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ANEKDOTENKÜCHE - EINTOPF/005: MacGillivrays "Cock-a-leekie" (SB)


ANEKDOTENKÜCHE - SCHOTTLAND

MacGillivrays "Cock-a-leekie"

Machenschaften im Morgengrauen ...


Mit dem Spaten auf der Schulter verläßt Anderson MacGillivray die kleine Scheune hinter seinem grauen Backsteinhaus. Er schlurft den steinigen Weg hinunter zu einer für die eigentlich baumlose Gegend auffälligen Trauerbirke, die sich unter dem hier ständig herrschenden Wind fast bis zur Erde neigt. Einer ihrer Zweige weist auf eine kleine Ansammlung von Steinen, als wolle sie verstohlen darauf aufmerksam machen.

Schwer atmend steckt der Alte den Spaten in die regendurchweichte Erde und beginnt just an diesem Ort zu graben. Es dauert nicht lange und er stößt auf Widerstand - Holz. Schnaufend geht er in die Knie und schippt mit der Hand die letzten Erdklumpen fort. Dann hebt er den freigeschaufelten Deckel einer großen Kiste, nicht ahnend, daß hinter einem der struppigen Wacholderbüsche jemand reglos kauert. Eine dunkle Gestalt verfolgt MacGillivrays heimliches Tun in der herannahenden Morgendämmerung mit Argusaugen. Allein was sich in der Kiste verbirgt, vermag der Beobachter nicht zu erkennen, ohne sein gut gewähltes Versteck preiszugeben.

Schneller, als man es dem behäbigen Kauz zugetraut hätte, läßt er etwas aus der Kiste in der Tasche seiner ausgebeulten Jacke verschwinden. Der Holzdeckel fällt zu, das Loch wird zugeschüttet, die Erde darauf sorgfältig vertreten und mit Steinen belegt. Der wieder einsetzende Regen schließlich tut ein übriges, letzte Spuren zu verwischen. Sind es Pfundnoten, Silber- und Goldmünzen, die dort verborgen liegen? Gar eine Leiche?

Offenbar ohne den Fremden zu bemerken, schlurft MacGillivray dicht an diesem vorbei ins Haus und läßt die Holztür hinter sich ins Schloß fallen. Nicht lange, und man sieht eine kleine Rauchsäule aus dem Schornstein steigen, im Haus klappert und rumort es. Auf leisen Sohlen schleicht sich der Fremde ein Stück näher heran. Möglicherweise kommt jetzt endlich ans Licht, was so lange streng gehütet wurde.

Durch eine Bruchstelle in der fast blinden Scheibe erspäht er MacGillivray an einem Tisch stehend und sieht, wie er aus der Jackentasche eine Flasche Whisky zieht. Ehrfürchtig, ja, geradezu liebevoll, als handele es sich um ein Baby, hält er sie in den Händen. Bedachtsam stellt er sie dann auf den Tisch, holt aus einem Schrank einen Napf Trockenpflaumen und gießt einen guten Schuß des goldenen Tranks darüber, einen weiteren tut er in ein Glas, setzt sich und schlürft es genüßlich aus.

Nein, der heimliche Gucker ist kein Beamter von Scotland Yard, der eine Kriminaltat aufdecken oder den hier florierenden Whisky-Schmuggel auffliegen lassen will, auch kein Ganove, der es auf mögliche vergrabene Schätze des Alten abgesehen hat. Und erst recht ist es kein Archäologe, der hier auf MacGillivrays Besitz in der Nähe des Jahrtausende alten Steinzeitdorfs Skara Brae fraglos vorhandene Artefakte aus grauer Vorzeit aufzuspüren sucht. Nein, Percy Fergusson ist ein britischer "Chef", wie man in England sagt, ein Gourmetkoch, der nach wochenlangem Forschen und Spionieren in bester James Bond-Manier bis hierhin den Ursprung eines Rezeptes zurückverfolgt hat. Ein Rezept, welches der eigensinnige Alte sonst gewiß eines Tages mit ins Grab nehmen würde.

Nun endlich auf einem kleinen Eiland der Orkaden fündig geworden, wird Fergusson doch noch einen ganzen Tag in der Kälte verharren müssen, bis er am Ziel seiner Wünsche anlangt - denn die Pflaumen müssen zwölf Stunden im Whisky ziehen.

Und dann ist es soweit: Gespannt beobachtet er durch den Fensterspalt, wie MacGillivray an einem der zahlreichen von der Decke hängenden Kräuterbündel nestelt und davon etwas in einen Topf bröselt. Estragon, wie die geschulte Nase sofort erkennt. Mit geübten Handgriffen bereitet der Alte eine Speise zu, deren Bouquet sich den Weg durch eben jenen Spalt zu Fergusson bahnt, woraufhin sich dessen Magen mit einem unanständig lauten Knurren bemerkbar macht.

Fix zieht er einen knittrigen Schreibblock samt Stift aus der Tasche und notiert, so schnell es die klammen Finger zulassen, das Gesehene. So sehr ist er mit seinen Notizen beschäftigt, daß er nicht die schweren Schritte hört, die sich nähern. Erst als ein Schatten sein Gekritzel verdunkelt, fährt ihm ein eiskalter Schreck in die Glieder. Noch ehe Fergusson dem Lichtkegel des Fensters entschlüpfen kann, wird dasselbe aufgerissen und er befindet sich vis-à-vis zum Objekt seiner Studien. "'s enough for two", grummelt der alte Mann in dem selbst für Briten schwer verständlichen schottischen Dialekt. "Es ist genug da für zwei!"


*


COCK-A-LEEKIE
(für 2-3 Personen)

1 Pck. tiefgefrorene Hühnerbrustfiletstreifen (450 g)
100 g durchwachsenen Speck, geräuchert
2 mittlere Stangen Porree
1 große Zwiebel
50 g Margarine
1 l Wasser
1 Brühwürfel
1 Eßlöffel Estragon
8 über Nacht in Whisky getränkte, von Kernen befreite Backpflaumen
Salz und Pfeffer


Die Hühnerbrustfiletstreifen mit dem in grobe Würfel geschnittenen Speck in Margarine anbraten. Zwiebeln in Würfel, Lauch in Streifen von ca. 1 cm Breite schneiden und beides dem Fleisch beigeben, salzen und pfeffern und ca. fünf Minuten unter ständigem Rühren kräftig durchschmoren. Mit der Brühe ablöschen, die Whisky-Pflaumen hinzufügen, mit Estragon abschmecken und zehn Minuten gut durchkochen lassen. Guten Appetit!

16. Februar 2010