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INTERVIEW/281: Meeressterben - Die Größe eines Kontinents ...    Prof. Dr. Andreas Oschlies im Gespräch (SB)



Beim Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

Prof. Dr. Andreas Oschlies
Foto: © 2018 by Schattenblick

"Geht dem Ozean die Luft aus?" lautete der Titel einer öffentlichen Veranstaltung, die der Sonderforschungsbereich 745 am 5. September 2018 im Audimax der Universität Kiel organisiert hat. Den Hintergrund zu der Frage bildet der allmähliche Sauerstoffverlust in den Weltmeeren, der zwar gemessen, aber von Computermodellen noch nicht ausreichend nachgestellt werden kann, wie Prof. Dr. Andreas Oschlies, Leiter der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, in einem der vier Vorträge dieser Veranstaltung berichtet hat. Diese fand anläßlich einer internationalen, fünftägigen Wissenschaftskonferenz in Kiel auf Einladung des SFB 754 "Climate-Biogeochemistry Interactions in the Tropical Ocean" statt.

Man sagt von den Weltmeeren, daß sie in der Regel langsamer auf äußere Einflüsse reagieren als die Erdatmosphäre. Im folgenden Interview, das der Schattenblick im Anschluß an die Veranstaltung mit Prof. Oschlies führte, schildert der Ozeanograph ein Beispiel, in dem sich die Ozeane schneller als erwartet verändern.

Schattenblick (SB): Anknüpfend an die Ausgangsfrage des heutigen Abends, ob dem Ozean die Luft ausgeht, möchte ich Sie zunächst einmal fragen, ob denn auch der Erdatmosphäre die Luft ausgehen würde?

Prof. Dr. Andreas Oschlies (AO): Nein, zum Glück nicht. Im Gegenteil, der Sauerstoff, der aus dem Ozean verschwindet, landet sogar in der Atmosphäre. Wir erhalten also etwas mehr Luft. Letztlich ist das jedoch gar nicht so relevant, weil bereits 99,4 Prozent des Sauerstoffs in der Atmosphäre sind und nur ein winziger Rest in den Ozeanen vorkommt. Erst in Zeiträumen von Jahrmillionen wäre es von Belang, falls sich die Chemie des Meerwassers ändert und wir irgendwann gar keine Algen mehr hätten. Aber davon sind wir noch ganz weit entfernt.

SB: Schon seit vielen Jahren wird von sogenannten Todeszonen berichtet und das Phänomen wird auch entsprechend von der Wissenschaft beobachtet. Wie weit dehnen sich solche Gebiete inzwischen aus?

AO: Die richtig toten Zonen haben sich in den letzten fünfzig Jahren vervierfacht. Das ist schon gewaltig, das hatten wir in unserem Sonderforschungsbereich nicht erwartet. Und die Gebiete, in denen die meisten Fische nicht mehr atmen können, wie wir es vorhin im Vortrag gehört haben, haben sich im selben Zeitraum um die Fläche der EU vergrößert. Das ist auch schon etwas, das man auf den Weltkarten erkennen kann. Wenn man die Verbreitungsgebiete, in denen Sauerstoff verschwindet, zusammenaddiert, kommt man auf durchaus signifikante Flächen oder auch ein entsprechendes Volumen, wenn man die Tiefe einbezieht.


Luftaufnahme einer großen Bucht, in der zur Hälfte grüngelbe Schlieren die Algenblüte anzeigen - Foto: Aerial Associates Photography, Inc. by Zachary Haslick, veröffentlicht durch NOAA Great Lakes Environmental Research Laboratory via Flickr, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

25. September 2017: Algenblüte im westlichen Becken des Eriesees, USA
Foto: Aerial Associates Photography, Inc. by Zachary Haslick, veröffentlicht durch NOAA Great Lakes Environmental Research Laboratory via Flickr, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

SB: Gibt es, abgesehen von der Forderung, weniger Treibhausgase zu emittieren, um der Erderwärmung entgegenzuwirken, und weniger Nährstoffe in die Ozeane einzubringen, weitere Überlegungen, wie man die Abnahme des Sauerstoffs mit künstlichen Mitteln beheben könnte, vielleicht vergleichbar mit Climate-Engineering-Verfahren?

AO: Im kleinen Rahmen, vor allen Dingen in Küstennähe, in einzelnen Ästuaren, hat man sich überlegt, Dämme so zu bauen, daß sich die Strömung und damit auch die Belüftung ändert. Es könnten auch Makroalgen, Seetang oder ähnliches angepflanzt werden, damit sie Photosynthese betreiben und dadurch Sauerstoff produzieren. Eine weitere Methode besteht darin, Muschelfarmen einzurichten. Das haben wir hier sogar in der Kieler Förde. Muscheln haben immer den wünschenswerten Nebeneffekt, daß sie das Wasser sauber machen. Sie nehmen die Nährstoffe raus und verhindern damit einen Großteil der Verfaulprozesse.

Das sind lokale Maßnahmen, die auf jeden Fall gemacht werden können und die in der Regel sogar Win-win-Situationen erzeugen, so daß beispielsweise noch irgendein Produkt verkauft werden kann oder daß sich aufgrund der Muscheln die Wasserqualität verbessert und daraufhin mehr Leute baden gehen, was wiederum für den Tourismus gut ist. In dieser Hinsicht gibt es sehr, sehr viele Maßnahmen. Aber global betrachtet helfen sie nicht, um die Erwärmung oder die Nährstoffeinträge, die wir immer noch über die Flüsse und die Atmosphäre haben, zu kompensieren.

SB: Sie beurteilen auch Climate-Engineering-Verfahren. Vor einigen Jahren hat das Alfred-Wegener-Institut [1] Eisendüngungsexperimente im Meer durchgeführt, was ein bißchen umstritten war. Eisen fördert die Bildung von Algen. Würde dadurch nicht dem Meer Sauerstoff entzogen?

AO: Ja, in den Gebieten würde man durch die zusätzliche Düngung auch zusätzliche Verfaulprozesse in Gang setzen. Wobei die Eisendüngung überhaupt nur im südlichen Ozean sinnvoll wäre, wo Eisen limitierend ist. Wenn wir bei uns Eisenpartikel ins Meer werfen, passiert gar nichts, denn es liegt schon genügend Eisen vor. Nur im Südozean würde es zusätzliche Blüten erzeugen, und da haben wir - das konnte man vorhin auf der Weltkarte sehen - nicht viel Sauerstoff. Das heißt, wir würden nicht erwarten, daß da in den nächsten Jahrhunderten oder Jahrtausenden große Verschiebungen auftreten. Erst wenn man das Jahrmillionen lang machen würde, würde man letztlich über die Strömung globale Effekte auslösen.

Aber diese Eisendüngung wird im Moment nicht weiter verfolgt. Es gibt noch einige wenige Unternehmen, die versuchen, damit Geld zu verdienen, aber auf globaler Skala würde das nicht reichen, um aus der Erdatmosphäre signifikant CO2 herauszunehmen. Auch wenn man den ganzen Südozean umkrempeln und komplett düngen würde, würde das lediglich zehn Prozent unserer heutigen Emissionen binden. Von daher ist gar nicht abzusehen, daß irgend jemand das weiter im großen Rahmen vorhat.

SB: Hat das AWI, als es dieses Experiment durchgeführt hat, von den Sauerstoffbedingungen gewußt?

AO: Ja, sicher. Doch aus der Sicht des AWI bestand das Ziel des Experiments nicht darin, Climate Engineering zu untersuchen, sondern es stellte sich die Frage, wie die letzte Eiszeit entstanden ist. Dazu muß man wissen, daß die Welt während der Eiszeit trockener und staubiger war. Es hat viel weniger geregnet, weil es kälter war. Die Atmosphäre war voller Staub, und der ist vor allen Dingen eisenreich. Staub stellt die Haupteisenquelle für den Ozean dar. Während der Eiszeit war der Kontinentalschelf Patagoniens freigelegt. Man kann sich gut vorstellen, daß von dort viel Sand und Staub in den Südozean geweht wurde.

Wir denken, daß der Südozean sogar der Knackpunkt zur Erklärung der Eiszeiten ist. Es könnte ein wichtiger Mechanismus gewesen sein, daß in Eiszeiten der Südozean vermehrt mit Eisen gedüngt wurde, was das Algenwachstum angeregt hat, so daß eine höhere CO2-Aufnahme stattfand und sich durch die Entnahme des Treibhausgases aus der Atmosphäre die Eiszeit selber stabilisiert hat. Zwar verteilte sich während der Eiszeit der Sauerstoff im Ozean deutlich anders als heute, doch lautete eine wesentliche Fragestellung jener Experimente, ob das überhaupt so abgelaufen sein kann.

Hier geht es um wichtige Verständnisfragen in der Wissenschaft. Die Frage, wie die Eiszeit entstanden ist, können wir bisher mit unseren Klimamodellen nicht simulieren. Sogar das Extremereignis, daß es ungefähr vier Grad kälter war, können wir mit unseren Klimamodellen nicht reproduzieren. Wir machen aber jetzt Aussagen über das Ende des Jahrhunderts, das zumindest nach unseren Modellen vier Grad wärmer werden wird, wenn wir so weitermachen wie bisher und Treibhausgase emittieren. Von der Amplitude her ist das ähnlich wie bei der letzten Eiszeit.

Wir vermuten, daß unsere Modelle viel zu träge sind und die extremen Schwankungen im Klimasystem unterschätzen. Deshalb halten wir es für äußerst wichtig, daß wir Prozesse, die zur Entstehung der Eiszeit führen, verstehen. Deswegen war auch wiederum die Eisendüngung im südlichen Ozean interessant, um da einen möglichen Verstärkungsmechanismus beschreiben zu können und daraufhin die Klimamodelle zu verbessern.


Grafik mit Überschrift 'So entstehen sauerstoffarme Zonen'. Rechts neben der Zeichnung die Erläuterungen. 1) Nährstoffreiches Wasser strömt ein. 2) Algen wachsen unnatürlich stark und sterben wieder ab. 3) Zooplankton ernährt sich von den Algen. 4) Bakterien ernähren sich vom Kot des Zooplanktons und von den abgestorbenen Algen. 5) Bakterien verbrauchen den Sauerstoff im Wasser beim Abbau des Kots und der abgestorbenen Algen. 6) Sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers unter ein bestimmtes Niveau, fliehen die Meerestiere oder sterben. - Grafik: petraboeckmann.de. / Meeresatlas, CC BY 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]

Grafik: petraboeckmann.de. / Meeresatlas, CC BY 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]

SB: Sie werden als Erstautor einer im Juni dieses Jahres in "Nature Geosciences" [2] erschienenen Studie aufgeführt. Darin heißt es, daß die bisherigen Modelle zur Veränderung des Sauerstoffgehalts unzureichend sind. Was macht es so schwierig, zuverlässige Modelle zu entwickeln?

AO: Die Modelle unterschätzen die Abnahme von Sauerstoff um den Faktor zwei bis drei über die letzten fünfzig Jahre. In diesem Zeitraum wurden sehr viele Beobachtungen gemacht, was eigentlich alles ganz prima ist ...

SB: Und Sie drehen an den Parametern ...

AO: Und wir drehen an den Parametern und bekommen es nicht hin. Ich habe den Verdacht, daß das daran liegen könnte, daß die Modelle immer den Ist-Zustand und vielleicht die letzten zwanzig Jahre an globaler Erwärmung gut darstellen mußten. Man war froh, wenn ein Modell gut lief. Wenn dagegen eine starke interne Variabilität auftritt, dann macht so ein Modell auch mal ganz "doofe" Sachen. Beispielsweise kann es in der Simulation so warm werden, daß der Ozean komplett verdampft oder umgekehrt alles zufriert und der ganze Planet eine Eiskugel wird. Deswegen stellt man die Modelle in der Regel so ein, daß nichts Schlimmes passiert. Dann schickt man sie auf den Rechner, kann in Ruhe schlafen und am nächsten Tag ist gewissermaßen noch alles da. Dieses Vorgehen läuft tendenziell auf eine Bevorzugung jener Modelle hinaus, die sehr stabil sind. In den meisten Forschungsbereichen passiert das wahrscheinlich automatisch oder unbewußt. Doch die Modelle, die, wie ich das beschrieben habe, "wackelig" sind und extreme Ergebnisse liefern, haben wahrscheinlich nicht überlebt, weil die Modellierer aufgegeben haben, da sie das nicht publizieren konnten.

Ich halte es für eine Gefahr und es bereitet mir große Sorgen, daß eine Selektion zu Gunsten von sehr trägen Modellen besteht, die sich zur Beschreibung des jetzigen Zustands ganz gut bewähren. Aber das heißt eben nicht, daß sie auch für ganz extreme Ereignisse oder Klimaschwankungen wie bei der letzten Eiszeit oder auch für das Ende dieses Jahrhunderts gut geeignet sind. Deshalb arbeiten wir intensiv an der Verbesserung der Modelle und nehmen gerne die letzte Eiszeit als Testfall. Da haben wir bereits ziemlich gute Daten aus den Bohrkernen vorliegen und wissen recht genau, wie hoch die Temperaturen an vielen Orten der Welt waren und wieviel Sauerstoffgehalt an welcher Stelle im Meer war.

Diese Daten müssen wir jetzt benutzen, um die Sensitivität gegenüber Änderungen des CO2-Gehalts oder der Strahlungsbilanz besser simulieren zu können. Da ist Sauerstoff ganz, ganz toll, weil wir gesehen haben: Die Modelle sind alle um den Faktor zwei bis drei falsch, obwohl wir bereits so viele Sauerstoffmessungen vorliegen haben, daß sie schon ein ziemlich robustes Signal ergeben. So können wir den Sauerstoff als Randbedingung benutzen und unsere Modelle entsprechend kalibrieren.

Das ist ganz neu, das wußten wir vor zwei Jahren noch nicht. Danach hatte bislang niemand geschaut. Sauerstoff wurde immer ein bißchen mitmodelliert, aber es wurde nie so genau hingeschaut. Die Modelle sind inzwischen so komplex wie die ganze Welt. Da weiß man zunächst nicht, wo man überall hinschauen soll und man hat nicht genug Leute und nicht genug Zeit, alles zu untersuchen. Doch jetzt haben wir mit dem Sauerstoff eine gute Fährte und werden darüber hoffentlich auch die Sensitivität der Modelle gegenüber Klimaänderungen oder CO2-Änderungen besser in den Griff bekommen, um daraufhin bessere Vorhersagen treffen zu können.

SB: Da ist also noch Luft für unbekannte Faktoren der Sauerstoffabnahme, beispielsweise synergistische Effekte?

AO: Ja, da gibt es einige Rückkopplungsmechanismen, die wir in diesem Sonderforschungsbereich erforschen, auch im Labor oder in situ vor allen Dingen vor der Küste Perus. Das testen wir jetzt in unseren Modellen, dazu laufen schon viele Arbeiten und wir haben noch ganz viele Ideen, was wir in den nächsten Wochen und Monaten machen und prüfen können. Dann müssen wir sehen, wieviel das wirklich bringt und ob wir da dichter an die Wirklichkeit herankommen. Wir sind schon besser als das, was ich heute hier gezeigt habe, und ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, daß da in den nächsten Jahren noch sehr viel passieren wird.


Weltkarte mit farblich differenzierter Sauerstoffverteilung in den Ozeanen - Grafik: Plumbago, World Ocean Atlas 2009, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Der Sauerstoffgehalt an der Meeresoberfläche nimmt vom Äquator zu den Polen hin zu.
Grafik: Plumbago, World Ocean Atlas 2009, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

SB: Sie hatten im Vortrag gesagt, daß die Mülleinleitung Einfluß auf den Sauerstoffgehalt nimmt. Als Laie kann man sich nicht so recht vorstellen, was da geschieht.

AO: Der Müll enthält immer organische Substanzen. Das sind richtig leckere Sachen - nicht für uns, aber für Bakterien. Das ist eigentlich eine Rohstoffquelle. Immer wenn wir etwas ins Meer kippen oder über Flüsse einleiten, sind am Ende unheimlich viele Nährstoffe, also Stickstoff- oder Phosphorverbindungen, enthalten, die zur Düngung führen. Die biologische Produktion wird dadurch ganz stark angekurbelt. Das kann man gut daran erkennen, wenn Kläranlagen einmal nicht funktionieren. Daraufhin entstehen sofort Algenblüten.

Beispielsweise ist die Ostsee inzwischen ganz gut mit Kläranlagen besetzt. Da bleibt allerdings noch die Atmosphäre als Transportpfad. Über die Abgase der Verbrennungsmotoren kommt es noch zu Einträgen sowie über die Flüsse, die Düngerrückstände mit sich bringen. Der Effekt der Algenblüte ist besonders in Ostasien bzw. China ausgeprägt. Wo die Abwässer ungeklärt eingeleitet werden, treten massive Probleme mit so starken Algenblüten auf, daß man gar nicht mehr das Wasser erkennen kann. Weltweit nimmt die Verschmutzung weiter zu, insbesondere in Gebieten mit einem hohen Bevölkerungs- und auch hohen Wirtschaftswachstum. Das wird nicht immer gleich mit Kläranlagen mitbedient, sondern die werden in der Regel sehr viel später gebaut. Das ist für den Tourismus und auch den örtlichen Fischfang nachteilig, weil keine Fische in dem Wasser leben können, aus dem der Sauerstoff verschwunden ist.

SB: Ebenfalls erwähnt hatten Sie im Vortrag, daß anfangs der meiste Sauerstoff in gebundener Form auf der Welt vorkam. Gilt das auch für die Meere heute? Ist da von den 0,6 Prozent der Gesamtmasse an Sauerstoff das meiste noch irgendwie gebunden?

AO: Ja, es ist flüssig gelöst, als Sulfat, Nitrat oder Phosphat. Das sind alles sauerstoffreiche Moleküle. In dieser Form ist das meiste tatsächlich enthalten. Das liegt daran, daß freier Sauerstoff sehr reaktiv ist und alles verbrennt, was vorhanden ist, und er dabei immer gleich aufgebraucht wird.


Ein toter Fisch inmitten einer giftgrünen Algenbrühe - Foto:Greenpeace China, via eutrophication&hypoxia, flickr.com. CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Im Jahr 2007 lösen verschmutzte Einleitungen eine schwere Eutrophierung in Chinas fünftgrößtem See, dem Dianchisee, aus. Nicht zuletzt eingedenk der anhaltenden Verseuchung wichtiger Trinkwasserreservoire will China bis zum Jahr 2020 95 Prozent der städtischen Abwässer reinigen. Es gilt offenbar bereits als Erfolg der Abwasserbehandlung des Dianchisees, daß man dort wieder rudern kann [3].
Foto: Greenpeace China, via eutrophication&hypoxia, flickr.com. CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

SB: Das GEOMAR arbeitet an den World Ocean Reviews mit. Wird es eine weitere Ausgabe geben, die sich mit dem Sauerstoffproblem befaßt?

AO: Vor einem Jahr haben wir zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung bei der UN-Meereskonferenz den Ocean Atlas [4] veröffentlicht. Darin ist die Sauerstoffproblematik beschrieben. Auch in der World Ocean Review 1 [5] wird darauf eingegangen. Wir wollen diese Berichte fortsetzen und müssen schauen, wie wir das finanzieren. Die World Ocean Reviews sind als ständige Serie gedacht.

SB: Man kann wohl davon ausgehen, daß Sie als Wissenschaftler schon vieles von dem gehört haben, was hier auf der Konferenz berichtet wurde. Doch gibt es etwas, das auch Sie richtig überrascht hat?

AO: Ja, mich hat überrascht, wie schlimm die Lage ist. In den biologisch ausgerichteten Vorträgen wird geschildert, wie schnell und stark sich die Ökosysteme verändern, wie sichtbar das alles ist. Das war mir so nicht klar. Ich hatte immer gedacht, das ist so ähnlich wie auf dem Land: Ich merke eigentlich nicht, daß sich das Klima verändert. Gut, wenn ich mir die Statistiken anschaue, dann sehe ich natürlich, daß beispielsweise ein anderes Getreide angebaut wird, sich vielleicht die Baumarten verschieben, andere Insekten vorkommen. Aber es ist nicht so, daß ich persönlich in meinem Leben die Erfahrung mache, daß ein komplett anderes Ökosystem entsteht.

So etwas haben wir jedoch beim Ozean. In vielen Gebieten sehen wir, da, wo früher bestimmte Fischarten vorkamen, gibt es jetzt nur noch Quallen oder Bakterien. Da sind über einen sehr kurzen Zeitraum komplett andere Landschaften entstanden. Wir können noch nicht sicher sagen, ob das ein langfristiger Trend ist. Es könnte sich auch um zwischenjährliche Schwankungen, El-Niño-Signale, handeln. Aber die Veränderungen sind tatsächlich gewaltig, auch wenn das Ursache-Wirkungsverhältnis noch nicht klar ist. Denn es treten ja unheimlich viele Störungen zeitgleich auf: Der Ozean wird wärmer, saurer, sauerstoffärmer, er wird sehr intensiv befischt, es wird Müll eingeleitet. Wir sind noch nicht soweit, da die wirkliche Ursache für den Sauerstoffschwund herauszufinden. Da liegen noch viele Aufgaben vor uns.

Ich habe alte Filmaufnahmen gesehen, die im Abstand von zehn oder zwanzig Jahren erstellt wurden und eine komplett andere Welt zeigen. Daß die Veränderungen so dramatisch sind, das hat mich unheimlich überrascht.

SB: Vielen Dank, Herr Oschlies, für das Gespräch.


Ein Mann steht bis zu den Oberschenkeln im Wasser, auf dessen Oberfläche ein Teppich toter Fische schwimmt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht die Skyline von Rio de Janeiro - Foto: Joao P. Ngelbrecht/UNEP/Still Pictures, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Fischsterben in der Lagune Rodrigo de Freitas, Rio de Janeiro, Brasilien. Auslöser des Massentods war Sauerstoffmangel in Folge organischer Einleitungen und steigender Sommertemperaturen. Foto: Joao P. Ngelbrecht/UNEP/Still Pictures, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]


Fußnoten:


[1] Im Jahr 2012 erläuterte die damalige Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), Prof. Dr. Karin Lochte, in einem Interview mit dem Schattenblick den Hintergrund zu den Eisendüngungsexperimenten.
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0031.html

[2] https://www.nature.com/articles/s41561-018-0152-2

[3] http://german.china.org.cn/txt/2018-07/23/content_57815088.htm

[4] https://www.boell.de/de/meeresatlas

[5] https://worldoceanreview.com/wor-1/meer-und-chemie/sauerstoff/


Bisher im Schattenblick zu der Veranstaltung "Geht dem Ozean die Luft aus?" am 5. September 2018 in Kiel unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/144: Meeressterben - Mangelzonen wachsen an ... (SB)


11. September 2018


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