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SCHADSTOFFE/141: Wie gefährlich ist Mikroplastik tatsächlich? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1085 vom 18. Juli 2016, 36. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Wie gefährlich ist Mikroplastik tatsächlich?


Mikroplastik in den Flüssen und im Meer sauge wie ein Staubsauger oder ein Schwamm giftige Spurenstoffe auf. Gelangen die schadstoffbelasteten Mikroplastik-Partikel dann in Fische und Muscheln, würden die giftigen Spurenstoffe bevorzugt in den Nahrungsnetzen weitergegeben - so eine gängige Meinung, die in zahlreichen Medienberichten kolportiert wird. Aber auch Hochschulprofessoren schreiben: "Fische fressen Mikroplastik, wir essen kontaminierte Fische", so beispielsweise ANDREAS FATH, promovierter Chemiker und Professor für Physikalische Chemie und Analytik mit dem Schwerpunkt Umwelttechnik an der Hochschule Furtwangen (HFU) im Schwarzwald. Prof. FATH hatte im Jahr 2015 als Rheindurchschwimmer von den Schweizer Alpen bis hinunter nach Rotterdam für Schlagzeilen gesorgt - siehe [1]
http://www.hs-furtwangen.de/willkommen/aktuelles/aktuelles-einzelansicht2729-gewaesserverunreinigung-durch-mikroplastik.html

In anderen Fachinstituten rauft man sich über diesen "Blödsinn" die Haare. Bereits am 7. Dez. 2015 hatte Prof. Martin Jekel von der TU Berlin auf einem gemeinsamen Workshop von DIN und Umweltbundesamt die These kritisch hinterfragt, ob Mikroplastik im Vergleich zu biogenen und anderen natürlichen Partikeln in der aquatischen Umwelt tatsächlich gesundheitsschädlicher oder ökologisch wirksamer sei. Die inzwischen vielfach in den Medien "ohne Beleg" behauptete Schadstoffadsorption auf der Oberfläche von Mikroplastik-Partikeln werde vermutlich überschätzt. Kleinste biogene Partikelchen (Kolloide) und Humuspartikel würden im Hinblick auf die Schadstoffadsorption eine ungleich größere Rolle spielen - einfach schon deswegen, weil sie in einer unvergleichlich größeren Zahl in den Gewässern vertreten seien. Zudem würden Kolloide im Vergleich zu Mikroplastik eine vielfach größere adsorptionsfähige Oberfläche aufweisen.

Hat Mikroplastik eine Staubsaugerwirkung für giftige Spurenstoffe?

Auf weiteren Meetings von Mikroplastik-Fachleuten in den letzten Monaten wurde der angebliche Staubsauger- bzw. Magneteffekt ebenfalls kritisch diskutiert. Gealtertes Mikroplastik mit hoher Porosität zeige vielleicht bessere Adsorbtionseigenschaften als "neues" Mikroplastik. Die dann aber gleich folgende rhetorische Frage einer Behördenmitarbeiterin: Warum soll ich mir als Flammschutzmittel-Molekül genau den einen Mikroplastikschnippel im Kubikmeter Wasser raussuchen, wenn ich doch im gleichen Kubikmeter millionenfach von Huminstoffen und anderen adsorptionsfähigen Kolloiden mit ungleich größeren Oberflächen umgeben bin. Und selbst wenn es die behauptete Staubsaugerwirkung von Mikroplastik geben würde, wäre das ökotoxikologisch ohne Bedeutung, weil gegenüber biogenen Materialien (beispielsweise biogene Kolloide) mit adsorbierenden Eigenschaften in limnischen und marinen Systemen die Mikroplastik-Partikel allenfalls im Promillebereich vertreten seien. Auch für eine bevorzugte Aufnahme von (spurenstoffbeladenem) Mikroplastik gegenüber biogenen Partikeln gleicher Größenordnung durch Kleintiere und Fische würden keine Belege vorliegen.

Wie viel Mikroplastik schwimmt in unseren Flüssen?

Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Denn Probenahmeverfahren für Mikroplastik sind noch nicht genormt. Die in den letzten Monaten veröffentlichten Studien sind nicht miteinander vergleichbar, weil jedes Forscherteam andere Probenahme-Techniken eingesetzt hat. Zudem hat sich gezeigt, dass die Mikroplastik-Konzentrationen eine hohe zeitliche und räumliche Fluktuation aufweisen. Die Befunde können sich täglich und stündlich ändern. Und wenn man zwei Netze nebeneinander in einen Fluss hängt, hat man in beiden Netzen ebenfalls völlig unterschiedliche Befunde. Fachleute sprechen von "einer hohen Tiefen- und Breitenvarianz des Kunststofftransports in der fließenden Welle". Zudem gibt es noch keine Verständigung darüber, bis zu welcher Kleinheit man die Mikroplastikpartikel überhaupt erfassen soll. Wo ist das Abschnittskriterium nach unten? Gleichfalls völlig unterschiedlich erfolgt die Analytik der Mikroplastik-Partikel. Während die einen die Zahl der Mikroplastik-Partikel unter dem Mikroskop mühsam auszählen, wiegen die anderen das beispielsweise in Netzen aufgefangene Mikroplastik aus. Zudem differiert die Aufbereitung: Wie trennt man das Mikroplastik am besten von biogenen Partikelchen ab? Auch die Ergebnisdarstellung läuft völlig auseinander - man findet in den Studien die unterschiedlichsten Darstellungen:

  • (Milli-)Gramm pro Kubikmeter Wasser
  • Zahl der Mikroplastik-Partikel pro Kubikmeter Wasser
  • Zahl der Mikroplastik-Partikel pro Quadratmeter Gewässeroberfläche

Weil es bei Probenahme, Probenaufbereitung und Ergebnisdarstellung wild durcheinander geht, sind die Ergebnisse der auf dem Markt befindlichen Mikroplastikstudien überhaupt nicht miteinander vergleichbar. Festzustellen ist aber schon jetzt, dass sich Mikroplastik allenfalls in der Größenordnung von wenigen Milligramm pro Kubikmeter Rhein- oder Donauwasser befindet. Da aber der Rhein mehr als 2.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die Nordsee transportiert, kann man Tagesfrachten im dreistelligen Kilogrammbereich bzw. Jahresfrachten von zehn Tonnen für Mikroplastik im Rhein und von 40 Tonnen in der noch abflusssstärkeren Donau errechnen.

Jetzt soll Mikroplastik genormt werden

Um dem Durcheinander bei Probenahme, Probeaufbereitung und Ergebnisdarstellung ein Ende zu bereiten, wurde im letzten Jahr auf Initiative von DIN, Umweltbundesamt und europäischer Kunststoffindustrie ein Normungsvorhaben zu Mikroplastik auf der internationalen ISO-Ebene gestartet. Zum Auftakt der Mikroplastik-Normungsinitiative war am 7. Dez. 2015 in Berlin ein Workshop durchgeführt worden, auf dem die zahlreichen offenen Fragen bei der Mikroplastik-Thematik referiert und diskutiert worden waren. Auf dem Workshop wurden u.a. zahlreiche nationale und internationale Forschungsinitiativen vorgestellt sowie die rechtlichen Anforderungen aus der Sicht des Meeresschutzes (beispielsweise HELCOM, OSPARCOM und EU-Meeresschutzstrategierichtlinie) dargelegt. Einen ausführlichen Tagungsbericht können AbonnentInnen des BBU-WASSER-RUNDBRIEFS unter dem Stichwort "Mikroplastik" via nik@akwasser.de kostenlos anfordern. Auf DIN-Ebene haben zwischenzeitlich zwei weitere Sitzungen stattgefunden. Und auf der internationalen ISO-Ebene wird derzeit ein ISO-Strategie-Papier diskutiert, in dem die gesamte Mikroplastik-Thematik aus weltweiter Perspektive umfassend dargestellt werden soll. Das ISO-Strategie-Papier soll die Grundlage liefern, um späterhin mit der konkreten Normung von Probenahme, Probeaufbereitung und Ergebnisdarstellung beginnen zu können.


[1] http://www.hs-furtwangen.de/willkommen/aktuelles/aktuelles-einzelansicht2729-gewaesserverunreinigung-durch-mikroplastik.html

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1085
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2016

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