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VERBAND/059: KORSO auf Bergfahrt (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 86/2009 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

KORSO auf Bergfahrt

Von Patricia Block


Am 16. November 2008 gründeten elf weltliche Verbände, Stiftungen und Akademien den Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO). Patricia Block sprach im Januar mit Dr. Horst Groschopp, Präsident des Humanistischen Verbandes, und Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, Vorsitzender des KORSO, über die Bedeutung dieser Gründung für den HVD.


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DIESSEITS: Der HVD hat nach dem Kooperationsvertrag mit "Jugendweihe Deutschland" und seiner Unterstützung des "Humanistischen Pressedienstes" nun eine dritte strategische Bündnisentscheidung getroffen. Wie kam es dazu?

PROFESSOR DR. FRIEDER OTTO WOLF: Es war ein langer Weg zur Einheit. Wir befürworten und unterstützen bereits in unserem Humanistischen Selbstverständnis von 2001 und in unserer täglichen Arbeit die wesentlichen Forderungen und das Programm des KORSO. Dessen historische Dimension ist nur zu erfassen, wenn das Heute mit der Situation vor zehn Jahren verglichen wird. Über Jahre hinweg ist man sich aus dem Weg gegangen. Es war die Humanistische Akademie, die hier Steine aus dem Weg räumte, ganz speziell die erste Tagung "Humanistischer Aufbruch" mit der Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2000. Man ging auseinander mit "Verabredungen zu mehr Gemeinsamkeit", woraus dann Anfang 2001 die "Sichtungskommission" hervorging - bis heute begleitet von Unkenrufen von Verbandsrechthabern, Skeptikern und Besorgnisrittern in den je eigenen Reihen.

DIESSEITS: Wie sieht der HVD die Gründung?

DR. HORST GROSCHOPP: Überwiegend positiv, einige euphorisch, andere eher skeptisch, wobei die grundlegenden Ziele weniger in Frage gestellt werden. Ob die erreichte Gemeinsamkeit im Programm und die Einmütigkeit der Gründung ausreichen, den kommenden politischen Kämpfen standzuhalten, steht zu hoffen. Alle Mitglieder wollen die Rechte der Konfessionsfreien in Staat und Gesellschaft besser zur Geltung bringen und für die Umsetzung entsprechender Verfassungsgrundsätze sorgen.

Doch sind uns allen auch die unterschiedlichen Positionen bekannt. Das zeigen die Haltungen zur Neuregelung des Personenstandswesens. In seiner Durchführungsverordnung wird - erneut gegen ein Versprechen, das Minister Schäuble dem HVD gegeben hat - die Existenz der Weltanschauungsgemeinschaften negiert. Nur Religionen werden genannt. Das hat ganz praktische amtliche "Blindheiten" zur Folge, die auf massive Diskriminierungen hinauslaufen. Zwar meinen alle KORSO-Mitglieder, die "Glaubenszugehörigkeit" geht den Staat nichts an. Der HVD will darüber hinaus jedoch die Möglichkeit, dass man sich gegebenenfalls als Humanist eintragen lassen kann.

DIESSEITS: Welche politischen Ziele haben sich die Kooperationspartner gesetzt?

FRIEDER OTTO WOLF: Es stehen Bundestagswahlen an. Wir haben dazu ein umfängliches Programm ausgearbeitet, das der Umsetzung harrt. Der KORSO will helfen, politische Benachteiligung etwa im Schulwesen, bei der öffentlichen Gedenkkultur und in den öffentlich-rechtlichen Medien zur Sprache zu bringen und zu beseitigen. Zu den Zielen des KORSO gehört die Einberufung einer "Konfessionsfreien-Konferenz" durch die Bundesregierung.

HORST GROSCHOPP: Der HVD hatte sich bereits im Vorfeld mit einem dezidierten Gesprächswunsch an Innenminister Dr. Schäuble gewandt und ist dabei unverständlicherweise abgewiesen worden. Eine Verweigerung wird langfristig nicht haltbar sein.

FRIEDER OTTO WOLF: Wir hoffen, dass die Regierung und die Parteien erkennen, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung konfessionsfrei ist. Auch nichtreligiöse Menschen haben Interessen und sind Wählerinnen und Wähler. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern im KORSO werden wir einen Vorstoß unternehmen.

DIESSEITS: Sieht sich der KORSO als Vertretung aller Konfessionsfreien?

FRIEDER Otto WOLF: Das wäre sicher anmaßend. Aber bitteschön, wer im Lande spricht für sie, z. B. in Medienräten? Doch nicht die Gewerkschaften und Parteien, die eigentlich auch "säkular" sind. Den Konfessionsfreien, den humanistischen Atheisten oder den atheistischen Humanisten, auch den Nichtorganisierten eine Stimme zu geben, das sehe ich als Aufgabe des KORSO. Schon die Erkenntnis in der Politik, dass wir viele und viele Verschiedene und verschieden aufgestellt sind, wäre doch ein wunderbarer Effekt des KORSO.

HORST GROSCHOPP: Ich spreche, weil gewählt, für den HVD, für organisierte Humanistinnen und Humanisten.

FRIEDER OTTO WOLF: Der KORSO ist ein politisches Zweckbündnis von Organisationen, die weiterhin ihre eigenen Ziele verfolgen. Die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns ergibt sich aus der derzeitigen Neuordnung der deutschen Religionsverfassung durch Einbezug der Muslime, deren "Koordinationsrat" und die "Islamkonferenz" beim Bundesinnenminister. Wir stellen fest, dass an dem einen Drittel der Bevölkerung, das konfessionsfrei ist, vorbei regiert wird.

DIESSEITS: Woran liegt es, dass die Anliegen der organisierten Konfessionslosen so wenig öffentliche Resonanz finden?

FRIEDER OTTO WOLF: Man tut so, als gäbe es uns nicht. Aber auch: Wer keine Interessen anmeldet und schwach aufgestellt ist, der sitzt in der Politik nicht einmal am Katzentisch. Außerdem werden auch viele Eigentore geschossen - im KORSO-Selbstverständnis ist eine Grundlage gefunden worden, um zusammen weniger vorgestrig rüberzukommen.

HORST GROSCHOPP: Menschen müssen Gelegenheit bekommen, uns kennenzulernen, auch unsere Unterschiede in Tradition und Praxis. Der HVD setzt auf Humanismus der Tat, auf weltliche Humanität. Wir "glauben", dass praktische Angebote für schon Konfessionsfreie den Humanismus als Weltanschauung attraktiv machen. Andere Gruppierungen befördern den Kirchenaustritt, wieder andere entlarven religiöse Dummheiten oder betreiben scharfe Religionskritik. So breit war das Spektrum der Freidenkerei schon immer. Nennen wir den KORSO einen erneuten historischen Anlauf zur koordinierten Ermittlung und Kommunikation der Interessen Konfessionsfreier.

DIESSEITS: Worin genau bestehen denn die konzeptionellen Unterschiede?

HORST GROSCHOPP: Wir erleben immer wieder, z. B. bei der Beantragung unseres Schulfachs "Humanistische Lebenskunde", dass Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung, der in unser Grundgesetz per Art. 140 übernommen wurde, ignoriert wird, dass nämlich den Religionsgesellschaften diejenigen Vereinigungen gleichgestellt sind, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen. Dazu gehört der HVD. Das wird der KORSO durchsetzen helfen.

FRIEDER OTTO WOLF: Und das wird in Abstimmung und im Einvernehmen mit denjenigen im KORSO geschehen, die nicht vorrangig auf Gleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungen und ihren Organisationen setzen, sondern Programme der Neutralität oder Laizität vertreten - unter Berufung auf Art. 138 WRV über die Ablösung der Staatsleistungen. Das hieße, weder die Kirchen noch der HVD oder andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sollten Staatsgelder bekommen.

HORST GROSCHOPP: Auch der HVD will, dass die noch immer erfolgenden staatlichen Ausgleichszahlungen für die Säkularisierung der Kirchengüter von 1803 endlich eingestellt werden. Doch im Unterschied zu anderen Verbänden meint der HVD, dies sei politisch illusorisch. Deshalb favorisiert er den Weg der Gleichbehandlung.

FRIEDER OTTO WOLF: "Vermischbar" sind beide Standpunkte nicht, da sollten wir ehrlich sein, aber es ist möglich, das politische Handeln aufeinander abzustimmen und auf allseitige Diskussionsfreude und Lernfähigkeit zu setzen.

DIESSEITS: Über manche Positionen der im KORSO vertretenen Organisationen schütteln HVD-Mitglieder nur den Kopf. Stichwort: Religionskritik! Wird es dem HVD jetzt nicht geradezu erschwert, das für seine zentralen Thesen aufgeschlossene Publikum zu erreichen? HORST GROSCHOPP: Ich jedenfalls erschrecke nicht darüber, dass einige im säkularen Spektrum den Kurs des HVD als "Kuschel-Atheismus" denunzieren. Mich ärgert allerdings, dass damit politische Thesen öffentlich verkündet werden, die unseren politischen Gegnern nutzen und unsere religiösen Bündnispartner verunsichern. Über die Aufführungen der - jetzt schieße ich mal zurück - "Krawallatheisten" wird das Leben urteilen. Für den HVD ist ganz klar, dass jede Kooperation mit Religionsfeinden ausgeschlossen ist. Für die gesamte Entwicklung des KORSO wird entscheidend sein, dass die Prinzipien der Gründungserklärung ernst genommen werden, Religionskritik ja, Religionsfeindschaft nein.

FRIEDER OTTO WOLF: Lasst uns doch die offene Auseinandersetzung in der säkularen Großfamilie führen, auch im KORSO. Das schärft den Blick und lässt andere erkennen, was Sache ist. Wir vertrauen auf Aufklärung, sind deren Produkt und müssen deren "Lehren" ernst nehmen.

DIESSEITS: Speziell das Verhältnis des HVD zur Giordano Bruno Stiftung wird im Verband gelobt und kritisiert...

HORST GROSCHOPP: Mit der gbs treten wir für mehr Modernität in der Konfessionsfreienpolitik ein. Wir haben deshalb gemeinsame Projekte. Aber wir verstehen nicht immer das Gleiche unter Modernität oder Medienrealität und Toleranz zu Religionen. Wir streiten uns also mitunter heftig. Glücklicherweise ist das so. Angesichts des eigenständigen Öffentlichkeitszuganges, den die gbs mit ihren Kampagnen zweifellos hat, ist für den HVD streitbare Kooperation auf jeden Fall besser als der Versuch, entsprechend überdrehte Debatten unsererseits mit großem Sensationseffekt nachahmen oder einfach ignorieren zu wollen.

FRIEDER OTTO WOLF: Vielleicht schaffen wir es im Rahmen von KORSO, die Ansätze zu einer gemeinsamen rationalen Debatte aller argumentativen säkularen Positionen weiterzuentwickeln, wie sie in den Jahrestagungen der Humanistischen Akademie aufgebaut worden sind.

DIESSEITS: Hätte man die Hürden für den Beitritt zum KORSO nicht etwas höher setzen können?

FRIEDER OTTO WOLF: Ich denke, jedes Mitglied im KORSO bezieht sich auf die durchaus vernünftigen Inhalte der Gründungserklärung - und nicht etwa nur auf die eigene Spezialansicht oder Vergangenheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Aktivitäten von Mitgliedsorganisationen, die im Rahmen dieser Gründungserklärung verbleiben, das Image und das Standing des HVD oder eines anderen Verbandes in der Öffentlichkeit gefährden könnten. Jeder gefährdet sich höchstens selbst, weil jetzt die Kontraste plastisch werden. Der KORSO wird keinen Raum für Sektierer oder Störmanöver zulassen. Aber das muss sich selbstverständlich in der konkreten Praxis beweisen.

HORST GROSCHOPP: Es sind Organisationen darunter, deren Standpunkte ich zu achten habe, auch wenn ich ihnen keinen Erfolg vorhersage oder wünsche. KORSO ist für den HVD, wie für alle anderen Beteiligten, ein Experiment mit offenem Ausgang. Wir gehen aber davon aus, dass das allen beteiligten Organisationen bewusst gewesen ist. Deswegen gibt es ja bereits vereinzelt schon wieder Austrittsdebatten.

DIESSEITS: Wird sich KORSO dafür einsetzen, die Aktivitäten der Religionen auf den privaten Raum zu begrenzen?

WOLF/GROSCHOPP: Nein!

FRIEDER OTTO WOLF: Religion kann als Bekenntnis selbstverständlich öffentlich auftreten und das kann die Öffentlichkeit auch durchaus bereichern!

HORST GROSCHOPP: Was nicht geht, ist nur, dass "kraft Amtes", "von Staats wegen", eine bestimmte Religiosität vorgeschrieben wird, wie dies in der klerikal geprägten Bundesrepublik allzu oft vorkam. Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein verfassungsmäßiger Grundwert. Menschen haben Bedarf an Religionen und Weltanschauungen. Der "freie Markt der Bekenntnisse" wird aber behindert durch historisch gewordene staatliche "Privilegienbündel" für Kirchen. Wir wollen den Staat zur Gleichbehandlung humanistisch gesinnter Menschen zwingen - und lassen andere nach ihrer Fasson glücklich werden.

DIESSEITS: Die Aktion "Pro Reli" versucht in Berlin, Religion als ordentliches Lehrfach und Ethik als "Ersatzfach" zu etablieren. Wie reagiert der KORSO darauf?

FRIEDER OTTO WOLF: Das Thema hat bundespolitische Bedeutung. Der KORSO nimmt im Wesentlichen die Haltung von "Pro Ethik" ein. Er befürwortet ein integratives Pflichtfach zur Wertevermittlung, wie in Berlin "Ethik" oder in Brandenburg "LER".

HORST GROSCHOPP: Der HVD verteidigt das bestehende Schulgesetz. Wir sehen darin ein im Kern zukunftsfähiges Modell. Unser Verband argumentiert nicht gegen Religion. Die klare Position des HVD - "Ethik first", dann lebenskundliches Eigeninteresse - hat einige im säkularen Spektrum positiv überrascht. Der HVD verhält sich seinen Prinzipien entsprechend mutig. Er wurde gehört und wird verstanden.

DIESSEITS: Die Kirchen wollen bekanntlich in ethischen Fragen, etwa der Sterbehilfe, tonangebend sein. Der KORSO will dagegen agieren. Der HVD wiederum sucht gerade in dieser Frage religiöse Bündnispartner. Etwas verwirrend, oder?

FRIEDER OTTO WOLF: Gerade die Sterbehilfedebatte zeigt: Die meisten Menschen denken hier anders als die Kirchen. Nicht alle Kirchenmitglieder denken wie ihre Bischöfe. Die kirchliche Parole "Ethik braucht Gott!" hat in unserer Gesellschaft keine relevante Basis mehr. Das sollten wir selbstbewusst vertreten: "Ethik braucht Vernunft!" Es wäre gut gewesen, uns "Säkulare" früher und breiter auch in ethischen Fragen um Rat zu fragen. Aber wir sollten uns vor allem an die eigene Nase fassen: Wir müssen gemeinsam Lösungen für Menschen in Not finden und sollten den Streit darüber ethisch, mit vernünftigen Argumenten führen und nicht mit religiösen oder weltanschaulichen "Glaubenskämpfen" belasten.

HORST GROSCHOPP: Die Scheidelinie in dieser hochsensiblen Frage der Sterbehilfe ist nicht "hie Religiöse, da Säkulare". Auch auf anderen Feldern stellen sich die Fragen nicht so einfach. Und Religiöse - Christen, Juden, Muslime, Buddhisten ..., die mit dem HVD für mehr Selbstbestimmung eintreten, zu gemeinsamen ethischen Lösungen sich bereit finden, sich für Barmherzigkeit engagieren und für Toleranz, sind mir allemal lieber als Neokonservative, so atheistisch sie sein mögen, oder Islamophobe, die aus jeder Moschee hierzulande den Ajatollah winken sehen.

DIESSEITS: Warum dieser scharfe Seitenhieb?

HORST GROSCHOPP: Wir sind Humanisten. Das ist eine Weichenstellung in Richtung Toleranz. Als Atheist kann man auch Nazi sein. Leider ist das so. Deshalb hat der HVD sich klar für Humanismus entschieden und sich von den mehrdeutigen Kennungen "Freidenker", "Freigeister", "Atheisten" verabschiedet. Wir haben mit allen im KORSO eine gemeinsame Gegenwart und Geschichte. Wir verstehen uns als Freunde. Freundschaft heißt nicht "alles verstehen und alles verzeihen", heißt nicht Kumpanei. Wir wollen es politisch miteinander versuchen, der Konfessionsfreien wegen.


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 86 1/2009, S. 25-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009