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FRAGEN/001: Brasilien - Die psychischen Auswirkungen von Staudammprojekten (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Brasilien
Die psychischen Auswirkungen von Staudammprojekten

Von João Vitor Santos


(São Leopoldo, 23. April 2019, ihu-unisinos) - Staudämme, Straßen oder Hotelkomplexe: Großprojekte haben immer erhebliche Auswirkungen, die weit über jene auf die Umwelt hinausgehen, erklärt die Psychologin Carmem Giongo. Die körperliche und die psychische Gesundheit der betroffenen Menschen nimmt Schaden.

Worin bestand Ihre Untersuchung der psychischen und sozialen Folgen für Menschen, die unter dem Bau des Wasserkraftwerks Itá litten?

Meine Untersuchung hatte mehrere Ziele, eines der wichtigsten war, zu verstehen, wie das Leiden von Menschen systematisch verharmlost wurde, die vom Bau von Staudämmen betroffen sind. In Brasilien gibt es eine Fülle von Publikationen und Studien, die diese Schäden belegen. Aber in jüngster Zeit ist eine Zunahme der Versuche zu beobachten, die Umweltgesetzgebung zu flexibilisieren.

In Ihrer Studie richten Sie den Blick auch auf Menschen, deren Land nicht überflutet wurde, die aber ebenfalls leiden.

Genau. Es handelt sich um Personen, die in der Gesetzgebung eher unsichtbar sind. Eine Bevölkerung, die an ihrem gewohnten Ort verbleibt und diesen nicht verlassen muss. Die Menschen leben in der Umgebung des Projekts. Viele von ihnen gelten offiziell und rechtlich nicht als Betroffene. Physisch ist ihr Land tatsächlich nicht von dem jeweiligen Großprojekt betroffen. Die Mehrheit dieser Personen erhält daher auch keine Entschädigung. Die Entschädigten wiederum erhalten Geld ausschließlich für physische Schäden. Das überflutete Haus wird bezahlt, aber die Bedeutung des Hauses für die Menschen, die darin wohnten, wird ignoriert. Es gibt keine Begleitung hinsichtlich der langfristigen sozialen Auswirkungen. Eine überflutete Kirche oder Schule wird wieder aufgebaut, mehr aber nicht. Viele Gemeindestrukturen wurden zwar wieder hergestellt, da die Menschen aber in Massen weggegangen sind, nutzt sie kaum jemand.

Gelingt es den Menschen, die ihre Heimat verlassen, ein neues Leben aufzunehmen?

Die Entschädigung für Land ist oft keine Lösung, wenn es sich um indigenes Gebiet oder landwirtschaftliche Nutzfläche handelt. Der Familienlandwirtschaft wird so der Boden entzogen. Familien, deren Vorfahren das Land einst besiedelten, so dass eine starke emotionale Verbindung besteht. Hinzu kommt, dass der gewohnte Zugang zum Fluss wegfällt. Viele sind gezwungen, in die Stadt zu ziehen, wo ihnen die Anpassung nicht gelingt, so dass sie wieder in die Nähe ihrer Heimat zurückkehren.

Sich an einem anderen Ort anzusiedeln kann auch aufgrund des unterschiedlichen Klimas problematisch sein. Die Menschen haben es auf einmal mit einer anderen Realität zu tun, auch die Arbeitsweisen können sich deutlich von den bis dahin gewohnten unterscheiden. Die Bewegung der von Staudämmen Betroffenen MAB (Movimento dos Atingidos por Barragens) hat daher die Idee der kollektiven Neuansiedlungen entwickelt, so dass die Menschen gemeinsam ein neues Leben beginnen, was ihnen eine Form von Schutz bietet.

Wie ließe sich Staat und Gesellschaft verständlich machen, dass Staudammprojekte nicht den versprochenen großen Fortschritt bringen?

Wir müssen Schluss machen mit der weit verbreiteten Vorstellung, dass Wasserkraft eine nachhaltige Energie ist. Die Realisierung solcher Projekte stellt ein Umweltverbrechen dar. Energie aus Wasserkraft ist nicht sauber, erneuerbar, nachhaltig und niedrigpreisig, wie der Diskurs der Regierenden und die Gesetzgebung selbst uns weismachen wollen. Wir brauchen andere Energiequellen. Es gibt mehrere Studien, die zeigen, dass Wasserkraftwerke sich im Laufe der Jahre nicht rechnen. Ganz zu schweigen von den sozialen, menschlichen und Umweltschäden. Die Gesellschaft muss eine Debatte führen, damit wir Alternativen haben.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2019

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