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FORSCHUNG/460: Ermittlungen im Untergrund - Wie Wasser sich vom Acker macht (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter April 2014

Ermittlungen im Untergrund
Wie Wasser sich vom Acker macht

Von Kerstin Viering



Der Wasserhaushalt im Boden ist für die Landwirtschaft genauso wichtig wie für die Trinkwasserversorgung oder den Hochwasserschutz. Doch wie das Zusammenspiel von Wasser und Boden funktioniert, ist in vielen Details noch unklar. Vor allem Aussagen für größere Flächen sind dadurch nach wie vor schwierig. UFZ-Forscher sehen den Schlüssel zum Erfolg in einer Kombination von moderner Messtechnik und Fernerkundung.


Helles Beige wechselt mit sattem Ocker ab, dazwischen sorgen Braun- und Grautöne für dunklere Schattierungen. Prof. Hans-Jörg Vogel hat sich die Luftaufnahme eines Ackers in der Uckermark auf den Bildschirm geholt. Darauf präsentiert sich die nördlich von Berlin gelegene Landschaft in einem aparten Leopardenmuster. Und das ist für Experten wie ihn äußerst verräterisch: "Jeder dieser unterschiedlich gefärbten Flecken steht für einen bestimmten Boden mit seinen ganz speziellen Eigenschaften", erklärt der Leiter des Departments Bodenphysik am UFZ. Da gibt es auf kleinstem Raum gröbere und feinere Varianten, humusreichere und humusärmere, feuchtere und trockenere. Und diese Vielfalt setzt sich unter der Oberfläche fort. "Je nachdem, wo man ein Loch gräbt, findet man verschiedene Bodentypen, die sich in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften deutlich unterscheiden können", sagt Hans-Jörg Vogel.

Genau das macht die Arbeit für ihn und seine Kollegen so spannend: Die Verteilung von Böden in der Landschaft beeinflusst das komplizierte Zusammenspiel zwischen Wasser und dem porösen Untergrund, das die Forscher zu entschlüsseln versuchen.

Wie viel Wasser nimmt das Erdreich auf und wie viel gibt es wieder an die Atmosphäre ab? Wie viel kann es unter welchen Bedingungen speichern? Wie schnell sickern Niederschläge in die Tiefe Richtung Grundwasser und wie viel Wasser läuft im Boden oder an seiner Oberfläche direkt in den nächsten Bach? Das alles würden nicht nur Bodenphysiker am liebsten flächendeckend herausfinden. Schließlich hängt von diesen Vorgängen sehr viel ab - zum Beispiel die biologische Aktivität in den Böden, das Pflanzenwachstum, der Zustand des Grundwassers und auch ihre Anfälligkeit gegenüber Hochwasser oder Erosion. "Und nicht zuletzt ist der Bodenwasserhaushalt bislang eine der großen Unbekannten in Wettervorhersagen und in Klimamodellen, er bestimmt den Wasserdampftransport aus dem Boden in die Atmosphäre und auch die Temperatur von Landoberflächen", sagt Hans-Jörg Vogel. Doch der Weg zum flächendeckenden Verständnis, generellen Aussagen und zu klaren Empfehlungen ist so steinig wie der Untergrund mitunter selbst. Noch ist es reine Grundlagenforschung, die versucht, die Prozesse im Kleinen zu verstehen und Schritt für Schritt auf größere Räume zu übertragen.

Unsichtbare Flüsse

Die dazu nötigen Informationen zu gewinnen, ist allerdings eine recht komplizierte Sache. Schließlich arbeiten Bodenkundler in einem reichlich undurchsichtigen Milieu: Was unter ihren Füßen vor sich geht, können sie nicht direkt beobachten. Zwar gibt es durchaus Messgeräte, die über die elektrischen und magnetischen Eigenschaften von Böden die Bodenfeuchte an verschiedenen Stellen bestimmen können. "Über die Bewegungen des Wassers weiß man damit aber noch wenig", erklärt Hans-Jörg Vogel.

Um die zu verstehen, braucht man längere Messreihen - über verschiedene Jahreszeiten und für die Dauer von Extremereignissen - und man muss mehr über den heterogenen Aufbau des Untergrundes wissen. Denn Wasser kann je nach Bedingungen auf ganz verschiedenen Routen durch eine Landschaft reisen. Nach einem Regenschauer kann es zum Beispiel im Boden versickern und auf diese Weise tiefere Schichten erreichen. Es kann aber auch von der Oberfläche verdunsten oder von Pflanzen aufgenommen werden, die es dann über die Blätter wieder an die Atmosphäre abgeben. Die große Frage ist, welcher Teil des Wassers welchen Weg nimmt.

Um das herauszufinden, nutzen die Wissenschaftler Lysimeter. Das sind eine Art Riesenkübel aus Edelstahl, die an möglichst repräsentativen Stellen ins Erdreich getrieben werden. Damit stechen die Forscher ungestörte Ausschnitte aus dem jeweiligen Boden aus und holen sie an die Oberfläche. Ein solcher Monolith hat typischerweise eine Fläche von einem Quadratmeter und eine Tiefe von zwei Metern, um auch die Wurzelsysteme der Pflanzen möglichst vollständig erfassen zu können. Dieser Bodenkosmos im Kleinen wird mit Messtechnik ausgerüstet und ebenerdig wieder eingegraben. Dann ist er in einer ähnlichen Lage wie ein Patient im Krankenhaus: Seine Vitalfunktionen werden laufend überwacht.

Messgeräte registrieren zum Beispiel seine Temperatur, seinen Wassergehalt und die Konzentration an bestimmten Stoffen wie Nitrat oder Kohlenstoffverbindungen. Die Präzisionswaage, auf der das Ganze installiert ist, registriert derweil die Wasserbilanz: Jeder Regenguss, der im Erdreich versickert, schlägt sich als Gewichtszunahme nieder. Verdunstung von der Oberfläche und Wasserabgabe durch die Pflanzen machen den Zylinder dagegen wieder leichter. "Bei einem drei bis vier Tonnen schweren Block können wir Gewichtsunterschiede von zehn Gramm messen", sagt Hans-Jörg Vogel. Da bleibt sogar der morgendliche Tau nicht unbemerkt.

Und auch das Sickerwasser, das sich auf den Weg in größere Tiefen macht, lässt sich mit einigen technischen Tricks am unteren Ende des Lysimeters erfassen.

Per LKW in die Zukunft

All diese Informationen werden über Handynetz oder Glasfaserkabel direkt auf die Computer der Forscher übertragen und dort sofort grafisch umgesetzt. Ungereimtheiten in den Messwerten lassen sich so einfacher erkennen als in umfangreichen Tabellen. Wenn die Daten zum Beispiel auf einen plötzlichen, heftigen Schauer hinweisen, der innerhalb von Sekunden wieder verdunstet, hat die Waage wahrscheinlich keinen echten Niederschlag erfasst. "Dann ist vermutlich eher ein Hase über das Lysimeter gelaufen", erklärt Hans-Jörg Vogel schmunzelnd.

Solche Tücken erkennen er und seine Kollegen mittlerweile meist auf Anhieb. Schließlich haben sie schon reichlich Erfahrungen gesammelt: in den letzten drei Jahren haben 34 neue Lysimeter-Systeme mit verschiedenen Böden ihre Arbeit für das UFZ aufgenommen und liefern nun viele kleine und große Mosaiksteine, um die Wasserbewegungen im Boden besser verstehen und mit Modellen vorhersagen zu können.

Ein großes Lysimeter-Projekt namens SoilCan betreiben die Wissenschaftler zum Beispiel im Rahmen der Forschungsplattform TERENO ("TErrestrial ENvironmental Observatories"). Dieses Umweltbeobachtungs-Netzwerk der Helmholtz-Gemeinschaft untersucht unter anderem die Folgen des Klimawandels für den Wasser- und Stoffhaushalt in verschiedenen Böden. Und dazu leisten rund 130 Lysimeter in verschiedenen Regionen Deutschlands ihren Beitrag.

Einige davon haben die Forscher innerhalb Deutschlands in Gebiete mit anderen Klimabedingungen verfrachtet. Zum Beispiel haben sie Bodenmonolithe aus dem Bayerischen Voralpenland in die deutlich trockeneren Regionen der Eifel oder des Mitteldeutschen Tieflandes gebracht. So können sie mögliche Auswirkungen des Klimawandels schon heute untersuchen. "Wir müssen nicht warten, bis es in einem Untersuchungsgebiet tatsächlich wärmer und trockener wird", erklärt Hans-Jörg Vogel. Stattdessen reist der Bodenblock in eine Region, in der schon jetzt die Temperaturen höher klettern und weniger Regen fällt. Eine LKW-Fahrt als Zeitreise.

Von Poren und Pflanzen

Wer die Wasserflüsse in einem größeren Gebiet mit Computermodellen beschreiben und vorhersagen will, braucht dazu allerdings auch Informationen über die hydraulischen Eigenschaften des Bodens: Wie viel Wasser kann er zum Beispiel aufnehmen und halten? Diese sogenannte Wasserkapazität hängt unter anderem von der Struktur der Poren und Risse ab. Ein grobkörniger Sandboden verhält sich da ganz anders als ein feiner Tonboden, der bei Trockenheit oft Risse bekommt. Auch in Sachen Wasserleitfähigkeit hat jeder Boden seine Eigenheiten, selbst an der gleichen Stelle kann diese in verschiedenen Tiefen ganz unterschiedlich ausfallen. Wie also erfasst man solche Eigenschaften im Gelände?

Auch dabei leisten die Messwerte der Lysimeter gute Dienste. Dazu müssen die Forscher allerdings ein wenig um die Ecke denken. Wer mit Computermodellen arbeitet, gibt normalerweise bestimmte Eigenschaften eines Ökosystems und Randbedingungen wie Temperatur, Niederschlag und Wind ein. Daraus lässt sich dann errechnen, wie sich das System unter den jeweiligen Umständen verhält. Hans-Jörg Vogel und seine Kollegen aber zäumen das Pferd von hinten auf: Die Lysimeter verraten ihnen, wie die Wasserflüsse unter bestimmten Bedingungen ausfallen. Und daraus lässt sich rückschließen, wie der Boden beschaffen sein muss, damit die beobachteten Effekte zustande kommen. "Dieses Vorgehen nennt man inverse Modellierung", erläutert der Forscher. "Damit können wir die hydraulischen Eigenschaften des jeweiligen Bodens inzwischen schon recht gut einschätzen - und je länger wir messen, umso besser werden wir."

Vergleichen die Wissenschaftler dann noch die Messreihen von Zeiten mit und ohne Pflanzen auf dem Acker, können sie auch mehr über den wichtigen Einfluss der Vegetation herausfinden: Welche Änderungen im Wassergehalt wären nach den hydraulischen Eigenschaften des Bodens zu erwarten? Und wie sehen die Messwerte tatsächlich aus? Aus dieser Diskrepanz zwischen Modell und Realität lässt sich rekonstruieren, wie tief das Erdreich durchwurzelt sein muss und welche Wassermengen die Pflanzen über ihre Wurzeln aufnehmen.

Neues aus dem Schäfertal

An einem Punkt stößt allerdings auch das beste Lysimeter an seine Grenzen. Es registriert nur Wasserflüsse von oben nach unten und von unten nach oben. Zur Seite hin aber ist der kleine Bodenkosmos in seiner Metallhülle isoliert. Wann und wie sich Wasser in seitlicher Richtung bewegt, kann die Anlage daher nicht erfassen. Doch auch für dieses Problem haben die Forscher eine Lösung gefunden. in einem Projekt namens VAMOS ("Vadose Zone Monitoring System") haben sie Lysimeteranlagen der besonderen Art im Harz und in der Uckermark installiert.

Dort nutzen sie nicht nur die ausgestochenen Erdzylinder, sondern auch die Löcher, die diese auf dem Acker hinterlassen haben. Dank moderner Frästechnik zeigen diese ein weitgehend ungestörtes Bodenprofil. Es ist der gleiche Boden wie im Lysimeter, er ist dem gleichen Klima ausgesetzt und wird mit den gleichen Messgeräten ausgestattet. Doch manchmal liefern die Sensoren im Loch trotzdem deutlich andere Werte als die im Zylinder. Dann ist das Wasser im Feld offenbar verstärkt in seitlicher Richtung unterwegs, während es im Lysimeter nach unten gezwungen wird.

"Erst wenn der Boden sehr nass wird, sind solche seitlichen Flüsse zu beobachten", resümiert Hans-Jörg Vogel die Ergebnisse aus dem Schäfertal im Harz. Unter normal feuchten Bedingungen sind in einem Bodenprofil also nur die Flüsse von oben nach unten und von unten nach oben entscheidend.

Bei großer Nässe dagegen bestimmen auch die horizontale Verteilung von Bodeneigenschaften und die Topographie der Bodenoberfläche die Wasserflüsse. Diese Erkenntnisse helfen, Computermodelle zu optimieren, die die Wasserbewegungen im Boden beschreiben. Künftig sollen diese etwa nur dann dreidimensional rechnen und die seitlichen Flüsse mit einbeziehen, wenn es auch wirklich nötig ist. Das spart Rechenzeit.

Doch wie realistisch sind solche Computermodelle eigentlich? Wie gut kann man aus punktuellen Messungen und der Verteilung von Bodeneigenschaften wie Wasserkapazität und Wasserleitfähigkeit die Wasserflüsse in einem größeren Gebiet vorhersagen?

Das Untersuchungsgebiet Schäfertal soll auch dazu neue Erkenntnisse liefern. Dr. Ute Wollschläger und ihre Kollegen vom UFZ-Department Monitoring und Erkundungstechnologien messen dort an mehr als hundert Stellen regelmäßig die Bodenfeuchte. So können sie die Wasserspeicherung auf größerer Fläche erfassen und überprüfen, ob die tatsächlichen Messwerte mit den Ergebnissen der Computerberechnungen übereinstimmen - ein Praxis-Check für Modellierer.

Boden aus der Vogelperspektive

Das gleiche Konzept verfolgen die UFZ-Forscher auch in einem weiteren Untersuchungsgebiet bei Dedelow in der Uckermark. Dort arbeiten sie mit Prof. Michael Sommer und seinen Kollegen vom Institut für Bodenlandschaftsforschung des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg zusammen. "Diese Hügellandschaft ist viel abwechslungsreicher als das kleine Schäfertal", sagt Hans-Jörg Vogel und zeigt auf das Luftbild im Leopardendesign. Da werden die hellen Flecken plötzlich auch für Laien-Augen zu erodierten Kuppen, deren Oberböden in die dunkel gefärbten Senken gewandert sind. Die Vielfalt des Untergrunds ist problemlos zu erkennen.

Auf solche Methoden der Fernerkundung wollen die UFZ-Forscher in Zukunft verstärkt setzen. "Wir können ja nicht überall Lysimeter aufbauen", erklärt Hans-Jörg Vogel. Vielmehr gilt es, die Ergebnisse der gut untersuchten Böden auf ähnliche zu übertragen. Wo die einzelnen Varianten jeweils vorkommen, soll dann die Auswertung von Luftbildern verraten. Letztlich wollen die Wissenschaftler so ein möglichst flächendeckendes Bild vom Wasserhaushalt des Bodens gewinnen. Auf dieser Grundlage sollen in Zukunft deutschlandweit bessere Prognosen zu kritischen, umweltrelevanten Fragen gemacht werden können: Wo ist das Grundwasser gefährdet, weil das Sickerwasser von der Oberfläche zu viel Nitrat und andere unerwünschte Substanzen mitbringt? Wo droht Erosion? Und in welchen Regionen müssen Landwirte wegen des Klimawandels künftig mehr bewässern? Das alles hoffen die Forscher langfristig beantworten zu können.



UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hans-Jörg Vogel
Leiter Dept. Bodenphysik
e-mail: hans-joerg.vogel@ufz.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 2:
Eine kuppige Grundmoränenlandschaft in der Uckermark kurz nach der Bodenbearbeitung, aufgenommen aus der Luft. Die Kuppen sind hell, die erodierten Hänge bräunlich, die nassen Senken grau. Die Wissenschaftler nutzen solche Bilder, um die Verteilung von Bodentypen mit ihren spezifischen Eigenschaften in der Landschaft zu erkennen.

Abb. S. 3:
Entnahme eines Lysimeters in der Magdeburger Börde. Um den Einfluss von Klimaänderungen auf den Wasser- und Stoffhaushalt von Böden zu untersuchen, wurden viele solcher Bodenmonolithe im Austausch gegen andere in klimatisch unterschiedliche Standorte Deutschlands verfrachtet.

Abb. S. 4:
Vorhergesagte Bodenfeuchteverteilung für das Schäfertal unmittelbar nach der Schneeschmelze am 17. April 2013. Grundlage für die Berechnungen sind Bodenfeuchtemessungen an 100 intelligent verteilten Punkten: Über ein spezielles Verfahren, genannt "Fuzzy c-means", wurden topographische Informationen (Höhe, Hangneigung, Exposition, top. Feuchteindex) genutzt, um Gebiete mit ähnlichen Bodeneigenschaften zu identifizieren. Damit können die Messpunkte strategisch gewählt und die dort gemessenen Werte in die Fläche projiziert werden. In Zukunft soll die Fernerkundung dieses Verfahren noch verbessern.

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Quelle:
UFZ-Newsletter April 2014, Seite 1 - 4
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2014