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BUCHBESPRECHUNG/250: P. Köpf, Z. Ramadani - Woke. Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht (Klaus Ludwig Helf)


Peter Köpf und Zana Ramadani

WOKE - Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht

Von Klaus Ludwig Helf, Februar 2024


Nach den wissenschaftlichen Publikationen von Susan Neiman, (Direktorin Einstein Forum, Potsdam), Julian Nida-Rümelin (Gründungsrektor Humanistische Hochschule Berlin) und Bernd Stegemann (Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin) haben jetzt auch Zana Ramadani und Peter Köpf aus journalistischer Perspektive eine Streitschrift zum Thema 'Wokeness' vorgelegt. Auf der Grundlage humanistischer und aufgeklärter philosophischer Überzeugungen und anhand vieler konkreter Beispiele, Beobachtungen und Fakten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen können sie überzeugend ihre These belegen, dass die aktuellen Entwicklungen um 'Wokeness' in Deutschland ähnlich wie in den USA "toxisch für die Demokratie und ein Segen für die Rechtsaußen" seien: "Die Massen wenden sich ab von denen, die nicht diskutieren wollen, sondern diktieren, exekutieren. Die äußerste Rechte steht schon bereit. Deshalb sind die Woken neben den Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und selbsternannten Querdenkern eine neue Risikogruppe für die Demokratie" (S. 258).

Zana Ramadani (*1984) ist Frauenrechtlerin, muslimische Migrantin und Gründerin von Femen Deutschland, Mitglied des Thinktanks AUSTRIA, der die österreichische Regierung berät.

Peter Köpf (*1960) ist Journalist und Autor mehrerer Politikerbiografien sowie politischer Sachbücher, zuletzt 2018 INSIDE AFD (zusammen mit Franziska Schreiber).

Nach der Einleitung ("Wer sind die Woken, und was sie wollen Sie?") folgen drei Hauptkapitel: "Sternchenmenschen: Inflation der Identitären / Sternchenmacher: Die Wegbereiter der Wokeness / Sternchenkritiker: Die Welt will nicht gewoket werden"). Ein umfangreicher Anmerkungsapparat macht es möglich, die Gedankengänge und Beispiele des Bandes nachzuvollziehen und zu vertiefen. Ein radikal und selbstgerecht auftretender, omnipräsenter, moralisierender und bevormundender Aktivismus der Cancel Culture-, Wokeness- und Identitäts-Bewegung habe bereits in den USA eine "tiefe politisch-kulturelle Spaltung" bewirkt: "Nirgends in Europa haben Apologeten diese Unkultur aus den USA so beflissen und radikal aufgenommen wie in Deutschland. Kalte Kompromisslosigkeit ist an der Tagesordnung, eine unerträgliche Unfähigkeit zu individuellem Denken. Die Gegner reagieren mehr und mehr mit Selbstzensur - aus Angst" (S. 15).

Peter Köpf und Zana Ramadani spannen eine weiten, vielfächrigen Bogen über das Themenfeld "Diversity, Equity, Inclusion", auf den hier nicht im Einzelnen eingegangen werden soll. Sie analysieren exemplarisch und nachvollziehbar, wie eine moralin-basierte Gesinnungsideologie einer radikal auftretenden, gesellschaftlich minoritären Aktivistenbewegung schleichend in den Alltag mäandert und unübersehbaren Einfluss gewinnen kann in den etablierten Parteien, in Wissenschaft und Wirtschaft, in Kultur und Medien und tiefe Gräben in unserer Gesellschaft zieht. Der aggressive, empörende, bevormundende und zornige Zank einer 'identitären Klientelklasse', die vielfach zersplittert, aber dennoch einig agiere, eskaliere in einem Maße, das Meinungs- und Gesinnungsfreiheit und die offene demokratische Gesellschaft insgesamt bedrohe, so die Autoren: "Keine Kommunikationskultur. Kampf und Krampf an allen Fronten, Radikalisierung und Lagerbildung: Feministinnen gegen alte weiße Männer, Genderfeministinnen gegen Urfeministinnen, Jung gegen Alt, Veganerinnen gegen Fleischesser, LGBTQ-ler gegen Cisgender. Jeder gegen jeden. Je lauter, desto erfolgreicher, je ätzender, desto medien- und niederträchtiger. Überall kleine Gruppen, die sich von den anderen diskriminiert fühlen. Wer so agiert, ist immer Minderheit, fühlt sich benachteiligt und legitimiert, dagegen vorzugehen" (S. 19).

Der Bogen der Bevormundung z.B. bei der Verwendung einer "genderneutralen oder -gerechten Sprache" (Sternchen, Gap etc.), bei der Diskussion um Toiletten- und Sauna-Nutzung, bei Diskussionen um "kulturelle Aneignung" (Blackfacing, Indianer- und Cowboy-Kostüme an Fasching) oder über biologisches und soziales Geschlecht werde oft überspannt, reglementiere das demokratische Recht auf Selbstbestimmung, vergifte das politische Klima und spiele vor allem den Rechtspopulisten und Rechtsextremen in die Hände. Die zweifellos existierenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft hätten aber tieferliegende Ursachen und müssten daher grundsätzlicher bearbeitet werden. Wer kümmere sich heute noch um Kapitalismuskritik, wenn es um Gleichberechtigung oder Chancengerechtigkeit in Schule und Hochschule oder bei Arbeit, Beruf, Einkommen und Vermögen geht, fragen die Autoren mit gutem Recht: "Ist es nicht noch immer so, dass die Trennlinie zwischen oben und unten verläuft, zwischen Klassen? Müssten wir deshalb nicht gemeinsam für Gerechtigkeit sorgen, für alle abhängig Beschäftigten?" (S. 28).

Der vorliegende Band ist eine reflektierte und quellengesättigte Analyse der aktuellen 'Wokeness-Welle', verständlich geschrieben und in der Argumentation nachvollziehbar, ein Plädoyer für Demokratie, Dialog, Toleranz, Nachdenklichkeit, Meinungsvielfalt, Sprachverständlichkeit und Wissenschaftsfreiheit: "... leben und leben lassen, Grenzen akzeptieren, auch Rücksichtnahme. Vernunft ist gefragt in dieser aufgeheizten Zeit. Optimismus statt Untergangsrhetorik. Vertrauen in den Lebenswillen der Menschheit und deren ... Kreativität. Dogmen und Zwang vertiefen den Graben - und helfen nur den rechten Demagogen" (S. 260).

Dem muss man vorbehaltlos zustimmen.


Peter Köpf, Zana Ramadani
WOKE - Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht
Bastei Lübbe AG-Verlag (Quadriga) Köln 2023,
Hardcover
288 Seiten
22,00 EURO

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Quelle:
© 2024 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 1. März 2024

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