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TOURTIP/926: Das Val Piora im Tessin in der Schweiz (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2009

Das Val Piora im Tessin in der Schweiz: Im Tal der Steinhühner

Von Thomas Brandt, Christoph Moning und Christian Wagner


Wer dem Alltag für einige Tage mit Vogelbeobachtungen entkommen möchte, findet im Tessiner Val Piora am Ritomsee nicht nur eine traumhaft schöne Kulisse, sondern auch eine nahezu vollständige alpine Vogelwelt, die mit der nötigen Geduld auch Steinhuhn und Steinrötel bereithält. Das auf 1850-2200 m ü. NN gelegene, rund acht Kilometer lange Hochtal lässt sich leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Auto erreichen und liegt dennoch weit abseits jeglicher Verkehrsströme. Es bietet ein fantastisches Naturerlebnis mit Beobachtungsmöglichkeiten für eine ganze Woche, wenigstens jedoch für zwei Tage. Neben der artenreichen Vogelwelt lassen sich vielfältige Libellen-, Schmetterlings-, Heuschrecken- und Pflanzenarten bewundern. Durch gemütliche Übernachtungsmöglichkeiten vor Ort kann man in der Früh von der Hütte aus in die Almwiesen spazieren und später zum berühmten Piora-Alpkäse wieder einkehren.


Lebensräume

Gut zwanzig kleinere und größere Bergseen bereichern die Bergwelt im Pioratal; die größten sind Ritom (Stausee), Tom und Cadagno. Daneben machen die vielen Kleingewässer und Gebirgshochmoore, blumenreiche Bergwiesen und Weiden sowie Bergwälder, steile Blockschutthalden, schroffe Felswände und majestätische Gipfel den einzigartigen Charakter dieses Gebietes aus.


Besondere Vogelarten

Die Hauptattraktion des Val Piora sind zweifelsohne die alpinen Vogelarten, sodass die Brutzeit die größte Auswahl interessanter Arten bietet. Die Hühner lassen sich am leichtesten durch die Gesänge während der Herbstbalz auffinden. Dabei sind Birk- und Alpenschneehühner an und oberhalb der Baumgrenze leichter zu lokalisieren als die scheuen Haselhühner, welche die strukturreichen Bergmischwaldbereiche bevorzugen. Steinhühner besiedeln die steinigen, steilen und oft südexponierten Hänge oberhalb der Baumgrenze. Nur im Winter steigen die Vögel tiefer bis an den schütteren Waldrand herab. Die krächzenden Rufreihen der Steinhühner setzen im Mai/Juni noch bei Dunkelheit ein, sind am Vormittag noch regelmäßig zu hören und können nach einer Pause erst wieder am Nachmittag vernommen werden. Der Hahn stellt sich zum Gesang, den man auch zur Herbstbalz im September/Oktober hören kann, etwas erhöht auf. Die Lautäußerungen erleichtern das Auffinden der scheuen Hühner in den weiten, steilen, stellenweise unzugänglichen Hängen ungemein. Die beste Strategie ist es, sich am frühen Morgen am Hangfuß zu postieren und mit dem Spektiv die Stelle, von der die Hühner singen, systematisch abzusuchen. Zur Brutzeit leben Steinhühner paarweise, außerhalb der Brutzeit in kleinen Gruppen. Sie können mit dem Spektiv aus der Distanz gut dabei beobachtet werden, wie sie Kräuter und Samen pickend hangaufwärts laufen. Bergab bewegen sie sich vor allem fliegend. Im Herbst bilden Kräuter den Hauptteil der Nahrung, je nach Angebot ergänzt durch Beeren und Samen. Im Winter dagegen überwiegen grüne Blätter von Gräsern bei der Nahrungszusammensetzung. Insekten spielen nur bei juvenilen Tieren eine Rolle. Steinhühner profitieren von der Berglandwirtschaft und verlieren nun durch die zunehmende Wiederbewaldung infolge der Weidenutzungsaufgabe Lebensraum.

Steinrötel findet man in ganz ähnlichen Lebensräumen wie das Steinhuhn. Für viele Beobachter ebenfalls attraktiv ist das isolierte Vorkommen des Rotsternigen Blaukehlchens im Val Piora. Es besiedelt die feuchten Weidengebüsche und Randlagen der Moore. Unter den alpinen Vogelarten lassen sich Steinadler, Alpenbraunelle und Mauerläufer in entsprechendem Lebensraum recht zuverlässig finden. Schneesperlinge kommen nur in den hohen Lagen hinzu. Alpendohlen scheinen entlang der Hänge und Kämme im Wind zu spielen und kommen regelmäßig an die bewirtschafteten Hütten.

Zwar ist es anstrengend ein Spektiv auf einer Bergwanderung mitzutragen, doch hat man deutlich bessere Chancen, scheue Arten wie die Hühner oder Arten in schwer zugänglichem Gelände wie den Mauerläufer zu beobachten.

Neben den zahlreichen Vogelarten laden auch die hier häufigen Murmeltiere zum Verweilen ein.


Reisezeit

Die beste Zeit ist Ende Mai bis Anfang Juli. Dann sind die alpinen Vogelarten in voller Balz und am eindrucksvollsten zu beobachten. Der Schnee hält sich in kühlen Lagen bis in den Mai. Auch sonnige Herbsttage im September und Oktober bieten gute Beobachtungsmöglichkeiten. Dann lassen sich auch die Steinhühner durch die Herbstbalz nach der Sommerpause wieder leichter auffinden.


Beobachtungsmöglichkeiten

Von der Bergstation der Standseilbahn (1) folgt man der schmalen Bergstraße rund einen Kilometer bis zur Staumauer des Ritomsees. Unterhalb der Straße brütet ein Uhupaar, das man nachts gelegentlich hört. Auf der Südseite der Staumauer liegt das Hotel/Restaurant "Lago Ritom" (2). Bis hierher lassen sich bereits schöne Beobachtungen machen. Zu den typischen Arten zählen Turmfalke, Kuckuck, Felsenschwalbe, Gebirgsstelze, Klappergrasmücke, Berglaubsänger, mehrere Meisenarten, Waldlaubsänger, Birkenzeisig, Fichtenkreuzschnabel und Zippammer.

Von Piora aus hat man verschiedene Routenmöglichkeiten, die jeweils leicht einen ganzen Beobachtungstag füllen können.

Vom Hotel/Restaurant "Lago Ritom" auf die Südseite des Ritomsees gehend durchstreift man einen lockeren Nadelwald mit vielen Lärchen. Zudem sind Misteldrossel und Tannenhäher relativ häufig. An den Übergängen zu Zwergstrauchheiden und Weiden kommen Baumpieper und Ringdrossel hinzu. Gartengrasmücken bevorzugen die in den kühlen Senken gelegenen Grauerlengebüsche. In den frühen Morgenstunden hat man auf dem Weg nach Mottone gute Chancen Birkhühner anzutreffen. Wer Schneehühner beobachten will, verlässt vor dem Laghetto di Giübin den Wanderweg in südlicher Richtung und steuert auf den Hang zu. Entlang der Costa di Giübin, einem felsschuttbeladenen Abhang, hat man die besten Möglichkeiten. Anschließend durchquert man die Pian Giübin und trifft bei Sotto L'Uomo wieder auf den Wanderweg. Auch Bergpieper, Hausrotschwanz und Steinschmätzer brüten entlang des Weges. Die Wanderung führt weiter über die Alpe Caroresci. Danach trifft man auf einen Fahrweg, der zurück nach Cadagno und weiter zum Lago Ritom führt. Alternativ kann man von der Alpe Caroresci auf dem Fahrweg der Ausschilderung folgend in rund zwei Kilometern bis zum Passo delle Colombe gehen. Dort leben die auch sonst im Tal allgemein häufigen Alpenbraunellen und Schneesperlinge. Nicht zuletzt lohnt der Abstecher auch aufgrund der wunderbaren Aussicht ins dahinterliegende Tal.

Wer einen weniger anstrengenden Zugang zu alpinen Arten sucht, wird rund um den Lago Cadagno und die Alpe di Piora fündig. In diesem Bereich werden regelmäßig Rotsternige Blaukehlchen beobachtet. Bei Scopello lassen sich oft Braunkehlchen finden. Mit dem Auto kann man bis an den Lago di Cadagno fahren, wo sich am Beginn der kleinen Siedlung ein gebührenpflichtiger Parkplatz befindet. Zu beachten ist, dass man diese Straße bis hierher nur ab 17 Uhr bis morgens um 9 Uhr hinein und von 12 Uhr an wieder bergab fahren darf. Von Cadagno aus lässt sich der Lago Cadagno auf der Nordseite umwandern. Die steilen Hänge oberhalb des Lago Cadagno beherbergen ebenfalls Steinhühner.

Wer Zeit hat, kann von der Capanna Cadagno (Übernachtungsmöglichkeit) einen größeren Abstecher zum Lago die Dentro bis nach Miniera machen. An den Felswänden entlang des Weges lassen sich wie überall an Felswänden im Val Piora Mauerläufer beobachten, mit etwas Glück auch Steinhühner.

Auch auf einer Wanderung vom Lago Cadagno zum höher gelegenen Lago di Tom bieten die Abhänge des Poncione Cariori Chancen auf Steinhühner. Unterhalb der Alpe di Tom zwischen Motta und der Pian di Lenc besiedeln Steinrötel den Hang, den man auf der Strecke zum Uferweg um den Lago Ritom durchquert. Wer sich den Aufstieg zum Lago di Tom ersparen möchte, kann sein Glück auch vom Uferweg um den Lago Ritom aus versuchen und von dort die Hänge oberhalb nach den Vögeln absuchen.

Bei gutem Wetter wird man überall im Val Piora sehr regelmäßig Steinadler und im Sommer gelegentlich auch Wespenbussarde beobachten können. Mit etwas Glück lassen sich an den Steilhängen Steinböcke ausmachen. Mit dem Spektiv kann man sein Beobachtungsglück beispielsweise bei einem hervorragenden Stück Kuchen von der Capanna Cadagno aus probieren.


Weitere Beobachtungs- und Freizeitmöglichkeiten

Die 3500 ha große Alp Piora wird im Gegensatz zu den sonst üblichen Genossenschaftsbetrieben als einzige vom Besitzer Adriano Dolfini persönlich bewirtschaftet. Der stolze Preis von 40 Franken fürs Kilo einjährigen Käses (rund 27 Euro) ist eine lohnende Investition und rundet jede Exkursion ins Val Piora gelungen ab.

Auf dem Weg vom oder ins südliche Tessin passiert man auf halbem Weg zwischen Biasca und Bellinzona die kleine Ortschaft Lodrino. Im unübersehbaren Steinbruch, der ca. 1 km vor dem Ort südwärts blickend auf der rechten Seite liegt, brüten regelmäßig Blaumerlen. Aufgrund der lauten Steinbrucharbeiten empfiehlt sich ein Besuch vor sieben Uhr morgens oder am Wochenende. Die Vögel halten sich am frühen Morgen regelmäßig zwischen den Geröllbrocken am Boden auf.


Infomaterial/Literatur:

Landeskarte 1:25000, Blatt 1252, Ambrì Piotta.

Sacchi, M., J. Laesser, M. Ritschard, P. Rüegg (2007):
Vögel beobachten in der Schweiz. 3. Aufl., Ott Verlag.

Maumary, L., L. Vallotton & P. Knaus (2007): Die Vögel der Schweiz.
Schweizerische Vogelwarte, Sempach und Nos Oiseaux, Montmollin.

Das Gebiet überschneidet sich teilweise mit dem Important Bird Area (IBA) CH027 "Piora-Dötra".
Nähere Informationen: www.birdlife.org/datazone/sites/index.html
(International name: "Piora - Dötra" eingeben)



Anfahrt

Mit Bahn und Bus:
Die Tour ins Val Piora beginnt mit einer spektakulären Fahrt mit der Standseilbahn von Piotta nach Piora. Mit knapp 90 % Gefälle handelt es sich um eine der steilsten Bahnen weltweit! Die nächstgelegene Bahnstation ist Airolo, die stündlich von den auf der Gotthardroute verkehrenden Regional- und Schnellzügen bedient wird. Von Airolo verkehrt das Postauto bis zur Haltestelle Piotta. Von hier sind es noch zehn Minuten zu Fuß bis zur Talstation der Standseilbahn. Von der Bergstation zum Ritomsee sind es weitere 15-20 Minuten zu Fuß.

Mit dem Auto:
Auf der Autobahn 2 Luzern-Lugano bis Airolo gleich hinter dem Gotthardtunnel. Auf der Bundesstraße 2 durch Airolo in Richtung Piotta. Bald östlich von Airolo links nach Madrano und weiter in Serpentinen über Brugnasco und Altanaca nach Piora und dort an der Staumauer parken oder weiter bis Cadagno.



Adressen:

Capanna Cadagno, zwei Zimmer mit insgesamt 50 Schlafplätzen (Schlafsaal)
und ein kleines Zimmer für vier Personen, gemütlich, ausgezeichnete Küche.
Val Piora, Leventina, 6776 Piotta, Tel.: +41 (0)91 868 13 23,
capanna.cadagno@ticino.com, www.capanneti.ch/tedesco/cadagno_d/Cadagno.html.
Das ganze Jahr geöffnet, aber nur vom 1. Juni bis Ende Oktober gehütet.
Im Winter auf Reservierung.

Albergo Ristorante Lago Ritom (2), einfache Zimmer, Tessiner Küche,
6776 Piotta-Piora, Val Leventina, Ticino-Schweiz,
Tel.: +41 (0)91 868 14 24, info@lagoritom.com, www.lagoritom.com.
Geöffnet von Mai bis Oktober.

Fahrplanauskunft Standseilbahn Piotta-Piora:

Tel.: +41 (0)91 868 31 51, info@ritom.ch, www.ritom.ch.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2009
56. Jahrgang, März 2009, S. 85-88
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2009