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INTERVIEW/293: Welttag der Ozeane 2019 - nationaler Mißbrauch und Wirtschaftsinteressen ...    Kai Kaschinski im Gespräch, Teil 2 (SB)




Unterwasserwald aus Riesentang - Foto: Kelly Moore / National Park Service der USA

Riesentang (Macrocystis pyrifera), auch Kelp genannt, im Nationalpark Channel Islands vor Kalifornien. Kelpwälder binden Kohlenstoffdioxid, ihr Erhalt gilt als Maßnahme für den globalen Klimaschutz
Foto: Kelly Moore / National Park Service der USA

Am Vortag zum diesjährigen Welttag der Ozeane, der seit 2009 jedes Jahr am 8. Juni begangen wird, hatte ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Fair Oceans, Brot für die Welt und Forum Umwelt und Entwicklung zu der Konferenz "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung - 25 Jahre Seerecht zwischen wachsenden Schutz- und Nutzungsansprüchen" in die Landesvertretung Bremens in Berlin geladen. Im Anschluß an die Konferenz führte der Schattenblick ein Gespräch mit Kai Kaschinski von Fair Oceans, der das Treffen mitorganisiert hat. In diesem zweiten und abschließenden Teil des Interviews geht es um Meeresschutzgebiete, die manchmal über die Köpfe der Küstenbevölkerung hinweg eingerichtet werden, Kleinfischerei und die Gefahr, daß lokale Gemeinschaften aus ihren traditionellen Meeresnutzungsgebieten verdrängt würden, sobald diese zu CO₂-Speichern des internationalen Klimaschutzes erklärt werden.

Schattenblick (SB): Befinden sich unter den bisher weltweit ausgewiesenen Meeresschutzgebieten auch welche, bei denen der Schutzstatus die zuständigen Staaten "schmerzt"? Oder sind das eher Gebiete, bei denen der ökonomische Nutzen sowieso als gering anzusehen ist?

Kai Kaschinski (KK): Um diese Frage zu beantworten, müßte man Fallstudien untersuchen. Wir überlegen schon seit längerem, ob wir uns nicht an entsprechenden Überprüfungen beteiligen sollten, um herauszufinden, wie dort das Verhältnis von Umwelt und Entwicklung tatsächlich verwirklicht wurde. Man müßte sich nach Ländern sortiert die einzelnen Umsetzungen anschauen und sie nach Fragen beurteilen wie: Was sehen dort die entwicklungspolitischen Standards aus? Wie werden sie in das Schutzkonzept integriert? Welche praktischen Schwierigkeiten treten dabei auf? Kommt es zu einer falschen Gewichtung von Umwelt und Entwicklung innerhalb dieser Konzepte? Um uns als Fair Oceans an solchen Untersuchungen zu beteiligen, müßten wir uns allerdings ganz neu aufstellen. Weil wir dann in diese Arbeit stärker international hineingehen müßten. Bislang erhalten wir einfach von unseren Partnerorganisationen Rückmeldungen über solche Fragen.

Ein Beispiel dafür sind die Seychellen im Indischen Ozean. Dort hat der Hollywood-Schauspieler Leonardo DiCaprio, der sich im Umweltbereich engagiert, einen guten Draht zur Regierung aufgebaut und sich an der Einrichtung eines neuen, großflächigen Meeresschutzgebietes beteiligt. Doch nun stehen die dortigen Kleinfischer vor dem Problem, daß ihnen dadurch Fanggebiete verlorengegangen sind, und sie kommen zu dem Schluß: Jetzt sind wir raus, aber die Gebiete werden nicht kontrolliert, und was dort an illegaler Fischerei stattfindet, die wir vorher durch unsere Präsenz verhindert haben, wird von niemandem mehr gestoppt. Das Meeresschutzgebiet hat keinen positiven Effekt auf die Fischbestände, es gefährdet statt dessen unsere Lebensgrundlage.

Darüber hinaus ist das ein typisches Beispiel für das schlechte Zusammenspiel von Meeresschutz auf der einen Seite und Blue-Growth-Konzepten auf der anderen. Denn an anderer Stelle haben die Seychellen nun Lizenzgebiete für die Offshore-Ölförderung vergeben. Also haben die Kleinfischer im doppelten Sinn verloren. Das ist ein klassischer Deal, den wir scharf kritisieren. Da legen wir den Finger in die Wunde, denn wir sind der Ansicht, daß hier beispielhaft die Verbindung von Meeresschutz und zunehmender Industrialisierung der Meere deutlich wird, wie sie in den meerespolitischen Strategien wie dem Blaubuch der EU vorformuliert werden. Hier fällt der Schutz der Meere gegenüber der gleichzeitig stärker vorangebrachten Nutzung der Meere zurück. Dabei ist doch der Meeresschutz bisher noch nicht mal in der Lage, die alten Umweltbelastungen aufzufangen, geschweige denn daß er zu einer Zustandsverbesserung führen würde, wie wir sie ja eigentlich für die Meere erreichen wollen.


Eine Reihe von beleuchteten Offshore-Ölplattformen und anderen industriellen Einrichtungen während der Dämmerung - Foto: Genghiskhanviet, public domain

Die Industrialisierung der Meere schreitet voran.
Ölplattformen vor Vung Tau, Vietnam.
Foto: Genghiskhanviet, public domain

Auch wenn wir Meeresschutzgebiete grundsätzlich für wichtig halten, muß man wirklich sagen, daß sie in vielerlei Hinsicht einfach Feigenblätter sind. Sie legitimieren die zunehmende Industrialisierung der Meere. Das ist im Prinzip ihre Hauptfunktion. Und wenn man dann auf den Europäischen Tag der Meere oder die UN-Meereskonferenz nach New York geht, dann sieht man, wieviele Veranstaltungen dort durchgeführt und wieviele Messestände aufgestellt worden sind, bei denen es ausschließlich um neue Nutzungsformen der Industrialisierung der Meere geht. Auf den Podien dieser Veranstaltungen dagegen sind sich immer alle einig, daß Meeresschutz ganz wichtig ist.

Als ich im Mai dieses Jahres zum Europäischen Tag der Meere nach Lissabon gereist war, um die Klimadebatten zu verfolgen, hatte es auf den ganzen Veranstaltungen, die ich besucht habe, nur ein einziges Mal jemand gewagt zu fragen, wie das denn zusammenpasse, daß da draußen diese ganzen Stände mit den Industrievorhaben für die Meere stehen und hier drinnen gleichzeitig von Meeresschutz gesprochen wird. Ich war der einzige Mensch im Saal, der dann laut geklatscht hat - und sofort drehten sich rund hundert Leute zu mir um. Daraufhin kam der Mensch dort vorne in Rechtfertigungszwang. Denen ist natürlich bewußt, was sie da tun und wie widersprüchlich das ist. Manchmal kann einen auf solchen Konferenzen schon ein schlechtes Gefühl ereilen.

Für uns von Fair Oceans ist klar, daß wir nicht die Industrialisierung der Meere, sondern die Kleinfischerei und andere traditionellen Nutzungen fördern wollen. Sie garantieren die Ernährung für Millionen Menschen, schaffen Beschäftigung vor Ort, sichern den Zusammenhalt der lokalen Gemeinschaften und üben einen wesentlich geringeren ökologischen Einfluß auf die Meeresökosysteme aus. Da kommen Umwelt und Entwicklung zusammen, wie wir uns das vorstellen.

SB: Ähnlich verhält es sich mit der Ernährungssicherheit an Land. Laut dem Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 wird mehr als die Hälfte der Nahrung weltweit von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern erzeugt.

KK: Genau, und das könnte auch eine Antwort auf das sogenannte Ocean Grabbing sein, bei dem lokale Küstengemeinschaften und die lokale Fischerei zugunsten der industriellen Fischerei, der Offshore-Öl- und -Gasförderung, aber auch des Tourismus enteignet werden.

SB: Und zugunsten des Meeresschutzes?

KK: Wenn Umwelt und Entwicklung nicht zusammengedacht werden, auch zugunsten der Einrichtung von Meeresschutzgebieten. Ich würde allerdings den Meeresschutz nicht in die gleiche Liste setzen. Aber wenn er nicht partizipativ und nicht transparent durchgeführt wird, wenn die Menschen vor Ort nicht als gleichberechtigte Subjekte verstanden werden, die das Recht haben, darüber zu entscheiden, was mit ihrem Meer geschieht, und wenn sie nicht als letzte Instanz anerkannt sind, dann könnte auch der Meeresschutz auf Ocean Grabbing hinauslaufen.

Wer sich möglicherweise aus Deutschland oder den USA da einbringt, kann Hilfestellung leisten, aber politisch und menschenrechtlich müssen letztendlich die Leute vor Ort die Entscheidungen treffen. Am Ende müssen sie auch die Meeresschutzgebiete verwalten, nur dann macht deren Einrichtung Sinn. Oft ist es ja nicht so wie bei uns an Nord- und Ostsee, wo die Umweltverbände jahrzehntelang aktiv sind, eigene Infohäuschen aufbauen und ihre feste staatliche Unterstützung erhalten. Im Unterschied dazu sind viele dieser Projekte auch von internationalen Meeresschutzorganisationen lediglich auf ein paar Jahre angelegt. Die Leute sind eine Zeitlang da, machen irgend etwas und sind dann wieder weg. So etwas hat natürlich keine Zukunft.

Meeresschutz kann sogar auf ein sehr weitreichendes Ocean Grabbing hinauslaufen, denn im Kontext der Blue-Growth-Strategien sollen Meere auch als CO₂-Speicher genutzt werden. Wenn dann Mangroven, Seegraswiesen oder Kelpwälder zu Zonen der CO₂-Speicherung erklärt werden und ansonsten kein Zugriff mehr darauf erfolgen darf, auch kein traditioneller durch die lokalen Gemeinschaften, weil das als Entwertung dieser Gebiete betrachtet würde, dann bedroht ausgerechnet der Meeresschutz das Leben der Menschen vor Ort. Herr Pörtner hat in seinem heutigen Vortrag deutlich gezeigt: Je später wir damit anfangen, die CO₂-Emissionen zu verringern, um so problematischer wird das und desto mehr Druck wird aufgebaut, daß dann solche fragwürdigen Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden. Deshalb hat er richtigerweise gesagt, laßt uns jetzt die Emissionen reduzieren, dann ist das gar nicht notwendig.

Aber wenn man sich anschaut, welche Ausmaße es schon an Land angenommen hat, wenn sich irgendwelche NGOs ein Stück afrikanischen Waldes kaufen, die Leute dort vertreiben und ihren Besitz als CO₂-Speicher deklarieren, muß man feststellen, daß hier großflächig überlebenswichtige Gebiete für Menschen verloren gehen. Das ist zur Genüge dokumentiert. Wir befürchten, daß genau das auch in den Küstenregionen ablaufen wird. In diesem Wettstreit zwischen Ölindustrie, möglicherweise Tiefseebergbau, Tourismus und Blue Carbon bzw. Meeresschutzgebieten bliebe nicht mehr viel Raum für die lokalen Gemeinschaften und die Kleinfischerei.

Ich behaupte nicht, daß lokale Gemeinschaften keine Eingriffe in die Natur vornehmen. Sicherlich machen sie das. Wir Menschen haben vor zehntausend Jahren, zu Beginn von Ackerbau und Landwirtschaft, angefangen, die ganze Erde zu kultivieren. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wenn man jetzt ausgerechnet die Regionen, in denen es noch intakten Mangrovenwald gibt, unter Schutz stellen will, wo dieser doch von den lokalen Gemeinschaften, die dort seit längerem leben, genutzt wird, dann nenne ich das Ocean Grabbing. Und das, um Klimafolgen in Grenzen zu halten, die an einer ganz anderen Stelle verursacht wurden. Viel sinnvoller wäre es eigentlich, man würde die Tourismushochburgen, die man dort gebaut hat, wo früher Mangrovenwald stand, wieder abbauen und statt dessen neue Bäume anpflanzen.

SB: Die örtliche Hühnerproduktion in Ghana wurde in Folge des Exports von subventionierten EU-Hühnerfleischresten zerstört. Gibt es so etwas im Bereich der Fischerei auch, daß die örtlichen Fischer verdrängt werden und sie dann beispielsweise fertig abgepacktes Fischfilet aus dem Supermarkt kaufen müssen?

KK: Der Dokumentarfilmer Wilfried Huismann aus Bremen hat 2010 den Film "Lachsfieber" veröffentlicht. Darin geht es unter anderem um die Lachsindustrie von Chile. Dort wurden die Kleinfischer aus ihren angestammten Fanggebieten verdrängt, da in den Buchten Lachsfarmen aufgebaut wurden. In deren Nähe darf nicht gefischt werden, weil das Wasser in Folge der Aquakultur vergiftet ist. Was ist den Fischern geblieben? Die kaufen sich dann oft die Reste aus der Lachsverwertung dieser Industrieproduktion in Aquakultur oder sogar jene Fische, die aussortiert wurden, weil sie an Viren gestorben sind, und doch heimlich auf dem Markt gelandet waren.

Nachdem Chile vor gut sechs Jahren handelbare Fischereilizenzen eingeführt hat, verloren Tausende von Haushalten ihre Existenzgrundlage. Denn ein Großteil der Fischereilizenzen geriet schnell an wenige Familien, die dort eine industrielle Großfischerei betreiben. Wenn kein Widerspruch gegen das Gesetz kommt, bleibt ein Großteil der Fanglizenzen Chiles auf unbegrenzte Zeit im Besitz von wenigen, während umgekehrt Tausende Kleinfischer aufgegeben haben. Ihnen wird zwar eine Zone entlang der Küste zugeteilt, aber dadurch daß sie Fanggründe und Einnahmequellen verloren, sind viele von ihnen über Kredite und andere Wege in Abhängigkeit von jenen wenigen großen Familien geraten. Jedenfalls hat sich nach der Einführung der handelbaren Lizenzen die gesamte Ökonomie und das soziale Gefüge in der Fischerei in Chile vollständig verändert.

SB: Vielen Dank, Kai, für das Gespräch.


Bucht mit abgegrenzten Bereiche für die Fischzucht - Foto: Sam Beebe, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Lachsfarm an der Küste Chiles
Foto: Sam Beebe, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Bisher sind zur Konferenz "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung - 25 Jahre Seerecht zwischen wachsenden Schutz- und Nutzungsansprüchen" am 7. Juni 2019 in der Landesvertretung Bremens in Berlin im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

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3. Juli 2019


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