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NACHLESE/005: Bagger fressen Erde auf - Interview mit Sabine Niels, Landtagsabgeordnete der Grünen (SB)


Interview mit Sabine Niels, Landtagsabgeordnete der Partei der Grünen in Brandenburg, am 14. Juni 2012 in Berlin


Am Tisch vor der BöseBubenBar - Foto: © 2012 by Schattenblick

Sabine Niels
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Rahmen seiner Nachlese-Reise zum menschlich und ökologisch desaströsen Braunkohletagebau in der Lausitz traf sich der Schattenblick auch mit der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Sabine Niels von den Grünen. [1]

Die ausgebildete Heilerziehungspflegerin und Sozialwissenschaftlerin hat einige Jahre einen Biobauernhof betrieben und ist landwirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Partei. Die befindet sich in der Opposition und fordert einen zügigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung. Im folgenden Interview spricht die Landtagsabgeordnete unter anderem über das häufig unterschätzte Problem der Randbetroffenheit von Dörfern an der Tagebaukante, über die ökologischen Folgen der Braunkohlegewinnung und prognostiziert zutreffend, daß die umstrittene CCS-Technologie (CCS - Carbon Capture and Storage) in Deutschland keineswegs vom Tisch ist. Am Abend des 27. Juni einigte sich der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat mit denkbar knapper Mehrheit auf einen Kompromiß, der die testweise Einlagerung von Kohlendioxid in ehemaligen Gasspeichern erlaubt.


Schattenblick: Wie bewertet Ihre Partei Brandenburgs "Energiestrategie 2030" insbesondere mit Blick auf den Braunkohlekonflikt?

Sabine Niels: Wir stehen den Energiestrategien schon seit Jahren kritisch gegenüber. Besonders spannend finden wir als Bündnisgrüne, daß die Energiestrategie 2030 gegenüber der zu 2020 und 2010 jedesmal verändert wird, was die Einsparung von CO2-Emissionen angeht. Die Ziele werden nämlich einfach zurückgeschraubt, um sich da drumrum zu schummeln. Das ist aus unserer Sicht eine riesen Schweinerei, so zu tun, als wenn wir immer noch die kleine DDR wären und uns autonom mit Strom versorgen müßten. Insbesondere kritisieren wir, daß man darauf setzt, daß Brandenburg weiterhin als Industrieland, das unbedingt nach außerhalb des Berlin-Brandenburg-Raums elektrischen Strom exportieren muß, gilt.

SB: Welchen Einfluß hatten die Opposition und die Klima-Allianz, die ja von der Landesregierung gebeten wurde, sich zur Energiestrategie zu äußern, auf die Endfassung?

SN: Es hat eine Anhörung im Wirtschaftsausschuß gegeben. Wir von den Grünen kritisieren ja schon lange, daß einfach weiter auf Braunkohletagebau gesetzt wird - auch von der Linken, die damals mit uns das Volksbegehren gegen Braunkohle durchgeführt und das Thema im Wahlkampf genutzt hatten. Andererseits gibt die rot-rote Landesregierung Lippenbekenntnisse ab wie, man müßte auf Bundesebene das Bergrecht so ändern, daß soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt werden. Das kann man auf Landesebene längst machen!

Die Wirkung der Opposition bleibt gering. Beeindruckender ist da eigentlich schon, wie Bürgerinitiativen, die sich aus Protest gegen CO2-Speicher aufgestellt haben, jetzt auch gegen den Tagebau protestieren. Was die Klima-Allianz angeht, so wird ihr gutes Wissen, das sie und auch Wirtschaftsexperten mitbringen, einfach ignoriert. Da bestehen riesengroße Beharrungskräfte; die SPD regiert hier seit 22 Jahren, anscheinend führt da kein Weg hinein.

SB: Würden Sie als landwirtschaftspolitische Sprecherin die Kritik Ihrer Partei an der Energiestrategie 2030 anders gewichten, oder deckt sich das vollständig mit Ihrem Standpunkt?

SN: Ich bin auch Mitglied im Bauernbund, das ist die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft des Ostens. Wir sind gemeinsam gegen Braunkohletagebaue aktiv und haben auch gemeinsam das Bündnis Heimat und Zukunft gegründet. Denn wir sehen, daß landwirtschaftliche Flächen und dörfliche Strukturen verlorengehen, daß Kultur verschwindet und auch die Heimat der Sorben abgebaggert werden soll.

Die Landwirtschaftspolitik stellen wir als Bündnisgrüne weniger in diesen Kontext. Eher kritisieren wir den Wasserhaushalt. Der Tagebau ist eine riesengroße Schweinerei. Große Wassermengen verdunsten einfach aufgrund der bloßen Kühlung. Das Wasser wird aus der Landschaft abgepumpt und findet sich dann als Sulfatfracht in der Spree wieder. Das ohnehin abnehmende Oberflächenwasser - teilweise fließt die Spree rückwärts - wird unglaublich verschmutzt. Wir haben sogar Klagen von Fischern im Havelland, die sagen, daß sich die Bergbauaktivitäten der Lausitz bis zu ihnen auswirken. Solche Dinge schieben wir von den Grünen nach vorne.

Dann, natürlich auf der gleichen Prioritätenstufe, auch die Zwangsumsiedlung der Menschen. Aber das ist wiederum etwas, was wir am Bundesrecht kritisieren. Man tut einfach so, als ob irgendein Gemeinwohlinteresse Braunkohletagebaue höher bewerten würde als die Heimat von Menschen. Am Landesrecht kritisieren wir, daß dem Tagebau kein Einhalt geboten wird, was durchaus möglich wäre.

SB: Haben die Bundesgrünen nicht kürzlich einen Vorstoß unternommen, das Bergrecht zu verändern?

SN: Genau. Das fordern wir jede Legislatur. Insofern gibt es verschiedene Schwerpunkte. Beispielsweise ist es interessant, man verlangt von den Landwirten eine Abgabe auf das Wasser, das sie für das Bewässern ihrer Früchte verwenden, während man von Vattenfall kein Wassernutzungsentgelt erhebt. Dieser riesengroße Konzern erhält damit indirekte Subventionen. Wohingegen man von Landwirten, die tatsächlich Nahrung produzieren, also etwas ganz Basales für uns tun, erwartet, daß sie Wasserentgelt zahlen. Diese Ungleichbehandlung schreit eigentlich zum Himmel. Auf diese Diskrepanz machen wir immer wieder aufmerksam.

Interview im Straßencafé - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Das Wasser wird aus der Landschaft abgepumpt und findet sich dann als Sulfatfracht in der Spree wieder. Das ohnehin abnehmende Oberflächenwasser - teilweise fließt die Spree rückwärts - wird unglaublich verschmutzt.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Würden die Grünen, wenn sie an der Regierung wären, einen Vorstoß machen, das Bergrecht zu ändern und entsprechende Nutzungsrechte von Vattenfall einschränken, so daß es für den Konzern möglicherweise ökonomisch gar nicht mehr so interessant wäre, die Braunkohle abzubaggern?

SN: Gut, das könnte eine mögliche Folge sein, aber erst einmal geht es darum, daß jemand tatsächlich dafür zahlen muß, wenn er Wasser nutzt.

SB: Trifft es zu, daß die aufgeschütteten Abraumhalden über viele Jahre landwirtschaftlich überhaupt nicht mehr nutzbar sind?

SN: Ja, das ist so, und wenn man sieht, daß zum Beispiel im Ortsteil Proschim [2] ein riesengroßer Betrieb auf alten Kippenflächen nach ungefähr 30 Jahren nochmal von vorne angefangen und mit ganz viel Mühe dort wieder Landwirtschaft etabliert hat, auch mit einer Biogasanlage, und die sollen jetzt wiederum abgebaggert werden - das ist Wahnsinn! Ich habe mir von den Landwirten erklären lassen, wie mühselig das ist. Natürlich kann man das Land über Jahrzehnte nicht nutzen. Vor allem drohen die Kippenflächen immer wieder abzurutschen. Das ist ja schon mehrfach passiert in der Lausitz, Gott sei Dank ist da niemand zu Schaden gekommen, weil es sich um Waldflächen gehandelt hat. Aber die sind teils mehrere Fußballfelder groß.

SB: Den Landwirten, die jetzt umgesiedelt werden sollen, werden neue Flächen zugewiesen. Befinden sich darunter auch relativ frische Kippen?

SN: Das weiß ich nicht genau, aber für die Betroffenen ist etwas anderes noch wichtiger: Manche haben über viele Generationen landwirtschaftliche Betriebe aufrechterhalten. Da besteht eine Bindung an die Natur, selbst wenn man ihnen Flächen in der fruchtbaren Magdeburger Börde anböte. Das ist noch lange nicht das gleiche, als wenn sie auf ihrem Betrieb, in den sie Energie investiert haben und mit dem sie verbunden und verwurzelt sind, weiter wirtschaften dürften. Genau diesen Konflikt gibt es schon seit Jahrzehnten in der Lausitz. Die Leute kämpfen um ihre Heimat.

Andererseits schauen sie für den Fall der Fälle, daß sie doch abgebaggert werden, welche Ausgleichsflächen sie bekommen würden. Das zerreißt sie innerlich. Sie sprechen nicht gerne darüber, wer jetzt welches Verhandlungsangebot von Vattenfall hat, und mir liegen darüber keine Informationen vor. Daß der Ausgleich überhaupt nicht geklappt hat, erfährt man eher im Nachgang der Tagebauen, die es bereits gibt. So etwas hat ja auch mit Baumbeständen, Büschen und Humusschichten, um die man sich jahrelang bemüht und die man durch eine entsprechende Fruchtfolge aufgebaut hat, zu tun.

Karg begrünte Flächen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Rekultivierungsflächen am Tagebau Jänschwalde
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Glauben Sie, daß die CCS-Technologie in Deutschland endgültig vom Tisch ist?

SN: Nein! Ich befürchte, daß spätestens im Vermittlungsausschuß am 27. Juni eine Entscheidung getroffen wird. Ich denke mal, das wird hingehalten bis 2014 [3]. Und meine Befürchtung ist die, daß, wenn es zum Beispiel Rot-Grün gäbe, wir dann sogar ein Forschungsgesetz bekämen. Ich hoffe, daß dann die grüne Bundestagsfraktion ganz stark ist und dagegenhält.

SB: Würden Sie uns den Begriff "Forschungsgesetz" erläutern?

SN: Es gab im Bundesrat eine Initiative aus den Ländern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, daß man in einem bestimmten Maß Speicher einrichtet, wo man das Verhalten von CO2 im salinen Aquifer über einen bestimmten Zeitraum untersuchen würde. Das ist völlig widersinnig. Erstens gibt es solche Forschungsspeicher schon, beispielsweise Ketzin in Brandenburg und auch an anderen Stellen auf der Erde, und man weiß, daß man die Daten, die man dort bekommt, überhaupt nicht auf andere geologische Formationen übertragen kann. Mit solch einem Gesetz würde sofort ein Schleusentor geöffnet.

Außerdem sind die Untersuchungszeiträume zu kurz gewählt. Was sagen mir 15 Jahre, wenn ich weder die Daten auf eine andere geologische Formation übertragen kann noch die Gewißheit habe, daß das Lager 100 Jahre hält?! Und es gibt keine Möglichkeit, das CO2 wieder aus dem Boden zu entnehmen, sollte man feststellen, daß die Lager undicht sind. Für diesen Fall hat noch niemand einen Plan. Darüber hinaus kam der Vorschlag auf, daß Emissionen aus der Industrie und nicht aus der Kohleverstromung verpreßt werden. Unseres Erachtens wäre das rechtlich nicht durchzuhalten, da sich jeder Kohlekonzern dagegen einklagen könnte. Deswegen sind wir dafür, CCS grundsätzlich zu verbieten.

Es gibt eine vom Wuppertal-Institut erstellte Studie namens RECCS-plus [4], in der wird festgestellt, daß CCS eventuell im Rahmen von Negativ-Emissionen sinnvoll wäre. Aber der großtechnische Einsatz käme viel zu spät, und es gäbe eine Nutzungskonkurrenz erstmals zur Tiefengeothermie [5] und auch zu Kompressionsspeichern [6]. Unseres Erachtens sollte Deutschland seine Forschungskapazitäten und Mittel anderweitig nutzen und sich auch nicht von der EU mit Geldern locken lassen, die aus dem CO2-Zertifikatehandel bereitgestellt werden sollen.

SB: Gibt es in unseren Nachbarländern entsprechende Initiativen gegen CCS?

SN: Polen ist jetzt anscheinend bereit, für Vattenfall ein bißchen CO2 einzulagern. Dort hat man den Widerstand gegen den Tagebau in Nachbarschaft zur Lausitz erstmal gebrochen, indem man einfach die Kommunen neu zugeschnitten hat. Dort gab es auch eine "gute" Beratung von Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers. Der hatte das mit Horno damals ebenso gemacht.

Ob sich in Polen entsprechende Initiativen gegen CCS bilden, ist schwer absehbar. Für die Menschen ist es wohl immer erst dann nachvollziehbar, welche irrsinnigen Pläne vorliegen, wenn tatsächlich Anträge gestellt werden, die an die Öffentlichkeit gelangen. In anderen Ländern, in Dänemark, hat man Projekte im Zusammenhang mit Steinkohle eingestellt, weil sie sogar unwirtschaftlich gewesen wären.

SB: Wie schätzen Sie das Risiko ein, daß Jänschwalde noch einen weiteren Kohlekraftwerksblock bekommt? Der ganze Braunkohletagebau beruht ja auf der Annahme, daß die CCS-Technologie durchkommt?

SN: Die Landesregierung hat deutlich gesagt, daß sie jeden Kraftwerksneubau befürwortet, und sich davon verabschiedet, ihn an CCS zu koppeln. Das Kohlekraftwerk Jänschwalde zu verhindern wäre ein enormer Aufwand, den dann Bürgerinitiativen und wir als Opposition im Landtag betreiben müßten. Wir sind da ja die einzige Fraktion, die gegen das Verfahren angeht. Das hat die Landesregierung schlau eingefädelt. Sie haben einfach dieses Verfahren und auch das für die neuen Tagebaue so weit geschoben, daß es nicht mehr in dieser Legislatur entschieden wird.

SB: Sie arbeiten aber teils auch mit der CDU zusammen, wie wir heute morgen in Atterwasch im Gespräch mit Frau Schulz-Höpfner erfahren haben.

SN: Sie hat mit uns und Heinz-Georg von der Marwitz, die ich zusammengebracht habe, das Bündnis Heimat und Zukunft gegründet. Er ist Bundestagsabgeordneter der CDU und neu im Bundestag und kannte auch Monika Schulz-Höpfner noch nicht, die sich seit vielen Jahren im Landtag abstrampelt. Wir haben dann zusammen mit dem Bauernbund dieses Bündnis geschaffen.

Sabine Niels beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Für die Menschen ist es wohl immer erst dann nachvollziehbar, welche irrsinnigen Pläne vorliegen, wenn tatsächlich Anträge gestellt werden, die an die Öffentlichkeit gelangen.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Was glauben Sie, welche Schlagkraft kann das Bündnis Heimat und Zukunft entwickeln?

SN: Es geht dabei nicht um Schlagkraft, sondern darum zu zeigen, daß die Lausitz nicht nur Braunkohle ist. Bei uns wird ja von der Landesregierung und Vattenfall suggeriert, daß, wenn es den Tagebau nicht mehr gibt, die Lichter in der Region ausgehen. Wir finden das furchtbar, niemand möchte in einer Region wohnen, die entweder am Tagebaurand liegt oder irgendwann nicht mehr existiert. Darum haben wir gesagt, wir wollen ein deutliches Zeichen setzen, daß es Menschen gibt, die über Kohle hinaus denken können. Und was die Argumentation "Arbeitskräfte" und "Bruttosozialprodukt" betrifft, dazu sagen wir immer, daß wir bis 2040 aus der Kohle aussteigen wollen. Manchmal werden wir ganz bewußt falsch dargestellt, so als wollten wir morgen schon alles in der Tagebauregion schließen.

Es gibt Leute in der Region, die sich bemühen, ihre Heimat zu retten, aber von Vattenfall oder den Gemeindevertretern angeworben werden; oder wo versucht wird, sie auf die andere Seite zu ziehen. Auch darum haben wir das Bündnis gegründet, damit sich diese Menschen wieder an etwas festhalten und sagen können: Wunderbar, ich bin in diesem Bündnis, und wir sind ganz viele! Das sollte ihnen eine innere Kraft geben.

Am Reformationstag haben wir vorgesehen, noch einmal eine Veranstaltung zu machen, wo wir Leute aus der Wissenschaft und Forschung, auch aus der Energiebranche, zum Thema Klimaschutz einladen, um dann zu zeigen, daß Standpunkte, die man vor fünf, zehn oder fünfzehn Jahren hatte, verändert werden können, da sich die Erkenntnisse verändern. Aber wir haben mit dem Bündnis nicht Schlagkraft assoziiert.

SB: Gibt es da eine Art Protestbündelung, die Sie für sinnvoll halten?

SN: Gar nicht, nein. Protest ist immer vielseitig, und jeder hat auch andere Gründe. So gibt es Leute, die verleugnen den Klimawandel, es gibt Menschen, die sagen Ja zu den Tagebauen, wollen aber keine Leute abbaggern, sondern nur Landschaft, und andere wollen einen späteren Ausstieg. Ich finde es nicht sinnvoll, Protest zu bündeln. Ich finde das einfach gut, wenn viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen sich für die Belange einsetzen. Beispielsweise gibt es eine große Initiative von Leuten, die sich für die Randbetroffenen einsetzen, also für diejenigen, die jetzt schon kein Grundwasser mehr haben. Ich meine, das hat auch die Geschichte gezeigt, daß das Bündeln von Protest eine ganz schwierige Materie ist. Uns in der Region eint, daß wir sagen, es ist nicht mehr sinnvoll und nicht mehr notwendig, Braunkohletagebau weiter zu betreiben und neue Kraftwerke zu bauen.

SB: Wie stellen Sie sich das Auslaufen des Braunkohletagebau vor? Wenn Sie jetzt an der Regierung wären, würden Sie sagen, die bestehenden Tagebaue sollen in fünf, zehn oder zwanzig Jahren enden, ohne weitere Dörfer abzubaggern?

SN: Bis 2040, wie ich eben gesagt habe. Die Kraftwerke, die es jetzt gibt, haben bis dahin alle "Auf Wiedersehen" gesagt, sind dann technisch überholt und abgeschrieben. Dazu wurden mehrere Berechnungen angestellt, wie der Einsatz der Kohle ökonomisch aussehen kann, daß zum Beispiel nicht jeder Block mit der gleichen Leistung laufen muß, sondern man durchaus die zur Verfügung stehende Windenergie nutzt. So etwas wird von der Landesregierung einfach nicht gewollt. Was würden wir als Landesregierung machen? Per Bundesratsinitiative das Bergrecht ändern! Wenn wir auch noch eine grüne Landeregierung hätten, dann hätten wir sogar eine Bundesratsmehrheit.

Sabine Niels beim Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Wir finden das furchtbar, niemand möchte in einer Region wohnen, die entweder am Tagebaurand liegt oder irgendwann nicht mehr existiert.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie stehen Sie zu den Aktivistinnen und Aktivisten vom Klimacamp, das im August in der Lausitz stattfindet?

SN: Da war ich letztes Jahr zu Besuch. Finde ich ganz toll, weil das Klimacamp genau das macht, was das Bündnis Heimat und Zukunft will, nämlich die Augen öffnen in Richtung Zukunft, wo wir auch mittelfristig hinwollen. Wir wollen nicht nur irgendwann ein Zwei- oder Ein-Grad-Ziel erreichen. Ich finde das ganz toll, das sind junge, innovative Leute. Darüber sind auch diejenigen, die in der Lausitz seit zig Jahren gegen Tagebau aktiv sind, sehr froh, daß da immer wieder Leute reinkommen, die frischen Wind mitbringen.

SB: Wie weit würden Sie als Landtagsabgeordnete Formen des zivilen Ungehorsams wie Sitzblockaden unterstützen?

SN: Bei Sitzblockaden mache ich lieber nicht mit. Das hat nichts damit zu tun, daß ich Landtagsabgeordnete bin, sondern daß ich drei Kinder habe und nach meinem Protest nach Hause gehen möchte. Wenn ich höre, wie in Gorleben gegen Demonstranten vorgegangen wird, daß sie dort von der Polizei teilweise auf Privatgrundstücken eingekesselt werden, da wird mir himmelangst. Ich bewundere die Menschen, die auf Türme klettern und Banner hinunterlassen oder sich an Gleise schmieden. Ich glaube, das ist auch notwendig, einfach deswegen, weil man ansonsten medial kaum Aufmerksamkeit erlangt.

SB: Wenn Sie mit allem politischen Realismus eine Prognose abgeben sollten mit Blick auf Proschim, Atterwasch, Kerkwitz - wird die Aktivität, die Vielfalt der Proteste dazu führen, daß das Abbaggern aufgehalten werden kann?

SN: Natürlich, ja. Da könnten verschiedene Wege hinführen. Mit den jetzigen Möglichkeiten, zum Beispiel dem Braunkohleausschuß allerdings nicht, der ist ein zahnloser Tiger. Was aber ganz hübsch ist, daß es immer wieder Wahlen gibt und sich jetzt die Linke nicht traut, Zugeständnisse zu machen. Aber 2014 wird wieder gewählt, dann müssen die Leute, die in den Landtag gewählt werden wollen, sich wieder mit dem Thema auseinandersetzen. Ich nehme an, daß eine Mehrheit der Brandenburger Bevölkerung es nicht einsieht, daß man den Braunkohletagebau braucht. Da wird auch die SPD, wenn sie nochmal regieren möchte, Zugeständnisse machen müssen.

Es gibt auch innerhalb der SPD schon sehr viel Widerstand. Wenn ich mir den Bürgermeister in Beeskow ansehe, der auch die Energiepolitik seiner eigenen Partei nicht nachvollziehen kann - und er ist da nicht der einzige -, dann würde ich sagen, daß sogar Wahlen da etwas schieben können. Ich fände es traurig, wenn der Tagebau auf juristischen Weg verhindert werden müßte - es gibt ja schon Klagen, ich habe da auch schon gespendet. Dennoch wäre das bitter und ich hoffe, daß es der politische Weg ist, der davon Abstand nimmt.

SB: Wird das Braunkohlethema den Ausgang der Landtagswahlen bestimmen?

SN: Ich denke nicht, daß die Wahlentscheidung davon abhängig ist. Aber die Verbände sind stark genug, diese Frage nach oben zu kehren, und das interessiert auch die Medien. Es gibt ja diese Wahlprüfsteine [7]. Intellektuell ist es jedenfalls nicht mehr nachvollziehbar, auf Kohle zu setzen. Selbst in der Clausthal-Studie, die die Landesregierung in Auftrag gegeben hatte und 2007 veröffentlicht wurde, gab es einen ganz eindeutigen Nachweis, daß die Flöze zwischen Fürstenwalde und Frankfurt/Oder wesentlich ertragreicher sind als die in der Lausitz. Die sind leichter zu erreichen, liegen dichter unter der Erdoberfläche, und darunter existiert eine sehr gute und mächtige Kohleschicht.

Das hat viele SPD-Mitglieder und -Politiker aufgeschreckt, denn sie haben sich gesagt, mein Gott, dann könnten die ja auch ein Kraftwerk hierhin setzen und hätten über Jahrzehnte Kohle. Außerdem ist das viel sinnvoller, weil da Städte mit den Strom- und Wärmeabnehmern in der Nähe liegen. Mit solchen Dingen muß man die Regierung einfach immer wieder konfrontieren, jedes einzelne Mitglied und auch jeden einzelnen Wähler. Damit konnte man damals während des Volksbegehrens 2009 auch immer wieder Sozialdemokraten überraschen, die diese Clausthal-Studie nicht kannten. Es ist zum Schreien, wieviele Leute nicht mitbekommen, was ihre eigene Partei macht.

SB: Frau Niels, vielen Dank für das Gespräch.

Entspannt nach 'überstandenem' Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Sabine Niels und SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Eine Bericht zur Nachlese-Reise finden Sie hier:
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrn0001.html

[2] Näheres zur SB-Reise nach Proschim im Oktober 2011 können Sie hier nachlesen bzw. nachhören:

BERICHT/012: Bagger fressen Erde auf - Gegen Landraub und Vertreibung (SB), Aus der Mitte der Gesellschaft - Kampf gegen geplanten Braunkohle-Tagebau Welzow-Süd II, 7. November 2011
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0012.html

INTERVIEW/009: Bagger fressen Erde auf - Proschim streut Sand ins Getriebe (SB), Gespräch mit Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen den geplanten Braunkohletagebau Welzow-Süd II am 28. Oktober 2011 in Proschim, 12. November 2011
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0009.html

INTERVIEW/010: Bagger fressen Erde auf - Widerstand braucht langen Atem (SB), Gespräch mit René Schuster am 28. Oktober 2011 in Cottbus, 15. November 2011
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0010.html

Zwei Audio-Beiträge:

MIT DEM SCHATTENBLICK UNTERWEGS/0004: Bagger fressen Erde auf - Teil 1 "Verheizte Heimat" (SB), 18. November 2011
http://schattenblick.com/ton/albatros/report/armd0004.html

MIT DEM SCHATTENBLICK UNTERWEGS/0005: Bagger fressen Erde auf - Teil 2 "Verbrannte Seelen" (SB), 11. Januar 2012
http://schattenblick.com/ton/albatros/report/armd0005.html

[3] Voraussichtlich wird 2014 in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt.

[4] http://www.wupperinst.org/uploads/tx_wiprojekt/RECCSplus_Endbericht.pdf

[5] Geothermie - Nutzung der Wärme im Erdinnern, wobei kaltes Wasser in tiefere Schichten gepumpt wird und nach dem Aufwärmen zum Heizen von Häusern genutzt werden kann.

[6] Kompressionsspeicher - Solarzellen liefern nachts keine Energie und Windräder nur, wenn der Wind weht. Darum werden Konzepte mit diesen sogenannten Erneuerbaren Energien in der Regel in Verbindung mit Energiespeichern gedacht. In Kompressions- bzw. Druckluftspeicherkraftwerken kann Druckluft als Energiespeicher verwendet werden.

[7] Wahlprüfsteine - Vor Wahlen veröffentlichen Nichtregierungsorganisationen die Ergebnisse ihrer Befragung der politischen Parteien zu spezifischen Themenfeldern.

2. Juli 2012