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KATASTROPHEN/074: Forschung - Vor dem Hochwasser sind alle gleich (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2009

VOR DEM HOCHWASSER SIND ALLE GLEICH


Früh um Fünf plätscherte die Mulde noch gemächlich vor sich hin. Ein wenig war sie über die Ufer getreten, wie es jedes Jahr vorkommt. Also kein Grund zu Besorgnis, dachte sich Herr Schmidt, als er am Morgen des 13. August 2002 sicherheitshalber mal nachsah, denn in den Tagen zuvor hatte es stark geregnet. So gut wie er kennt kaum jemand in Eilenburg die Mulde: Seit Ende des 19. Jahrhunderts führen Schmidt und seine Vorfahren Buch über die Wasserstände. Der Rentner hat die drei großen Hochwasser des letzten Jahrhunderts (1932, 1954 und 1974) selbst miterlebt. Auch als die Polizei die Bewohner über Lautsprecher aufforderte, die Innenstadt bis 10 Uhr zu verlassen, konnte er sich noch nicht vorstellen, was an diesem Tag passieren würde. Die Flutwelle kam erst am Abend, aber dann stieg das Wasser so schnell, dass das Rentnerehepaar kaum etwas aus dem Erdgeschoss nach oben retten konnte. Eine Nacht waren sie vom Wasser eingeschlossen. Über eine Woche dauerte es, bis sie die stinkende Brühe aus dem Keller abgepumpt hatten, und Monate, bis sie wieder ein normales Leben führen konnten. Wie Herrn Schmidt ging es den meisten: 1.350 Häuser, 300 Unternehmen und Gesamtschäden von rund 200 Millionen Euro listet die Statistik für Eilenburg auf.

Weshalb kam das Hochwasser für viele so überraschend? Welche Schlüsse haben die Betroffenen daraus gezogen? Fragen, denen Dr. Annett Steinführer und Dr. Christian Kuhlicke im Rahmen des EU-Projektes FLOODSITE nachgegangen sind. Der dreiunddreißigjährige Geograf war dazu extra nach Eilenburg gezogen. Als Student hatte Kuhlicke 1999 an einer Exkursion der Universität Potsdam ins Oderbruch teilgenommen und wurde dort mit den Folgen der 1997er Flut konfrontiert. "Da wurde mein Interesse geweckt", erinnert sich Kuhlicke.

Rund 300 Einwohner von Eilenburg und zwei kleineren Ortschaften an der Mulde - Erlln und Sermuth - befragten die Forscher und stellten dabei fest, dass es beim Thema Hochwasservorsorge und -schäden kaum lokale oder soziale Unterschiede gegeben hat. Wer arm ist, ist nicht automatisch verwundbarer. Vor einem Hochwasser wie 2002 sind sozusagen alle gleich. Fast die Hälfte der Befragten fühlte sich 2005 laut Umfrage nicht ausreichend vorbereitet. Immerhin hatte nur ein verschwindend geringer Prozentsatz selbst bauliche Vorsorge getroffen, z. B. durch eine flexible Wohnungsreinrichtung, nach oben gelegte Leitungen oder Rückstauklappen im Abwasserrohr. Früher dagegen war es üblich, Hab und Gut gegen Hochwasser zu schützen. Ab den 50er Jahren wurden die Gemeinden entlang der Mulde durch Deiche und Talsperren im Oberlauf zunehmend geschützt. Das praktische Wissen ging verloren, die Verantwortung auf den Staat über. Kuhlicke kann die Forderungen der Anwohner nach besseren Deichen gut verstehen. 35 Millionen Euro investiert der Freistaat Sachsen in ein 13 Kilometer langes System aus Deichen und Schutzmauern, das Eilenburg ab 2009 vor einem Hochwasser schützt, wie es rein statistisch einmal in 100 Jahren eintritt. Gut, aber aus Sicht der Forscher ist technischer Hochwasserschutz nicht alles: "Wir wollen niemandem Angst machen. Uns geht es darum, daran zu erinnern, dass auch die beste Technik keinen einhundertprozentigen Schutz für alle Ewigkeit bieten kann. Wenn dies vergessen wird, kann eine 'ungeplante' Flut wieder viele bitter überraschen." Falls schon fünf Jahre nach der Katastrophe ein Blinder Fleck entstehen würde, mögliche Risiken also langsam vergessen und ausgeblendet würden, dann wäre das Leid der Eilenburger umsonst gewesen. Zum Hochwasserschutz gehört aus Sicht der Wissenschaftler daher nicht nur ein Staat, der Dämme und Talsperren in Schuss hält, sondern auch Sorge trägt, dass sich Bürger über Risiken und Gegenmaßnahmen informieren und danach handeln.

Das Eilenburger Projekt ist für Christian Kuhlicke inzwischen abgeschlossen. Die Hochwasserforschung geht aber weiter: Zusammen mit seiner Kollegin Annett Steinführer koordiniert er am UFZ künftig das EU-Projekt CapHaz-Net, in dem sich Forscher aus acht Ländern in den nächsten drei Jahren mit Dürren in Spanien, Hangrutschen und Sturzfluten in den Alpen sowie Hochwasser im Elbe-Einzugsgebiet befassen werden. Mit Dr. Volker Meyer untersucht er im Projekt RISK MAP, wie Hochwasserrisikokarten verbessert werden können. Tilo Arnold


Nachwuchswissenschaftler:
Dr. Christian Kuhlicke
Department Stadt- und Umweltsoziologie
Telefon: 0341/235-1641
E-mail: christian.kuhlicke@ufz.de

mehr Informationen:
www.ufz.de/index.php?de=14283
www.floodsite.net


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Dr. Christian Kuhlicke an der neuen Hochwasserschutzmauer in Eilenburg. Der Geograf schrieb seine Diplomarbeit im Rahmen eines Fulbright-Stipendiums über eine kleine Gemeinde in den USA, die nach dem großen Mississippi-Hochwasser von 1993 umgesiedelt worden ist. Seit 2004 forscht Kuhlicke am UFZ. 2008 promovierte der Nachwuchswissenschaftler am geografischen Institut der Universität Potsdam.


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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2009, S. 5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2009