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MEDIEN/019: Wir basteln uns einen Biozid-Skandal (WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1024, vom 17. Nov. 2013, 33. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Wir basteln uns einen Biozid-Skandal



Dem grassierenden Auflagenschwund versuchen einige Zeitungen mit einer Boulevardisierung zu begegnen. Die gilt u.a. auch für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), die sich seit letztem Jahr u.a. auch als Enthüllungsblatt für "Wasserskandale" profiliert. Im Februar 2013 wollte die WAZ einen "Biozidskandal" in nordrhein-westfälischen Oberflächengewässern ausgemacht haben. Die WAZ beschwor "eine schäumende Biozidwelle" - und behauptet, dass die NRW-Behörden das Problem wissentlich ignorieren würden. Die vermeintliche Biozidschwemme in Bächen und Flüssen führte die WAZ auf das Ausbluten von biozidimprägnierten Fassaden zurück. Das vom NABU und vom BUND getragene "Wassernetz NRW" wollte vom Düsseldorfer Umweltministerium wissen, was von den deftigen WAZ-Vorwürfen zu halten sei. Das Umweltministerium hat dem "Wassernetz NRW" daraufhin nachvollziehbar mitgeteilt, dass an den WAZ-Vorwürfen wenig bis gar nichts dran ist. In dem Ministeriumsschreiben vom 17.07.13 wird u.a. betont, dass von einer landesweiten Überschreitung von Grenzwerten und Umweltqualitätszielen bei Pestiziden und Bioziden (wie von der WAZ behauptet) keine Rede sein könne. Dass "Tausende von Grenzwertüberschreitungen" für Biozide in Gewässern Nordrhein-Westfalens vorliegen würden, sei genauso falsch. Die regelmäßig vorgenommenen Beprobungen würden zeigen, dass es zu Überschreitungen "überwiegend regional und meist in kleineren Gewässern" gekommen sei. Die Konzentrationen würden zudem in den letzen Jahren stetig zurückgehen. Das Ministerium nimmt für NRW zudem in Anspruch, dass außer Baden-Württemberg kein anderes Bundesland derart entschlossen gegen Mikroverunreinigungen vorgehe. Darüber hinaus habe NRW eine Studie in Auftrag gegeben, die den volkswirtschaftlichen Nutzen der Ertüchtigung kommunaler Kläranlagen zur Elimination von organischen Spurenstoffen, Arzneimitteln, Industriechemikalien, bakteriologisch relevanten Keimen und Viren untersuchen soll. Eine Ausnahme sei Quecksilber, das landesweit die sehr niedrig angesetzten Umweltqualitätsziele in Biota (also in Fischen und aquatischen Kleinkrabbeltieren) überschreite. Das sei in den anderen Bundesländern aber ebenfalls ein Problem. Ausnahme seien ferner die Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), die aus Verbrennungsprozessen über den Luftpfad in die Gewässer kommen. Bei den PAK seien allerdings "aufgrund von Luftreinhaltemaßnahmen" in den letzten Jahren Konzentrationsrückgänge zu verzeichnen.

Zweitverwertung von Aktivkohle aus dem Wasserwerk in der Kläranlage
Zur Kosteneinsparung bei "Vierten Reinigungsstufen" werde in der Düsseldorfer Kläranlage auch untersucht, ob man Aktivkohleschlämme aus der Trinkwasseraufbereitung im Nachgang auch noch zur Spurenstoff-Eliminierung auf Kläranlagen einsetzen könne. Nachdem die Aktivkohle ihren Job im Wasserwerk erledigt hat, weist die A-Kohle immer noch so viel Beladungskapazität auf, dass sie bei den vergleichsweise hohen Konzentrationen von Spurenstoffen in der Kläranlage noch massig Mikroverunreinigungen binden ("adsorbieren") kann.

Fassaden-Biozide oder Landwirtschafts-Pestizide?

Die lokal vorkommenden Überschreitungen von Umweltqualitätsnormen für Pestizide und Biozide könnten entgegen der Behauptung der WAZ nicht ursächlich auf das Ausbluten von Fassaden zurückgeführt werden. Allerdings könne es sein, dass sich eine lokale Biozidbelastung aus Baumaterialen auf eine Grundbelastung aufsattelt. Es könne somit sein, dass einige "Fassaden-Biozide" "in Kombination mit anderen Quellen lokal einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag" zur Schadstoffbelastung der Gewässer liefern könnten. Unter der Federführung des Umweltbundesamtes würde derzeit eine Studie laufen, um bundesweit das Freisetzungsverhalten von "Fassaden-Bioziden" zu untersuchen. Jetzt schon könne festgestellt werden, dass einige "Fassaden-Biozide" auch in der Landwirtschaft als Pestizide eingesetzt werden. Belastungsspitzen konnten in einigen Fällen "eindeutig auf landwirtschaftliche Anwendungen zurück geführt werden".


Zum Ausblutungsverhalten von "Fassaden-Bioziden" ...

... teilte das Ministerium mit, dass diese Wirkstoffe "in Pulsen" freigesetzt würden - und zwar dann, wenn Regen auf die Fassaden klatscht. Unmittelbar nach dem Auftragen von Biozid haltigen Farbanstrichen seien die Konzentrationen am höchsten. Danach würden die Konzentrationen "sehr rasch exponentiell" abnehmen. Bei Diuron habe man eine Abnahme über zwei Größenordnungen nachweisen können:

"Biozide aus frisch aufgetragener Farbe können im Ablaufwasser kurzfristig hohe Konzentrationen erreichen, die - sofern sie in ein kleines Gewässer gelangen - durchaus lokal toxische Wirkungen hervorrufen können. In der Regel werden sie über das Regenwasser der Kanalisation zugeführt. Durch die Verdünnung in der Kanalisation, der Kläranlage und/oder der Gewässer werden die Toxizitätsgrenzen und die Umweltqualitätsnormen dann zumeist unterschritten."

Biozidhaltige Fassadenanstriche würden bislang in der Regel auf Außenisolierungen mit Styrol und einem darauf angebrachten Kunststoffputz zum Einsatz kommen. Darüber werde das Biozid Carbendazim als Pilzhemmer in Silikondichtstoffen eingesetzt. Mecoprop finde als Bauchemikalie in Falchdachabdichtungen ("Dachpappe"” (s. 924/1-2)) Verwendung. Diethyltoluamid (DEET) sei ein Biozid, das als Insektenabwehrmittel "breite Anwendung" finde (Autan, siehe RUNDBR. 927/3, 427/3)


Werden Biozid-Befunde in NRW geheimgehalten?

Die von der WAZ unterstellte Geheimniskrämerei bei der Publizierung von Biozidbefunden weist das Ministerium weit von sich. So würden für jedermann nachlesbar die Ergebnisse der Gewässerüberwachung in NRW unter http://luadb.lds.nrw.de/LUA/hygon/pegel.php?karte=nrw_g veröffentlicht. Falls im Rhein eine Meldeschwelle von 0,1 µg/l bei Pestiziden oder Bioziden überschritten wird, werden vom nordrhein-westfälischen Landesamt hierzu "ausführliche Berichte" auf http://www.lanuv.nrw.de/umweltschadensfaelle/rheinalarm.htm publiziert. Und im Rahmen des langfristigen Monitorings der NRW-Gewässer zur Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) werdenalle Gewässer mit einer Einzugsgebietsgröße von größer als 10 Quadratkilometern auch auf WRRL-relevante Schadstoffe (darunter auch ausgewählte Pestizide und Biozide) gecheckt. Auch diese Untersuchungsergebnisse seien unter www.elwasims.nrw.de für jedermann einsehbar. Bei den nordrhein-westfälischen Gewässeruntersuchungen konnte die Überschreitung von Umweltqualitätszielen bei 29 Stoffen festgestellt werden - am höchsten insbesondere bei Organozinnverbindungen sowie den Pestizidwirkstoffen Glyphosat und MCPA. Aufgrund der bis in den Düsseldorfer Landtag geschwappten Aufregung um die WAZ-Vorwürfe will das Ministerium den Landtag künftig mehrmals mit Berichten und Karten über Grenzwertüberschreitungen informieren.


Fragwürdig: Biozid-Warnwert erst bei 50 Mikrogramm pro Liter

Das Düsseldorfer Umweltministerium verweist auch auf das Programm "Reine Ruhr". Dort sei festgelegt, dass ab einem Warnwert von 50 µg/l für noch nicht regulierte Schadstoffe "eine akute Gefährdung des Trinkwassers nicht ausgeschlossen" werden könne. Soweit es sich nur um kurzfristige Belastungsspitzen handeln würde, sei bis zu einer Konzentration von 50 µg/l von einer akuten Gesundheitsgefährdung der TrinkwasserkonsumentInnen allerdings nicht auszugehen. In der Messperiode von 2008 bis 2012 sei der 50 µg/l-Warnwert nie erreicht worden. Den Warnwert für Stoffe, bei denen bislang keine gesundheitliche Bewertung vorliegt, auf 50 µg/l festzulegen, dürfte bei den Umweltverbänden zumindest für Stirnrunzeln sorgen - vor allem im Hinblick darauf, dass für Pestizide generell ein unter Vorsorgegesichtspunkten festgelegter Grenzwert von 0,1 µg/l gilt - und das nicht nur für Trinkwasser, sondern auch für Oberflächengewässer, aus denen Trinkwasser gewonnen wird.


EU ignoriert Kombinationswirkung von Schad-Chemikalien

Während unsererseits am "Blueprint" der EU-Kommission für die Festlegung der Gewässerschutzpolitik der EU für die nächsten Jahre vor allem kritisiert wird, dass der "Blueprint" die Tür für Wasserhandelssysteme weit aufstößt (s. RUNDBR. 1007), hat NRW noch ein weiteres Manko im "Blueprint" entdeckt. NRW kritisiert nämlich, dass im "Blueprint" die Kombinationswirkung von Mikroverunreinigungen in der aquatischen Umwelt völlig unterbelichtet bleiben würde. Obwohl sich auf EU-Ebene zahlreiche Ausschüsse diesem Problem angenommen hätten und bereits ein offizielles EU-Papier zum Thema "The Combination effects of chemicals - Chemical Mixtures" (COM (2012) 252 final) vorliege, habe die Kombinationswirkung von Chemikalien im Blueprint keine Berücksichtigung gefunden. Anlässlich der Unterrichtung des Bundesrates über den Blueprint (Bundesratsdrucksache 720/12) habe NRW deshalb darauf gedrängt, dass im "Blueprint" die Kombinationswirkung verschiedener Stoffe berücksichtigt werden sollte. Allerdings sei dieser Antrag von CDU/CSU und FDP regierten Ländern abgelehnt worden - obwohl in Labortests "eindeutig nachgewiesen" worden sei, "dass die Wirkung von Stoffgemischen größer ist als die von Einzelstoffen". NRW vertrete deshalb die Auffassung, dass Qualitätskriterien, die auf Einzelstoffen basieren, "ggfs. nicht ausreichend protektiv sein" könnten.

Weitere Auskunft zur Biozid-Positionierung des NRW-Umweltministeriums gibt es beim
Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft , Natur- und Verbraucherschutz
- z.Hd. Frau Friederike Vietoris -
Tel.: 0211/4566-317
E-Mail: friederike.vietoris[at]mkulmv.nrw

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1024
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2013