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SOZIALES/010: Indien - Tanzen und lächeln, Indigene von Reiseveranstaltern skrupellos ausgenutzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Januar 2012

Indien: Tanzen und lächeln - Indigene von Reiseveranstaltern skrupellos ausgenutzt

von Sujoy Dhar


Kalkutta, 17. Januar (IPS) - Ein Tourist in Indien prahlte kürzlich damit, dass er bei seinem Urlaub auf den Andamanen-Inseln Indigene mit Bananen angelockt habe. Er habe die Früchte aus dem Auto geworfen und dann heimlich Angehörige des Jarawa-Volkes fotografiert.

Wenige Tage zuvor war ein Skandal-Video auf Websites britischer Zeitungen erschienen, das von der Hüfte aufwärts nackte Ureinwohnerinnen zeigt, die vor Touristen tanzen. Sie gehören zu einer mit nur noch rund 400 Mitgliedern aussterbenden Volksgruppe. Reiseveranstalter hatten die Frauen aufgefordert, sich zur Schau zu stellen.

Besucher der Andamanen-Inseln im Golf von Bengalen beobachten auch an verschiedenen Orten, dass ethnische Jarawa entlang der Fernstraße 'Andaman Trunk Road' fotografiert werden. Die Urlauber nehmen ihre Bilder und Videos wie Trophäen wieder in die Heimat zurück.

"Manchmal versuchen Fahrer aus der Region vorsichtig dagegen zu protestieren. Die Ureinwohner tanzen jedoch weiter vor Touristen, die ihnen von ihren Autos aus Essen zuwerfen", sagte ein Mann, der sich Rajkumar nannte und ebenfalls seine Ferien auf den Inseln verbrachte.

Auf den Andamanen leben Völker wie die Onge, Sentinelesen, Jarawa, Großandamanesen, Shompen und Nikobaresen. Ihre Vorfahren gelten als die ersten Siedler, die vor mehr als 60.000 Jahren von Afrika in die südostasiatische Region gekommen sind. Von allen sind die Jarawa inzwischen das am stärksten in seiner Existenz bedrohte Volk. Die international tätige Organisation 'Survival International' macht dafür korrupte Polizisten und Reiseveranstalter verantwortlich.


Kontakt zur Außenwelt seit 1998

Nach Angaben der Organisation gehen die Jarawa mit Pfeil und Bogen auf die Jagd und sammeln Beeren, Saaten und Honig. Als Nomaden leben sie in Gruppen von jeweils 40 bis 50 Personen. Erst 1998 verließen einige Jarawa die Wälder und wurden in nahegelegenen Städten und Siedlungen gesehen.

Der Bau der Andaman Trunk Road, die seit den siebziger Jahren durch ihre Gebiete führt, war ein folgenreicher Einschnitt. Wilddiebe gelangten daraufhin leichter in die Wälder, nähmen den Jarawa die Nahrungsgrundlagen und schleppten Krankheiten ein, gegen die Angehörigen der Ethnie nicht immun sind, wie Survival International kritisierte. Außerdem begäben sie sich in große Abhängigkeit von Menschen, die von außen kämen. Frauen würden von den Wilderern sexuell ausgenutzt.

Der britische Journalist Gethin Chamberlain hatte das umstrittene Video entdeckt, das von 'The Observer' und 'The Guardian' veröffentlicht wurde. "Die Aufnahmen kursieren unter Reiseveranstaltern. Man sagte mir, sie seien in den vergangenen Jahren entstanden. Den genauen Zeitpunkt kennen wir aber nicht", sagte er.

Nicht nur Menschenrechtsaktivisten und Völkerkundler, sondern auch die Regierung reagierten empört auf das Video. "Es ist absolut erbärmlich und beschämend", erklärte der zuständige Minister für Ureinwohner, V. Kishore Chandra Deo. Er kündigte an, sich vor Ort ein genaues Bild der Lage zu machen.


Gerichtsurteil zur Sperrung der Straße missachtet

Indigenenorganisationen zufolge versuchen die Behörden auf den Andamanen, das Video auf 2002 zurückzudatieren. Damals hatte der Oberste Gerichtshof Indiens die Schließung der Fernstraße für Touristen angeordnet, was aber nicht geschehen sei, wie Shekhar Singh berichtete. Das Tribunal hatte Singh vor zehn Jahren zum Vorsitzenden einer Kommission zum Schutz der indigenen Ethnien ernannt und mit der Erarbeitung von Empfehlungen beauftragt.

"Zwar halten sich nicht alle 403 Jarawa in der Nähe der Straße auf. Die 20 bis 30, die dort sind, können sich aber leicht mit Krankheiten infizieren. Da das Jarawa-Volk in seiner Existenz bedroht ist, muss die Straße geschlossen werden", riet Singh. Außerdem müssten zumindest einige Personen, die gegen das Urteil des Obersten Gerichtshof verstoßen hätten, bestraft werden.

Dem Experten zufolge sind die Ureinwohner unter anderem in Gefahr, an Masern zu erkranken. Sie sollten Zugang zu ärztlicher Versorgung erhalten, statt Urlaubern wie Tiere vorgeführt zu werden, forderte er."Eine Jarawa-Mutter sollte allerdings selbst entscheiden können, ob sie ihr Kind weiter mit Heilkräutern behandelt oder es in ein modernes Krankenhaus bringt."

Für die Bauern in der Region sei die Andamanen-Straße nicht unbedingt notwendig, um ihre Waren zu transportieren, meinte Samir Acharya von der 'Society of Andaman and Nicobar Ecology' (SANE). Sie werde vor allem von Touristen und Regierungsbeamten genutzt. Die Farmer nehmen für ihre Transporte lieber Boote. Solange die Straße offen sei, könnten Touristen kaum von den Ureinwohnern ferngehalten werden. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.survivalinternational.de/
http://www.guardian.co.uk/world/2012/jan/07/andaman-islands-tribe-tourism-threat
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106449

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2012