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SOZIALES/005: Ägypten - Einwohner von Luxor müssen 'Sphinx-Allee' weichen, Entschädigung spärlich (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Juli 2011

Ägypten: Einwohner von Luxor müssen 'Sphinx-Allee' weichen - Entschädigung spärlich

Von Cam McGrath

Enteignete Familien in Luxor fordern zugesagte Entschädigungen - Bild: © Cam McGrath

Enteignete Familien in Luxor fordern zugesagte Entschädigungen
Bild: © Cam McGrath

Luxor, 4. Juli (IPS) - Um das Haus seiner Familie in Luxor zu retten, versuchte Mohamed Saaed das Abrisskommando aufzuhalten. Doch seine Mühe war vergebens. Am Ende des Tages war das von seinem Großvater erbaute, zweistöckige Gebäude in der südägyptischen Stadt nur noch ein großer Schutthaufen.

Wie Saaed wurden auch seine Nachbarn dazu gezwungen, ihre Häuser aufzugeben. Die Behörden brauchen den Platz, um die an Sehenswürdigkeiten reiche oberägyptische Stadt mit rund 400.000 Einwohnern in ein riesiges Freilichtmuseum zu verwandeln. Ein Masterplan sieht nicht nur die Restaurierung der antiken 'Sphinx-Allee' vor, sondern auch den Ausbau einer modernen touristischen Infrastruktur mit neuen Straßen, Fünf-Sterne-Hotels, exklusiven Geschäften und einem IMAX-Kino.

"Eines Morgens kamen Behördenvertreter und sagten uns, wir müssten von hier weggehen", sagte Saeed. Dafür sei ihnen lediglich eine kleine Entschädigung zugesagt worden. "Als wir fragten, wo wir mit so wenig Geld leben sollten, sagte ein Mann: 'Überall, nur nicht hier'."

Herzstück des Masterplans ist ein elf Millionen US-Dollar teures Projekt zur Wiedergewinnung der verschütteten 2,7 Kilometer langen Sphinx-Allee, die einst die Tempel von Luxor und Karnak miteinander verband. Die Prozessionsstraße wurde während der Regierungszeit von Pharao Amenhotep III. vor fast 3.500 Jahren angelegt.

Fertiggestellt wurde die gepflasterte Straße im vierten Jahrhundert vor Christus unter Pharao Nektanebos I. Mehr als 1.300 Sphinx-Statuen säumten die Allee, die seit der spätrömischen Zeit nicht mehr genutzt wurde und inzwischen unter einer dicken Lehmschicht liegt. Im Laufe der Jahrhunderte wurden auf diesem Untergrund Häuser, Moscheen und Kirchen gebaut.

Vor sechs Jahren begannen die Behörden damit, die Sphinx-Allee auszugraben. Maßgeblicher Förderer des Projekts war der damalige Gouverneur von Luxor, Samir Farag. Bei der Bevölkerung ist der frühere Armeegeneral sogar noch verhasster als der inzwischen gestürzte Staatspräsident Hosni Mubarak.


Ehemaliger Gouverneur machte leere Versprechen

Farag, der bis April dieses Jahres im Amt war, hatte im Februar 2010 gegenüber IPS erklärt, dass die Regierung für die rund 800 Familien, deren Häuser abgerissen wurden, "großzügige" Entschädigungen in Höhe von insgesamt 5,5 Millionen Dollar vorgesehen habe. "Sie können wählen zwischen einer neuen Wohnung oder der Auszahlung von 13.500 Dollar", erklärte der frühere Gouverneur. Die neuen Unterkünfte seien nur etwa 200 Meter von den bisherigen Wohnhäusern entfernt.

Die betroffenen Menschen widersprechen den Angaben. Mehr als 6.000 Gebäude seien bereits verschwunden gewesen, als das Projekt nach dem Sturz von Mubaraks Regime im Februar abrupt angehalten wurde, heißt es. Viele beschweren sich auch darüber, weniger Geld bekommen zu haben als versprochen.

"Wir haben nur die Hälfte der zugesagten Summe erhalten", klagte der Kellner Mohamed Eid, der als einer der Ersten ausziehen musste. "Selbst wenn wir zehn Mal so viel bekommen hätten, würde das noch nicht für eine neue Bleibe ausreichen." Eid lebt mit seiner Familie nun zur Miete - so lange, bis die Ersparnisse aufgebraucht sind.

Der Souvenirhändler Ahmed Elsayed kritisierte, dass die Ersatzwohnungen weit entfernt lägen und auch wesentlich kleiner als die alten Häuser seien. Viele der von den Behörden bereitgestellten Gebäude lägen in der Vorstadt New Tiba, 15 Kilometer nordöstlich von Luxor, wo die Infrastruktur unterentwickelt sei.

"Unser Haus war geräumig. Wir hatten zwei Schlafzimmer und sogar einen Stall für unsere Tiere", sagte Elsayed. Die neue Wohnung sei viel kleiner und liege weit weg von seiner Arbeitsstätte, die er zudem nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen könne. Daher übernachte er meistens in der Stadt bei seinem Cousin.

Die Behörden sprechen in der Öffentlichkeit lieber von den archäologischen Schätzen, die bei den Ausgrabungen freigelegt worden sind. Darunter sind mehr als 900 teils gut erhaltene Sphinx-Statuen und eine römische Weinkellerei. Die Stadt wirbt bei der Bevölkerung damit, dass die Sehenswürdigkeit noch mehr noch Touristen anziehen würden, die den Einwohnern weitere Jobs verschaffen könnten.


Ausgrabung mit Bulldozern

Aber auch bei Archäologen stößt das Projekt auf Kritik. Die Verantwortlichen hätten auf keiner seriösen wissenschaftlichen Basis gearbeitet, sagen sie. Wertvolle historische Gebäude seien überstürzt abgerissen und antike Überreste beschädigt worden. Die Weltkulturorganisation UNESCO hatte das Vorhaben anfangs finanziell unterstützt und später heftig kritisiert, dass die Sphinxen mit Hilfe von Bulldozern freigelegt wurden. Beobachter äußerten die Befürchtung, Luxor könnte hastig in ein neues Disneyland verwandelt werden.

Bürgerrechtsaktivisten in der Stadt werfen der Regierung vor, wertvollen Grund und Boden gezielt an Geschäftsfreunde des Gouverneurs verkauft zu haben. "Die undurchsichtigen Deals wurden ohne öffentliche Ausschreibungen eingefädelt", sagte der Übersetzer Abdel Aziz Moustafa. Farag, der bisher alle Vorwürfe abstreitet, muss sich bald in einem Korruptionsprozess verantworten.

Tourismusexperten gehen unterdessen davon aus, dass die restaurierte Sphinx-Allee der Stadt Einnahmen von jährlich mindestens 50 Millionen Dollar bescheren kann. Die Anwohner fordern, dass ein Teil dieses Geldes an die enteigneten Familien ausgezahlt werden sollte.

Said Galal, der sich als Klempner in einem beliebten Touristenlokal verdingt, war zunächst strikt gegen das Projekt. Da die Arbeiten aber schon fast beendet seien und "irreparabler Schaden" entstanden sei, sollte die Regierung schnell weitermachen, damit bald zahlende Touristen kämen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2011