eine gewisse Luftfeuchtigkeit, um zu überleben. Zwei Grad mehr im Jahresverlauf bedeutet jedoch, daß zum Beispiel der Sommer trockener wird für diese Art. Und unter den Bedingungen kann sie dann nicht überleben. Für Meeres- wie auch Süßwasserorganismen hat eine solche Temperaturerhöhung zur Folge, daß weniger Sauerstoff zur Verfügung steht, und es gibt Arten, die auf besonders hohe Sauerstoffgehalte im Wasserkörper angewiesen sind und deswegen in der Regel kühlere Gewässer besiedeln. Diese Tiere fallen dann aus, sie können mit den wärmeren Temperaturen nicht mehr umgehen. Die in Deutschland ansässige Flußperlmuschel beispielsweise ist so eine Art, die extrem saubere, nährstoffarme und sauerstoffreiche Gewässer besiedelt. Das ist ein typischer Kandidat, von dem wir sagen können, daß der Klimawandel ihm ziemlich zusetzen wird.

(wird fortgesetzt)


Ein langgestrecktes, viergeschossiges Gebäude, mit parkenden Autos, Bäumen und einer Rasenfläche davor - Foto: Daniel Mietchen, gemeinfrei

Das Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW), 7. Juli 2014
Foto: Daniel Mietchen, gemeinfrei


Bisher zur Tagung "Klimawandel konkret: Fakten, Folgen und Perspektiven für Mecklenburg-Vorpommern" im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:
BERICHT/126: Folgen regional - Trockenheit und Schwemme ... (SB)
INTERVIEW/256: Folgen regional - Schadensbeschleunigung ...     Meereschemiker Prof. Dr. Detlef Schulz-Bull im Gespräch (SB)
INTERVIEW/257: Folgen regional - Aufklärung tut not ...     Prof. Dr. Stefan Rahmstorf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/258: Folgen regional - Stellwerk Landwirtschaft ...     Dr. Hubert Heilmann im Gespräch (SB)

11. Juli 2017


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