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INTERVIEW/291: Welttag der Ozeane 2019 - mehr Kontrolle ...    Sebastian Unger im Gespräch (SB)


Zur Zeit herrscht auf der Erde eine politische Großwetterlage vor, bei der sich Staaten kaum darauf einlassen, irgendwelche Verpflichtungen einzugehen. Das sagt der Politikwissenschaftler Sebastian Unger, der dennoch seine Hoffnung nicht aufgegeben hat, daß die internationale Staatengemeinschaft ein Hochseeschutzabkommen zustande bringt, welches das UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) um weitere Aspekte des Meeresschutzes ergänzen soll. Unger ist Politikwissenschaftler am IASS, dem Institute for Advanced Sustainability Studies, z. Dt. Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, in Potsdam und seit Jahren mit der deutschen Meerespolitik im globalen Kontext und anderen Fragen zur "Ocean Governance" befaßt. Hierzu hielt er auf der Konferenz "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung - 25 Jahre Seerecht zwischen wachsenden Schutz- und Nutzungsansprüchen", zu der am 7. Juni 2019 die zivilgesellschaftlichen Organisationen Fair Oceans, Brot für Welt und Forum Umwelt & Entwicklung in die Landesvertretung Bremens in Berlin geladen hatten, einen Kurzvortrag und nahm anschließend an einer Podiumsdiskussion teil. Am Rande der Konferenz stellte sich Unger dem Schattenblick für einige Fragen zum Themenkomplex Tiefseebergbau, Seerechtsübereinkommen und Nachhaltigkeit zur Verfügung.


Beim Interview - Foto: © 2019 by Schattenblick

Sebastian Unger Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Die Pläne des Unternehmens Nautilus Minerals zum Abbau von Massivsulfiden in 1500 Meter Tiefe der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea haben bei der dortigen Bevölkerung Proteste ausgelöst. Ein schlechter Start für den Tiefseebergbau, der damit Probleme produziert, wie man sie auch vom Bergbau an Land her kennt. Halten Sie Tiefseebergbau für durchführbar ohne solche Konflikte?

Sebastian Unger (SU): Wir befinden uns beim Tiefseebergbau zur Zeit sicherlich noch in einer Phase, wo gerade auch aus wissenschaftlicher Sicht sehr, sehr viele Fragen völlig ungeklärt sind. Die Mineralien, die aus der Tiefsee gehoben werden sollen, liegen in Bereichen, die zum Teil kaum erforscht sind. Erst fünf Prozent des Meeresbodens sind wirklich bekannt. Bei jeder wissenschaftlichen Untersuchung und Probenahme werden neue Arten entdeckt. Deshalb können wir aus naturwissenschaftlicher Sicht davon ausgehen, daß zur Zeit keine naturverträgliche Form des Tiefseebergbaus stattfinden kann. Die Folgen wären nicht abschätzbar. Darin ist sich die Wissenschaft weitgehend einig.

Sie sprachen Nautilus Minerals an. Dessen Abbaugebiet liegt nicht in der Hohen See, sondern in der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Papua-Neuguinea. Das ist küstennäher, und so stellt sich sehr schnell die Frage, wie die indigene Bevölkerung und andere mit den möglichen Effekten umgehen. Da werden zurecht erhebliche Sorgen vorgebracht, weil viele Risiken unbekannt sind. Wird der Meeresbodenbergbau naturverträglich praktiziert oder wird der Ozean geschädigt? Ist die Lebensgrundlage dieser Bevölkerung bedroht?

SB: Sind Sie froh, daß die USA nicht UNCLOS, dem UN-Seerechtsübereinkommen, beigetreten sind, da US-Präsident Donald Trump typischerweise solche internationalen Verträge kippt und bestenfalls neu verhandeln würde?

SU: Die USA sind, da haben Sie völlig recht, nicht Vertragspartei beim Seerechtsübereinkommen. Aber sie sind eine Nichtvertragspartei, die sich vertragskonform verhält, und davon gibt es nicht viele. Insofern nehmen sie auch an den laufenden Verhandlungen zum Hochseeschutzabkommen teil. Die USA halten sich an die Artikel vom Seerechtsübereinkommen als "customary international law", also als allgemeinverpflichtendes internationales Recht. Grundsätzlich würde ich es eher begrüßen, wenn die USA dem Vertrag beitreten würden. Es gibt auch immer wieder mal Bestrebungen in diese Richtung, sie scheitern aber meistens an der amerikanischen Verfassung, die eine Zustimmungsberechtigung durch den Kongreß einräumt.

SB: Es gibt heute schon bestimmte Inseln, die mit den Gezeiten mal unter Wasser sind, mal daraus herausragen. Wie schätzen Sie das Konfliktpotential solcher Verhältnisse ein?

SU: Mit dieser Frage wird ein riesiges Zukunftsproblem angesprochen. Durch den Klimawandel und das Ansteigen des Meeresspiegels werden ganze Inselgruppen zum Beispiel im Pazifik versinken. Bisher ist völlig ungeklärt, wie diese Regionen in Zukunft verwaltet werden. Was geschieht mit den festgelegten Meereszonen wie der Ausschließlichen Wirtschaftszone? Wem gehören diese Gebiete dann? Das zu klären ist eine ganz, ganz große Herausforderung für das internationale Seerecht, aber natürlich auch für die globale Meerespolitik.

SB: Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß, sollte kein Hochseeschutzabkommen als Zusatz zum UN-Seerechtsübereinkommen zustandekommen, die Zerwürfnisse so groß werden, daß dann sogar UNCLOS in Frage gestellt wird?

SU: Das Seerechtsübereinkommen feiert 2019 ein großes Jubiläum - 25 Jahre - und ist durchaus schon ein bißchen in die Jahre gekommen. Dennoch wurde durch das Übereinkommen ein einzigartiger globaler Rahmen geschaffen, der rechtlich verbindlich ist. So eine Art Verfassung für die Meere. Das wird allgemein sehr wertgeschätzt. Man hört eigentlich kaum ernstzunehmende Forschungen und eigentlich auch keine Staaten, die auf die Idee kommen, UNCLOS aufzugeben. Davon bin ich überzeugt. Ein derartiges Abkommen würde man heutzutage in dieser Breite wahrscheinlich kaum mehr beschließen. Nichtsdestotrotz hat es seine Schwächen und eben auch Lücken, die man jetzt durch das Abkommen zum Schutz der Hohen See schließen will. Im Seerechtsübereinkommen ist zwar zum Beispiel auch Meeresschutz festgeschrieben, aber es fehlen die Anleitungen, wie das in der Praxis umgesetzt wird, also ganz konkret durch die Einrichtung von Meeresschutzgebieten und Umweltverträglichkeitsprüfungen. Das ist auf der Hohen See zwar vorgedacht, aber nicht umsetzungsfähig. Dafür soll das neue Abkommen gelten, so daß wir dann ein globales Netzwerk von Meeresschutzgebieten erhielten.

SB: Im Januar dieses Jahres forderten Barbara Neumann und Sie im Magazin "Science" ein allgemeines Zusage- und Überwachungssystem für den "nachhaltigen" Umgang mit den Ozeanen. Warum gibt es das bislang noch nicht?

SU: Das ist eine sehr wichtige Frage, wenn man es mit dem Klimaregime vergleicht, wo wir ja eine klare Zielvorstellung haben: Wir wollen die globale Erwärmung auf 1,5 oder maximal 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen. Dazu haben wir wissenschaftlich festgelegte "baselines" geschaffen: Es wird CO₂ emittiert, und man hat dazu Reduktionsszenarien und Zusagen der Staaten, jene National Determined Contributions, NDCs, also national festgelegte Reduzierungen der CO₂-Emissionen. Für die Meere haben wir so etwas nicht. Das liegt nicht etwa an einem Mangel an "Baseline-Daten". Die Datengrundlage zu Meeresschutzgebieten ist sehr gut, denn wir können sagen: Hier stehen wir, so und so viele Meeresschutzgebiete gibt es, wir haben ein globales Ziel, das wir über die Konventionen zur biologischen Vielfalt festgelegt haben, und so weiter. Im Moment liegt das Ziel bei zehn Prozent der Meeresfläche, doch es gibt Stimmen, die wollen dreißig Prozent zu Schutzgebieten erklären. Ich finde, daß das Sinn macht. Außerdem gibt es jetzt einen Prozeß über die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die sogenannten SDGs. Sie sollen bis 2030 erfüllt sein und werden von Staaten und anderen Akteuren als freiwillige Selbstverpflichtungen angestrebt, ähnlich wie die NDCs im Klimabereich.

Uns fehlt jedoch ein globaler Rahmen, der all diese Daten zusammenführt und klar beschreibt, wo wir stehen. Das wäre ein wichtiger Prozeßrahmen, mit dem die Staatengemeinschaft glaubwürdig belegen könnte, daß sie auf dem richtigen Pfad ist. Und lassen Sie mich das noch hinzufügen: Unter dem globalen Ziel für die Meere, SDG 14, gibt es sieben Unterziele. Vier dieser sieben inhaltlichen Ziele müssen schon 2020 erreicht sein, werden aber aller Voraussicht nach verfehlt. Das heißt, im nächstes Jahr werden wir an einem Punkt angelangt sein, an dem die Glaubwürdigkeit der 2030-Agenda insgesamt auf dem Prüfstand steht. Daher auch unser Vorschlag zur Entwicklung eines globalen Registers, damit wir einen nachvollziehbaren, glaubwürdigen und robusten Umsetzungspfad erhalten. Ich habe es am Beispiel der Meeresschutzgebiete aufgezeigt, nun brauchen wir so etwas auch für Meeresmüll, Überfischung, etc.


Blick durch Bauruine auf das blaue Meer dahinter - Foto: Erin Magee, AusAID, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Ein Großteil der Marshall-Inseln liegt weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel. Der Meeresspiegelanstieg wirft gravierende rechtliche Fragen auf, da sich mit dem Klimawandel die Landkarte der Erde verändern wird.
Foto: Erin Magee, AusAID, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

SB: Ist der Begriff Nachhaltigkeit nicht insofern problematisch, als beispielsweise beim Fischfang der höchstmögliche Ertrag, der nachhaltig wieder heranwächst, als Optimum angesehen wird? Das wäre demnach eine enorme Umwandlung von Proteinen. Andere dagegen wollen unter dem Label "Nachhaltigkeit" den Fischfang reduzieren. Hat der Begriff wegen solcher Beispiele nicht auch eine Schwäche, da er vielseitig interpretierbar ist?

SU: Sie beziehen sich auf eine gängige Kritik am Nachhaltigkeitskonzept, wonach es in dem Sinne auch ein wenig verhandelbar ist. Das kann man natürlich als Schwäche sehen, vielleicht aber auch als Stärke, weil es um komplexe gesellschaftliche Prozesse geht. So bedeutet der Beschluß zur Einrichtung von Fischereizonen, daß hier kein Fischfang mehr stattfindet. Das betrifft natürlich zunächst einmal die Fischer, es betrifft aber auch die Ernährungssicherheit. Das ist ein Problem, das wir in den Entwicklungsländern haben, wo viele Einkommen weitreichend von kleinskaliger Fischerei abhängen. Bei solchen Nutzungen müssen wir einen Mittelweg finden, der den Schutz sicherstellt und gleichzeitig den Menschen das Einkommen und Überleben sichert. Da gibt es keine schwarze oder weiße Position, sondern das ist häufig ein Verhandlungsprozeß, der immer wieder überprüft werden muß. In dem Sinne sehe ich das Nachhaltigkeitskonzept als etwas Gutes an. Es ist eine Stärke der Nachhaltigkeitsziele, daß sie diese unterschiedlichen Bereiche zusammenbringen. Wir können SDG 14, also das Meeresziel, das wir schon erwähnten, auch nicht für sich alleingestellt erreichen. Wie die anderen Ziele - beispielsweise Armutsbekämpfung, Hungerbeseitigung, Frauenrechte - können wir das Meeresziel nur erreichen, wenn wir all das zusammendenken. Das ist sicherlich eine große Herausforderung. Dieser Komplexität muß man sich als Gesellschaft stellen.

SB: Könnte die Internationale Meeresbodenbehörde in zwei Jahren damit beginnen, Lizenzen zum Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu vergeben, sobald das Regelwerk dazu festgelegt wurde? Oder rechnen Sie damit, daß das erst später dazu kommen wird?

SU: Das ist ein bißchen wie in die Kristallkugel zu schauen. Bei der Internationalen Meeresbodenbehörde wird zur Zeit das Regelwerk, der sogenannte Mining Code, für den Tiefseebergbau entwickelt. Auf der einen Seite gibt es sicherlich Bestrebungen, die Regeln so schnell wie möglich aufzustellen. Auf der anderen Seite werden weitgehende Forderungen für ein Moratorium zum Tiefseebergbau erhoben, beispielsweise vom Europäischen Parlament. Die Bundesregierung macht sich dafür stark, daß für solche Lizenzgebiete sogenannte regionale Umweltprogramme - regional environmental managment plans - entwickelt werden. Das finde ich sehr gut. In diesen Plänen, die einen rechtlich verbindlichen Charakter in dem neuen Abkommen benötigen, müßten Fragen hinsichtlich der Umweltauswirkungen, Baseline-Daten, Grenzwerte und so weiter beantwortet werden. Ohne solche Voraussetzungen dürfte keine Lizenz vergeben werden. Das wäre eine ganz wichtige Forderung.

Jetzt kommen wir nochmal zum Thema Moratorium und dem Wissensstand zurück. Im Moment wissen wir viel zu wenig über die Meere und speziell die Tiefseegebiete, so daß wir dort eigentlich keine Aktivitäten lizenzieren dürften. Beispielsweise hat die Meeresforschung in Bodenproben aus der Tiefsee festgestellt, daß sich im Abstand von 60 bis 100 Kilometern etwa 60 Prozent der Arten ändern. Das gilt für jede Probe, die dort genommen wurde. Aus meiner Sicht wäre das Risiko, daß Arten aussterben könnten, ein Grund, weswegen man unter solchen Bedingungen keinen Tiefseebergbau genehmigen dürfte.

Solche Dinge könnte man zur Zeit nicht ausschließen, und lassen Sie mich das noch hinzufügen: Die UN hat vor kurzem beschlossen, eine Dekade für die Meeresforschung zu starten. Sie soll sich auf die Frage Nachhaltigkeit und Schutz der Meere konzentrieren. In einer Situation, in der wir eigentlich nicht genügend Wissen über die Meere haben, wären diese zehn Jahre für mich auf jeden Fall ein Zeitraum, in dem wir noch keine Regeln für den Tiefseebergbau verabschieden sollten, zumal die Verhandlungen des Hochsee-Schutzabkommens zur Zeit auch noch laufen.

SB: Das gemeinsame Erbe der Menschheit, wie die Hohe See im UN-Seerechtsübereinkommen genannt wird, soll der "Menschheit als Ganzes" zugute kommen. Wird beim Abfassen des Mining Codes darüber verhandelt, wie das auszusehen hat?

SU: Das ist noch weitgehend offen. Im Seerechtsübereinkommen steht, daß die Ressourcen der Tiefsee zum Wohle der Menschheit insgesamt verwaltet und genutzt werden müssen, also auch zu Ihrem und zu meinem Wohl. Das Abkommen war in einer Zeit ausgehandelt worden, als die meisten Kolonien in ihre Selbstverwaltung und Freiheit entlassen wurden. Das war der Höhepunkt des kalten Krieges und man dachte, die Meere könnten ein Raum für Frieden und Kooperation sein. Da hat man also diesen wunderbaren, visionären Gedanken in das Seerechtsübereinkommen reingeschrieben, der jetzt in der möglichen Durchführung von Tiefseebergbau umgesetzt werden muß. Einfach zusammengefaßt wird gesagt, daß die Gewinne aus dem Tiefseebergbau in einem noch zu entwickelnden Verfahren auf die Menschheit verteilt werden müssen. Wie das geschieht, was die Prinzipien für Gerechtigkeit, Fairneß und intergenerationale Gerechtigkeit sind, ist bisher nicht geklärt. Das ist ein wichtiger Punkt. Hier kann man natürlich nicht davon ausgehen, Aktivitäten in der Tiefsee zu entfalten, bei denen dieser ganz zentrale Aspekt nicht berücksichtigt wird.

SB: Vielen Dank, Herr Unger, für das Gespräch.


Mehrgeschossiges Verwaltungsgebäude - Foto: James A.R. McFarlane, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Die Internationale Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika, verwaltet mit weniger als 40 Personen die Nutzungsrechte von rund der Hälfte der Erdoberfläche.
Foto: James A.R. McFarlane, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Bisher im Schattenblick zur Konferenz zum Welttag der Ozeane 2019 unter UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/150: Welttag der Ozeane 2019 - die Säge am eigenen Ast ... (SB)

INTERVIEW/289: Welttag der Ozeane 2019 - Geoverwertungsforschung in der Tiefsee ...    Dr. Carsten Rühlemann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/290: Welttag der Ozeane 2019 - komplexe Folgen und tödliche Konsequenzen ...    Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner im Gespräch (SB)


21. Juni 2019


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