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STANDPUNKT/046: Für eine aufklärerische Bildungsoffensive (MIZ)


MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen - Nr. 3/09

Für eine aufklärerische Bildungsoffensive

Von Christoph Lammers


Die beiden Staatskirchen können sich bis heute nicht über einen mangelnden Einfluss auf unser Bildungssystem beklagen. Religionsunterricht, Schulgottesdienste, Seelsorgeunterricht, dazu Schulen und Kindergärten in eigener Trägerschaft. Erst langsam realisiert die säkulare Szene, dass dies nur ein kleiner Teil des Problems der religiösen Indoktrination darstellt. Mit dem neoliberalen Geist des freien Bildungsmarktes wurde der emanzipatorische Geist der 1968er abgelöst und, unter dem Deckmantel der Bildungsfreiheit, vielen pseudowissenschaftlichen wie religiös-fundamentalistischen Bewegungen der Zugang zur "Bildungsware" Mensch ermöglicht. Die säkularen Verbünde müssen sich dieser Entwicklung, unabhängig politischer Präferenzen, entgegenstellen. Ein Plädoyer für ein demokratisches, auf den Grundfesten der Aufklärung gebautes neues Denken in unserem Bildungssystem.

Deutschland hat einen Heidenspaß. Die säkulare Szene hat sich in den letzten Jahren so rasant verändert wie kaum eine der gesellschaftlichen Bewegungen. Ihr stehen durch die Entwicklung des Web 2.0 neue Möglichkeiten zur Verfügung konfessionsfreie Menschen zu erreichen. Mit großen Anstrengungen ist es den wenigen ehrenamtlichen Aktiven gelungen den Bürgerinnen und Bürgern eine Perspektive jenseits der Religion zu bieten. Das Jahr 2009 neigt sich so langsam dem Ende entgegen und man spricht mehr über den (evolutionären) Humanismus, AgnostikerInnen und die naturalistische Weltsicht als noch vor wenigen Monaten zu erwarten gewesen wäre. Dennoch möchte ich skeptisch bleiben und auf die Probleme, die auf uns warten, aufmerksam machen. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle mit der gegenwärtigen Situation nicht zufrieden sein können. Zwar verzeichnet die säkulare Szene einen ungeahnten Zulauf, dieses spielt sich jedoch eher im virtuellen Raum des Internets bzw. in der Zunahme an Mitgliedszahlen ab. Auch die Veranstaltungen auf den Straßen, Plätzen und in den Veranstaltungsräumen sind gut besucht, aber wir dürfen dabei nicht vergessen: dieser Erfolg mobilisiert reaktionäre Kräfte auf Seiten der Religionen.

Es ist wie zwei Seiten einer Medaille. Mit dem Wachsen konfessionsfreier Verbände wachsen auch die neuen religiösen Bewegungen, die den etablierten und schrumpfenden Amtskirchen immer mehr Mitglieder entlocken. Einige MitstreiterInnen waren sehr skeptisch, als die vor zehn Jahren gegründete politische Hochschulgruppe Forum Demokratischer AtheistInnen (fda) in 2003 zu einer Tagung zur Auswirkung der Liberalisierung des Bildungsmarktes einluden. Man ging stillschweigend vom Ende des religiösen Zeitalters aus. Dem lagen die rasant sinkenden Mitgliederzahlen der Kirchen in Deutschland zugrunde. Doch weit gefehlt. Der Religionsmarkt expandiert außerordentlich. Neue Ideologien und Religionen besetzen den öffentlichen Raum und verlangen Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess. Kein Bereich ist davon ausgenommen. Die konservative Wende, die mit dem Amtsantritt Helmut Kohls 1982 ausgerufen wurde, tritt deutlich zutage. Zwar fehlt es den Kirchen an Glaubwürdigkeit, schließlich machen auch konservative PolitikerInnen von den gesellschaftlichen Fortschritten Gebrauch, bekennen sich zu ihrer Homosexualität oder lassen sich scheiden, dennoch wissen Vertreterinnen neuer religiöser Bewegungen die Öffentlichkeit mit Themen zu besetzen und Tabubrüche zu formulieren. Die neue religiöse Szene ist weitaus flexibler, dynamischer und anpassungsfähiger als die großen Staatskirchen es je waren. Ihnen ist weder an Kirchensteuer noch an Kirchenverträgen gelegen. Sie erobern die Köpfe der Menschen durch simple Antworten auf komplexe gesellschaftliche Probleme.

Mit der Durchsetzung des neoliberalen Gedankens, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sei, wächst die soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Es wird suggeriert, dass ideale Voraussetzungen für alle bestünden, um den Herausforderungen der Gesellschaft begegnen zu können. Doch dies ist die bewusste Irreführung zum Zwecke der Maximierung des Gewinns einzelner. Wenigen ist vieles vorbehalten, während der Großteil der Gesellschaft zum Konsumieren von materiellen Gütern aufgerufen und zum Verzicht auf Bildung und Kultur gezwungen ist. Diejenigen, die sich Bildung und Kultur nicht leisten können, sind nicht nur die ökonomischen Opfer der Merchandising-Industrie, sondern auch des Religionsmarktes. Milliarden werden jedes Jahr für esoterische, psychokultische und homöopathische Drogen ausgegeben. Der Mangel an Vernunft und Reflexion fördert die Religionsindustrie.

Die Gesellschaft wird komplexer - sozial, kulturell, politisch, ökonomisch und weltanschaulich. Die vorgegebene Biografie, wonach Menschen automatisch einer der beiden Kirchen angehören, ist am Ende, nicht jedoch die Suche nach einem Sinn und der Versuch auf komplexe Themen einfach Antworten zu finden. Diese Entwicklung bringt die Veränderung des religiös-weltanschaulichen Gleichgewichts mit sich. Die prekäre Situation, in der sich die Gesellschaft befindet, verursacht schließlich nicht nur soziale und ökonomische Missstände, sondern auch den Umbruch unseres Bildungssystems. Während sich viele zu Recht Gedanken darüber machen, wie wir allen Menschen den Zugang zu Bildung ermöglichen und die neoliberale Politik der letzten dreißig Jahre rückgängig machen, vergessen viele, dass sich längst IdeologInnen in unserem Bildungssystem breit gemacht haben. Irrationale Ideologien feiern fröhliche Urstände. Es mangelt nicht an Beispielen, man muss nur aufmerksam hinschauen.

Abseits der Straßen und politischen Paläste ermöglicht der neoliberale Zeitgeist auch innerhalb der Schulen und Hochschulen vielen fragwürdigen Gruppen den Zugang. Wir sind im 21. Jahrhundert weit davon entfernt ein Bildungssystem zu haben, welches Wert auf Wissenschaftlichkeit und weltanschaulicher Neutralität legt. Die öffentliche Hand zieht sich immer mehr aus ihrer Verantwortung zurück und überlässt marktwirtschaftlich orientierten Trägern ebenso das Feld wie den etablierten Kirchen und neuen privaten Trägern mit zweifelhaftem Inhalt. Der Handel mit Bildung wächst und die Politik verdeutlicht ein ums andere Mal, dass sie dieses lukrative Geschäft fördern will. Doch zu welchem Preis? Längst muss man feststellen, dass den Studierenden an unseren Hochschulen das Grundrüstzeug wissenschaftlichen Arbeitens fehlt. Dass es der Politik nur noch darauf anzukommen scheint, dass genug SchülerInnen die Schule erfolgreich verlassen, um sich auf dem Arbeitsmarkt durchzuschlagen, lässt eine Frage offen: Gibt es einen Mindeststandard an Wissen, zu dem alle SchülerInnen, ob an einer öffentlichen oder an einer privaten Schule, Zugang haben?


Die Deregulierung des Bildungssystems

Wie bereits angedeutet wurde, erfährt unser Bildungssystem einen irreparablen Umbau. Die bisher auf ein größtenteils auf Wissenschaft basiertes Studium ausgelegten Universitäten werden zu durch Drittmittel finanzierten Unternehmen umgebaut. Es sind nicht allein die Studiengebühren, die Spezialisierung der Universitäten zu Lasten einer wissenschaftlichen Vielfalt und die Verschulung des Studiums, die der kommenden Generation große Probleme bereiten werden. Es drängt sich auch der Verdacht auf, dass ganz bewusst ein prekäres Bildungssystem errichtet wird, in dem alles erlaubt ist, erfüllt es den Zweck der Rentabilität. 2003 und 2007 wurden auf Konferenzen dieses Problem aufgegriffen und davor gewarnt, welche Alternativen mit dem Umbau des Bildungssystems auf den Markt drängen. All dies geschieht zu Lasten eines wissenschaftlichen, vernunftgeleiteten und aufklärerischen Selbstverständnisses unserer Gesellschaft.[1]

Dieses Problem betrifft in erster die Schulen in Deutschland. Etwa die Hälfte aller privaten Schulen ist in katholischer Trägerschaft. Waldorfschulen erfreuen sich größter Beliebtheit und suggerieren, sie wären die Alternative zur staatlichen Schule.[2] Neben den etablierten und strukturell gut ausgebauten privaten Schulträgern wächst die Zahl freikirchlicher Schulen. Auch sie können sich aktuell vor Anfragen nicht wehren. Geschickt verbinden sie ökologische, soziale und religiöse Ideen. Die geschlossenen Pädagogiken dieser Ideologien sind nur schwer zu durchschauen. Eltern orientieren sich weniger an den Inhalten der Träger, vielmehr sind sie bemüht ihren Kindern ein musisches und zwangloses Umfeld zu schaffen, mit kleinen Klassen, guter Ausstattung und wenigen Kindern aus der Unterschicht. Die Bundesländer forcieren, in Anbetracht leerer Kassen, diese Entwicklung, zahlen sie doch zwar den Großteil der Schulkosten, aber sparen dennoch einen nicht unerheblichen Teil.[3]

Während immer mehr Träger auf dem Markt um die Ware Schüler konkurrieren, wächst die Unzufriedenheit bestimmter Gruppen mit dem Bildungssystem. Zahlreiche Eltern monieren, dass ihre Kinder in den öffentlichen Schulen negativ beeinflusst werden. Soweit bekannt kann man davon ausgehen, dass etwa 1.000 Kinder in Deutschland derzeit davon betroffen sind. Es gibt kaum ein Land in Europa, in dem die öffentliche Schule so sehr unter Druck gerät wie Deutschland. Die Kritik ist in vielen Teilen berechtigt, zeigen doch die Zahlen, dass vor allem Kinder aus der Unterschicht und Kinder mit einem Migrationshintergrund von der Bildungsschere betroffen sind. Auf diesen Zug springen aber auch die Eltern auf, die ihre Kinder als Opfer eines Biologieunterrichts sehen, in dem über sexuelle Aufklärung ebenso gesprochen wird wie über die Entstehung der Arten, im Sinne der Tatsache Evolution. Diese Eltern fordern, unterstützt von einem sich immer besser vernetzenden Geflecht aus verschiedenen Gruppen und Initiativen, die Abschaffung der Schulpflicht zugunsten der Bildungspflicht. Bis vor die höchsten Gerichte streiten religiös-fundamentalistische Eltern um das Recht auf die Erziehung im Namen der Religion. Die Gerichte argumentieren wie folgt: Prinzipiell ist die Erziehung Sache der Eltern. Da wir in einer Demokratie leben, deren pluralistisches Selbstverständnis dem Wohle aller dient, kommen Kinder in Schulen mit unterschiedlichen Weltanschauungen in Berührung. Das Fernbleiben würde dazu führen, dass Kinder am Entwicklungsprozess anderer Kinder nicht teilnehmen könnten. Zudem sei mit der häuslichen Unterrichtung nicht gewährleistet, dass Kinder den Mindeststandard des schulischen Wissens unterrichtet bekämen. Die Gerichte legen den klagenden Eltern nahe ihre Kinder an einer ihnen nahestehenden Schule in freier Trägerschaft unterrichten zu lassen. Schließlich sei dort die Möglichkeit gegeben, den schulischen Lehrplan durch außerordentliches Lehrmaterial zu erweitern.


Deutschland ist Missionsland Nr. 1

So wissenschaftlich rückständig die (neuen) religiösen Bewegungen auch sind, so erfolgreich sind sie in der Umsetzung ihrer Ziele. Ihr Erfolg hat mehrere Gründe: 1) Sie sind in ihren Themen der Postmoderne sehr viel näher als die Amtskirchen; 2) Ihre Heilsbotschaften sind einfach formuliert und bedienen sich klarer Muster; 3) Die örtlichen Gemeinden sind unabhängig voneinander und organisieren sich wie eigenständige religiöse Zellen; 4) Da alle Gemeindemitglieder bei der Gestaltung der religiösen Zeremonien mitwirken, wird so der Eindruck der Basisdemokratie erweckt; 5) Sie sprechen die Sprache der Straße und damit die der Jugendlichen ebenso wie die der Sinnsuchenden.

Verzeichnen die Kirchen einen massiven Mitgliederverlust, wenden sich immer mehr Sinnsuchende neuen religiösen Gruppen zu. Eine dieser Gruppen ist die evangelikale Szene. Allein in Deutschland leben etwa 1,3 Millionen evangelikale ChristInnen. In etlichen Gruppen, Foren, Sendern, Netzwerken und Organisationen verbunden, haben sie sich zu einer schlagkräftigen und einflussreichen Gruppe entwickelt. Durch Radio, Funk und Printmedien nehmen sie auf das Tagesgeschäft politisch Einfluss. Dank eines immensen Spendenaufkommens sind die Evangelikalen in der Lage ihre Themen zu setzen. Es wird gespendet - auf Teufel komm raus. Kaum ein Landstrich, in dem nicht ein Sommerlager, eine freikirchliche Gruppe oder eine Missionierungsstation existieren. Die Themen, die von ihnen besetzt werden, sind aktuell. Es geht um Fragen der Erziehung, der Sexualität, der Medizin und der Moral. Indem sie ihren Fokus auf die Kinder und Jugendlichen legen, ihre Sprache und ihren Habitus adaptieren, sind sie auch der säkularen Szene weit voraus. Darüber hinaus beschränken sie sich nicht darauf ihre Mitglieder zu indoktrinieren, sie brechen gesellschaftliche Tabus und spalten die Gesellschaft von der Wissenschaft. Das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in Fragen der Abtreibung wird ebenso kritisiert wie die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Sie kritisieren die Unterrichtung der Evolutionstheorie in den Schulen, beklagen den Werteverlust und provozieren die Öffentlichkeit mit Seminaren und Vorträgen zur 'Bekehrung' Homosexueller.[4] Alles, was nicht der biblischen Vorstellung entspricht, wird kritisiert. PolitikerInnen werden ebenso angegriffen wie Redakteure einer SchülerInnenzeitung [5] und JournalistInnen.[6]

Nicht die Entwicklungsländer, sondern die Industriestaaten sind zu Missionsgebieten erklärt worden. Auf den Straßen ebenso wie in Schulen und an Hochschulen versuchen Evangelikale vernunftgeleitetes Denken in die Schranken zu verweisen. Hat sich die Bewegung lange aus den Hochschulen ferngehalten und den katholischen wie evangelischen Studierendengemeinden das Feld überlassen, erobern Netzwerke wie Campus für Christus oder pseudowissenschaftliche Einrichtungen wie Offensive Junger Menschen oder das Studienwerk Wort und Wissen e. V. die Hochschulen.

Während die Hochschulen solche Böcke zum Gärtner machen, entdecken die Evangelikalen die Vorzüge der eigenen Bildungsstätten. Neben der Freien Theologischen Hochschule in Gießen, die als direkte Konkurrenz zu theologischen Fakultäten der evangelischen Kirche gesehen werden muss, wurde vor kurzem eine Fachhochschule in CVJM-Trägerschaft gegründet.[7] Alles ganz legal und mit ausdrücklichem Wunsch der Politik. Wissenschaftliches Denken ist längst auf dem Rückzug, nur will dies keiner wahrhaben.


Die aufklärerische Bildungsoffensive

Die hier aufgezeigten Probleme sind vielschichtig und nicht in kürzester Zeit zu lösen. Dennoch sei daran erinnert, dass alle säkularen Verbände eine große Verantwortung dahingehend tragen, unsere Gesellschaft demokratisch mitzugestalten, indem sie einerseits auf die Gefahren religiöser und esoterischer Bewegungen aufmerksam machen, andererseits Konzepte entwickeln, wie eine Gesellschaft ohne religiösen Dogmatismus aussehen könnte. Somit obliegt es allen Verbänden nach gemeinsamen Schnittstellen zu suchen und konstruktiv zusammenzuarbeiten. Im Hinblick auf die oben kurz angerissenen Probleme, sollten folgende Aspekte in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden.

Konzeptionelle Neuausrichtung der Themen: Die überaus starke Fokussierung auf die Trennung von Staat und Kirche muss überdacht werden. Sicher bleiben die theologischen Fakultäten ein bestehendes (ökonomisches) Problem. Bis heute subventioniert der Staat die Ausbildung eines Faches, das unwissenschaftlich ist und dessen Institutionen keine demokratische Legitimation haben. Sollte es, entgegen meiner Erwartung, tatsächlich zum strikten Vollzug einer Trennung von Staat und Kirche kommen, hört das Problem aber nicht auf zu existieren. Die Kirche ist ein Staat im Staat. Als zweitgrößter Arbeitgeber bestimmt er maßgeblich den sozialen Sektor. Als sinnstiftende Instanz diktiert sie Moral- und Wertvorstellungen. Für viele Menschen ist gerade in Zeiten ökonomischer Krisen eine Welt ohne Religion nicht denkbar. Wir werden unsere Anstrengungen dahingehend verstärken müssen, dass wir den Menschen zeigen, dass unsere Philosophie einer Gesellschaft von freien Individuen sehr wohl ohne Religion denkbar ist. Die Buskampagne sollte für uns eine Initialzündung sein. Wir müssen lernen nicht nur auf Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaft zu reagieren, sondern Themen selbst zu setzen.

Bildung als öffentliches Gut verstehen: Wer soll Bildungsträger sein? Welche Inhalte sollen auf den Lehrplänen zu finden sein und welche Position beziehen säkulare Verbände zum Thema lebenslanges Lernen? Es gibt genug Fragen, die an diese drei angeschlossen werden und mit denen man ganze Lehrbücher schreiben könnte. Wir müssen deutlich Position beziehen, indem wir eine Gesellschaft der Mündigkeit und des Respekts fördern und fordern. Nicht allein der Staat ist für die Durchsetzung der Grundrechte verantwortlich, sondern in erster Linie die Menschen in der Gesellschaft. Das bedeutet, dass alle Bildungsträger ihre Arbeit transparenter gestalten müssen.

Will die säkulare Szene eine Gesellschaft aufgeklärter und kritischer Köpfe, wird man sich auch hier nicht allein auf die bisherigen Bildungsangebote verlassen dürfen. Einerseits werden wir verstärkt an die Hochschulen gehen müssen, um die Wissenschaft zu stärken und Pseudowissenschaft beim Namen zu nennen, andererseits müssen wir Projekte und Kooperationspartner finden, die uns nahe stehen. Hierzu gehören Institute ebenso wie sich selbst tragende Bildungsvereine.

Aufklärung über neue religiöse Entwicklungen: Die Kirchen verlieren massiv an Mitgliedern. Ein Fakt, der uns freuen sollte. Doch mit dem Legitimitätsverlust der Kirchen geht nicht gleichzeitig die Entwicklung einer vernunftgeleiteten Gesellschaft einher. Etliche suchen außerhalb der Kirche ihr Heil und suchen ihr Glück auf dem Psychomarkt oder in einer noch stärker strukturierten Gemeinschaft neuer religiöser Bewegungen. Von NLP bis zum Dalai Lama legitimiert unsere Gesellschaft die Abwesenheit von Vernunft. Zu Tausenden pilgern die Menschen zu Motivationsseminaren und zum Stelldichein mit dem "Gottkönig", lassen sich im Privatfernsehen die Zukunft erschwindeln oder schneidern sich eine neue Patchwork-Identität. Ein bisschen Jesus, ein bisschen Buddha, eine Prise hiervon und ein Schluck davon. Die Gefahr ist groß, dass in Zeiten religiöser Beliebigkeit solche Strukturen wiederkehren, die den Menschen das Denken abnehmen. Dagegen muss die säkulare Szene deutlich Position beziehen und darauf hinweisen, dass dieses Denken ins gesellschaftliche Chaos führt.


Ein vorläufiges Fazit

Unser Bildungssystem ist längst in einer Legitimationskrise. Die Frage lautet nicht weniger oder mehr Staat, sondern welche Bildungsinhalte sollen unterrichtet werden? Allein mit gutem Willen und Allgemeinplätzen kann diesem Problem nicht begegnet werden. Mit der Selbstverständlichkeit, mit der die säkularen Verbände um die Trennung von Staat und Kirche kämpfen, sollten sie auch für eine konsequente aufklärerische Bildungsoffensive kämpfen. Entscheidend scheint mir zu sein, dass Bildung die wichtigste Ressource unserer Gesellschaft ist. Die neoliberale Politik der Deregulierung muss gerade aus unserer Sicht analysiert und ersetzt werden. Eigenverantwortung bedeutet nicht die irrationale Verdummung. Wird sich an dieser Situation nichts ändern, werden sich die säkularen Verbände nicht massiv für eine Neuausrichtung im Bildungssystem einsetzen, wird wissenschaftsfeindliches Denken weiter um sich greifen und eine Gefahr für das Gemeinwohl. In diesem Sinne, Geschichte wird gemacht.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Forum Demokratischer AtheistInnen (Hrsg.): Mission Klassenzimmer. Zum Einfluss von Religion und Esoterik auf Erziehung und Bildung. Aschaffenburg 2005; Christoph Antweiler u.a. (Hrsg.): Die unerschöpfte Theorie. Evolution und Kreationismus in Wissenschaft und Gesellschaft. Aschaffenburg 2008.

[2] Interessant daran ist vor allem die Tatsache, dass die Waldorfschulen den PISA-Test bisher nicht mitgemacht haben. Trotzdem suggerieren sie der Öffentlichkeit, dass sie die Alternative zur öffentlichen Schule darstellen. Selbstkritik, insbesondere im Hinblick auf die Steinersche Anthroposophie, Fehlanzeige.

[3] In Nordrhein-Westfalen übernimmt das Land etwa 90% der Schulkosten, 10% muss der private Schulträger selbst aufbringen.

[4] So sollten auf dem evangelikalen Christival in Bremen dieses Jahr zwei Seminare angeboten werden, die eine Umpolung zum Thema hatten.
Vgl. http://www.queer.de/detail.php?article_id=8136 [Zugriff: 15.9.2009]

[5] So geschehen mit den beiden hauptverantwortlichen Redakteuren der SchülerInnenzeitung Q-Rage, die sich kritisch mit dem Christival beschäftigt hatten.
Vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29482/1.html [Zugriff: 15.9.20091]

[6] Mitte des Jahres erschien das von den beiden Journalisten Oda Lamprecht und Christian Baars veröffentlichte Buch Mission Gottesreich. Es thematisiert den steigenden Einfluss der Evangelikalen auf die Gesellschaft und die damit einhergehenden Gefahren.

[7] Vgl. Schmidt, Katja: Startschuss für christliche Uni. In: Frankfurter Rundschau.
http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/hessen/194497l_Startschuss-fuer-christliche-Uni.html


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Quelle:
MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit
Nr. 3/09, S. 27-32, 38. Jahrgang
Herausgeber: Internationaler Bund der Konfessionslosen
und Atheisten (IBKA e.V.), Postfach 1745, 58017 Hagen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2009