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DEBATTE/022: Warum braucht Deutschland eine Wasserstrategie? (Umwelt Perspektiven)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ

Umwelt Perspektiven
Der UFZ-Newsletter - Juni 2021

Warum braucht Deutschland eine Wasserstrategie?

von Prof. Dr. Dietrich Borchardt


Um sich nachhaltig entwickeln zu können, benötigen Gesellschaften, Volkswirtschaften und Unternehmen sauberes Süßwasser in ausreichender Menge und Qualität. Wir sind auf einen intakten Wasserkreislauf und gesunde Gewässerökosysteme angewiesen, um deren lebenswichtige Dienstleistungen nutzen zu können - an erster Stelle für unsere Trinkwassersicherheit. Obwohl dies bereits erkannt und akzeptiert ist, sind wir noch weit von einem nachhaltigen Umgang mit Wasser entfernt. Zudem zeichnen sich kritische Zukunftsentwicklungen ab. Doch welche Probleme haben wir und kann eine Wasserstrategie helfen, diese zu lösen?

Wir sind es gewohnt, dass Trinkwasser in hoher Qualität rund um die Uhr sicher aus dem Wasserhahn fließt. Mit einem Anschlussgrad von rund 99 Prozent wird fast die gesamte Bevölkerung Deutschlands durch die öffentliche Wasserversorgung mit Trinkwasser versorgt. Das entstehende Abwasser wird in Kanalisationen gesammelt und mindestens biologisch gereinigt. Die damit erreichte Ver- und Entsorgungssicherheit ist im europäischen Vergleich herausragend, gleichbedeutend mit einer Daseinsvorsorge für Wasser, die es auch weltweit auf diesem Niveau nur in wenigen Ländern gibt. Aber diese Sicherheit ist trügerisch und ein "weiter so" wird schon in naher Zukunft nicht mehr möglich sein.

Dabei ist Deutschland hydroklimatisch ein wasserreiches Land - die erneuerbaren Süßwasserressourcen umfassen im langjährigen Mittel rund 188 Mrd. Kubikmeter. Davon nutzen wir aktuell nur rund 13 Prozent und liegen damit deutlich unter der sogenannten "Wasserstressmarke" von 20 Prozent. Das alles macht unseren Umgang mit Wasser sorglos, weil scheinbar genug vorhanden ist. Aber spätestens seit den drei Hitze- und Dürrejahren 2018, 2019 und 2020 ist klar, dass die Wassermengen zwar kurz- und mittelfristig noch für die Trinkwasserversorgung ausreichen, aber dass die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, die Binnenschifffahrt und die Energiewirtschaft bereits heute von gravierenden Einschränkungen betroffen sind und hohe ökonomische Schäden zu verzeichnen haben. Dürrejahre und -perioden wie 2003, 2015, 2018, 2019 und 2020 wechseln sich zudem mit extremen Hochwasserereignissen wie 2002, 2006, 2010 und 2013 im Elbeinzugsgebiet in immer kürzerer Folge ab. Davon sind ganze Regionen entlang der Flüsse betroffen mit Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe.

In noch stärkerem Maße hat Deutschland jedoch eine Wasserqualitätskrise, und das, obwohl die menschgemachten Einträge von Schad- und Nährstoffen in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil deutlich zurückgegangen sind und man glaubte, durch den Kläranlagenbau die wichtigsten Probleme gelöst zu haben. Die Belastung vieler Oberflächengewässer und des Grundwassers ist aber immer noch so hoch, dass die national oder europaweit gesetzten Umweltziele verfehlt werden - mit entsprechenden Konsequenzen für die Umwelt und möglichen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Das hat die aktuelle Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Deutschland zur mangelhaften Umsetzung der Nitratrichtlinie beispielhaft gezeigt. Die Krise besteht dabei nicht nur in den nach wie vor zu hohen Nährstoff- und Pestizideinträgen aus der Landwirtschaft, sondern es kommen auch neue chemische Verunreinigungen aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen und den Haushalten, Krankheitserreger und Antibiotikaresistenzen hinzu. Zudem ist es nicht ausgemacht, dass im Zusammenspiel mit dem Klimawandel, insbesondere bei ausgeprägten Niedrigwasserperioden und gleichzeitig immer wärmer werdenden Gewässern, ihre Aufnahme- und Transportkapazitäten für weitere Stoffeinträge ausreichen werden. Viele dieser Belastungen sind deshalb letztlich nur an der Quelle wirksam zu kontrollieren. Die von Menschen verursachten Stoffeinträge in den Wasserkreislauf müssen also entsprechend dem Vorsorgeprinzip sehr viel konsequenter nachhaltig begrenzt werden.

Basis der künftigen Nationalen Wasserstrategie werden Empfehlungen eines zweijährigen Dialogprozesses sein.

Deutschland hat aber nicht nur Probleme mit der Wassermenge und der Wasserqualität, sondern auch mit der Ökologie der Gewässer. Nur 8 Prozent der Fließgewässer, 25 Prozent der Seen und keines der Übergangs- oder Küstengewässer befinden sich derzeit in einem "guten ökologischen Zustand", obwohl dieses Ziel eigentlich schon 2015 erreicht sein sollte. Dieser Zustand ist praktisch unverändert, seit die EU-Wasserrahmenrichtlinie im Jahr 2000 eingeführt wurde. Verglichen mit den Meeres- und Landökosystemen war der Artenverlust im Süßwasser in diesem Zeitraum dabei mindestens doppelt so hoch. Damit trägt die ökologische Wasserkrise maßgeblich zum Biodiversitätsverlust bei. Offensichtlich waren die bisherigen Maßnahmen, Gewässer zu renaturieren, ihnen Raum zur eigendynamischen Entwicklung zu geben und dadurch ihre eigentlich hohe Resilienz gegenüber veränderlichen Umweltbedingungen auszubilden, zu kleinteilig, zu wenig durchgreifend und in der Summe nicht wirksam.

Um unsere Wasserwirtschaft fit für die Zukunft zu machen, brauchen wir eine nationale Wasserstrategie! Sie muss alle über die Wassernutzung miteinander verbundenen Wirtschaftsbereiche und die Zivilgesellschaft einbeziehen und die Bewältigung akuter Krisen genauso in den Blick nehmen wie die langfristige (nur in Jahrzehnten mögliche) Anpassung von Infrastrukturen oder sich daraus ergebende Nutzungskonflikte.

Das Bundesumweltministerium hat deshalb vor zwei Jahren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Praxis, Verwaltung und Interessenvertretungen eingeladen, um in einem nationalen Dialogprozess Antworten zu finden, wie der Bund, die Bundesländer, Kommunen und auch die Zivilgesellschaft künftig besser mit klimabedingter Wasserknappheit umgehen können. Der im Oktober vorigen Jahres vorgelegte Abschlussbericht enthält 16 Kernbotschaften. Dazu zählen unter anderem, dass Land- und Wasserwirtschaft gemeinsame Standards für eine gewässersensible Landnutzung entwickeln, wie der Eintrag qualitätsentscheidender Stoffe wirksam vermieden werden sowie regionale Konzepte für die Klimaanpassung und für die Festlegung von Nutzungsprioritäten der Grund- und Oberflächengewässer erarbeitet werden sollten. Und nicht zuletzt, was jeder Einzelne über seine individuelle Verantwortung und als Verbraucher beitragen kann. Diese Empfehlungen sind die Basis einer nationalen Wasserstrategie, die Bundesumweltministerin Svenja Schulze noch in diesem Sommer präsentieren will.

Die Corona-Pandemie, die uns nach wie vor fest im Griff hat, zeigt gerade sehr deutlich, wie man im Zuge einer menschgemachten Krise Chancen zu ihrer Bewältigung nutzen oder eben verpassen kann. Das gilt in gleicher Weise für unseren Umgang mit dem Wasser. Eine nationale Wasserstrategie würde den Orientierungsrahmen bieten, notwendiges Handeln zu organisieren und Umsetzungsdefizite zu überwinden.

Prof. Dr. Dietrich Borchardt
Der Hydrobiologe leitet den Themenbereich "Wasserressourcen und Umwelt" am UFL und ist Professor für Aquatische Ökosystemanalyse und -management an der TU Dresden. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Qualität, die Quantität und das Management von Wasserressourcen im Kontext von Klimawandel, Landnutzung und Gewässerschutz. Zudem ist er wissenschaftlicher Berater zahlreicher regionaler, nationaler und internationaler Gremien, etwa der World Water Quality Alliance im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Als wissenschaftlicher Experte hat er auch den im Oktober 2020 abgeschlossenen zweijährigen Nationalen Wasserdialog Deutschland fachlich begleitet.

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Quelle:
Umwelt Perspektiven / Der UFZ-Newsletter - Juni 2021, Seite 12-13
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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