Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → REISEN

METROPOL/013: London - Die falsche Straßenseite (SB)


Die falsche Straßenseite


"Er ist Brite." - "Ach so."
Kommt euch das auch bekannt vor? Natürlich, denn wohl wenigen, die in der europäischen oder amerikanischen Gesellschaft aufwuchsen, ist dieser Satz nicht heimatlich vertraut.
Denn mal ehrlich, daß die auf links fahren - sagt doch schon alles.
Über die falsche Straßenseite habe ich schon oft gegrübelt, darüber, daß es mir seit der ersten Busfahrt auf britischem Territorium überhaupt nicht merkwürdig erschien, nicht anders, nicht verrückt - nicht falsch. Nein, genau so wie immer.
Mein "Ach so" kam erst viel später, als ich meine 'falsche Straßenseite' entdeckte. Die allerdings hatte ein ganz anderes Gesicht:
Ich lief - nicht zum ersten Mal - einem jener Stadtbewohner über den Weg, die in ihrer Exzentrik zumeist für entzückte Belustigung sorgen. In aufmerksameren Fällen vielleicht noch für Befremdung. Bei Covent Garden, nahe den Seven Dials, gibt es einen Baum. Er steht unweit einer Off-License direkt gegenüber dem Fish & Chips Laden 'The Rock & Sole Plaice'. Vor allem allerdings steht er im Quadrat.
Richtig, es geht um die jedem von uns bekannten Pflanzen, die UEBERLEBEN, indem sie, sagen wir mal, 'auffällige' Formen annehmen. In diesem, wie in so vielen anderen Fällen auch, ist das die Form der Pflastersteine drumherum. Viereckige Bäume, die gibt es hier, wie wohl an vielen Orten dieser Welt. Denn das Phänomen der Anpassung und die für sie so typischen Auswüchse ist nicht nur eine Londoner Erscheinung. Auch keine einzig britische. Etwas lässt sich hier jedoch beobachten, wie ich es bis jetzt nirgendwo zuvor gesehen habe: ihre schillernde Morbidität.

© 2010 by Schattenblick

© 2010 by Schattenblick

Jetzt sind wir hier, in London. Eine enge Stadt. Eine Weltstadt. Eine Stadt, in der, wie in jeder anderen Enge, deutlich wird, daß Exzentrik einzig ein Spiegel der Umwelt ist und somit das Ausmaß der augenscheinlichen Exzentrik viel mehr am äußeren Druck als an der betreffenden Person zu messen ist. So die eine Seite der Medaille. Auf der anderen kann Exzentrik der Verständigung doch sehr im Weg stehen, und die Frage nach der Macht und Freiwilligkeit exzentrischer Auswüchse soll an dieser Stelle erwähnt sein. Soviel zur Theorie.
Die Briten sind bekannt für ihre Verschrobenheit. Ihre exzentrische Ader. Sie sind ein stolzes Volk. Dominant. Und ich denke, aufgrund dieses Gemisches von Eigenschaften aus Fremdartigkeit, zuweilen auch unangenehmer Dominanz, wurde ihre Exzentrik zum Kult erhoben. Denn, wie bereits erwähnt, handelt es sich bei ihr, ähnlich wie bei dem Begriff der Perversion, um eine soziale Erscheinung, die einzig im Spiegel eines Gegenübers gemessen werden kann. Der Unterschied zum Phänomen der Perversion ist allerdings, daß sie auch ein soziales Werkzeug darstellt.
Und genau hierin wurde in Großbritannien, zumeist in der Ursuppe Londons, die Meisterschaft erworben. Denn einige bekannte wesentliche Eigenschaften der Briten sind geradezu ein Spiegel dessen, wie man auch die augenscheinlich sympathische 'Exzentrik' beschreiben würde: Einzigartig, auffällig, kreativ und - gewaltbereit. Als hätten sie's erfunden - die Briten.
Geradezu perfekt spiegelt sich somit dieses Phänomen in ihrer Hauptstadt wider, durch eine gut inszenierte, gleichgeschaltete Stimmung der Andersartigkeit, die auf den Auswüchsen der Anpassung beruht und durch das richtige Maß an Gewalt die schillernde Farbe angenommen hat, in der die Stadt jetzt leuchtet.
Schon längst haben jene, mit denen die Umschreibung des Exzentrikers geboren wurde, eine graue Farbe angenommen, um dem blendenden Schillern zu entgehen, welches ihnen so fremd und ausdruckslos erscheint.


© 2010 by Schattenblick









Es grüßt aus der dunklen Stadt
BB


05. November 2010